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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.10.2018

Der Mensch und die Natur

Eines Tages in der Provence
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Diese beschauliche Geschichte spielt nur wenige Wochen im März in einem französischen Dorf, wo die über 100 Jahre alte Platane auf dem Marktplatz auf Anordnung der Gemeindeverwaltung gefällt werden soll. ...

Diese beschauliche Geschichte spielt nur wenige Wochen im März in einem französischen Dorf, wo die über 100 Jahre alte Platane auf dem Marktplatz auf Anordnung der Gemeindeverwaltung gefällt werden soll. Die Dorfbewohner gründen rund um den pfiffigen Schuljungen Clément eine Initiative, um das zu verhindern. Die Dorfbewohner und der Baum sind es dann auch, die im Mittelpunkt stehen: zwei betagte Schwestern, die junge Frau Fanny, die Wirtin Suzanne, der herumvagabundierende Manu, der entscheidungsunfreudige Raphael, der sich strikt an Regeln haltende Gemeindearbeiter Francois, und eben die Platane. Sie ist die älteste Dorfbewohnerin, sie weiß um die Geheimnisse der Menschen, ohne sie jemals zu verraten, war Zeugin von tragischen und freudigen Ereignissen, wurde schon von so vielen Kindern beklettert. Dieser Baum ist mehr als eine Pflanze, er ist ein Wesen, das Herz des Dorfes.
Das eigentlich Faszinierende an dem Buch ist, dass sich der Leser quasi hineinversetzt fühlt auf diesen Marktplatz und teilnimmt an den Sorgen der Bewohner und eben des Baumes. Ein ungewöhnlicher, aber interessanter Clou ist auch, dass der betroffene Baum als Ich-Erzähler eingebunden ist und wir so seine Sichtweise und seine Gefühlswelt kennenlernen. Alles wird sehr warmherzig erzählt.

Veröffentlicht am 24.10.2018

Ein Märchen für Erwachsene

Die wundersame Mission des Harry Crane
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Die Geschichte ist in den Endless Mountains im ländlichen Pennsylvania angesiedelt. Die zehnjährige Oriana trauert um ihren Vater, der plötzlich verstorben ist, im Schnee liegend und die Arme wie ein Schneeengel ...

Die Geschichte ist in den Endless Mountains im ländlichen Pennsylvania angesiedelt. Die zehnjährige Oriana trauert um ihren Vater, der plötzlich verstorben ist, im Schnee liegend und die Arme wie ein Schneeengel ausgebreitet. Sie hat die Vorstellung, dass ihr Vater als geflügeltes Tier in dem Wald hinter ihrem Blockhaus weiterlebt. Oriana liest fast besessen Märchen und spielt im Wald, wo sie die Anwesenheit ihres Vaters spürt. Eines Tages verliert sie „Das Buch vom alten Grum“, das ihr die alte Bibliothekarin Olive besonders anvertraut hat und das eine zentrale Rolle in dem Buch spielt. Es wird aufgefunden von Harry Crane, einem todunglücklichen Beamten der Forstverwaltung, der sich schuldig fühlt am Tod seiner Frau und sich in den ihm sicher erscheinenden Wald flüchtet, wo er sich erhängen will, was missglückt. Oriana sieht Harry als Zeichen, und Harry will Orianas Märchen wahr werden lassen.

Das Buch lässt sich am ehesten als ein Märchen für Erwachsene einordnen. Wer sich auf das Lesen einlässt, wird ein wunderbares Abenteuer erleben, das Orianas kühnste Träume übertrifft und Harry bereit macht, sich auf ein ganz neues Leben einzulassen. Tod und Verlust spielen zwar eine große Rolle, ziehen den Leser aber überhaupt nicht runter, da viele Passagen von feinem Humor sind. Am Ende steht die schöne Botschaft, dass es im Leben immer weiter geht.

Ein ganz wunderbares Buch, das zu meinen Lesehöhepunkten des Jahres zählt.

Veröffentlicht am 09.10.2018

Lehrstück über Liebe, Schriftstellerei und Detektivarbeit

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
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Dieses Buch fesselt bis zur letzten der immerhin 725 Seiten. Es ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte, Liebesgeschichte und Sachbuch über das Schreiben eines guten Buches.
Die Schriftstellerei steht ...

Dieses Buch fesselt bis zur letzten der immerhin 725 Seiten. Es ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte, Liebesgeschichte und Sachbuch über das Schreiben eines guten Buches.
Die Schriftstellerei steht im Fokus, schon weil die beiden Protagonisten Autoren sind. Im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert in der amerikanischen Kleinstadt Aurora/New Hampshire wird im Jahr 2008 die Leiche der seit 33 Jahren vermissten Jugendlichen Nola gefunden. Bei sich hat das Mädchen das Manuskript des Romans, mit dem Quebert berühmt wurde. In ihm geht es um die Liebe zwischen einem älteren Mann und einem Mädchen. Quebert gerät unter Mordverdacht. Als sich herausstellt, dass er tatsächlich eine Liebesbeziehung zu Nola hatte, setzt sein beruflicher Niedergang ein. Queberts Schüler und Freund Marcus Goldman, der sich selbst mit einem ersten Buch einen Namen gemacht hat, jetzt aber unter einer Schreibblockade leidet, beginnt aufzuklären und schriftstellerisch zu verarbeiten, ob Quebert wirklich den Mord begangen hat. Dabei versetzt er den ganzen Ort in Aufruhr.
Das wirklich Raffinierte und Fesselnde an der Geschichte ist, wie die Auflösung des Kriminalfalls angegangen wird und sich verschiedene Verdächtige, die auch der Leser für solche halten muss, als unschuldig erweisen, und wie nach und nach zu Tage kommt, welches Wissen die Bewohner von Aurora tatsächlich jahrzehntelang mit sich trugen. Interessant sind die regelmäßig eingeschobenen Regeln darüber, was ein gutes Buch beim Schreiben erfordert, die Quebert seinem Schüler Goldman eintrichtert. Nicht zuletzt ist das Buch auch amüsant, z.B. die Telefonate von Goldman mit seiner Mutter, die ihren Sohn endlich unter die Haube kriegen will.

