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Veröffentlicht am 09.10.2018

Harold und Maude mitten in Europa

Ich komme mit
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Eine alte Frau und ein junger Mann - da musste ich gleich an Harold und Maude denken, an einen Film, der mich schon in jungen Jahren sehr begeistert hat. Der Vergleich trifft es auch - so glaube ...

Eine alte Frau und ein junger Mann - da musste ich gleich an Harold und Maude denken, an einen Film, der mich schon in jungen Jahren sehr begeistert hat. Der Vergleich trifft es auch - so glaube ich - ganz gut, obwohl es in "Ich komme mit" nicht um eine Liebesgeschichte zwischen alt und jung, sondern um eine Art Seelenverwandtschaft geht, allerdings um eine, die sich erst schleichend einstellt.

Denn Vita und Lazar, genannt Lazy, kennen sich schon seit Ewigkeiten - also soweit etwas, an das sich ein 21jähriger erinnern kann, als ewig bezeichnet werden kann. Denn genau so alt ist Lazy. Vita geht so langsam auf die 75 zu, ist also fast dreieinhalb mal so alt, ihr Sohn Morris - ehemals Moritz -, der ins ferne Australien ausgewandert ist, könnte locker Lazys Vater sein. Sie kennt Lazy aus dessen Kindheit, als er schon einmal im Haus wohnte - nun ist er zurückgezogen, hat die Wohnung von seinem verstorbenen Vater geerbt.

Damals mochte Vita Lazy nicht und er hatte sich in Bezug auf ihre Person überhaupt keine Meinung gebildet. Nun findet eine zunächst zögerliche Annäherung in einer Krisensituation statt: Lazy ist nämlich sehr, sehr krank, viel zu krank für einen jungen Mann seines Alters. Und Vita hat das Gefühl, endlich gebraucht zu werden und mehr als das. Sie kümmert sich um Lazy, doch sie werden auch bald zu Vertrauten, zu solchen, die sich alles erzählen. Und alles verkraften, was sie vom anderen zu hören bekommen. Was nicht immer unbedingt einfach ist.

Aber es schweißt sie zusammen - so sehr, dass sie sich auf eine gemeinsame Reise begeben. Obwohl das definitiv unvernünftig ist!

Ein wunderschönes Buch mit tollen Sequenzen und manchmal schönen Sätzen - so dachte ich zunächst. Aber ab der Mitte ging etwas durch, verlor der Roman aus meiner Sicht seine Kraft, die zunächst sich daraus resultierende Botschaft verpuffte irgendwie. Ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass die Autorin - selbst schon im gesegneteren Alter - einfach etwas Freches, Lockeres, Unerwartetes schreiben wollte. Was ihr auch gelungen ist - aber nicht so, dass es mich bis zum Schluss beeindrucken konnte!

Veröffentlicht am 08.10.2018

Ein Haus, in dem ganz schön etwas steckt

Alles ist lebend tot
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Tagebücher, Möbel und anderes nämlich - denn Barbara Aubert, die ihre Wiener Firma aufgibt und im beschaulichen Tulln ein neues Leben beginnt, hat das Haus mit allem drum und dran gekauft. Und das hat ...

Tagebücher, Möbel und anderes nämlich - denn Barbara Aubert, die ihre Wiener Firma aufgibt und im beschaulichen Tulln ein neues Leben beginnt, hat das Haus mit allem drum und dran gekauft. Und das hat es in sich, wird der frühere Besitzer doch mit Egon Schiele, ja, genau, dem heute bekannten Maler, in Verbindung gebracht. Sein Jugendfreund soll er gewesen sein. Steckt mehr dahinter? Vielleicht ja sogar Wertvolles? Warum wohl geistert so ein merkwürdiger Zeitgenosse um das Haus herum, der behauptet, es hätte seinem Opa gehört und er wolle mal reinschauen.


