Profilbild von Archer

Archer

Lesejury Star
offline

Archer ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Archer über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die mit der Ratte spricht

Britt-Marie war hier
0

Diese Rezension gilt dem ungekürzten Hörbuch, Sprecher: Heikko Deutschmann

Britt-Marie. Britt-Marie ist so eine Frau, der ich persönlich nicht zu nahe kommen möchte. Diese Art Frau, die keine Vorurteile ...

Diese Rezension gilt dem ungekürzten Hörbuch, Sprecher: Heikko Deutschmann

Britt-Marie. Britt-Marie ist so eine Frau, der ich persönlich nicht zu nahe kommen möchte. Diese Art Frau, die keine Vorurteile hat, natürlich nicht. Diese Art Frau, die immer wohlwollend Vorschläge machen, denn Frauen wie Britt-Marie sind nicht kritisch, natürlich nicht. Kurz und bündig zusammengefasst: Britt-Marie ist die Art von Frau, die übelst nervt. Ob es ihr eingeschränkter Erfahrungsschatz ist oder ihre Verhalten, sie geht Leuten richtig auf die Nerven. Vielleicht verpasse ich was, wenn ich um Leute wie Britt-Marie einen Bogen schlage, aber zum Glück wohne ich ja nicht in Borg, also habe ich die Wahl. Eher keine Wahl hat Britt-Marie, denn sie hat ihren Mann verlassen, der sie betrogen hat und jetzt nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus liegt. Und Britt-Marie will jetzt eine Arbeit und nervt eine junge Frau im Arbeitsamt so lange, bis die ihr Borg aufs Auge drückt. Borg ist ein Ort, über den man zwei Sachen sagen kann: Die Finanzkrise hat ihm gar nicht gut getan und es gibt eine Durchgangsstraße, die einmal rein- und einmal rausführt. Dort gibt es ein Jugendzentrum, das von Rechts wegen eigentlich hätte geschlossen sein müssen, aber genau dort fängt Britt-Marie an. Als was? Das weiß sie selbst nicht so richtig, denn sie weiß ja nicht mal, was sie mit sich selbst anfangen soll. Stattdessen spricht sie mit einer Ratte, damit die weiß, dass Abendessen um Punkt 18.00 Uhr ist. Und lernt, dass Fußball dazu bringen kann, sich vom Boden zu lösen und den einen, einzigen Sprung zu wagen. Selbst noch mit 63 Jahren.

Es ist logisch, dass Backman zeigen wollte, wie nervig Britt-Marie ist. Deshalb wohl hat er alles wiederholen lassen. Und noch mal wiederholen lassen. Und noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Bis zum Abwinken. Bis man alles, was Britt-Marie jeden Moment von sich geben würde (oder Sven, denn der war auch nicht besser) schon vorher mitsprechen konnte. Und dass berechnend extrem auf die Tränendrüse im letzten Drittel gedrückt wurde. Dass viele Sachen nicht wirklich logisch waren, gerade, was die Kinder und das Jugendamt oder auch Britt-Marie und ihre Arbeit anging (ich denke, so sehr wird sich das soziale Gefüge in Schweden nicht von dem in Deutschland unterscheiden). Aber es soll ja der Unterhaltung dienen. Und das hätte besser funktioniert, wenn es nicht einen Ticken übertrieben worden wäre.
Aber es gab/gibt eine Sonnenscheinstory in der Story: den Sprecher. Das ist wohl der Beste, den ich je gehört habe. Ein Mann mit einer markant männlichen Stimme, dem ich jedoch Britt-Marie zu jedem Moment abgenommen habe. Und ich weiß nicht, ob auf Schwedisch Borg als Borrrrrrje oder Karl als Kooooorrrrrrrrrl ausgesprochen wird - aber das ist so was von egal, denn der Sprecher ist so was von genial! Das Buch bekommt 3/5 Punkten, der Sprecher volle Punktzahl.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Einundzwanzig Zigaretten für ein Leben

Drehtür
0

Asta ist kein Schäferhund. Sie ist trotz ihres Namens eine ältere Frau, die einen Großteil ihres erwachsenen Lebens im Ausland verbracht hat, als Krankenschwester in Krisengebieten, Dritte-Welt-Ländern, ...

Asta ist kein Schäferhund. Sie ist trotz ihres Namens eine ältere Frau, die einen Großteil ihres erwachsenen Lebens im Ausland verbracht hat, als Krankenschwester in Krisengebieten, Dritte-Welt-Ländern, wohin auch immer das Leben sie getrieben hat. Und getrieben ist das Stichwort, denn das ist sie. Sie steht neben einer Drehtür im Münchner Flughafen; ihr Koffer ist verschwunden, weiß der Geier wohin, sie hat nur ein One-Way-Ticket und keinen Plan, was sie tun soll. Ist sie aus ihrem letzten Beruf gemobbt worden oder hat sie wirklich all die angeprangerten Fehler begangen? Jetzt steht sie hier an der Drehtür, wartend, rauchend, sinnierend. Das Leben oder eher Menschen, die ihr Leben prägten, ziehen an ihr vorbei.

