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Veröffentlicht am 24.02.2019

Passende Fortführung der großen Romane »Drop City« und »Dr. Sex«

Das Licht
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»War es ein Gift? War es verboten? Ein unverantwortliches Risiko? Sie wusste es nicht, doch sie war den ganzen Tag nervös und angespannt, obwohl sie sich sagte, das sei töricht: Wenn irgendjemand in diesem ...

»War es ein Gift? War es verboten? Ein unverantwortliches Risiko? Sie wusste es nicht, doch sie war den ganzen Tag nervös und angespannt, obwohl sie sich sagte, das sei töricht: Wenn irgendjemand in diesem ganzen Gebäude wusste, was er tat, dann ihr Chef.« Der Chef ist der Pharmakologe Alfred Hofmann von Sandoz, der im Jahre 1943 gerade LSD entwickelt und es an sich selbst ausprobieren will.

Mit einem Prolog, in welchem die Entstehung der künstlichen Droge LSD geschildert wird, beginnt der neue Roman des amerikanischen Schriftstellers T.C. Boyle, der just in den vergangenen Tagen seine Lesereise in Deutschland hinter sich hat. In diesem Roman geht es um Drogen, ein Thema, welches Boyle nicht gerade zum ersten Mal aufgreift. In den 1960er Jahren machte er selbst seine Erfahrungen damit und konnte sich erst mit der Schriftstellerei aus diesem Sumpf befreien. Die Haupthandlung des Romans spielt allerdings nicht wie der Prolog 1943, sondern zwanzig Jahre später in der amerikanischen Gesellschaft. An der Harvard Universität beginnt Professor Timothy Leary ein Forschungsprojekt mit der synthetischen Droge. Er möchte in einem groß angelegten Experiment zusammen mit anderen Dozenten und seinen Studenten positive Bewusstseinserweiterung nachweisen. Der Roman zeigt den Werdegang des Forschungsprojektes anhand dreier Protagonisten: Fitz, seiner Frau Joanie und seines Sohnes Corey. Diese drei sind die Hauptfiguren, die die Handlung vorantreiben und aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Anhand ihres Schicksals und ihrer Entwicklung begleitet der Leser Learys Projekt. Fitz möchte sich ganz und gar der Forschung zuwenden, sein erstrebenswerteste Ziel ist, zum inneren Kreis und Professor Leary, Tim, zu gehören.

All dies wird natürlich extrem spannend von Boyle komponiert. Er zeigt den schleichenden, nach außen scheinbar harmlosen Prozess, wie jemand, der eigentlich nur seinen Abschluss, seinen Doktor, seine Karriere machen will, langsam, aber stetig in eine Sekte hineingezogen wird. Dabei handelt es sich möglicherweise um gar keine Sekte, sondern lediglich um eine Clique dekadenter Pseudowissenschaftler, die der Meinung sind, sich mit ihren Gelüsten hinter der Wissenschaft verstecken zu können. Die Handlung verläuft über einige Jahre, Zeit genug, um die Hauptfiguren eine Entwicklung durchmachen zu lassen. Sowohl Fitz als auch seine Frau sind am Ende andere, vertreten andere Ansichten als zu Beginn des Buches. Man muss sich als Leser im Hintergrund rumorende Spannung einlassen. Eine rigorosere Entwicklung ist bei ihrem Sohn Corey zu beobachten, der angefangen im Alter von zehn Jahren die Pubertät durchläuft und als junger Erwachsener am Ende dasteht. Über dessen Entwicklung stellt sein Vater plötzlich fest: »Coreys Stimme war tiefer geworden, das Kieksen fast ganz verschwunden, und in letzter Zeit war Fitz, wenn er ihn sprechen hörte, für einen Augenblick verblüfft: Es war, als hätte ein Fremder die Gestalt seines Sohns angenommen.« Gekonnt, aber typisch und erwartbar für Boyle, werden Vergleiche und Metaphern eingesetzt, um auch jede noch so kleine Plausibilität in Bildern zu belegen. Am Ende dieses tiefgreifenden Romans über die menschliche Gesellschaft und wie sie sich in der Umwelt und Natur einrichtet, steht nicht nur für die agierenden Figuren die Frage: »Wohin führt das alles? Ist irgendein Ende in Sicht? Können wir uns überhaupt noch als Wissenschaftler bezeichnen? Was sind wir eigentlich? Mystiker? Partyveranstalter? Orgienfeierer?«

»Das Licht« ist eine empfehlenswerte Fortführung der großen Romane »Drop City« und »Dr. Sex« desselben Autors.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2019

Veröffentlicht am 08.02.2019

Familie Ising

Eine Familie in Deutschland
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Der Schriftsteller Peter Prange beobachtet, recherchiert und hört aufmerksam zu. Und er beschäftigt sich mit einem Thema, bevor sich dieses schließlich in einem fulminanten Roman seine Bahn bricht. So ...

