Vielschichtig
Die leuchtenden Tage am BosporusRezension zu „Die leuchtenden Tage am Bosporus“ von Lucy Foley
Lucy Foley hat mit „Die leuchtenden Tage am Bosporus“ eine tolle Geschichte geschaffen. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven. Dass ...
Rezension zu „Die leuchtenden Tage am Bosporus“ von Lucy Foley
Lucy Foley hat mit „Die leuchtenden Tage am Bosporus“ eine tolle Geschichte geschaffen. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven. Dass eine der Perspektiven aus einer Gegenwart heraus erzählt, die viele Jahre nach der Hauptgeschichte stattfindet, irritiert zunächst. Hat man dies aber verstanden, sind die Perspektiven angenehm, weil so die verschiedenen Sichtweisen auf die Geschehnisse beleuchtet werden können, was die Geschichte so vielschichtig macht. Der Schreibstil ist schön. Er wirkt „verschnörkelt“, was gut zum Handlungsort passt. Es gibt viele Beschreibungen, die das Buch aber keinesfalls langatmig machen, sondern eine schöne Atmosphäre schaffen. Insgesamt ist die Geschichte spannend, auch wenn sie in der Mitte noch mittreißender hätte sein können.
Besonders ist der Hintergrund der Geschichte. Es geht um Istanbul, dass nun unter der Besatzung der Alliierten zu leiden scheint und um den Völkermord an den Armeniern. Beides habe ich so noch nie in einem Buch thematisiert gesehen. Beide Konflikte, sowohl der zwischen Alliierten und Türken also auch der zwischen Türken und Armeniern wird wunderbar deutlich. Interessant ist, dass der Konflikt zwischen Türken und Alliierten von Beginn von den Figuren vermittelt wird, indem sie den Leser an ihren Gedanken teilhaben lassen, der Konflikt zwischen Türken und Armeniern sich aber lange zwar andeutet, das ganze Ausmaß jedoch lange unausgesprochen bleibt, wie der Völkermord eben bis heute von der Türkei ignoriert wird.
Besonders ist auch die Protagonistin Nur. Außergewöhnlich gut gebildet für eine Frau ihrer Zeit und Herkunft, spürt der Leser von Beginn an ihren inneren Konflikt. Selbstbewusst und mit einer kritischen Haltung geht sie durch die Straßen Istanbuls. Sie steckt fest zwischen Wut und Vorurteil und dem Bewusstsein, dass nicht alle Menschen gleich sind. Es macht Spaß ihr dabei zuzusehen, wie sie ihre inneren Schranken überwindet. Ein bedeutender Sympathieträger in diesem Buch ist sicherlich zum einen der Junge, der zunächst etwas rätselhaft erscheint und später eine Kontur bekommt und George, dem britischen Militärarzt, mit dem Nur zufällig in Kontakt kommt. Er ist so anders als sie sich die britischen Militärs vorstellt. Spannend ist, dass schnell deutlich wird, dass er etwas verheimlicht. Was genau, muss schon jeder selbst herausfinden. In jedem Fall sorgt dies für Spannung. Grausam sind die Schilderungen des „Gefangenen“, der immer wieder seine Kriegserlebnisse schildert und der deutlich macht, dass die inneren Wunden die schlimmsten sind.
Auch wenn die Geschichte insgesamt im Mittelteil nicht so mitreißend war, wie ich es mir gewünscht habe, hat Lucy Foley hier einen tollen Roman geschaffen. „Die leuchtenden Tage am Bosporus“ besticht dabei vor allem mit einer außergewöhnlichen Geschichte, deren Vielschichtigkeit sich zum einen in der Geschichte selbst, und zum anderen in den Figuren finden lässt.