Asta beobachtet Leute und wenn ihr jemand bekannt vorkommt, erzählt sie von jemandem, den sie kannte. Das funktioniert ganz gut, darunter sind teilweise skurrile Erzählungen, die sich weniger mit Astas unspektakulärem Leben befassen, sondern mit Menschen darin, doch die Verbindung, die sie mit Asta haben, macht es zwischendurch interessant. Nicht immer, die Katzen- und Kurtgeschichte in Tunesien mit Ausnahme der dicken, verunglückten Frau hätte man sich sparen können. Zumindest wird immer klarer, dass Asta nur durch andere lebt, durch das Helfen, durch die Lebensgeschichten von Bekannten, sie selbst hat schon in der Jugend sämtliche Wurzeln zerschnitten und sich nie wieder neu angepflanzt. Irgendwie eine extrem bedauernswerte Person, diese Asta, dann wieder doch nicht, weil alles immer trübsinnig ist und man sich fragt, warum sie nicht mehr aus sich gemacht hat. Das Ende ist vorhersehbar, als würde nichts mehr einfallen oder die Autorin nicht mutig genug, etwas Neues zu erschaffen, aber es passt zu der depressiven Aufmachung des Deutschen Bücherpreises.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die tödliche Göttin und der schlafende Prinz

Goddess of Poison - Tödliche Berührung
0

Noch vor vier Jahren war Twylla ein fast normales Mädchen aus einem Dorf. Ihre Mutter ist die Sündenesserin, und diese Aufgabe ist auch ihr vorbestimmt, doch dann kommt alles anders. Sie erfährt, dass ...

Noch vor vier Jahren war Twylla ein fast normales Mädchen aus einem Dorf. Ihre Mutter ist die Sündenesserin, und diese Aufgabe ist auch ihr vorbestimmt, doch dann kommt alles anders. Sie erfährt, dass sie etwas Besonderes ist, dass sie die Einzige ist, die ein Gift trinken kann, das ihre Haut giftig werden lässt, dass sie dafür bestimmt ist, der Göttin zu dienen, Staatsverräter hinzurichten und den Kronprinzen zu heiraten. Sie kommt an den Hof von Lormere, wo die Königin grausam und absolut herrscht, und alle Angst vor ihr und ihrer giftigen Haut haben. Alle, bis auf die Königsfamilie, die als einzige immun gegen sie sind. Doch der Kronprinz, der gerade von einer zweijährigen Reise zurückgekehrt ist, benimmt sich ihr gegenüber distanziert, und ihr einziger Vertrauter, einer ihrer Wächter, wird schwer krank. Als ihr dann ein neuer Wächter zur Seite gestellt wird, beginnt Twylla langsam, ihre Aufgabe und ihre Bestimmung zu hinterfragen.

Eigentlich ganz nett. Und damit wäre fast alles gesagt. Wie habe ich es neulich gesehen: Nett ist der kleine Bruder von Langweilig. Direkt langweilig war die Geschichte nicht, aber ein Straßenfeger wird sie wohl auch nicht werden. Dafür tröpfelt die nette Geschichte zu sehr vor sich hin. Auch die ganzen Intrigen und die krassen Entdeckungen, die Twylla macht, sind so krass und unerwartet eigentlich nicht. Und man kann sich fragen, warum alle dieses Mädchen so fürchten, anstatt einfach immer dafür zu sorgen, dass die eigene Haut bedeckt ist. Und dass es in all den Jahren keinen Unfall gegeben haben soll, erscheint auch unwahrscheinlich. Dann wären einige Sachen viel eher ans Licht gekommen. Ab der Mitte wurde das Liebesgedöhns etwas zu sehr ausgewälzt - romantische Mädchen werden es wahrscheinlich mögen, für Erwachsene dürfte das einen Ticken zu viel sein. Zusammengefasst: ganz nett, darf sich aber in den nächsten Teilen gern steigern.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der erste Fall für Hugh de Singleton

Verräterische Gebeine
0

Herbst 1363. Hugh de Singleton ist ein junger Chirurg, der das Vertrauen von Lord Gilbert, Herr über Bampton Castle, erringen konnte. Als in der Senkgrube des Schlosses Leichenteile gefunden werden, beauftragt ...