Barbara bleibt vorsichtig und das ist gut so: denn erstens hat sie alle Hände voll zu tun. Sie hat sich nicht nur ein neues Zuhause geschaffen, sondern mit dem Erwerb der Mehrheitsanteile an der örtlichen Gärtnerei auch ein neues Standbein versorgt - auch wenn Gärtnerin Leonie, gleichzeitig die frühere Besitzerin, sie aus dem Tagesgeschäft raushalten möchte. In ihrem eigenen oder in Barbaras Interesse?


Barbara hat kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn bald schon gibt es Tote. War es Selbstmord oder Mord und wie hängt das Ganze mit Fällen zusammen, die vor Barbaras Zeit geschahen? Gut, dass Barbara Freunde in Wien hat, die sie zur Hilfe holen kann.


Ein ebenso stimmiger wie stimmungsvoller Kriminalfall, bei dem ich vor allem die Einbindung des Malers Egon Schiele, seiner Bilder und seiner mir bislang unbekannten Texte genossen habe. Das hat wettgemacht - dass es mir manchmal zu voll wurde in dem Krimi - sowohl in Bezug auf das Personal als auch bezüglich vorheriger Ereignisse, Verbindungen und Animositäten. Denn in dem Band kommen eine ganze Reihe von Figuren vor, die bereits in früheren Büchern der Autorin eine Rolle gespielt haben - da fühlte ich mich als Leserin des Öfteren mal vor vollendete Tatsachen gestellt.


Dem interessierten Leser würde ich also raten, die vorher erschienenen Werke der Autorin zu genießen, bevor er sich an dieses macht - das erspart mit Sicherheit die ein oder andere Verwirrung und trägt dazu bei, den Genuss vollkommen werden zu lassen!

Veröffentlicht am 06.10.2018

Nigerianische Verhältnisse

Bleib bei mir
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lernen wir in diesem tragischen und gesellschaftskritischen, dabei literarisch durchaus anspruchsvollen Roman der Autorin kennen: Yejide und Akin haben aus Liebe geheiratet. Doch das ersehnte Kind bleibt ...

lernen wir in diesem tragischen und gesellschaftskritischen, dabei literarisch durchaus anspruchsvollen Roman der Autorin kennen: Yejide und Akin haben aus Liebe geheiratet. Doch das ersehnte Kind bleibt zunächst aus - in der hier beschriebenen sozialen Struktur ein No Go. Deswegen führt die Schwiegermutter eine Zweitfrau für ihren Sohn ein, was er sich - zwar nicht begeistert, aber dennoch - gefallen lässt.

Zunächst lebt diese Junge Frau woanders, bis sie ihren eigenen Willen spielen lässt und dies ändert. Und so nehmen die Ereignisse ihren verhängnisvollen Lauf.

Ein Roman, dessen Inhalte für mich so fremd sind wie ein Märchen, auch wenn sie so gar nichts Märchenhaftes an sich haben. Und - wie so oft in fremden Kulturen - sehr, sehr schwer nachzuvollziehen. Denn Yejide ist eigentlich eine moderne Frau, eine mit viel Kraft und Charisma, die auf ihren Mann einen gewissen Einfluss hat. Eigentlich. Denn gewisse Verhaltensweisen, Kenntnisse und Fertigkeiten, die für Westeuropäer vollkommen normal sind, sind in ihren Kulturkreisen absolut tabu.

Ein in eindringlichem Stil verfasster Roman, der an die Grenzen geht - allerdings an vollkommen andere als die mir bisher bekannten. Und zwar in jeder Hinsicht. Ein aufwühlender Roman mit einigen kraftvollen Szenen, die sich aber aus meiner Sicht nicht durch das ganze Buch ziehen.

Für mich bleibt die Frage, ob es in der Gesellschaft Nigerias legitim bzw. überhaupt möglich ist, anders zu reagieren in der vorliegenden Situation. Natürlich hat die Autorin den Roman nicht primär für westeuropäische oder auch nordamerikanische Leser geschrieben - dennoch fühlte ich mich schlecht informiert über Nigeria in jeglicher Hinsicht, während ich das Buch las. in der Regel hilft mir in derartigen Situationen die Beschäftigung mit Geschichte und Politik des Landes, auch mit weiteren Phänomenen beim Verständnis der Lektüre - hier war das nicht der Fall. So blieb ich mit dieser durchaus faszinierenden Geschichte ein wenig hilflos zurück.

