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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.09.2018

Wunderschön und inspirierend

Flower Ladies
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Die recht konventionelle Gestaltung des Covers sowie Titel und Untertitel wirkten auf mich nur mäßig interessant. Ich ging davon aus, dass ich die Lebensläufe von ein paar Floristinnen zu lesen bekäme, ...


Die recht konventionelle Gestaltung des Covers sowie Titel und Untertitel wirkten auf mich nur mäßig interessant. Ich ging davon aus, dass ich die Lebensläufe von ein paar Floristinnen zu lesen bekäme, wie man es auch von Zeitschriften her kennt. Als ich das Buch jedoch aufschlug, war ich bereits von der Schönheit des allerersten Fotos auf Seite 2 so fasziniert, dass ich begann, mich intensiver mit dem Buch zu beschäftigen.

Die Liebe zu Menschen und zu Blumen hat die Autorin Karin Heimberger-Preisler zu der Idee gebracht, aus ihren bevorzugten Instagram-Accounts den dahintersteckenden Frauen nachzuspüren, sie zu besuchen, zusammen mit der genialen Fotografin Wei Ling Khor. Sie reisten einen ganzen Sommer lang durch die Lande und ließen sich zuhörend und fotografierend faszinierende, beeindruckende Lebensgeschichten erzählen. Wir lernen zum Beispiel Olga, die Blumenweberin, kennen, Veselka, die Pflanzen-Stickkünstlerin oder Florence, die ungewöhnliche Blumensträuße in Jutemäntelchen verpackt mit dem Fahrrad ausliefert. Jede der 20 vorgestellten Frauen hat einen besonderen Zugang zu Blumen, zu Pflanzen, zur Natur und hat einen jeweils ganz individuellen Weg gefunden, aus ihrer Leidenschaft eine berufliche Basis zu schaffen. Der Autorin ist es gelungen, die einzelnen Persönlichkeiten, ihren Werdegang und ihr Umfeld äußerst lebendig und sympathisch darzustellen. Jedes Porträt endet mit einem besonderen Expertinnen-Tipp, zum Beispiel zum richtigen Sträuße-Binden oder Hilfen für wirkungsvolle Blumenfotografien und vieles mehr.
Was dieses Buch zu einem wirklichen Kleinod macht, sind in Ergänzung zu den interessant zu lesenden Texten die großartigen Fotos von Wei Ling Khor. Sie ist eine wahre Künstlerin! Ihr gelingt es, sowohl die einzelnen Geschäftsfrauen in ihrer lebendigen Kreativität darzustellen als auch in einmalig schönen Fotos von Blumen-Arrangements, die teilweise wie Gemälde aus dem 17. Jahrhundert wirken, die Liebe zu Blumen und Pflanzen in den Mittelpunkt zu rücken.
Ein wunderschönes inspirierendes Buch, das Mut zur eigenen Kreativität macht.

Veröffentlicht am 02.09.2018

Ein Buch wie ein opulentes Gemälde

Das Geheimnis der Muse
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Zwei Handlungsstränge fangen den Leser sofort ein. In den sechziger Jahren kommt die junge farbige Odelle Bastien aus Trinidad nach London in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Während sie erst einmal ...


Zwei Handlungsstränge fangen den Leser sofort ein. In den sechziger Jahren kommt die junge farbige Odelle Bastien aus Trinidad nach London in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Während sie erst einmal trotz Hochschulstudium als Schuhverkäuferin ihre Tage fristet, träumt sie davon, Schriftstellerin zu werden. Als sie einen Job in der renommierten Kunstgalerie Skelton ergattert, fühlt sie sich aufgewertet, umso mehr, als Quick, eine leitende Mitarbeiterin, sie unter ihre Fittiche nimmt und ihr Schreibtalent fördert. Als ein seit dem Spanischen Bürgerkrieg verschollenes Gemälde auftaucht, wird Odelle’s Leben zunehmend auf den Kopf gestellt…
Im zweiten Handlungsstrang befinden wir uns 30 Jahre früher im heißen Andalusien, wohin sich die Familie Schloss vor den politischen Wirren in Wien geflüchtet hatte. Olive, die 19-jährige Tochter, ist eine überaus begabte junge Malerin, die sich jedoch von ihrem Talent nichts verspricht, denn „nur Männer können Kunst erschaffen“. Ihr Vater, ein bekannter Wiener Galerist, weiß nichts von den künstlerischen Ambitionen seiner Tochter. Olive begegnet dem Revolutionär Isaac Robles. Auch er malt…