Herbst 1363. Hugh de Singleton ist ein junger Chirurg, der das Vertrauen von Lord Gilbert, Herr über Bampton Castle, erringen konnte. Als in der Senkgrube des Schlosses Leichenteile gefunden werden, beauftragt Lord Gilbert ihn mit der Aufklärung der Todesursache. Nach Untersuchung der Knochen ist Hugh schnell klar, dass es sich um Mord handeln muss und er macht sich auf die Suche nach Mörder und Motiv. Es scheint einfach genug. Ein Mädchen, auf das die Beschreibung passen würde, ist verschwunden, und ein junger Mann, der von diesem Mädchen betrogen wurde, hätte Möglichkeit und Tatkraft besessen. Doch nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint - und Hugh ist unerfahren genug, um Fehler zu machen.

Historische Krimis sind cool. Wenn man gleichzeitig in vergangene Zeiten eintauchen kann und dabei Geschichtsunterricht bekommt, ist das genau meins. Und auch hier waren die Voraussetzungen gegeben. Die historische Seite selbst war echt tadellos, man bekam viel über das Leben in der Mitte des 14. Jahrhunderts mit, über die Beziehung der von den Lords abhängigen Bauern und Bürgerlichen, über die Lebensweise und auch über die Arbeit der Ärzte in dieser Zeit. Bei dem Krimianteil jedoch gab es Stolperstellen. Nicht nur, dass Hugh ein paar entscheidende Dinge übersehen hat, die dem Leser ziemlich sofort ins Auge stechen, haben sich einige Dinge nur durch Zufall (oder Gottes Wohlwollen) gelöst, was in einem Krimi ein No-Go ist. Dann wurde zwischendurch Hughs Liebesleben mal kurz angeschnitten und sofort wieder abgewürgt, als hätte der Autor dann doch keine Lust mehr auf dieses Thema gehabt. Die Schreibweise des Buches ist jedoch angenehm und ich habe mich bis auf die erwähnten Kritikpunkte gut unterhalten gefühlt, so dass ich Hugh wahrscheinlich auch ein weiteres Mal begleiten werde.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Tannöd 2.0

Blutwinter
0

1920, der Abend des 5. Dezembers. Jemand stapft durch den tiefen Schnee Richtung Wolfsham, einem kleinen Kaff in Oberbayern. Auch wenn es der Vorabend von Nikolaus ist, hat dieser Mann keine Geschenke ...

1920, der Abend des 5. Dezembers. Jemand stapft durch den tiefen Schnee Richtung Wolfsham, einem kleinen Kaff in Oberbayern. Auch wenn es der Vorabend von Nikolaus ist, hat dieser Mann keine Geschenke dabei, im Gegenteil, er bringt Blut, Mord, Grausamkeit und Verderben.
85 Jahre später. Zwei Journalisten befragen die hochbetagte Maria in ihrem Pflegeheim. Sie wollen die ganze Wahrheit über diesen Fall wissen, und zu diesem Zweck lesen sie ihr zuerst die Zeugenaussagen überlebender Dörfler vor - unter anderem auch die der damals zehnjährigen Maria. Die Journalisten erhoffen sich einen Artikel, doch was Maria ihnen dann erzählt, übertrifft alle Erwartungen und löst nicht nur einen Fall aus längst vergangenen Zeiten, sondern gleich zwei.

Tiefer Winter, abgelegene Ortschaft, grausame Morde, Journalistenbefragung, Zeugenaussagen der Nachbarn im Dorf - kommt jemand bekannt vor? Rischtiiiiiisch. Klingt nicht nur vage nach Tannöd 2.0. Hat sogar recht viel Ähnlichkeit mit der Geschichte von A. M. Schenkel. Extrem auffällig zieht sich das bis ungefähr zur Hälfte des Buches, denn auch die Zeugenaussagen sind ähnlich aufgebaut. Erst als Maria dann selbst anfängt zu erzählen und die Journalisten selbst nach Wolfsham aufbrechen, bekommt die Geschichte einen eigenständigen Drall. Wer sich also solche Ähnlichkeiten erlaubt, muss sich gefallen lassen, dass er mit dem Original verglichen wird. Und hier wird auffällig, dass Schenkels Schreibweise origineller ist, ganz besonder bei den Zeugenaussagen, wo wirklich jeder seine eigene, erkennbare Stimme bekommt, wohingegen man bei Flexeder nur wenig Unterschiede im Stil der einzelnen Personen erkennen kann, und dass es bei Tannöd von Anfang an in die Geschichte hineinzieht, wohingegen der Blutwinter eher schwerfällig beginnt und auch schwerfällig endet. Auch dass gerade zum Schluss, wo man dann endlich richtig Interesse hat, noch seitenweise über die privaten Probleme eines der Journalisten lesen muss, die nichts mit dem Buch zu tun haben und auch wirklich irrelevant sind, ist kein cleverer Schachzug des Autors. So ist ein Buch herausgekommen, das zwar gar nicht schlecht ist, aber gut und gern bei der doch rechten guten Idee etwas mehr Originalität hätte vertragen können.