Veröffentlicht am 31.07.2018

Die Piroggen werden eingedeutscht

Wenn wir wieder leben
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und heißen nun "Die Vier von Zoppot" - auch hier hat das nationalsozialistische Regime Einzug gehalten und die Nazis deutschen alles ein, was sie nicht ausmerzen. Hierbei handelt es sich um eine Band von ...

und heißen nun "Die Vier von Zoppot" - auch hier hat das nationalsozialistische Regime Einzug gehalten und die Nazis deutschen alles ein, was sie nicht ausmerzen. Hierbei handelt es sich um eine Band von regionaler Bekanntheit, die vor allem durch Sängerin Gundi Sonnenschein, eine ausgesprochene Frohnatur, punktet. Diese heißt in Wirklichkeit Gundi bzw. Gundula Frieböse, ist bei ihrem geliebten Opa Pop aufgewachsen und tanzt durchs Leben. Man könnte aber auch sagen, sie geht mit Scheuklappen hindurch, denn dass es den Nazis ernst ist und sie nicht nur den Juden, sondern auch den Polen mit brutalster Gewalt zusetzen, ja sie ausmerzen, da ist es schon zu spät.

Sie tourt nämlich schon als Unterhaltungsmusikerin gemeinsam über die Sieben Weltmeere: die Vier aus Zoppot musizieren auf dem "Kraft durch Freude"-Schiff Wilhelm Gustloff, das zwar nicht die ganze Welt, wohl aber die dem nationalsozialistischen Deutschland wohlgesonnenen Staaten anfährt und so auch dem kleinen Mann das Vergnügen einer Kreuzfahrt nahebringt. Und aus der Nummer kommt sie nur schwer wieder raus, denn sie hat sich schon ganz schön verzettelt und das dürfen weder die Nazis noch ihre Musikerfreunde - unter ihnen Schwester Lore und Ehemann Julius - niemals erfahren.

Doch was hat all das mit der 19jährigen Berlinerin Wanda zu tun? Diese hat ihre Mutter, die nie von früher sprach, nach dem "Damals" erlebt und in Folge eine Tragödie sondergleichen erlebt. Die sie nach Polen verschlagen hat, genauer gesagt nach Sopot, wie Zoppot nun heißt. Wird sie sich dort der Vergangenheit ihrer Familie stellen können?

Ich habe bereits einen Roman der Autorin Charlotte Roth gelesen, in dem weite Teile im Dritten Reich spielen und zwar "Als der Himmel uns gehörte" - ein wunderbarer Roman, klar und durchdacht, wie er stimmiger nicht hätte sein können und entsprechend hoch waren meine Erwartungen, die leider nicht in Gänze erfüllt werden konnten.

Hier dagegen wimmelt es zwar von guten Ideen und auch die Atmosphäre von Zoppot sowohl in der Vorkriegszeit als auch während und lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurde gut eingefangen. Jedoch nicht die Zusammenhänge um Gundi bzw. um Wanda, ebenso wie die Überlappungen. Nachdem ich diesen sehr ausführlichen Roman beendet hatte, blieb mir der Eindruck, dass mir so einiges fehlte, um die ganze Handlung zu überblicken. Dazu gehören bspw. Informationen zu einigen Nebenfiguren, die an mancher Stelle durchaus relevant sind - auch ihr Wirken bleibt . Und im Gegensatz zur bildhaften und atmosphärischen Darstellung von Zoppot sind Geschicke und Ereignisse um Gundi und noch mehr um Wanda und um ihr jeweiliges Umfeld aus meiner Sicht an vielen Stellen wenig eindringlich gezeichnet. Auch die beiden Hauptfiguren selbst bleiben im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit ihrem Umfeld in vielen Aspekten an der Oberfläche und hinterlassen so einen wenig tiefsinnigen Eindruck. Umgekehrt hingegen rücken einige Nebenschauplätze - vor allem der um einen nationalsozialistischen Funktionär der Region - aus meiner Sicht zu sehr in den Fokus, hier wäre im Kontext der Handlung weniger mehr gewesen.

