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Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine besondere Freundschaft

Meine geniale Freundin
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Raffaela, oder Lila wie Elena ihre Freundin aus frühen Kindertagen sie nennt, ist spurlos verschwunden. Wie ausgelöscht scheint ihr Leben. Elena macht sich noch nicht viele Gedanken, sie kennt Lila und ...

Raffaela, oder Lila wie Elena ihre Freundin aus frühen Kindertagen sie nennt, ist spurlos verschwunden. Wie ausgelöscht scheint ihr Leben. Elena macht sich noch nicht viele Gedanken, sie kennt Lila und ihre spontanen Entscheidungen und weiß um ihre Eigenwilligkeit. Sie hält die Sorge von Lilas nichtsnutzigem Sohn eher überzogen. Aber Lila hat wohl alle Spuren ihres Lebens getilgt, keine Kleidung, keine Briefe, keine Erinnerungsstücke sind zurückgeblieben. Aber Lila war immer anders !
In Gedanken geht Elena zurück ins Neapel der 50iger Jahre und lässt den Beginn der Freundschaft zwischen den beiden Mädchen Revue passieren. Lila war ein starkes, mutiges Mädchen, ja sie war sogar manchmal richtig grausam, Elena unterwirft sich willig den diversen Mutproben und Lila wird ihre wichtigste Bezugsperson. Sie ist klug, sie hat sich allein lesen und schreiben beigebracht, sie ist intelligent, aber das ist in den Augen des Vaters nicht unbedingt ein Vorteil. Im Arme-Leute-Viertel, in dem die zwei Mädchen aufwachsen, geht es laut und derb zu. Auch Gewaltausbrüche sind an der Tagesordnung, der Vater als Patriarch steht über Allen. Väter können die Zukunft und das Schicksal ihrer Kinder bestimmen, weit ins Erwachsenenalter hinein. Elena weiß, dass Bildung ein Weg aus diesem Kreislauf sein könnte, Lila wählt den Weg der Heirat mit einem aufstrebenden, wohlhabenden Mann, beide wollen durch ihre Entscheidungen den Verhältnissen entkommen. Ob es beiden gelingt?
Das Buch erinnerte mich an die großartigen Schwarz-Weiß-Filme des italienischen Neorealismus. Das neapolitanische Viertel wird sehr authentisch und kraftvoll dargestellt, die Familien, die eng zusammenwohnen, die Konflikte, die Beziehungen, das hat mir sehr gut in der Darstellung gefallen. Fast meine ich die Lautstärke im Ohr zu haben, so lebendig ist die Darstellung. In diesem Zusammenhang fand ich auch das Personenregister am Anfang des Buches sehr hilfreich.
Die Sprache ist bildreich, durch die Ich-Erzählerin ist der Leser unmittelbar ins Geschehen eingebunden. Die Erinnerungen Elenas sind lebendig und doch hinterfragt sie sich immer wieder. Fast habe ich das Gefühl, dass sich Elena nicht sicher ist, ob Lila sie wirklich mochte. Zu prägend waren die Erfahrungen von Zurückweisungen und Verletzungen. In diesem Buch lerne ich Lila ja nur aus der Sichtweise von Elena kennen und die Erinnerungen sind durch ein langes Leben verwaschen.
Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen, es ist eine Entdeckung, denn es wurde in Italien bereits 1991 veröffentlicht. Ich bin wirklich eingetaucht in diese beiden Frauenleben. Ich bin gespannt, ob mich diese Faszination noch durch drei weitere Bände trägt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zwischen Elternzeit und Ermittlungen

Reitinger kehrt zurück
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Reitinger, der Journalist aus Regensburg genießt jeden Tag seiner Elternzeit und die Stunden mit der kleinen Paula, aber langsam sehnt er sich wieder in die Redaktion zurück. Immer nur von Mittelaltermärkten ...