Der Schriftsteller Peter Prange beobachtet, recherchiert und hört aufmerksam zu. Und er beschäftigt sich mit einem Thema, bevor sich dieses schließlich in einem fulminanten Roman seine Bahn bricht. So auch in seinem neuesten Werk "Eine Familie in Deutschland", wovon momentan der erste von zwei Teilen vorliegt.

Wie auch schon in einigen seiner anderen Romane geht es in diesem um die nationalsozialistische Vergangenheit und was diese Auswüchse mit den Menschen machen. Nun hat ihn die Frage beschäftigt, was er gemacht hätte, wenn er in der damaligen Zeit gelebt hätte. Dafür hat er ein Figurenensemble geschaffen, welches fast alle Charaktereigenschaften der menschlichen Gesellschaft beinhaltet. Komprimiert wurde dies auf eine Familie sowie deren Freundes-, Bekannten- und Verwandtenkreis. Die Handlung des Romans beginnt 1933 zur Zeit der Machtergreifung Adolf Hitlers. Oberhaupt ist Hermann Ising, Zuckerfabrikant im Wolfsburger Land. Er ist Ortsgruppenleiter in dem Ort Fallersleben, aus welchem der Dichter des Deutschlandliedes stammt. Ising ist zwar Mitglied der Partei des Führers, doch eigentlich sind die Ansichten der Partei nicht gerade seine. Aber als angesehener Zuckerbaron, der er bleiben möchte, unterwirft er sich den gesellschaftlichen Zwängen. Zur Familie gehören aber ein jüdischer Freund einer seiner Töchter, so wie ein kommunistischer Freund der anderen Tochter. Ein Sohn hat mit Politik gar nichts am Hut, er ist Ingenieur und entwirft mit seinem jüdischen Freund den Prototypen eines Volkswagens. Der zweite Sohn lebt ausschließlich für die NSDAP. Er sieht seine Rolle ausschließlich in den Reihen der Partei. Da beißt sich also schon eine ganze Menge innerhalb der Mitglieder der Familie. Hinzu kommen Konflikte, die von außen in die Familie getragen werden.

Prange versteht es auf das Feinste, die historischen Gegebenheiten dramaturgisch in die fiktive Handlung um die Isings einzubauen. Jede Situation wirkt authentisch, plausibel, nachvollziehbar, wenn man sie wie der Autor aus der jeweiligen Perspektive der Figuren sieht. Dabei verschwimmen die Übergänge von Fiktion und Realität dermaßen, dass man mehr als einmal geneigt ist zu sagen: Ja, so war das.

Mit dem Buch vergehen die über 600 Seiten und der Zeitraum von 1933 bis 1939 wie im Fluge. Man freut sich mit den Figuren, man ärgert sich mit ihnen, manchmal packt einen die Wut. Wut über die Naivität, Wut über die Dummheit, aber auch Wut über die Arroganz. Und man bewundert manchmal den Mut, mit dem so manche Figur agiert.

Außerdem erfährt der Leser einiges über die Macht der Manipulation durch Propaganda, über das manipulative Wirken großer Konzerne, die am Rockzipfel der Partei- und Politikinteressen hängen, über den Machtmissbrauch, der aus einem Beziehungsgeflecht entsteht. Vieles von dem, was der Autor beispielsweise an der Geschichte der Familie Ising aufzeigt, wirkt auch heute noch in gleicher Weise. Die Menschheit ist leider nicht davor geschützt und zeigt gerade in jüngster Vergangenheit, dass sie nicht aus dem Damals gelernt hat. Prange hat einen großen Familienroman geschaffen, der weit mehr ist. Wer ernsthaft an deutscher Geschichte interessiert ist, sollte sich das Lesevergnügen keinesfalls entgehen lassen. Denn trotz des Themas ist er extrem spannend und unterhaltsam, mit einer Leichtigkeit geschrieben, die nichts davon ahnen lässt, dass die Arbeiten dazu zehn Jahre benötigten.


