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Veröffentlicht am 03.12.2018

Etwas erwachsen für ein Kinderbuch, dafür einfallsreich

Oliver Parkins
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"Du scheinst tatsächlich über gewisse Fähigkeiten zu verfügen", fuhr Panzini sinnend fort. "Unter anderen Umständen hätten wir uns auf diese Weise gar nicht begegnen dürfen. Vielleicht bist du tatsächlich ...

"Du scheinst tatsächlich über gewisse Fähigkeiten zu verfügen", fuhr Panzini sinnend fort. "Unter anderen Umständen hätten wir uns auf diese Weise gar nicht begegnen dürfen. Vielleicht bist du tatsächlich derjenige, den wir suchen."
"Was hat das alles zu bedeuten, Mr Panzini?", flüsterte Oliver und konnte den Blick nicht von den durchdringenden Augen des Zirkusdirektors abwenden.
"Es hat zu bedeuten, mein guter Junge, dass du möglicherweise eine große Zukunft vor dir hast. Doch liegt sie nicht in dieser Welt."
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INHALT:
Fairie's Willow im Jahr 1917: Der erste Weltkrieg ist in vollem Gange und Unterhaltung ist eher knapp. Kein Wunder also, dass der junge Oliver Parkins und sein bester Freund Alfie begeistert sind, als plötzlich ein Wanderzirkus ihre kleine Stadt besucht. Doch der Zirkus ist nicht ohne Grund dort - Gauklerfürst Alfonso Panzini kommt aus einer anderen Welt, und er ist auf der Suche nach einem besonderen Jungen, der eine Prophezeiung erfüllen und damit die Menschheit retten soll. Und Oliver scheint der Gesuchte zu sein! Gemeinsam mit Alfie wird er vom Direktor nach Carsalen geführt, ein wundersames Land voller seltsamer Gestalten und Geschehnisse. Doch etwas Böses lauert, das alles vernichten will. Und nur die drei können es aufhalten...

MEINE MEINUNG:
Sprechende Tiere, ein zauberhafter Zirkus und eine überraschende und seltsame Welt - "Die Entdeckung von Carsalen" ist ein von vielen originellen Ideen bereichertes Debüt, das den Anfang der Reihe um Oliver Parkins bildet. Patrick L. Blockum hat einen sehr angenehmen Stil, der besonders bei den authentischen Dialogen überzeugt, dabei aber nicht immer dem Alter der Protagonisten entsprechend kindgerecht bleibt, was für junge Leser kompliziert sein könnte. Am besten kann man die Erzählweise wohl als allwissend einordnen - zwar dreht sich das Ganze hauptsächlich um den jungen Oliver, doch auch die Beweggründe und Gedanken seiner Begleiter erfährt man immer wieder aus dem Text.

Oliver Parkins ist ein mutiger, aber trotzdem bescheidener Hauptcharakter, der einem schnell ans Herz wächst. Er ist schon relativ erwachsen für seine elf Jahre und ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst. Was allerdings an ihm so besonders sein soll, dass er die gesamte Welt retten kann, wird nicht wirklich ersichtlich. Gleichzeitig erleichtert das den kindlichen Lesern, sich in jedem Fall mit ihm zu identifizieren. Alfie ist eindeutig der frechere der beiden Freunde, der kein Blatt vor den Mund nimmt und davon abgesehen größtenteils ans Essen denkt, was ihn sehr sympathisch macht. Und dann sind da noch der Gauklerfürst Panzini und sein sprechendes Eichhörnchen Rodolfo, die beide unterhaltsame und gewitzte Wegbegleiter sind. Die übrigen Charaktere tauchen größtenteils leider immer nur für einen kurzen Zeitraum auf und bleiben daher nicht wirklich im Gedächtnis, auch weil sie oft absichtlich kompliziert wirkende und leicht alberne Namen besitzen, die man sich kaum merken kann.

