Platzhalter für Profilbild

buchstabensuechtig

aktives Lesejury-Mitglied
offline

buchstabensuechtig ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit buchstabensuechtig über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.02.2019

Über Verluste und Liebe

Fünf Tage im Mai
0

Leise, und wunderschön, werden fünf prägende Tage im Mai im Leben von Illy Hofer, aufgewachsen in Kitzbühel, erzählt.
Zum ersten Mal begegnen wir der Protagonistin Illy im Mai 1986, bei ihrer Erstkommunion, ...

Leise, und wunderschön, werden fünf prägende Tage im Mai im Leben von Illy Hofer, aufgewachsen in Kitzbühel, erzählt.
Zum ersten Mal begegnen wir der Protagonistin Illy im Mai 1986, bei ihrer Erstkommunion, im Schatten der Tschernobyl-Katastrophe. Und Illy vermisst in der Kirche ihren Tat’ka, ihren Uropa, der sie dann auch, als ihr schlecht wird und sie die Kirche noch vor der Kommunion verlässt, liebevoll betreut. Wir erfahren, dass Tat’ka als letzter Fassbinder arbeitet in der Werkstatt, die er sich bei Illys Elternhaus eingerichtet hat, ein Anhänger der KuK-Monarchie ist und sein Haus bei einem Kartenspiel vom Nachbarn gewonnen hat. Als Illy am Abend der Erstkommunion, dem Tag, als Tat’ka ihr auch zum ersten Mal ein Pocket Coffee zum Kosten gab (ein besonderes Erlebnis, da Illy bis dato den Geschmack des Erwachsenen-Getränks nicht kannte) mit ihrem Atlas Tat’ka in seiner Werkstatt besucht, finden sie im abgelegensten Winkel der Welt, bei der Inselgruppe Tristan da Cunha, den Namen des Schülers, der den Atlas offenbar vor Illy besessen hat, Tristan Unger. Illy fühlt sich diesem Tristan auf unerklärliche Weise verbunden, obwohl sie noch nie zuvor etwas von ihm gehört hat.
10 Jahre später, Illy ist inzwischen 17 Jahre alt, begegnen wir der Schülerin wieder, einen Tag vor Tat’kas 92. Geburtstag. Ausgehen mit Freundin Kicki ist angesagt, wobei die eigentlich nur ihren neuen Freund (Edi oder Axel? Er begegnet uns im weiteren Verlauf des Buches als Ediaxel) im Kopf hat. Als Ediaxel auftaucht, fährt er mit den Mädchen etwas außerhalb zu einer Disko, wo Freunde von ihm an diesem Abend aufgetreten sind. Doch als sie dort angekommen, ist niemand mehr da außer einem sehr verärgerten Türsteher, der gerade den Sänger der Band, der sich das Geld für ihren Auftritt gerade etwas unsanft selbst besorgt hat, verfolgt. Es kommt zu einer Schlägerei, der Sänger (und die Handkassa) landen bei Illy am Rücksitz. Sie ist unglaublich berührt, als sie feststellt, dass der charismatische, gar nicht ins Dorfgeschehen passende junge Mann neben ihr Tristan ist, DER Tristan Unger.
Als Illys Tat’ka bei den Feierlichkeiten zu seinem 92. Geburtstag am nächsten Tag eine kurze Unpässlichkeit erlebt, fährt Illys Vater am Heimweg mit ihm beim Krankenhaus vorbei. Illy ist erstaunt, Tristan dort als Zivildiener anzutreffen, und kommt mit ihm ins Gespräch.
Ende Mai 1998 treffen wir Illy wieder. Zwei Jahre lang trifft sie sich nun heimlich mit Tristan, die anfängliche Verliebtheit ist inzwischen abgeflaut, Illy will sich endlich mit Tristan aussprechen, einmal mit ihm alleine sein, reden. Doch wieder sind Ediaxel, Kicki und ein Bandmitglied namens Anton dabei, als sie an diesem Frühsommertag ein Lagerfeuer zu Ehren des ehemaligen Fußballtrainers der Jungs veranstalten. Illy hat alles so satt – die Sauferei, die Musik, und nützt die Gelegenheit einer Pause, als das Bier ausgeht und Anton, der als einziger noch halbwegs nüchtern scheint, mit Illy Nachschub holen sollte. Da Anton noch seiner Mutter Zigaretten bringen möchte, dauert das länger als geplant, und Illy und Anton werden bei ihrer Rückkehr von den anderen bezichtigt, sie hätten miteinander geschlafen in der Zeit. Tristan, der inzwischen schon vollkommen betrunken ist, Kicki und Ediaxel misshandeln Illy und Anton. Illy flieht und beschließt, dass sie jeden Kontakt zu Tristan abbrechen muss.
Drei Tage vor Tat’kas 100stem Geburtstag kehrt Illy vom Auslandsstudium in Marseille verfrüht zurück – eigentlich wäre sie erst am 18. Mai (2004) erwartet worden, doch eine unangenehme Begegnung in Marseille ließ sie früher zurückkehren. Illy besucht erst Tat’ka, und macht mit ihm einen Ausflug auf seiner alten Puch Maxi. In einem langen Gespräch das in just jenem Gasthof, vor dessen Tür Illy Tristan das erste Mal sah, geführt wird, erfahren wir aus Nebengedanken, was mit Tristan geschehen ist, als Illy den Kontakt abgebrochen hat, und hören, wie Tat’ka seine erste große Liebe, seine Ursel, auf tragische Weise verloren hat. Tat’ka bittet Illy noch zum Abschied, ihren Vater am nächsten Morgen zu ihm zu schicken.
An seinem 100sten Geburtstag wird Korbinian Hofer, wie Tat’ka im bürgerlichen Namen heißt, beerdigt. Er hat sich am Tag nach Illys letztem Besuch auf der Treppe in seinem Haus tödlich verletzt – ob mit Absicht oder nicht, das wird man nie erfahren. Beim Besuch am Friedhof findet Illy auch die Grabstätte von Tristan – und die lange gesuchte innere Ruhe.
Es sind nur fünf Tage, die wir die Protagonistin begleiten, doch aufgrund der unglaublich mitreißenden, lebendigen, warmherzigen Sprache, in der Elisabeth R. Hager von Abschied, Trauer, Wut und Liebe erzählt, hat man den Eindruck, die Protagonisten persönlich zu kennen. Wundervoll geschriebener Roman über das Leben und darüber, dass das Leben auch nach großen Verlusten weitergeht.