© Detlef Knut, Düsseldorf 2019

Veröffentlicht am 18.01.2019

Das umfangreiche Portrait einer Adelsfamilie in den schwierigen Zeiten

Gut Greifenau - Nachtfeuer
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Der zweite Band der Gut Greifenau Trilogie hält erneut einige Überraschungen bereit. Er umfasst die Jahre von 1914 bis Ende 1917, quasi den gesamten ersten Weltkrieg. Während Deutschland wegen der Dauer ...

Der zweite Band der Gut Greifenau Trilogie hält erneut einige Überraschungen bereit. Er umfasst die Jahre von 1914 bis Ende 1917, quasi den gesamten ersten Weltkrieg. Während Deutschland wegen der Dauer des Krieges, der ja nur ein paar Wochen dauern sollte, immer mehr im Abgrund versinkt, versuchen die Herrschaften von Greifenau ihre noble Fassade aufrechtzuerhalten, was ihnen nur leidlich gelingt.

Caspian beschreibt die schrecklichen Bilder eines Krieges in drastischer Weise. Die Angst und die Ausweglosigkeit an der Front wird ebenso spürbar wie der Hunger daheim, die fehlenden Männer und Arbeitskräfte, die immer schwieriger zu beschaffenden Lebensmittel.

Erneut bekommt der Leser Einblick in alle Schichten der Gesellschaft. Unumkehrbare Ereignisse versetzen nicht nur die Dienstboten in Angst und Schrecken. Jeder muss mit Verlusten in der Familie rechnen. Und dennoch schafft die Autorin mit der Auflösung eines Problems immer wieder zwischendurch einen Lichtblick. Es bleibt nicht alles im Sumpf stecken. Diese positiven Lösungen sind wohl platziert und schaffen es, den allzu düsteren Ton dieses Bandes aufzuhellen. Die Hoffnung, dass sich etwas zum Guten wendet, lässt den Leser dranbleiben. Wenn da nicht ...

Wie schon beim ersten Band kann ich eine volle Leseempfehlung geben. Das umfangreiche Portrait einer Adelsfamilie in den schwierigen Zeiten vor hundert Jahren vermittelt reichlich gut recherchierte Kenntnisse zur damaligen Zeit und reflektiert mit den menschlichen Beziehung bis in die heutige Zeit.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2019

Veröffentlicht am 03.01.2019

Die perfekten falschen Fährten

Die perfekte Unschuld
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Dies war nach langer Zeit mal wieder ein Buch, bei dem ich mich geärgert habe, dass ich nicht so schnell lesen kann wie es die Spannung und der Drive vorgibt. Ich kam mir beim Lesen dieses in bester Tradition ...

Dies war nach langer Zeit mal wieder ein Buch, bei dem ich mich geärgert habe, dass ich nicht so schnell lesen kann wie es die Spannung und der Drive vorgibt. Ich kam mir beim Lesen dieses in bester Tradition zu Ian Rankin und Val McDermid stehenden Thrillers vor wie eine Schnecke.

Die Handlung beginnt mit zwei Mordfällen in Edinburgh, die in einer Nacht geschehen. Das eine Opfer ist ein Mann, der inmitten eines Rockfestivals erstochen wurde. Er selbst hat getanzt und nicht viel verspürt, weil der Schnitt so schnell ausgeführt wurde. Die Geschwindigkeit der Tat ist aber auch der Grund dafür, dass der Täter auf den Überwachungskameras nicht zu erkennen ist. Das zweite Opfer ist eine Krankenschwester. Die Spurensicherung findet an beiden Tatorten nichts Verwertbares. Gekannt haben sich beide Opfer nicht. Die Polizei kann keinen Zusammenhang zwischen den Opfern herstellen, außer dass beide als „gute Seelen” galten, die hilfsbereit und freundlich gegenüber anderen waren.