Carsalen als Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist ein sehr gut ausgearbeiteter Ort, der vom Aufbau ein wenig an die Ringreiche einer anderen Buchreihe erinnert, aber trotzdem viele eigene und originelle Eigenschaften vorzuweisen hat. Viele Fabelwesen wie Satyrn oder Elfen tauchen auf, haben aber oft noch einen kleinen Twist, der sie besonders macht. Teilweise übertreibt es der Autor aber stark in seinen Beschreibungen: Immer wieder erklärt eine der Figuren den beiden Jungen Dinge, die rein gar nichts mit der Handlung zu tun haben, und daher teilweise anfangen zu langweilen. Zudem ist die Handlung doch sehr einfach gestrickt, was für die Zielgruppe sicherlich gut ist, sich dann aber mit der zeitweise hoch gestochenen Sprache beißt. Durch die Einfachheit kommt es leider auch zu ein paar Logiklücken, die allerdings wohl nur älteren Lesern auffallen werden. Bis zum Ende bleibt unklar, warum genau Oliver nun der Auserwählte ist - da die Geschichte aber noch viele offene Punkte hat und die erste Begegnung mit dem bösen Zauberer noch aussteht, kann diese Erklärung in einem der erwarteten Folgebände noch kommen. Genaueres ist aber noch nicht bekannt.

FAZIT:
"Die Entdeckung von Carsalen" ist ein Debüt, was man dem Roman sprachlich aber kaum anmerkt. Es ist ganz klar ein Kinderbuch, allerdings nur bezogen auf den Inhalt - dafür ist der Schreibstil dann nämlich sehr erwachsen. Der Weltenaufbau und die Protagonisten wissen zu überzeugen. Mir fehlten jedoch ein wenig die Nebenfiguren und im Zwischenteil zogen sich die Geschehnisse etwas. Dafür knappe 3,5 Punkte.

Veröffentlicht am 01.10.2018

Anfangs relativ langatmig

Hazel Wood
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Finch seufzte - ein Seufzen, aus dem ich nicht schlau wurde. "Lass uns versuchen, zu schlafen. Morgen wird ein langer Tag."
In mir drängten sich die Fragen. Wieso hilfst du mir? Glaubst du, ich werde sie ...

Finch seufzte - ein Seufzen, aus dem ich nicht schlau wurde. "Lass uns versuchen, zu schlafen. Morgen wird ein langer Tag."
In mir drängten sich die Fragen. Wieso hilfst du mir? Glaubst du, ich werde sie finden? War das wirklich die doppeltote Katherine? Aber er hatte sich schon von mir weggedreht. Das Mondlicht malte eine weiße Straße von seinem Scheitel den Rücken hinunter. Je länger ich daraufstarrte, desto mehr schien es, als teilte das Licht ihn entzwei und legte unter seiner Haut etwas Leuchtendes frei.
Ich drehte mich ebenfalls um und schloss die Augen. Doch es dauerte lange, bis ich einschlief.
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INHALT:
Schon seit ihrer Kindheit werden Alice und ihre Mutter vom Unglück verfolgt: Mal brennt ihre Wohnung ab, mal wird Alice von einem Unbekannten entführt. Nach Jahren der Flucht scheint nun aber etwas Ruhe eingekehrt zu sein - bis plötzlich ihre Großmutter Althea stirbt und ihre Mutter verschwindet. Hat das alles mit den Märchen zu tun, die Althea vor Jahrzehnten verfasst hat und die sie berühmt machten? Alice wurde ausdrücklich gewarnt, jemals nach Hazel Wood zu suchen, dem Ort, an dem ihre Großmutter lebte, aber sie ahnt, dass sie nur dort Antworten finden wird. Also macht sie sich auf zu einer Reise ins Ungewisse, gemeinsam mit dem reichen Finch, von dem sie nicht weiß, ob er nun ihr helfen will, oder eher sich selbst...