Reitinger, der Journalist aus Regensburg genießt jeden Tag seiner Elternzeit und die Stunden mit der kleinen Paula, aber langsam sehnt er sich wieder in die Redaktion zurück. Immer nur von Mittelaltermärkten und kleinen lokalen Ereignissen schreiben, ist nicht sehr befriedigend.
Aber am Abend des Markts kommt er mit Sandra Rossbach ins Gespräch, sie schaut auf das Flussufer, wo man ihren ertrunkenen Mann gefunden hat. Nur, Sandra glaubt nicht an einen Unfall, sie ist überzeugt, dass ihr Mann ermordet wurde. Reitinger wittert eine Story. Karim war begeisterter Sondengänger und suchte nach archäologischen Funden, auch war sein Vorleben nicht ganz so unbescholten wie es anfangs aussah. Das wäre die Chance für Reitinger, sich mit einer guten Story wieder in der Redaktion zurückzumelden und seinen Anspruch zu sichern. Dass er vielleicht den schmierigen Kollegen Aschenbrenner eins auswischen könnte, ist ein Sahnehäubchen obenauf.
Bei diesem Krimi stimmt alles. Die Story ist ideenreich und entwickelt sich logisch. Reitinger ist ein echter Sympathieträger, Vater in Erziehungsurlaub, der Paula oft bei seinen Ermittlungen mitnimmt. Schließlich lebt Oma Reitinger ein selbstständiges Leben und ist nicht immer als Babysitter parat. Aber wer könnte schon eine Zweijährigen und ihren Vater für gefährlich halten. So kann er, aufs Beste unterstützt von Andrea, der jungen Redaktionsassistentin, sich auf Schnüffeltour begeben. Gut passt es da auch, dass er nie den Draht zu Jana Meyerbeer, der netten Polizeibeamtin, verloren hat.
Es ist ein Regionalkrimi, der in Regensburg angesiedelt ist und doch ganz ohne Dialekt oder regionale Eigenheiten auskommt. Trotzdem passt alles gut in die alte Kulturlandschaft Oberpfalz. Der Krimi bietet gute Unterhaltung, ist flott geschrieben, und die amüsanten Seitenhiebe ins Familienleben machen Spaß und runden das Lesevergnügen ab. Ein rundum gelungener Krimi der Lust auf weitere Bande mit Thomas Reitinger macht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine ungewöhnliche Ehe

Zwischen den Meeren
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Zwischen den Meeren ist eine berührende Geschichte, die sich dem Leser aber nicht einfach erschließt, was vielleicht auch an der Distanz zu den zwei Hauptfiguren liegt.
Alathea hat als eine der ersten ...