Neben dem Tempo, der Spannung und den unüberschaubaren Konflikten hat mir die Figurenkonstellation ausnehmend gut gefallen. Hauptprotagonist ist Detective Callanach, der französische Wurzeln hat und wegen eines Vorfalls von Interpol zur Police Scotland versetzt wurde. Gegenspieler hat er in seinen Vorgesetzten und einem Nebenbuhler in Sachen sympathische Kollegin, zu der das private Verhältnis etwas enger werden könnte. Dieser Thriller ist nichts für schwache Nerven. Die Morde sind in extremster Brutalität dargestellt. Die Mordmethoden sind plausibel erklärt. Als Nichtfachmann kann ich nicht sagen, ob sie realistisch sind. Jedenfalls klingen sie so und eines baut logisch auf dem anderen auf. Im Kopfkino trieft das Blut.

Sicherlich hat die Schriftstellerin als Drehbuchautoren beste Erfahrungen mit der Dramaturgie eines mitreißenden Thriller, dessen Reihe nicht umsonst als eine der besten Krimiserien überhaupt eingestuft wird.

Für diesen Roman gebe ich also eine absolute Leseempfehlung für all jene Leser, die Thriller mögen.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2018

Veröffentlicht am 09.12.2018

Helfersyndrom mit tödlichen Folgen

Die Samariterin
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Am Rande der Eifel pflegt die Krankenschwester Susanne in einer abgelegenen Forstvilla ihre kranke Mutter. Hingebungsvoll verzichtet sie auf ein eigenes Leben, obwohl ihre Mutter wie ein Drachen nie ein ...

Am Rande der Eifel pflegt die Krankenschwester Susanne in einer abgelegenen Forstvilla ihre kranke Mutter. Hingebungsvoll verzichtet sie auf ein eigenes Leben, obwohl ihre Mutter wie ein Drachen nie ein gutes Wort an sie richtet. Die Mutter setzt alles daran, dass Susanne nicht an ein Leben außerhalb der Villa denkt.

Doch dann tritt eine alte Schulfreundin Susannes auf den Plan. Die ist Psychologin in der JVA Diez und betreut Strafgefangene. Sie versucht Susanne zu animieren, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Zaghaft nimmt Susanne einen Briefwechsel mit einem Strafgefangenen auf. Doch aus den Briefen wird mehr und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Ulrike Bliefert hat einen Thriller geschrieben, der fast ohne Ermittlungen auskommt. Nur scheinbar am Rande denkt ein Ex-Kriminalbeamter über das Verschwinden eines Mädchens nach, welches vor Jahren stattfand. Dieser Fall konnte nie geklärt werden und schlummert noch heute als Cold Case vor sich hin. Die Autorin hat diesen alten Fall in Form von Polizeiprotokollen zwischen die Kapitel der aktuellen Handlung geschoben, was die Spannung sowohl beim aktuellen Geschehen um Susanne als auch beim alten Fall erhöht. Denn als Leser spürt man, dass der alte Fall noch irgendetwas mit dem aktuellen Geschehen zu tun haben wir.

Obwohl Ulrike Bliefert (Autorin und Schauspielerin) viel lokales Eifel-Kolorit eingebunden hat, ist es mitnichten ein Regiokrimi. Irgendwo muss ein Thriller spielen. Hier ist es die Eifel.

Besonders gut gelungen ist die Nachvollziehbarkeit der Handlungen und Gedanken der Figuren. Besonders Susannes Psyche wird immer glaubwürdiger mit dem Fortschreiten des Romans. Obwohl die kenntlich gemachten Gedanken in durchaus weniger hätten sein können, denn der Charakter Susannes wird auch ohne dem verständlich. Auch wenn man sich anfangs das Helfersyndrom schwer vorstellen kann, wird es immer plausibler und die Frage, ob sie dieses ablegen kann, rückt immer mehr in den Fokus. Eine besonders positive Figur ist Susannes junge Kollegin Nadja, die sich bemüht, Susanne das Leben zu erklären.

Die gestalteten Dialoge sind eine Klasse für sich. Bliefert versteht es, für jede Figur einen ganz eigenen Sprachstil zu finden und diesen konsequent durchzuhalten. Es macht Spaß, die Worte der einzelnen Leute im inneren Ohr klingen zu lassen.

Kribbelnde und knisternde Spannung für alle, die den Thrill mögen.

© Detlef Knut, Düsseldorf 2018