MEINE MEINUNG:
Neuerzählungen alter und beliebter Geschichten wie Märchen kommen nicht aus der Mode. Auch Debüt-Autorin Melissa Albrecht hat sich für "Hazel Wood" einen Klassiker ausgesucht: Alice im Wunderland. Außer des Namens der Protagonistin und einiger seltsamer Begebenheiten sowie Figuren haben die beiden inhaltlich aber gar nicht mal so viel miteinander zu tun. Fehlende Originalität kann man der Schriftstellerin also nicht unterstellen. Ihr Schreibstil ist sehr bildlich, durchsetzt von Metaphern und märchenhaften Dialogen, die allerdings teilweise beinahe schon zu abgehoben klingen.

Alice aus diesem Roman ist definitiv nicht die Alice, wie man sie kennt. Weder stammt sie aus gutem Hause, noch ist sie eine unschuldige 14-jährige, die einem Kaninchen folgt. Stattdessen ist sie eine Protagonistin, die eine unerklärliche Wut in sich verspürt und sich nirgendwo richtig zuhause fühlt außer dort, wo ihre Mutter Ella ist. Sie kommt im Laufe der Handlung sich selbst auf die Spur, bleibt jedoch immer etwas unnahbar. Ellery Finch ist das genaue Gegenteil: Immerzu bemüht, fröhlich zu sein, in Wahrheit jedoch ständig auf der Suche nach mehr, nach seiner Bestimmung. Er jagt zwar einem Traum hinterher, ist aber ansonsten sehr bodenständig und weiß sich auch gegen Alice' Stimmungen zu wehren. Figuren wie die Mutter Ella oder Märchenerzählerin Althea lernt man nur relativ knapp kennen, dafür sind auch diese beiden aber sehr gut ausgearbeitet.

Was mir bei dem Titel definitiv zu kurz kam, war Hazel Wood selbst. Die erste Hälfte des Romans besteht nur daraus, dass Alice und Finch sich gemeinsam auf die Suche machen und dabei allerlei kryptischen Hinweisen folgen und seltsamen Menschen begegnen. Erst sehr spät treten sie überhaupt in den Märchenwald ein und finden die Antworten, nach denen sie gesucht hatten. Dafür weiß die Autorin ab diesem Zeitpunkt aber auch mit ihrem Einfallsreichtum zu begeistern. Schon zuvor lässt sie mir ihren düsteren Märchen Schauer über den Rücken rieseln, und dem Sog des Hinterlandes kann sich bis zum Ende kaum entzogen werden. Nicht ohne Grund erscheint nächstes Jahr ein Buch mit allen Märchen - denn gerade diese sind es, die die größte Faszination ausmachen. Wären schon mehr von ihnen in diesem Roman gewesen: Eventuell hätte er mir noch besser gefallen.

FAZIT:
"Hazel Wood" ist ein besonderes Buch, das gar nicht mal so stark an "Alice im Wunderland" angelehnt ist, wie man glauben könnte. Der ganze Roman ist sehr düster, durchsetzt von blutigen und schaurigen Märchen, die ihren Weg in die Realität finden. Leider hat er aber auch seine Längen, besonders in der ersten Hälfte. Dafür gibt es 3,5 Punkte.

Veröffentlicht am 14.08.2018

Ideenreich, nur inhaltlich etwas einfach gelöst

Bernsteinstaub
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Meine Hand schloss sich um den schmalen Glaskolben. Dann schob ich langsam einen Fuß vor den anderen. Der Sog wurde mit jedem Schritt stärker. Der Staub zerrte an meinen Hosenbeinen, schon bald konnte ...