Zwischen den Meeren ist eine berührende Geschichte, die sich dem Leser aber nicht einfach erschließt, was vielleicht auch an der Distanz zu den zwei Hauptfiguren liegt.
Alathea hat als eine der ersten Frauen einen medizinischen Doktorgrad erworben, das macht sie in den Augen der Gesellschaft aber eher verdächtig. Aufwachsen ist sie in einer kalten, lieblosen Atmosphäre, die Mutter ist eine religiöse Eiferin, die Selbstkasteiung zum Lebensprinzip erhoben hat. So waren Wärme und Nahrung für Ally ihr Leben lang Mangel, von Liebe ganz zu schweigen.
Wir lernen sie als Ehefrau von Tom Cavendish kennen, der als Ingenieur seinen Weg machen will, der führt ihn dann auch kurz nach der Eheschließung für viele Monate nach Japan. Nach seiner Rückkehr ist die Fremdheit zwischen dem Ehepaar augenscheinlich, es scheint nicht möglich an die kurze Zeit des Eheglücks anzuknüpfen, zu sehr haben sich beide in verschiedene Richtungen entwickelt.
Die Kapitel wechseln sich ab, wir sehen Tom eine neue Kultur erfahren und mit allen Sinnen erleben. Er taucht in die fremde Welt Japan ein, unsicher anfangs, aber dann immer interessierter, er verlängert seinen Aufenthalt und Cornwall und seine Frau ist in weite Ferne gerückt.
Ally dagegen scheint in ihrer ersten unbezahlten Anstellung als Irrenärztin an den Umständen scheitern. Sie kämpft gegen die Vorurteile, die ihr entgegen gebracht werden, genauso, wie die lieblose und demütigende Behandlung der Insassen. Das kalte und feuchte Cottage, das Tom für sie gemietet hat, bietet keine Zuflucht. Die Einsamkeit, die Unwirtlichkeit der winterlichen Landschaft machen ihr immer mehr zu schaffen. Die Unterschiede zwischen den Beiden treten schmerzhaft zu Tage. Diese Wechsel tauchten mich als Leserin in ein Gefühlschaos, hier das Elend einer viktorianischen Anstalt, dort die schöne Welt der japanischen Kultur. Für beide Seiten findet die Autorin wunderbare stimmige Bilder und gelungene Beschreibungen.
Überhaupt ist die Sprache das tragende Element dieses Buches. Fein, zurückgenommen und doch nuancenreich hat sie mir aufmerksames Lesen abgefordert. Das war ein Lesegenuss, auch der Wechsel der Perspektiven ist sprachlich hervorragend ausgearbeitet.
Großartig geschildert finde ich die Gegensätze – hier das viktorianische England mit all seiner sozialen Ungerechtigkeit und der großen Fortschrittsgläubigkeit – dort die feinsinnige, fremde Kultur, die sich nur sehr langsam nach außen öffnet.


Während des Lesens ist mir klar geworden, dass es ein Vorgängerbuch gab. Ich hatte öfters den Eindruck, dass mir Wissen aus diesem Buch fehlt, um die Beziehung zwischen Ally und Tom restlos zu verstehen. Ich habe oft das Gefühl gehabt, zwischen den Beiden ist das Meer immer noch da, selbst als Tom zurück ist. Deshalb fand ich den Titel auch besonders gut gewählt.


Außerdem rundet der wunderschön konzipierte Einband des Buches den Eindruck ab. Die Kirschblüten auf dem Schutzumschlag zieren in Negativdruck auch den Bucheinband. Eine sehr gelungene Gestaltung für ein empfehlenswertes Buch.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Loslassen und ein Neubeginn

Alle meine Kinder
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Ika Beaufort steht vor den offenen Türen ihres Schranks und versucht sich von vielen Dingen zu trennen, aber alles ist mit Erinnerungen belastet und diese Erinnerungen wiegen schwer. Sie taucht in Gedanken ...

Ika Beaufort steht vor den offenen Türen ihres Schranks und versucht sich von vielen Dingen zu trennen, aber alles ist mit Erinnerungen belastet und diese Erinnerungen wiegen schwer. Sie taucht in Gedanken in die Vergangenheit ein, ihre Dreiecksbeziehung über viele Jahre, die ihre Partnerschaft wohl doch schwerer belastet hat, als gedacht. Der lange Loslösungsprozess von ihrem Geliebten und vor allem der Schwangerschaftsabbruch, der kurz danach einem leidenschaftlichen Kinderwunsch auslöste, der sich auf natürlichem Weg nicht erfüllen wollte.


Ika ist eine Frau fast Ende der Sechzig. Zusammen mit ihrer langjährigen Freundin wollte sie sich in einer neuen Wohnung inmitten der Stadt neu finden. Raus aus dem viel zu großen Haus und dem riesigen Garten, ein Neuanfang ohne den Ballast der Vergangenheit, ganz abgesehen von den praktischen Erwägungen – wie Ärzte, Geschäfte und Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft. Doch Hilde verstirbt unerwartet und Ika muss nun allein den Neuanfang wagen.