Veröffentlicht am 27.11.2018

Ein ganz gewöhnliches Leben

Eifel-Trilogie / Die Stille im Dorf
0

Margarete wächst im beginnenden zweiten Weltkrieg in einem Dorf in der Eiffel auf. Ihr Vater, den die Mutter einst als Musikanten in der nahegelegenen Stadt kennengelernt hat, ist kein Bauer, aufgrund ...

Margarete wächst im beginnenden zweiten Weltkrieg in einem Dorf in der Eiffel auf. Ihr Vater, den die Mutter einst als Musikanten in der nahegelegenen Stadt kennengelernt hat, ist kein Bauer, aufgrund der Tatsache, dass er in den größten Hof im Dorf eingeheiratet hat, agiert er aber als Dorfkaiser im Namen der Braunen. Die Polen, die seine Landwirtschaft führen, dürfen nur beim Vieh im Stall leben und essen.
Dennoch erscheint das Dorf in den ersten Kriegsjahren voller Leben und Jugend.
Margarete, die als Jugendliche von einem Baum gestürzt ist und seither ein wenig zurückgeblieben erscheint, ist in ihren Cousin Niklas verliebt, der beim ersten Heimaturlaub von Margarete und seiner Mutter beschwört wird, zu desertieren. Margarete will nur weg aus dem Dorf, weg vom Leben auf dem Land. Niklas zieht jedoch wieder in den Krieg, nur kurze Zeit überbringt Margaretes Vater Johann Niklas Mutter den Brief, den alle Mütter und Väter in dem Dorf fürchten – die Nachricht vom Ableben Niklas.
Margaretes Bruder Micha kommt verwundet und zutiefst traumatisiert von der Front retour – doch nicht verwundet genug, um wieder eingezogen zu werden. Mit Margaretes Mithilfe verstümmelt er sich selbst und bewahrt sich so vor dem Schicksal, das viele andere im Dorf ereilt. Doch zu Ende des Krieges, als Amerikaner das Dorf durchkämmen, wird Micha in US-Gefangenschaft genommen.
Sehr lebendig und eindrücklich schildert Karl Blaser das Leben der kleinen Dorfgemeinschaft in den Kriegsjahren und danach, jedes Einzelschicksal berührt einen zutiefst. So auch das Leben der jungen Maria, die einst Micha versprochen war, doch Micha wollte nur weg aus diesem Dorf, weg von Johann, seinem gewalttätigen Vater, von Margarete, die diesem Unglück zusah. Maria beschließt, ins Kloster zu gehen, und fühlt sich wohl in der Gemeinschaft der Novizinnen. Doch als die Schwestern erfahren, dass Maria auf den Erbhof verzichtete, um ins Kloster eintreten zu können, wird sie aus dem Kloster geworfen und setzt ihrem Leben bald darauf selbst ein Ende.
Es mag verwundern, dass Johann, der neben anderen Schandtaten auch die Tochter der Polen, die bei ihm arbeiteten, vergewaltigt und seine Schwester und seinen Schwager sofort nach Kriegsende aus dem Haus geworfen hat, so offenbar unbeschadet aus der Geschichte herauskommt. Doch spätestens, als Margarete gegen den Willen ihres Vaters den mittellosen Theo ehelicht, fühlt man Mitleid mit Johann, da Theo sich als noch monströser erweist als sein Schwiegervater. Beinahe erleichtert atmet der Leser auf, als der gewalttätige Theo, der ohne Scham seine Frau mehrfach hintergangen und häufig grundlos geprügelt hat hat, zu Tode kommt. Doch auch dieses Unglück bringt Alexander, den Sohn Margaretes und Theos, der als Jugendlicher nach Problemen in der Schule plötzlich verschwand, nicht retour. Doch wenigstens verbleibt Margarete ein kleiner Lichtblick, als sie nach vielen Jahren der Ungewissheit erfährt, dass ihr Sohn in Frankreich eine große Karriere als Koch erlebt.
Margarete, die einst alles versucht hat, um dem Dorfleben zu entkommen und etwas Besonderes zu erleben, verbleibt ihr ganzes Leben in dem kleinen Nest in der Eifel und kümmert sich jahrein und jahraus um ihre Hühner. Doch als sie selbst und auch der Leser nicht mehr daran zu glauben vermag, dass eine Änderung möglich ist, tritt Micha wieder in ihr Leben und ermöglicht ihr ihren ersten Ausbruch aus dem ländlichen Gefängnis.
Karl Blaser hat mit „Die Stille im Dorf“ eine tiefgehende und sehr bewegende Familiensaga vorgelegt. Margaretes Schicksal ist eines von tausenden, ein ganz gewöhnliches Leben. Doch genau das berührt und trifft ins Herz.