Odelle berichtet in Ich-Form aus ihrem Leben und kommt damit dem Leser schnell sehr nahe. Sie erlebt zwar Diskriminierung, arbeitet weit unter ihrem Niveau, aber sie klagt nicht, sondern gibt das Streben auf Verwirklichung ihres Lebenstraumes nicht auf. Mit wachem Herzen und offenen Augen, immer aber auch mit einer gewissen inneren Distanz, beobachtet Odelle ihre Umwelt, ihre Mitmenschen, sehr genau und wir, die Leser, mit ihr. Eine immanente Spannung baut sich auf, weil man sehr schnell versucht, eine erklärbare Brücke zwischen 1936 und 1967 zu spannen.
Die Sequenzen in Andalusien werden von einem neutralen Beobachter erzählt, dennoch rücken sie nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, dadurch in Distanz zum Leser. Im Gegenteil, für mich waren die Erzählstränge rund um Olive sehr intensiv in ihrer Wirkung, gerade durch das schwülheiße Klima, das mit schwülheißen Begierden korrespondiert und meisterhaft geschildert wird.
Durch die jeweils relativ langen Zeitsequenzen verlor ich mich beim Lesen völlig in die Schilderungen der Geschehnisse von jeweils 1967 und 1936 und musste, besonders wenn ich das Lesen vorher unterbrochen hatte, erst wieder den Anschluss finden, was mir aber dank des großartig-eindringlichen Schreibstils der Autorin zügig gelang.
Mich hat tief beeindruckt, wie Jessie Burton es versteht, mit Worten zu malen, wie sie den Aufruhr von Farben und Formen in Worte fassen kann. Allein schon ihre Bildbeschreibungen sind so intensiv und aussagekräftig, dass man meint, das Bild vor Augen zu haben. Das Buch selbst ist wie ein Gemälde, und die erzählten Szenen sind weitere Gemälde, teils leichte Skizzen, teils Farbexplosionen, teils aquarellfeine Momentaufnahmen. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, Raum um Raum einer Gemäldegalerie zu durchwandern und von Gefühlsfarben geradezu berauscht zu werden. Ich sah oftmals die Protagonisten wie im Bild festgehalten, als Stillstand im Durchleben von Gefühlsmomenten, Stimmungen und unausgesprochenen Gedanken. Zum Ende hin wird die Geschichte rund um Odile zur griechischen Tragödie, zum unausweichlichen Schicksal, und das Leben von Odelle verknüpft sich in dramatischer und atmosphärisch dichter Weise mit den früheren Ereignissen in Andalusien. Das Buch ist ein wunderbar opulentes Gemälde, großartig in Wortmalerei gesetzt.

Veröffentlicht am 29.08.2018

Ein feinsinnig-humoriger Roman, der zu Herzen geht

Ans Meer
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Anton ist Fahrer eines Linienbusses. Tagaus tagein steigen Dorfbewohner und Schulkinder ein und aus. Anton legt Wert auf anständiges Grüßen seiner Fahrgäste, denn seiner Meinung nach ist sogar an der Himmelspforte ...

