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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.01.2019

Gekonnt geschriebener Pageturner

Rachewinter
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Das vorliegende Buch war mein erstes von Andreas Gruber – und es war ganz sicher nicht mein letztes! 580 Seiten, die mich fesselten, die mich zwar an manchen Stellen aufregten oder ärgerten, aber niemals ...


Das vorliegende Buch war mein erstes von Andreas Gruber – und es war ganz sicher nicht mein letztes! 580 Seiten, die mich fesselten, die mich zwar an manchen Stellen aufregten oder ärgerten, aber niemals langweilten, ganz im Gegenteil
Allein schon der Prolog hat es in sich: Zwei Dachdecker beobachten im Penthouse gegenüber Sexspiele, anschließend einen Mord und filmen schockiert das Geschehen. In verschiedenen Städten kommen mehrere vermögende Geschäftsleute auf unerklärliche Weise zu Tode. Eine geheimnisvolle Frau im roten Kleid taucht auf und verschwindet wieder. Die Anwältin Evelyn Meyers soll eine Verteidigung übernehmen, was sich zunehmend zur Farce entwickelt. Und Kommissar Walter Pulaski bleibt hartnäckig daran, die Einzelteile der angeblichen Unglücksfälle oder Selbstmorde zu sammeln, weil er Mord wittert. Obwohl er von seinem Vorgesetzten zurückgepfiffen wird, verbeißt er sich in die Fälle und gerät zusammen mit Evelyn schließlich in allerhöchste Gefahr.
Trotz Unkenntnis der Vorgänger-Bücher hatte ich keinerlei Mühe, mit den Protagonisten Kommissar Walter Pulaski und der Anwältin Evelyn Meyers schnell vertraut zu werden. Auch die verschiedenen Handlungsstränge führten mich nicht in Verwirrung, sondern verbreiteten vielmehr bereits von Anfang an eine unterschwellige Spannung. Die permanent wach gehaltene Neugier treibt zum Weiterlesen, zum Einsammeln der vielen Puzzle-Teile und zum unermüdlichen Rätseln. Mir gefällt der Schreibstil des Autors sehr gut. Er erzählt lebendig und fesselnd. Manchmal wird seine Fähigkeit, intensive Kopfbilder zu erzeugen, kaum erträglich durch allzu viel spritzendes Blut. Durch permanenten Szenenwechsel bleibt der Spannungsbogen durchweg erhalten. Im letzten Viertel des Buches wächst die Spannung nochmals von Seite zu Seite ins Unerträgliche, bis man schließlich atemlos und erschöpft zum Ende gelangt.
Das Thema Transgender bzw. Geschlechtsumwandlung, das mehr oder weniger pseudowissenschaftlich beleuchtet wird, und die Grausamkeit einzelner Szenen kann man kontrovers diskutieren. Was ich jedoch mehr als unpassend, unglaubwürdig und indiskutabel finde, ist die Einbeziehung von zwei halbwüchsigen Mädchen in die Ermittlungen, zwar erst heimlich, dann aber unter Absegnung von Walter Pulaski. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Dennoch bleibt mein positives Gesamturteil: Ein in der Summe überaus spannender Pageturner, gekonnt geschrieben, durchdacht und stimmig konstruiert.

Veröffentlicht am 06.01.2019

Sensibel und brutal gleichermaßen

Stella
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Als ich Takis Würger bei einer Lesung seines ersten Buches Der Club beobachten konnte, erschien er mir seltsam zwiegespalten. Einerseits unerfahren, unsicher, fast ein wenig linkisch, auf der anderen Seite ...

Als ich Takis Würger bei einer Lesung seines ersten Buches Der Club beobachten konnte, erschien er mir seltsam zwiegespalten. Einerseits unerfahren, unsicher, fast ein wenig linkisch, auf der anderen Seite auf eine vornehm-sichere und privilegierte Weise von sich überzeugt. Und ebenso zwiegespalten erscheint mir das vorliegende Buch: sowohl leise-vorsichtig, scheu, als auch von einer inhaltlichen und sprachlichen Wucht, wie sie kaum zu ertragen ist.
Der Klappentext lässt uns nur Fakten wissen: „Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: "Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt." Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt.“ Was im Klappentext jedoch fehlt, ist für mich ein entscheidender Teil der Geschichte. Denn Friedrich war nicht immer so still gewesen. Seine Vorgeschichte, wie und warum es zu seiner entstellenden Gesichtsverletzung kam, wie er dadurch die Liebe seiner Mutter und noch viel mehr verlor, das ist aus meiner Sicht die Grundlage des Buches, denn es steht Friedrich im Mittelpunkt, nicht Stella. Es wird mit den Augen Friedrichs das Geschehen, sowohl das politische als auch das individuelle, beobachtet, und für den Leser wird nachvollziehbar, weshalb Friedrich eher passiv und leidend geschehen lässt, was geschieht. Seine bedürftige, obsessive Liebe zu Stella verschließt ihm die Augen vor den Wahrheiten um ihn herum.
Die Erzählweise ist besonders. Schlichte Wörter, schlichte Sätze, und dabei eine so dichte Atmosphäre schaffend und so treffgenau, wie es manch einem Autor mit vielen Wörtern und langen Sätzen nicht gelingt. „Berlin ist ein Ort, an dem sogar Friseure sagen, was sie denken.“ An anderen Stellen knallen dem Leser die kurzen Sätze nur so um die Ohren, dass man sich ducken möchte vor den Bildern, die angeschossen kommen. Ein Buch, sensibel und brutal gleichermaßen, Fakten und Fiktion genial vermischend. Ein großes Buch.

Veröffentlicht am 31.12.2018

Gefühlstiefe ohne Kitsch

Dein Bild für immer
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Für die Lektüre dieses Buches habe ich außerordentlich viel Zeit benötigt. Was nicht daran lag, dass das Buch schlecht ist. Im Gegenteil, es lag daran, dass mich die erzählte Geschichte vollkommen verführte. ...



Für die Lektüre dieses Buches habe ich außerordentlich viel Zeit benötigt. Was nicht daran lag, dass das Buch schlecht ist. Im Gegenteil, es lag daran, dass mich die erzählte Geschichte vollkommen verführte. Sie verführte mich dazu, zeitintensiv in meinen eigenen Bali-Erinnerungen zu schwelgen. Und sie verführte mich dazu, mehrere Filme, die im Buch von Filmfreak Niklas angesprochen werden, auch noch einmal mit „Niklas“-Augen anzuschauen.
Worum geht es? Sophie‘s Verlobter Maximilian stirbt durch einen Unfall, und Sophie verliert sich nun in unendlicher Trauer, aus der sie nicht herausfindet. Eine von Maximilian gebuchte Bali-Reise tritt sie nach einigem Zögern allein an und begegnet dabei Niklas, einem jungen, begabten Fotografen, dessen Leben nach einem Trauma ebenfalls aus den Fugen geraten ist. Schließlich verlässt Sophie ihr Luxushotel und reist mit Niklas auf einer Fototour über die Insel. Zwei vom Schicksal verletzte Menschen, die sich mit einer Schutzmauer umgeben haben…
Man könnte sicher sagen, dass die Geschichte vorhersehbar ist. Stimmt. Man könnte auch sagen, dass die ziemlich schlichte Geschichte lebt durch die perfekt gelungenen, lebendigen, bildhaften Schilderungen der unglaublich schönen Naturkulisse auf Bali. Auch das stimmt. Was aber den Schreibstil der Autorin auszeichnet und sie damit die Grenzwanderung zum Kitsch ohne Absturz erfolgreich bestehen lässt, ist der Humor, sind die witzigen Dialoge, die genau an den richtigen Stellen dem Buch eine gewisse Würze geben. Kurzum: Eine leicht lesbare Geschichte mit Gefühlstiefe und Humor.
Schön wäre es allerdings, wenn die Autorin nicht regelmäßig scheinbar und anscheinend verwechseln würde.

Veröffentlicht am 21.12.2018

Herzzerreißend und hoffnungsfroh gleichermaßen

Die Liebesbriefe von Montmartre
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Dieses Buch bricht dem Leser das Herz – und setzt es ganz neu wieder zusammen.
Julien Azoulay ist Autor von humorvollen Liebeskomödien. Doch als seine Frau Hélène im Alter von nur dreiunddreißig Jahren ...


Dieses Buch bricht dem Leser das Herz – und setzt es ganz neu wieder zusammen.
Julien Azoulay ist Autor von humorvollen Liebeskomödien. Doch als seine Frau Hélène im Alter von nur dreiunddreißig Jahren an Krebs stirbt, kann Julien nicht mehr schreiben. Sein Verleger zeigt lange Zeit Verständnis und wartet geduldig auf das neue Manuskript, aber Julien ist ein gebrochener Mann, der nichts als Schmerz empfindet. Dennoch hatte er seiner Frau ein Versprechen gegeben. Er soll ihr nach ihrem Tod 33 Briefe schreiben, für jedes gelebte Lebensjahr einen. Nach einer Zeit der Erstarrung in Trauer beginnt Julien mit diesen Briefen. Er berichtet Hélène von seiner abgrundtiefen Verzweiflung, von seinem alltäglichen unglücklichen Leben, vom gemeinsamen Söhnchen Arthur, von der gemeinsamen Freundin Cathérine, von all dem, was ohne sie, ohne Hélène, sinnlos erscheint. Die Briefe legt er in ein geheimes Fach in Hélènes Grabstein auf den Friedhof am Montmartre. Eines Tages sind die Briefe verschwunden. Stattdessen findet Julien seltsame symbolhafte Antworten, ein Herz aus Stein zum Beispiel oder Kinokarten, ein Blumensträußchen… Julien klammert sich an den Glauben, dass ihm Hélène auf wundersame Weise aus dem Jenseits antwortet.
Es rankt sich ein Geheimnis um den Autor Nicolas Barreau. Es gibt keine Vita, kein Foto, nur Mutmaßungen, wer sich hinter diesem erfolgreichen Autorennamen verstecken könnte. Mir gefällt der Gedanke sehr, dass es sich um eine dem Verlag nahestehende Person handeln könnte, denn ich bin absolut sicher, dass nur eine Frau in dieser subtilen, feinsinnigen, ergreifenden, humorvollen, einfühlsamen Weise schreiben kann.
Die einzelnen Briefe, die Julien an seine verstorbene Frau schreibt, sind wie einzelne Schritte der Seele, zu Beginn im Dunkeln, in abgrundtiefer Traurigkeit, in der Vergangenheit verhaftet. Dann aber Schritt für Schritt beginnt sich der Weg zurück ins Leben abzuzeichnen. Diese Entwicklung ohne Kitsch, ohne Larmoyanz, aber bewegend-tröstlich zu gestalten, ist große Schreibekunst. Die vielen klugen Verweise in die Literatur und Musik verlocken zum Nachforschen, Nachlesen, Nachhören und dadurch Mitempfinden dessen, was uns Barreau an Gefühlen vermitteln will. Das Buch hat eine geradezu magische Wirkung in seiner Intensität, in dem es uns das Leben zeigt in seiner ganzen Fülle, traurig und komisch, ungerecht und erschreckend, und doch voller Wunder und unsagbar schön, um den Leser ein Stück weit mutiger, hoffnungsfroher und gestärkter zurückzulassen. Ich kann es nicht besser sagen: Dieses Buch bricht dem Leser das Herz und setzt es ganz neu zusammen.

Veröffentlicht am 25.11.2018

Wohlig, witzig, weihnachtlich

Weihnachten wird wunderbar
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Hinter dem weihnachtlich geschmückten Cover, Schneeflocken inklusive, steckt zwar in der Tat ein Buch, das seine Handlung rund um die Festtage ausbreitet, aber es ist kein Weihnachtsbuch im klassischen ...


Hinter dem weihnachtlich geschmückten Cover, Schneeflocken inklusive, steckt zwar in der Tat ein Buch, das seine Handlung rund um die Festtage ausbreitet, aber es ist kein Weihnachtsbuch im klassischen Sinn. Es ist, um es kurz zu sagen, ein zauberhaftes Buch, das es verdient, mit Kuscheldecke, Zimtsternen und einem mit orientalischen Kräutern versetzten Tee auf dem Sofa gemütlich gelesen zu werden. Und wenn der Tee bereits kalt geworden ist und die Zimtsterne aufgegessen sind, bleibt nach Lektüre der Geschichte ein wunderbar gemütlich-wohlig-warmes Gefühl zurück, irgendwie in der Tat weihnachtlich…
Zum Inhalt: Als die beiden Schwestern Scarlett und Mélanie die Weihnachtstage bei ihrer verwitweten Mutter in der Bretagne verbringen wollen, legt ein Schneesturm den Flugverkehr lahm und die beiden sitzen im Flughafen von Heathrow fest. Über Stunden. Und weil bei Scarlett stets alles schiefgeht, was schiefgehen kann, landet sie aus Versehen in der Herrentoilette und trifft dort auf einen englischen Gentleman, dessen distinguierte und ironische Art Scarlett sowohl herausfordert als auch verunsichert. Als schließlich klar wird, dass an diesem Tag kein Flugzeug mehr starten wird, lädt William, besagter Gentleman und Kunsthändler, die beiden Schwestern höflich dazu ein, vorerst in seinem Haus in Kensington zu bleiben. Dass dort unerwarteter Weise plötzlich auch noch Williams gesamte englische Familie vor der Tür steht, mit all ihren Schrullen und Verrücktheiten, schafft ein Chaos an Gefühlsverwirrungen und ungeahnten Überraschungen, wie sie turbulenter gar nicht sein könnten.
Die Autorin erzählt diese lebendige Geschichte über verrückt-liebenswerte Menschen gekonnt mit ganz leichter Hand. Für mich standen absolut im Vordergrund die brillanten Dialoge, spritzig und mit geistreichem Witz versehen. Sie geben der Geschichte die richtige Würze, damit sie nie ins Kitschige abgleitet. Aber auch eine leise Melancholie hat zwischen den Zeilen Platz. Sie ist besonders geeignet, „Fäden zwischen die Seelen zu knüpfen“. Natürlich ist das Geschehen vorhersehbar, aber bis es zum erhofften Finale kommt, hat der Leser viel Vergnügen mit all den so schwungvoll und frisch erzählten Fettnäpfchen, Missverständnissen und Komplikationen, mit den mit englischer Vornehmheit gepaarten Verrücktheiten, mit all dem Wortwitz, aber auch mit den leiseren Passagen. Ich kann mir kein besseres Weihnachtsbuch vorstellen!