Meine Hand schloss sich um den schmalen Glaskolben. Dann schob ich langsam einen Fuß vor den anderen. Der Sog wurde mit jedem Schritt stärker. Der Staub zerrte an meinen Hosenbeinen, schon bald konnte ich mich kaum noch aufrecht halten. Ich erreichte die Dachkante, jedenfalls vermutete ich das, weil ich mit einem Mal nichts mehr unter meinen Zehen spürte. Und der Strom drängte mich weiter voran. Für einen Augenblick ruderte ich noch mit den Armen in der Luft, versuchte, das Gleichgewicht zu halten, dann kippte ich vornüber.
Die Welt um mich herum verwandelte sich in nichts als Staub. Graue Schlieren waren alles, was ich sah. Alles, was ich fühlte. Alles, was ich atmete.
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INHALT:
Die 16-jährige Ophelia hatte schon immer die Vermutung, dass sie mit einem Verspätungs-Fluch belegt ist - wie sonst kann es sein, dass sie sich immer rechtzeitig auf den Weg macht, aber nie pünktlich ankommt? Als sie plötzlich sich fortbewegenden Staub wahrnimmt und kurz darauf von ihrer Mutter zur Verwandschaft in Paris geschickt wird, zeigt sich, dass sie so falsch gar nicht lag: Denn sie besitzt die Fähigkeit, die Zeit zu sehen und auch zu manipulieren. Doch bevor sie die Gelegenheit hat, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen, wird sie schon auf eine gefährliche Mission geschickt - denn überall auf der Welt spielt die Zeit verrückt, und gemeinsam mit drei anderen Begabten soll sie versuchen, das Problem zu lösen...

MEINE MEINUNG:
Mechthild Gläser ist seit gut sechs Jahren sehr erfolgreich im Geschäft, konnte Leser sowohl mit ihren Buchspringern als auch mit ihrer Stadt aus Trug und Schatten begeistern. "Bernsteinstaub" sollte nun endlich auch mein erstes Buch von ihr werden - wenn es um das Manipulieren von Zeit geht, bin ich definitiv dabei. Erzählt wird die Geschichte größtenteils aus der Ich-Perspektive der Protagonistin, nur zwischenzeitlich unterbrochen von Abschnitten aus der Sicht des geheimnisvollen Leander. Der Schreibstil weiß besonders in den Beschreibungen zu begeistern, die wunderbar detailreich und voller schöner Details sind, und ist ansonsten angenehm frisch, ohne zu jugendlich zu wirken.

Obwohl Ophelia erst 16 Jahre als ist, konnte ich mich mit ihr überraschend gut identifizieren. Natürlich muss sie sich mit ihren neuen Fähigkeiten erst einmal arrangieren und anfangs fällt es ihr schwer, zu glauben, was sie sieht. Das legt sich aber bald und sie sträubt sich nicht anstrengend lang gegen alles, was passiert. Das bleibt allerdings nicht den ganzen Roman über so - leider entwickelt sie kurz vor Ende noch einmal die seltsame Anwandlung, den einfachsten Hinweisen nicht zu folgen, was ein wenig anstrengend zu lesen ist. Leander, der gutaussehende und zurückhaltende Junge, der Ophelia begleitet, ist anfangs schwer zu durchschauen und - wie sollte es anders sein - distanziert, dafür gibt es allerdings hier eine sehr glaubwürdige Erklärung. Man merkt schnell, dass ihm Ophelia sehr am Herzen liegt: So viel, dass er für sie sehr viel aufgeben würde, was ihn zu einer sympathischen Figur macht. Die Nebencharaktere sind alle sehr individuell und trotz der Fülle gut auseinander zu halten, in ihrer Skurrilität erscheinen sie teilweise aber auch ein wenig übertrieben.