Dieses Buch ist wirklich lesenswert.

Veröffentlicht am 26.09.2018

Ein zum Leben ermutigendes Buch

Ich komme mit
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Wer zu diesem Buch greift, sollte wissen, dass es sich nicht mal so eben zwischendurch lesen lässt, wozu man aufgrund seines geringen Umfangs von nur 209 Seiten vielleicht verleitet sein könnte. Denn es ...

Wer zu diesem Buch greift, sollte wissen, dass es sich nicht mal so eben zwischendurch lesen lässt, wozu man aufgrund seines geringen Umfangs von nur 209 Seiten vielleicht verleitet sein könnte. Denn es ist ein Buch, das es thematisch in sich hat – es geht um Krankheit, Tod, Alterseinsamkeit und immer wieder um die philosophische, zum Nachdenken anregende Frage, was Leben ist.

Der 20jährige Student Lazy und die verwitwete, vereinsamte Vita, Anfang 70, wohnen im selben Mehrfamilienhaus. Vita kennt Lazy schon von seiner Kindheit an und mochte ihn nie. Das ändert sich, als Lazy fast hoffnungslos an Leukämie erkrankt. Vita nimmt ihn bei sich auf. Sie freunden sich an, unternehmen eine gemeinsame Reise und beschließen den gemeinschaftlichen Freitod.

So besonders wie die Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einer alten Frau ist, so ist auch das gesamte Buch. Die Autorin nimmt sich der ernsten Themen mit einer Art Galgenhumor an und lässt die beiden Protagonisten mit schönen Sprachspielen kommunizieren. Faszinierend ist auch das Spiel, das Lazy und Vita irgendwann aufnehmen. Sie tauschen immer wieder– philosophisch anmutende – Sätze darüber aus, was Leben für sie ist, z.B. „Leben ist Melodie erkennen im Summen des Kühlschranks“ oder „Leben ist lachen beim Kitzeln“.

Ein absolut lesenswertes Buch.

Veröffentlicht am 18.09.2018

Suizid an einer Eliteuniversität

Ein Winter in Paris
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Der Lehrer und Schriftsteller Victor findet nach der Rückkehr aus dem Urlaub in seiner Post einen Brief, der ihn in seine Erinnerungen an einen Winter in Paris im Jahr 1984 eintauchen lässt. Damals studierte ...

Der Lehrer und Schriftsteller Victor findet nach der Rückkehr aus dem Urlaub in seiner Post einen Brief, der ihn in seine Erinnerungen an einen Winter in Paris im Jahr 1984 eintauchen lässt. Damals studierte er im zweiten Jahr in einer Vorbereitungsklasse einer Eliteuniversität. Aus der Provinz und aus einer unteren sozialen Schicht kommend, fristet er ein Außenseiterdasein neben seinen privilegierten Kommilitonen. Er ist ohne Freunde und sonstige soziale Kontakte und lebt ausschließlich für das Lernen, um den harten Anforderungen der Einrichtung zu genügen und im gnadenlosen Konkurrenzkampf zu bestehen. Er entschließt sich, zu seinem Geburtstag einen Kommilitonen (Mathieu) aus dem ersten Studienjahr ins Restaurant einzuladen, mit dem er neuerdings gelegentlich eine Zigarette raucht. Dazu kommt es jedoch nicht mehr, weil sich Mathieu in der Universität in den Tod stürzt, wovon Victor Zeuge wird. Dieses tragische Ereignis verändert Victors Leben. Auf einmal suchen seine Kommilitonen seinen Kontakt, ebenso wie Mathieus Vater, zu dem Victor eine seltsame Beziehung entwickelt.
Der Autor prangert in diesem Roman die unmenschlichen Bedingungen der elitären Vorbereitungsklassen an mit dem zwischen den Studenten bestehenden gnadenlosen Wettbewerb und selbstherrlichen, erniedrigenden Lehrern, die zukünftige elitäre Politiker und Journalisten heranziehen wollen. Daneben werden viele weitere Themen angesprochen: Die Beziehungen zur Familie, die Berührung mit einem anderen sozialen Milieu, der Wettbewerb an der Universität, Freundschaft. Die psychischen Befindlichkeiten von Victor und den anderen Personen seines Umfelds werden sehr schön in einer einfachen, doch wirkungsvollen Sprache beschrieben.
Ein sehr lesenswertes Buch.