Das Buch wird durch die Rückblicke interessant. Ika ist ein Kind ihrer Zeit, aufgewachsen als die Pille den Frauen neue Freiheit gewährte, als Partnerschaften und Sexualität neu definiert wurden. Die Beziehungen waren offen und Seitensprünge wurden diskutiert und toleriert. Dieses Zeitbild hat mir ausgesprochen gut gefallen, ich kenne vieles aus eigenem Erleben und die Schilderung hat mich zurück katapultiert in diese Zeit. Die Hauptfigur Ika ist mir sehr nahe gekommen, ja sie war mir sympathisch, wenn ich auch manche ihrer Handlungen nicht gut fand. Fast hatte ich das Gefühl, ich müsste es jetzt mir ihr ausdiskutieren. Das spricht für die lebensnahe Charakterisierung.


Die ausufernden Schilderungen der Reproduktionsmedizin fand ich allerdings zu viel. Nicht jeder vergebliche Zyklus hätte in dieser Ausführlichkeit geschildert werden müssen. Wenn ich noch einmal den Begriff „Follikel“ lese, schreie ich – diese Empfindung drängte sich mir beim Lesen auf.
Der verhalten optimistische Schluss hat mich dann aber versöhnt und über diese Klippe getragen.


Das Buch hat mich berührt, ich bin der Hauptfigur fast immer gern in ihren Erinnerungen gefolgt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein gelungener Westfalen Krimi

Todesgruß
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Unna in Westfalen, eine Kleinstadt, die jährliche Kirmes ist ein Höhepunkt im Festkalender der Stadt. Mit der beschaulichen Ruhe ist es vorbei, als eine Leiche im Stadtpark gefunden wird, auffällig drapiert ...

Unna in Westfalen, eine Kleinstadt, die jährliche Kirmes ist ein Höhepunkt im Festkalender der Stadt. Mit der beschaulichen Ruhe ist es vorbei, als eine Leiche im Stadtpark gefunden wird, auffällig drapiert und mit einem Kirmes-Lebkuchenherz um den Hals „Ein letzter Gruß von G.“ steht darauf, mit Zuckerguss geschrieben. Eine Beziehungstat? Ein Racheakt? Ein zufälliges Opfer?

Die Kommissarin Maike Graf, erst kürzlich aus Dortmund hergezogen und ihr Kollege Max Teubner bearbeiten den Fall der ermordeten Zahnärztin. Doch es bleibt nicht bei einer Leiche, kündigt sich hier ein Serienmörder an? Aber dann stellen sich die Verbindungen zur ersten Leiche heraus und der Kreis der Verdächtigen wird eingeengt.
Der Krimi wirkt westfälisch geerdet, das macht das Regionale an diesem Krimi so angenehm zu lesen. Die Balance mit einem spannenden Plot und der typischen Eigenheiten von Mensch und Landschaft stimmt.

Die Figuren haben mir auch gut gefallen, allen voran Maike Graf, die auch als Hauptkommissarin menschlich agiert und immer auch einen Blick auf die Gesellschaft hat. Ihr Privatleben wird thematisiert, aber hier bleibt es ebenfalls im Gleichgewicht. Realistisch geschildert war die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kommissariaten und die menschlichen Reibereien, die sich dadurch ergeben.

Die Autorin hat sehr geschickt Spuren gelegt, allein schon der Prolog wirft einige Fragen auf. Die Handlung schlägt einige Haken und die Spannung bleibt hoch, als Leserin habe ich mich gern auf falsche Fährten locken lassen.
Natürlich gab es auch ein – zwei Klischees, die ich überflüssig fand. Warum zum Beispiel, müssen die agierenden Staatsanwälte so oft eitle und cholerische HB Männchen sein, die immer zu dumm für naheliegende Argumente sind? Warum müssen junge Beamtinnen so oft geschwätzige Blondinnen sein, die sich zum Schluss doch zum Pferdestehlen eignen?
Aber sind nur ganz kleine Einwände, die den Lesegenuss nicht geschmälert haben.


Mein Fazit: ein gekonnter, immer spannender Regionalkrimi, den ich empfehlen kann.