Die Idee aber mochte ich von Anfang bis Ende: Nicht nur, dass die Charaktere die Zeit manipulieren können und in einem Turnier gegeneinander antreten müssen, es geht außerdem auch um den Tod von Ophelias Vater, der ihr doch sehr mysteriös erscheint. Schade fand ich, dass andere Personen ihr grundsätzlich nicht glauben wollen, weil sie ihre Beobachtungen zu abwegig finden - gerade, wo sie doch alle die Zeit anhalten oder sogar vorspulen können. Und einige Probleme, die die Protagonistin zu bewältigen hat, werden doch deutlich zu einfach gelöst. Davon abgesehen erwartet einen aber eine spannende Geschichte fast ohne Längen und mit einer kleinen Romanze, die sich sehr angenehm im Hintergrund hält. Zum Ende überschlagen sich die Ereignisse und es wird noch einmal sehr interessant, ohne großartig ins Abstruse abzudriften - aber auch ohne großartige Überraschungen. Für jüngere Leser könnten die Wendungen allerdings vielleicht unerwarteter kommen.

FAZIT:
Mechthild Gläsers "Bernsteinstaub" besitzt nicht nur ein tolles Cover, sondern auch eine interessante Geschichte, die von den originellen Ideen und einer überwiegend glaubwürdig handelnden Protagonistin lebt. Einige Schwierigkeiten werden etwas zu einfach überwunden und es hätte durchaus mehr Überraschungen geben dürfen, aber trotzdem bietet der Roman einige nette Lesestunden. 3,5 Punkte.

Veröffentlicht am 14.06.2018

Bedrückendes, wichtiges Thema

Das Finkenmädchen
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Es macht mir nichts aus, Fettkloß genannt zu werden. Ein Fettkloß ist da, das weiß man. Man kann nicht so tun, als wäre er nicht da. Als ich leicht und klein war, gab es viele Dinge, die mir Angst machten. ...

Es macht mir nichts aus, Fettkloß genannt zu werden. Ein Fettkloß ist da, das weiß man. Man kann nicht so tun, als wäre er nicht da. Als ich leicht und klein war, gab es viele Dinge, die mir Angst machten. Jetzt bin ich ein Fettkloß, und manchmal haben die Leute Angst vor mir.
Ich frage mich, wovor sie wohl Angst hatte. Ich frage mich, ob sie vor ihm Angst hatte. Ich frage mich, ob sie Angst hat, hierherzukommen.
Es ist sowieso nicht wichtig. Es interessiert mich nicht, was sie denkt und fühlt. Es interessiert mich nicht, was sie getan hat oder nicht.
Das Einzige, was mich interessiert, ist, was ich ihr antun werde.
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INHALT:
Felicity hätte nicht gedacht, dass sie ihre ehemalige Nachbarin Rose noch einmal wiedersehen würde - erst recht nicht, seit sie eine Gefängnisstrafe absitzen muss. Doch dann begeht eben jene Rose, Ehefrau eines bekannten Moderators, selbst eine unverzeihliche Tat und landet am selben Ort wie Felicity. Diese kann ihr Glück kaum fassen, denn endlich ist sie ihrer Rache näher. Rache, weil Rose damals, in ihrer Kindheit, einfach weggeschaut hat. Weil sie ihr nicht geholfen hat. Und weil sie zugelassen hat, dass Felicitys Leben zerstört wird...

MEINE MEINUNG:
Die australische Autorin Nicole Trope ist auf ihrem Heimatkontinent sehr bekannt - bekannt vor allem für ihre Familiendramen, die wichtige und oftmals aktuelle Themen ansprechen. Trotzdem wäre beim "Finkenmädchen" wohl angebracht, im Vorhinein zu sagen, worum es genau geht: Um Kindesmissbrauch nämlich. Damit wird nicht groß gespoilert, weil diese Information recht früh Einfluss findet, aber um Leser nicht zu triggern, wäre hier eigentlich prinzipiell der Verlag in der Pflicht, dies deutlich zu machen. Erzählt wird der Roman aus den zwei Perspektiven von Rose und Felicity. Diese werden nicht mit Namen abgegrenzt, wechseln sich aber ab, und weil die Autorin auf beeindruckende Weise mit Sprachmustern und Beschreibungen arbeitet, ist immer direkt klar, wer von beiden gerade zu Wort kommt.