Anton ist Fahrer eines Linienbusses. Tagaus tagein steigen Dorfbewohner und Schulkinder ein und aus. Anton legt Wert auf anständiges Grüßen seiner Fahrgäste, denn seiner Meinung nach ist sogar an der Himmelspforte ein höfliches Grüß Gott angebracht. Essen ist sein größtes Hobby. Ohne Butterbrezen wäre das Leben in seiner Routine nicht erträglich, umso mehr, wenn man eine Mutter hat, die Mechthild heißt und sich auch so benimmt. Seit einiger Zeit jedoch ist Anton verliebt, und zwar in Doris, eine Nachbarin, obwohl gestern Nacht auf deren Balkon ein fremder Mann hustete. Und dann bereitet der Chef auch noch Antons baldige Entlassung vor. Am Tag darauf steigt die krebskranke Carla in den Bus und fordert vehement, dass sie ein letztes Mal das Meer sehen möchte, jetzt und gleich. Anton steht vor der Herausforderung seines Lebens: Soll er einmal im Leben abweichen vom Kurs, einmal die Monotonie des Alltags durchbrechen und Mut beweisen?
Eine bunte Mischung von Fahrgästen befindet sich im Bus. Neben der krebskranken Carla und ihrer kleinen Tochter, die ganz selbstverständlich mit der Krankheit und den Einschränkungen der Mutter umgeht, sitzt unfreiwillig die demente Frau Prenosil im Bus, die von Eva, der man ihre soziale Ader gar nicht zugetraut hätte, geschickt durch alle Tücken des Tages geführt wird. Aber auch Totti, das Kaninchen, und die Geschwister Helene und Ferdinand werden ungewollt Teil einer Reisegruppe, die um Anton geschart etwas erlebt, was mit Mut zu tun hat, mit dem Wagnis, ungewöhnliche Entscheidungen zu treffen, und mit dem Lernen, Verständnis füreinander in all unserer Unterschiedlichkeit aufzubringen.

René Freund hat uns mit einem überaus liebenswerten Kurzroman beglückt, der einem Märchen gleich alles mit sich bringt, was uns zum Nachdenken über das Leben, über das was wichtig ist im Leben, herausfordert. Der Autor versteht es, eine perfekte Mischung aus Märchen, Roadmovie, Unterhaltungsroman und Humoreske zu mixen und dies alles mit einem verhaltenen Schuss Tiefgang zu würzen. Dazu in einer so feinsinnigen Sprache, die in schlichten Sätzen scheinbar harmlos vor sich hin plaudert und durch das Prisma unterschiedlichsten Humors von gemein bis schlitzohrig, von entlarvend bis emotional, immer aber treffsicher, oft eine tiefe Traurigkeit verdeckend, mitten hinein in unser Herz zielt. „Manchmal muss man vielleicht ein bisschen von der Linie abweichen, um das Glück zu finden.“ Wie wahr!

Veröffentlicht am 25.08.2018

Starkes, großartig erzähltes Südstaaten-Epos

Alligatoren
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Der überaus starke Buchbeginn nimmt sofort gefangen, und dieser Einstieg in seiner Intensität, auch in seiner Grausamkeit und Unabdingbarkeit zeigt, wohin die Geschichte zielt: auf die enorme Stärke von ...


Der überaus starke Buchbeginn nimmt sofort gefangen, und dieser Einstieg in seiner Intensität, auch in seiner Grausamkeit und Unabdingbarkeit zeigt, wohin die Geschichte zielt: auf die enorme Stärke von Frauen, wenn sie sich verbünden, egal woher sie kommen, egal welche Vorgeschichte sie mit sich herumschleppen, egal welche Sehnsüchte sie antreibt. Freiheit und Selbstbestimmung als Selbstverständlichkeit des Lebens sind die nicht ausgesprochenen Ziele.

Wir befinden uns in den Südstaaten in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und tauchen ein in das Leben von drei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Gertrude hat einen brutalen, gewalttätigen Ehemann und vier Töchter, die sie nicht ernähren kann. Oretta ist die schwarze Haushälterin von Annie Coles, hat eine scharfe Beobachtungsgabe und willigt ein, eines der kranken Mädchen von Gertrude zu pflegen. Als dritte Frau lernen wir Annie Coles kennen, Ehefrau des Tabakplantage-Besitzers. Sie führt eine Näherei für Getreidesäcke und will ihr Geschäft mit der Anfertigung von Herrenhemden und Damenbekleidung ausweiten, jedenfalls solange ihr Ehemann ihr dies erlaubt.