Dennoch: die Thematik, also die in den sogenannten Ostgebieten lebenden Deutschen und deren spätere Umsiedlung ist eine aus meiner Sicht enorm wichtige und spannungsreiche, zu der es noch viel zu sagen gibt. Einiges davon kam im vorliegenden Roman zur Sprache und so habe ich ihn im Großen und Ganzen sehr gern gelesen und werde ihn sicher nicht so bald vergessen!

Veröffentlicht am 27.07.2018

Spannende skandinavische Unterhaltung in bewährter Manier

Der Sandmann
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spannend und unglaublich brutal, aber nichtsdestotrotz streckenweise ein wenig langatmig.

Mögen Sie Joona Linna? Den Finnen inmitten von Schweden, auf dem eine schwere Vergangenheit lastet, der sich nahtlos ...

spannend und unglaublich brutal, aber nichtsdestotrotz streckenweise ein wenig langatmig.

Mögen Sie Joona Linna? Den Finnen inmitten von Schweden, auf dem eine schwere Vergangenheit lastet, der sich nahtlos in die schwermütige bis depressive skandinavische Ermittlerschar einreiht und in seiner Vielschichtigkeit und der ihn umgebenden Atmosphäre einem Wallander kaum nachsteht?

Nun, hier ist er wieder in seinem mittlerweile bereits vierten Fall, einem besonders tragischen: Personen verschwinden auf nicht nachvollziehbare Art und Weise. Nach Jahrzehnten taucht ein junger Mann - ein Kind noch, als er verschwand - wieder auf und können sich an nichts, aber auch gar nichts erinnern. Außer, dass es eben der Sandmann war, der sie gefangengehalten hat. Sie - das sind er und seine Schwester, die offenbar noch lebte, als ihm die Flucht gelang. Wo ist da der Zusammenhang, wo der rote Faden, wo kann die Kriminalpolizei, die im Übrigen selbst bereits zum Opfer geworden ist und weiter bedroht wird, eingreifen? Und eigentlich sitzt der Schuldige doch bereits seit Jahren im Gefängnis - oder etwa nicht? Es geht darum, ein möglicherweise noch lebendes Entführungsopfer vor einem weiteren, möglicherweise jahrzehntelangen drohenden Aufenthalt auf engstem Raum, in vollkommener Isolation, zu bewahren - denn das sind die Informationen, die man aus dem Flüchtling herauskitzeln kann. Bei den Ermittlungen nimmt Saga, Joona Linnas schöne und eigensinnige Kollegin, eine Schlüsselrolle ein. Der Fall ist voll mit auf brutalste Weise erledigten Leichen und aus meiner Sicht teilweise sinnlosem Gemetzel. Trotz des eigentlich guten Konstrukts war es mir des Guten bzw. des gar nicht Guten, sondern extem Blutigen eindeutig zuviel.

Ein nur teilweise spannender, da doch in vielerlei Aspekten voraussehbarer Thriller mit einem trotzdem sehr überraschenden Cliffhanger-artigen Ende, der zumindest mit den ersten beiden Fällen des Autorenpaares Kepler nicht ganz mithalten kann. Es ist wirklich nur was für Liebhaber der skandinavischen Melancholie, denn nicht nur Joona Linna, sondern auch seine Kollegin Saga sind wahre Prachtexemplare, wenn es um den Typus des düsteren, in seiner eigenen Vergangenheit gefangenen Ermittlers geht. Leser, die auch in der Krimi- und Thrillerliteratur nach fröhlicher Leichtigkeit streben, sollten lieber gleich zu einer anderen Lektüre greifen, denn hier waltet die Traurigkeit bzw. wütet das Grauen - die Psyche des Lesers sollte daher recht stabil sein.