Veröffentlicht am 21.11.2018

Unbekannte Einblicke

Hippie
0

Ein noch unentdecktes Kapitel in Coelhos Leben. Seine Hippiezeit.
Erschüttert erleben wir mit, wie Paulo Coelho und seine jugoslawische Freundin in Brasilien gefoltert werden. Sie stammt aus einem kommunistischen ...

Ein noch unentdecktes Kapitel in Coelhos Leben. Seine Hippiezeit.
Erschüttert erleben wir mit, wie Paulo Coelho und seine jugoslawische Freundin in Brasilien gefoltert werden. Sie stammt aus einem kommunistischen Staat, das genügte offenbar 1968 schon, um tagelang festgesetzt und mit Waterboarding und Elektroschocks gequält zu werden. Und auch wenn diese Behandlungen keine physischen Schäden hinterlassen haben, spüren wir doch die Angst Coelhos, wenn auf seiner späteren Reise ein Polizeischild zu sehen ist.
Nur ein Jahr nach diesen unangenehmen Erfahrungen bereist Paulo Europa, um den Amsterdamer Dam und den Picadilly-Circus in London, beides Hippie-Treffpunkte, zu erleben. In Amsterdam trifft er auf Karla, die glaubt, unbedingt die „Magic Bus Tour“ nach Kathmandu unternehmen zu müssen, bevor ihr Leben langweilig wird. Karla ist hübsch, sehr überzeugend und lebenslustig und bringt Paulo Coelho dazu, sie auf dieser Reise zu begleiten.
Unterwegs erleben sie einige Überraschungen, wie so häufig bei Coelho scheint der Weg das Ziel zu sein, und beständig lernen die Protagonisten vor allem sich selbst und ihre Gefühle kennen, bis Paulo Coelho, der schon seit Jahren von Derwischen fasziniert war, in Istanbul den Bus verlässt, um die Religion der Sufi zu studieren, und die Reise so für den Leser überraschend endet. Doch wie bei Coelho üblich schlägt man das Buch nicht zu, ohne nicht zuvor einige der magischen Sätze zu memorieren und sich, nachdem man diese Sätze einige Male gelesen hat, leichter zu fühlen, und irgendwie lebendiger.
„Ihm war endlich klargeworden, dass wir letztlich allem, was uns widerfährt, ohne Angst begegnen müssen, weil alles zum Leben gehört. Wir können nicht wählen, was mit uns geschieht, aber wir können wählen, wie wir damit umgehen.“
„Denn ein Leben ohne Liebe lohnt sich nicht. Was ist ein Leben ohne Liebe? Es ist wie ein Baum, der keine Früchte trägt. Es ist wie schlafen, ohne zu träumen.“

Veröffentlicht am 02.11.2018

Modernes Märchen für Groß und Klein

Die wundersame Mission des Harry Crane
0

Harry Crane ist Forstbeamter - und unglücklich, da er, der von Kindheit an eine große Verbundenheit zu Bäumen spürt, meist dafür zuständig ist, zu entscheiden, welche Bäume für Parkflächen, Fracking, Ölgewinnung ...