In wechselnden Kapiteln berichten diese drei Frauen jeweils als Ich-Erzählerin ihre Geschichte, was von der Autorin gekonnt durch unterschiedliche Schreibstile, passend zum Bildungsgrad, ausgedrückt wird. In ruhiger, unaufgeregter Erzählweise wird uns jede der drei Frauen nahe gebracht, und zwar auf eine subtil so eindringliche Weise, dass man als Leser Seite um Seite liest, von einer merkwürdigen, nicht erklärbaren Spannung getragen. Die Schwüle des Klimas in Sumpfnähe, die Beklemmung der Lebensumstände, Rassismus, häusliche Gewalt – viele große Lebens- und gesellschaftskritische Themen werden wohltuend zurückhaltend in die Geschichte eingewoben. Ein detailreich und lebendig ausgearbeitetes Südstaaten-Epos in drei „Variationen“, in drei Perspektiven, großartig erzählt, lange nachwirkend.

Veröffentlicht am 17.08.2018

Bin ruck-zuck zum Stoffling geworden

Das rote Kleid
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Alle lieben Guido Maria Kretschmer. Wo immer er auftaucht, fliegen ihm die Herzen zu aufgrund seiner sympathischen und respektvollen Art. Und genauso ergeht es auch dem Leser dieses Buches, denn es ist ...


Alle lieben Guido Maria Kretschmer. Wo immer er auftaucht, fliegen ihm die Herzen zu aufgrund seiner sympathischen und respektvollen Art. Und genauso ergeht es auch dem Leser dieses Buches, denn es ist ebenso sympathisch, rundum liebenswert, eben ganz und gar eine Kreation von Guido Maria Kretschmer.

Ausnahmsweise bemühe ich den Klappentext zur Inhaltsangabe: Anascha ist ein wunderschönes rotes Kleid aus Seide. Sie hängt an einem Filmset in der Garderobe und wartet gespannt auf ihren Auftritt. Aber Anascha ist noch ein junges Textil, und so ist sie froh, dass sie in guter Gesellschaft ist: Da gibt es Eric, den alten Mantel, der bald ihr engster Vertrauter wird, ein liebenswertes Nachthemdchen, das immer vom Bügel stürzt, oder Lulu, das charmante Revuekleid aus Las Vegas. Nur gut, dass sie alle zusammenhalten wie aus einem Garn genäht, denn bald müssen sie so manche Herausforderung meistern. Und vielleicht gelingt es Anascha am Ende sogar, ihren großen Traum zu erfüllen – ein richtiges Zuhause zu haben und einen Menschen, der sie wirklich liebt, für immer ...

Mich hat in allererster Linie fasziniert, mit welch ideenreichen Wort- bzw. Satz-Schöpfungen der Autor die Welt „des Textils“ zu schildern versteht. Da schließen sich die müden Knopflöchlein, da muss man dem eingebildeten Dior-Kleid den kalten Saum zeigen und dass Kleider ein Herz auf Fäden haben, versteht sich von selbst. Je länger man mit Anascha, dem roten Kleid, die Zeit verbringt, desto mehr entsteht tatsächlich so etwas wie eine neue Achtung vor Kleidung, man wandelt sich zunehmend zum „Stoffling“. Wir verstehen plötzlich, dass Kleider geliebt werden möchten, dass sie sich sehnen nach Wärme, nach Bügelwärme, und dass sie ihre Energie ziehen aus unserer Aufmerksamkeit und Pflege.

Die Hörbuch-Version ist ein Highlight! Dass Guido Maria Kretschmer so feinfühlig lesen kann, hätte ich nicht erwartet. In der Kombination mit den drei Generationen Thalbach, die gewohnt großartig und sehr differenziert gestalten, gewinnt das Buch noch mehr an eindringlicher Lebendigkeit. Ein ideenreicher, feiner Spaß!
Einziger Minuspunkt: Dass die weiße Bluse aus Wuppertal spricht, als sei sie aus Köln, ist leider ein grober Fehlgriff. Wer immer dies zu verantworten hat, sollte zu einem Sprachkurs in Wuppertal verdonnert werden!