Rose ist die Ehefrau eines bekannten Moderators des australischen Fernsehens und lebt seit Jahren in Reichtum und ohne Sorgen. Doch etwas ist passiert. Etwas, das zum Tod ihres Mannes geführt hat und dazu, dass sie nun eine dreijährige Gefängnisstrafe absitzen muss. Es wird schon nach wenigen Seiten klar, dass sie etwas zu verbergen hat - dass sie vor allem ein Geheimnis ihres Mannes zu verbergen hat -, aber es braucht lange, bis sie sich ihre Fehler, ihre Zweifel und Ängste endlich eingesteht. Bis dahin gibt sie einen Einblick in ihr Leben, das sie komplett ihrer Familie gewidmet hat, und ihre Persönlichkeit, die sich nie richtig entwickeln konnte. Felicity ist etwa 30 Jahre jünger und hat als Kind neben Rose und ihrer Familie gelebt. Sie ist schon von Geburt an langsamer als andere ihres Alters, ist dafür aber eine ruhige Zuhörerin und seit einigen Jahren auch liebende und hingebungsvolle Mutter. Nur ihre Vergangenheit lässt sie nicht los. Einerseits will sie für ihre Tochter da sein, andererseits ist sie getrieben von Hass und den Verletzungen frühen Missbrauchs - was sie auf einen gefährlichen Pfad führt.

Beide Erzählerinnen haben denselben Bekanntenkreis, weshalb man durch ihre Augen die Nebenfiguren gut kennen lernt. Insbesondere Roses Mann - den sie anfangs vor allem als perfekt darstellt. Schnell jedoch wird klar, dass sie, die diesen Mann mit 16 Jahren geheiratet hat, nie die Chance bekam, sich zu einer eigenständigen Person zu entwickeln. Durch die schiere Abneigung, die man ihm bald entgegen bringt, versteht man auch Felicity immer besser. Die ganze Handlung hat wenige große Überraschungen und besteht größtenteils aus Rückblicken auf die letzen 20 bis 30 Jahre für beide Frauen, in denen sich insbesondere Rose des Öfteren wiederholt. Die Ereignisse sind jedoch erschreckend und bedrückend, trotz fehlender wirklich detailreicher Beschreibungen auch definitiv nichts für schwache Nerven. Nachdem sich die Autorin viel Zeit gelassen hat, um Situation und Figuren zu etablieren und den Leser in den Bann zu ziehen, wird die Handlung am Ende leider etwas zu schnell, etwas zu einfach abgehandelt. Davon abgesehen ist der Schluss jedoch passend gewählt, um beiden Protagonisten einen gebührenden Abschluss zu geben.

FAZIT:
Nicole Trope greift in "Das Finkenmädchen" ein wichtiges, leider immer aktuelles und betroffen machendes Thema auf - eine Triggerwarnung wäre bei Kindesmissbrauch aber wohl angebracht. Teilweise hat das Ganze ein paar zu viele Längen, um dann zum Schluss gehetzt zu wirken, davon abgesehen wird das Ganze aber sensibel und authentisch angegangen. Gute 3,5 Punkte.

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Veröffentlicht am 23.05.2018

Neue Idee, teilweise fehlt die Spannung

Fallende Stadt
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"Was ist denn, Dad?", sagt Lex. "Du verbreitest Panik."
"Morgan muss sofort nach unten kommen. Der König hat befohlen, dass sich heute Nacht jeder in seiner Wohnung aufzuhalten hat. Auf den Gleisen lag ...