Harry Crane ist Forstbeamter - und unglücklich, da er, der von Kindheit an eine große Verbundenheit zu Bäumen spürt, meist dafür zuständig ist, zu entscheiden, welche Bäume für Parkflächen, Fracking, Ölgewinnung geopfert werden sollen. Sein Traum: Harrys Trees, ein Refugium verschiedenster Baumarten, ein Rückzugsort. Also spielt er wöchentlich Lotto - auch an jenem verhängnisvollen Nachmittag, als er mit seiner Frau Beth ins Kino gehen möchte und eigentlich keine Zeit mehr bleibt für den Lottoschein, und Beth, als er gerade seinen Schein ausfüllt, von einem zusammenbrechenden Baukran getötet wird.
Für Harry bricht die Welt zusammen - und als er ein Jahr nach Beths Tod von dem Anwalt, den Harry auf Drängen seines Bruders Wolf mit der Schadenersatzforderung beauftragt hat, eine Millionenentschädigung zugesichert bekommt, beschließt er, seinem Leben in einem Wald ein Ende zu setzen. Zufälligerweise in dem Wald, in dem die 10jährige Oriana seit dem Tod ihres Vaters, der am gleichen Tag starb wie Beth, nach ihrem Vater sucht - denn sie ist sicher, er wacht weiterhin über sie, verwandelt in einen Vogel oder ein geflügeltes Wesen. Die beiden helfen einander, ihre Trauer Stück für Stück zu überwinden, und schaffen es, mithilfe eines magischen Buches, der Unterstützung der Dorfbibliothekarin Olive, dem Dorftollpatsch Ronnie und einiger anderer die Wirklichkeit zumindest ein bisschen zu vergolden. Charmantes, modernes Märchen für Groß und Klein.

Veröffentlicht am 16.01.2024

Stimme meiner Generation

Hab ich noch Hoffnung, oder muss ich mir welche machen?
0

Till Raether ist ungefähr mein Jahrgang - wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb ich mich in die Geschehnisse, die er aus seiner Jugend schildert, und die damit verbundenen Gefühle sehr gut einfühlen kann.
Geschickt ...

Till Raether ist ungefähr mein Jahrgang - wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb ich mich in die Geschehnisse, die er aus seiner Jugend schildert, und die damit verbundenen Gefühle sehr gut einfühlen kann.
Geschickt und humorvoll vergleicht er selbst Erlebtes, die Bedrohung durch den kalten Krieg, die Atombombengefahr, und die Hoffnung, die er selbst aus Demonstrationen, aus dem eigenen Handeln heraus gewinnen konnte, mit den Bedrohungen, die heute die Zukunft der Jungen und Heranwachsenden verdüstern. Klimakatastrophe, Pandemie, Wetterkapriolen. Und er fragt sich, wie man noch Hoffnung haben kann in Zeiten wie diesen.
Wunderbare Sätze wie "Mein Sohn, drei Jahre älter [also 14 zu jener Zeit] schwänzte die Schule, um zur Fridays-for-Future-Demo zu gehen, und irgendwann schwänzte er die Schule und die FFF-Demo, um einfach nur mit seinen Freunden in der Stadt abzuhängen, das fand ich fast noch besser, weil: auf jugendliche Weise noch hoffnungsvoller" zeigen mit einer Leichtigkeit auf, dass Jugendliche, fast noch Kinder, heute bereits viel offener, aber auch viel selbstbewusster für ihre Zukunft einstehen, einstehen müssen, als wir das damals mussten. Mit 14 hatte ich noch das Vertrauen, die Hoffnung, dass "die Erwachsenen" alles richtig machen würden - das hat wohl heute kein einziges "Kind" mehr.
Denn auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint - Till Raethers Zeilen machen auf nachdenkliche, reflektierte Weise Mut und Zuversicht und zeigen auf, wie wichtig es ist, Hoffnung zu haben, aber auch, wie wichtig es ist, etwas dafür zu tun, dass diese Hoffnung berechtigt ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere