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Veröffentlicht am 05.02.2019

Bluebird, please, take this letter down south for me...

Bluebird, Bluebird
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Wenn man mit dem Werken Joe R. Lansdales vertraut ist, weiß man in etwa schon, was einem erwartet, wenn die Reise wie in Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“ nach Osttexas, Shelby County geht. Rechtskonservativ, ...

Wenn man mit dem Werken Joe R. Lansdales vertraut ist, weiß man in etwa schon, was einem erwartet, wenn die Reise wie in Attica Lockes „Bluebird, Bluebird“ nach Osttexas, Shelby County geht. Rechtskonservativ, Hochburg der Republikaner (bei der Wahl holte Trump 79 % der Stimmen), jede Menge Unterstützer der Aryan Brotherhood of Texas und des Ku Klux Klan, unverhohlen zur Schau gestellter Rassismus, der seine Wurzeln in der texanischen Geschichte als Dixie-Staat hat.

Zwei Todesfälle führen Darren Mathews, den afroamerikanischen Texas Ranger mit Jura-Studium, nach Lark, Shelby County. Zurück in die Ecke des Lone Star State, in der er verwurzelt ist. Ein schwarzer Anwalt aus Chicago sowie eine dort ansässige weiße Kellnerin, beide misshandelt, beide in einem Bayou nahe des Ortes aufgefunden. Seine Anwesenheit ist dort nicht willkommen, weder in Geneva Sweets Café und Truckstop auf der „schwarzen“ Seite des Highway 59, noch in Jeff’s Juice House, einer verratzten Kneipe auf der „weißen“ Seite. Besitzer dieses Treffpunkts der Rednecks und Mitglieder der Aryan Brotherhood ist Wally Jefferson, Sohn des ehemaligen Plantagenbesitzers. Wurde der Anwalt Opfer eines Aufnahmeritus‘? Aber warum wurde dann auch die Frau getötet? Um diese Fragen zu beantworten, muss Mathews weit zurückliegende Ereignisse aus den Familiengeschichten der Bewohner von Lark ausgraben und diese mit Geschehnissen der Gegenwart verbinden.

„Bluebird, Bluebird“, 2018 ausgezeichnet mit dem Edgar Award und dem Ian Fleming Steel Dagger, ist aber mehr als nur eine Geschichte über den allgegenwärtigen Rassismus dieses osttexanischen Fleckens. Es geht um Identität, um Heimat und Familie, um Liebe und Hass. Und um deren Schnittstellen, für die Locke, ebenfalls Texanerin, einen scharfen Blick hat. Speziell dann, wenn es darum geht, die „Feinheiten“ der zwischenmenschlichen Beziehungen im amerikanischen Alltagsrassismus zu beschreiben.

„Seine (d.i. Darren) Onkel hielten sich an diese alten Regeln des Lebens im Süden, weil sie begriffen hatten, wie schnell sich das alltägliche Verhalten eines schwarzen Mannes in eine Sache auf Leben und Tod verwandeln konnte. Darren hatte stets glauben wollen, dass sie die letzte Generation waren, die so leben musste, dass der Wandel im Weißen Haus seine Wirkung entfalten würde. Doch in Wirklichkeit war genau das Gegenteil passiert. Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt“ (Seite 27).

Eine ungeschönte Bestandsaufnahme des afroamerikanischen Alltags, nicht nur im Süden sondern in der gesamten amerikanischen Gesellschaft. Ein wichtiges Buch, gerade jetzt in Trumps Amerika. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.02.2019

Der bisher eindrucksvollste und spannendste Roman der Cormoran-Strike-Reihe

Weißer Tod
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Es gibt nicht viele Autoren, die eine mehrbändige Reihe so gekonnt wie J. K. Rowling/Robert Galbraith plotten können, was sie ja bereits mit den Harry-Potter- Büchern hinlänglich bewiesen hat.

„Weißer ...

Es gibt nicht viele Autoren, die eine mehrbändige Reihe so gekonnt wie J. K. Rowling/Robert Galbraith plotten können, was sie ja bereits mit den Harry-Potter- Büchern hinlänglich bewiesen hat.

„Weißer Tod“, Nummer 4 der Kriminalromane um Cormoran Strike und seine Assistentin Robin Ellacott, setzt unmittelbar nach dem Ende des Vorgängers „Die Ernte des Bösen“ ein. 2012, Olympiade in London: der Serienmörder ist gefasst, Strikes Anonymität ein Opfer der medialen Aufmerksamkeit. Und dann ist da noch die Hochzeit der durch diesen Fall traumatisierten und mittlerweile arbeitslosen Robin mit ihrem langjährigen Freund Matthew, dem langweiligen und übergriffigen Buchhalter. Man möchte ihr „Tu’s nicht“ zurufen, denn wir wissen ja, dass das eigentliche Paar sie und Strike sind. Es kommt, wie es muss, sie erkennt ziemlich schnell, dass es ein Fehler war.

Strike hat mehr Aufträge, als er bewältigen kann und freut sich, als Robin wieder in das Tagesgeschäft mit einsteigt. Ein Fall treibt ihn ganz besonders um, nämlich der des verstörten jungen Mannes, der die Geschichte eines Verbrechens erzählt, das er glaubt, vor vielen Jahren mitangesehen zu haben. Aber auch der Kultusminister benötigt seine Dienste, warum und womit entzieht sich jedoch Strikes Kenntnis. Dazu kommt das seit langem verschollene Bild eines bekannten Malers, die Veruntreuung von Geldern, Machtmissbrauch und Intrigen innerhalb von Regierungskreisen, die einen Undercover-Einsatz von Robin in Westminster nötig machen.

Es ist eine unglaubliche Stofffülle, die Rowling/Galbraith in diesem über achthundert Seiten starken Roman verarbeitet, für mich der bisher eindrucksvollste und spannendste der Cormoran-Strike-Reihe. Zwar verliert sie sich oft im Detail, aber schon allein ihre Personenbeschreibungen und die damit einhergehende Kritik an der britischen Upper Class lohnt jede Zeile. Und man weiß es ja auch bereits aus den Vorgängern, dass sämtliche Informationen, Drehungen und Wendungen, für den späteren Verlauf der Handlung, und hier insbesondere für die Auflösung der verschiedenen offenen Fragen von Bedeutung sind. So werden alle losen Fäden, und das meint wirklich alle, am Ende zu einem runden und befriedigenden Schluss verwoben. Man darf gespannt sein, was Frau Rowling für die nächsten Bände der Reihe noch in petto hat.

Veröffentlicht am 31.01.2019

Zwischen Tradition und Moderne

Das Jahr der Katze
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Man muss den Vorgänger „Der Arm des Kraken“ nicht zwingend gelesen haben, aber es hilft, die Beziehung zwischen dem Yakuza-Killer und dessen Freundin Nikola zu verstehen. Onishi fühlt sich für sie verantwortlich, ...

Man muss den Vorgänger „Der Arm des Kraken“ nicht zwingend gelesen haben, aber es hilft, die Beziehung zwischen dem Yakuza-Killer und dessen Freundin Nikola zu verstehen. Onishi fühlt sich für sie verantwortlich, seit er in Berlin/Prenzlauer Berg eigenmächtig ein Blutbad unter der vietnamesischen Mafia angerichtet hat, bei dem Nikolas Freund Yukio ums Leben gekommen ist. Sie verlassen Berlin und verstecken sich in der Wohnung eines Freundes in Tokio.

Die beiden sind aber nicht nur auf der Flucht vor den Vietnamesen sondern auch vor der Yakuza-Organisation Nekodoshi-gumi. Deren Anführer Takeda schätzt es überhaupt nicht, dass seine Organisation sowohl die Aufmerksamkeit der deutschen Polizei als auch die der vietnamesischen Rivalen erregt, hat er doch genug mit organisationsinternen Streitereien zu tun, bei denen es um die Neuausrichtung der „Geschäftsfelder“ geht.

Unterstützung findet Onishi bei seinem alten Lehrer Harara, einem Meister der Kampfkunst, der die traditionellen Denkweisen, orientiert am Kodex der Samurai hochhält und verkörpert. Denkweisen, die weder in eine moderne Industriegesellschaft noch in eine globalisierte Verbrechenswelt passen, weshalb auch Meister Harara in das Visier der Nekodoshi-gumi gerät.
Es sind diese Gegensätze, die „Das Jahr der Katze“ zu einem reizvollen und spannenden Roman machen. Peters erzählt sie aus zwei Perspektiven: einerseits der auktoriale Erzähler, der Onishi und Nikola auf ihren Fluchtwegen in Tokio begleitet, andererseits der Ich-Perspektive Hararas, der über Disziplin, Tradition und Zen monologisiert und philosophiert. Inwieweit dieses Denken (noch) zeitgemäß ist, mag jeder Leser für sich entscheiden. Zumindest werden wir dadurch darauf hingewiesen, unser Bild von Japan zu hinterfragen.

Wer nun glaubt, dies ginge alles zu Lasten des Tempos, sei beruhigt. Es gibt jede Menge Action, vor allem ausgiebige Schwertgefechte. Wir sind ja im Land der Samurai – wobei dies offenbar das Zugeständnis des Autors an die Klischees in den Köpfen seiner Leser ist.

Veröffentlicht am 11.01.2019

Eine bitterböse Fiktion, die den Vereinigten Staaten unter Trump den Spiegel vorhält

Der Verräter
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Ein kühnes Gedankenexperiment, das sich der Autor und ehemalige Poetryslammer Paul Beatty in seinem 2016 mit dem Man Booker Prize ausgezeichneten Roman „Der Verräter“ (The Sellout, 2015) erlaubt. Es ist ...

Ein kühnes Gedankenexperiment, das sich der Autor und ehemalige Poetryslammer Paul Beatty in seinem 2016 mit dem Man Booker Prize ausgezeichneten Roman „Der Verräter“ (The Sellout, 2015) erlaubt. Es ist eine, im besten Sinne, respektlose Abrechnung mit der amerikanischen Gesellschaft, die sich auf Rassismus und Diskriminierung gründet und dies auch während der achtjährigen Amtszeit Obamas nicht überwunden hat. Im Gegenteil, dessen Nachfolger ist redlich bemüht, zugeschüttete Gräben wieder aufzureißen bzw. neue auszuheben und die gesellschaftliche Spaltung weiter voranzutreiben.

Beatty nutzt das literarische Mittel der Satire. Inhaltlich unterfüttert er diese mit zahlreichen Rassismen, nicht nur aus Alltag sondern auch aus Wissenschaft, Film und Literatur. Das beginnt schon bei dem Namen des fiktiven Handlungsorts: Dickens (!), ein heruntergekommener Vorort von Los Angeles. Den Stadtvätern ein Dorn im Auge, für die Immobilienhaie nach entsprechenden Investitionen ein äußerst lohnendes Objekt. Aber auch Heimat für die dort seit Generationen lebenden Afroamerikaner, die stolz auf ihr Viertel sind. So auch der Ich-Erzähler, dessen Vater (Sozialwissenschaftler) sein Leben lang die Bürgerrechte hochgehalten und besänftigend auf seinen Sohn und die zornigen jungen Männer eingeredet hat. Immer hoffend, mit gefälligem Verhalten die Akzeptanz der (weißen) Öffentlichkeit zu erlangen. Doch dann wird er erschossen, und der Sohn verliert nicht nur den Vater sondern auch seinen moralischen Kompass. Anpassung ist das Wort der Stunde für ihn, und so kommt er zu dem irrigen Schluss, dass nur Segregation Erfolg garantiert und der Schlüssel zur Lösung aller Probleme ist. Sein Konzept zur Rassentrennung kommt an, bei Schwarz und Weiß. Endlich weiß jeder wieder, wo sein Platz ist. Und so mutiert der Ich-Erzähler zum Sklavenhalter. Einen willigen Gefolgsmann findet er auch. Ein alter Schauspieler, einst zum Cast der „Kleinen Strolche“ gehöhrend, lässt sich bereitwillig von ihm zum Sklaven machen. Und schon bald übernehmen auch öffentliche Institutionen in Dickens dieses „Erfolgsmodell“…

Sprachlich auf höchstem Niveau (dem Übersetzer Henning Ahrens sei Dank), bitterböse und entlarvend, jenseits aller „political correctness“. Ein Roman, der mit Vorurteilen spielt, sie auf Gag-Niveau bringt, das aber so raffiniert bewerkstelligt, dass einem das Lachen schon im Ansatz im Halse steckenbleibt. Eine Fiktion, die den Vereinigten Staaten unter Trump den Spiegel vorhält. Hoffnungslos überzeichnet – oder etwa doch nicht?

Veröffentlicht am 03.01.2019

Ben, die Wüste und der 117

Desert Moon
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Utah. Mormonen- und Wüstenstaat im amerikanischen Westen, wo man Meile um Meile endlose Straßen entlangfahren kann und das einzige Wesen, das einem begegnet, ein totes Pferd am Straßenrand ist. Dermaßen ...

Utah. Mormonen- und Wüstenstaat im amerikanischen Westen, wo man Meile um Meile endlose Straßen entlangfahren kann und das einzige Wesen, das einem begegnet, ein totes Pferd am Straßenrand ist. Dermaßen von eigenen Reiseerfahrungen geprägt, fällt es nicht schwer, sich die Gegend vorzustellen, in der Ben Jones Tag für Tag mit seinem Truck unterwegs ist, um Waren an die unterschiedlichsten Kunden seines „Ben’s Desert Moon Delivery Service“ auszuliefern. Rentabel ist das Geschäft schon lange nicht mehr und es steht zu befürchten, dass er seinen Truck und damit seine Existenz verliert.

Aber er liebt das, was er tut, und er liebt die Menschen, und so setzt er sich jeden Tag aufs Neue hinter das Steuer, fährt seine Tour entlang der Hochwüste und wundert sich einmal mehr über die seltsamen Typen, die er auf seinem Weg trifft: Walt, trauriger Besitzer eines Diners, der nur selten geöffnet ist und Bens Freund. John, der Wanderprediger, der tagein tagaus ein riesiges Holzkreuz durch die Wüste schleppt. Fergus und Duncan, die beiden Brüder, die in einem aufgebockten Güterwaggon hausen. Ginny, die Punkerin, obdachlos und hochschwanger. Josh, der Filmemacher, der sich Walts Diner und Ben als Objekt für seine nächste Reality-Show ausgeguckt hat. Und dann ist da noch Claire, die Ben eines Tages unvermutet auf der Veranda eines verlassenen Hauses sieht. Nackt, vor sich ein saitenloses Cello, auf dem sie Melodien spielt, die nur sie hören kann. Und mit dem Auftauchen von Claire setzt sich eine Spirale in Gang, die Bens Gefühlswelt und sein von Routine geprägtes Leben gehörig durcheinander schüttelt.

Was an diesem Buch am meisten auffällt ist die Empathie, mit der James Anderson seine Geschichte erzählt. Ben ist kein Superheld, er ist ein ganz normaler Mensch. Einer, der jeden Tag aufsteht und seine Lieferungen ausfährt. Der die Menschen respektiert und nicht über sie urteilt. Der in der täglichen Routine sein Bestes gibt. In einem rauen und isolierten Landstrich, der etwas Magisches hat und neben den Menschen, die dort leben, in seiner ganzen Schönheit eine weitere Hauptfigur ist. Die Details in den Beschreibungen machen Andersons Story eindrücklich und wecken auch bei dem Leser Sympathien nicht nur für diese exzentrischen Wüstenbewohner, sondern vor allem für Ben.

Das ist die Geschichte von Ben Jones, der jeden Tag daran arbeitet, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein besserer Mensch zu werden. Nach Aussage des Autors angelegt auf drei Bände, von denen der zweite Band „Lullaby Road“ bereits im Original erschienen ist und den Lesern in der Übersetzung hoffentlich zugänglich gemacht wird. Aber ob ich solange warten mag? Vielleicht lese ich es doch lieber zeitnah im Original.