"Was ist denn, Dad?", sagt Lex. "Du verbreitest Panik."
"Morgan muss sofort nach unten kommen. Der König hat befohlen, dass sich heute Nacht jeder in seiner Wohnung aufzuhalten hat. Auf den Gleisen lag eine Leiche."
Ein entrückter Teil von mir nimmt die Worte kaum wahr, aber ein anderer muss die Frage stellen. "Hat es einen Unfall gegeben?"
"Nein, mein Herz", sagt er. "Die anderen Wachmänner und ich untersuchen die Sache. Ein Mädchen wurde ermordet."
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INHALT:
Internment ist eine Stadt in den Wolken, die sich selbst versorgt und dem Paradies gleicht: Sie ist sicher, es gibt keine Armut und das Leben ist genau geregelt - von der Geburt über den Ehepartner bis zum Tod. Das alles kennt die 16-jährige Morgan, und bisher hat sie sich kaum daran gestört. Die Umstände ihrer Familie sind zwar alles andere als einfach, aber ihre Freunde und ihr Verlobter haben ihr immer Halt gegeben. Bis plötzlich eine Schulkameradin tot auf den Gleisen gefunden wird: ermordet. Auf einmal stellt sich Morgan alle Fragen, die sie immer unterdrückt hat. Und bald schon fragt sie sich, ob Internment wirklich so gut ist, wie sie immer geglaubt hat.

MEINE MEINUNG:
Lauren DeStefano liebt Dystopien, so scheint es jedenfalls, denn nach ihrer "Land ohne Lilien"-Trilogie spielen auch die Internment Chronicles in einer Welt, die von einem totalitären Staat (bzw. erneut einem König) regiert wird. "Fallende Stadt" spielt aber im Himmel - ein ungewöhnlicher Ort für solch einen Roman. Begeistern kann wieder der wunderschöne Schreibstil der Autorin, der ihr erschaffenes System und die Menschen vor den Augen des Lesers lebendig werden lässt. Allerdings hat sich auch die ein oder andere Länge eingeschlichen.

Morgan ist mit ihren jungen 16 Jahren eine überraschend starke Protagonistin, die man gern begleitet. Natürlich ist sie nicht vor Naivität und schlechten Entscheidungen gefeit, aber sie besitzt auch einiges an Mut und traut sich, die richtigen Fragen zu stellen. Ihr Verlobter Basil kann ebenso überzeugen: Er ist eher der ruhige, beschützerische Typ, aber ohne dabei je über sie zu bestimmen. Allgemein können besonders die Nebenfiguren begeistern: Morgans beste Freundin Pen etwa, eine starke junge Frau, die allerdings voll in ihrer Liebe zu Internment aufgeht; oder auch ihr Bruder Lex, der vor Jahren versucht hat, vom Rand der Stadt zu springen, und der seitdem blind ist. In der Charakterisierung dieser Figuren zeigt DeStefano ihre ganze Stärke und fesselt mit den unterschiedlichen Ansichten.

Auch der Weltentwurf ist interessantE eine Stadt im Himmel, deren strikte Gesetze ein gutes Zusammenleben sichern sollen. Es gibt Listen darüber, wer sterben und wer ein Kind bekommen darf; spätere Ehepaare werden schon im Kindesalter zusammengeführt - aber eine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen, gibt es nicht. Morgans wachsendes Gefühl, eingesperrt zu sein, überträgt sich auch auf den Leser, wodurch eine intensive Atmosphäre geschaffen wird, und besonders ihre Träume danach, selbst zu springen, oder zumindest etwas Neues zu sehen, sind nachvollziehbar. Allerdings hat das Buch in der Mitte einiges an Leerlauf, wo nur wenig passiert, Morgan selbst nicht recht von der Stelle kommt und die Überraschungen fehlen. Dafür wird dann am Schluss noch einmal alles aufgefahren und der Grundstein für die kommenden zwei Bände gelegt. Teil 2 ist im Mai auf Deutsch erschienen, Teil 3 folgt im Juni.

FAZIT:
Lauren DeStefano hat einen ganz besonderen Schreibstil, der auch in "Fallende Stadt" wieder in seinen Bann zieht. Die Idee ist neu, die Charaktere bieten viel Potenzial zur Identifikation - nur die Spannung lässt teilweise etwas zu wünschen übrig. Gute 3,5 Punkte.