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Veröffentlicht am 22.02.2019

Abgründe des Familien- und Liebeslebens

Die Liebe im Ernstfall
1

Fünf ganz normale Frauen, Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde, wollen in unserer liberalen, emanzipierten Welt, die Informationen über Alles und Jeden bereithält, ihr persönliches Glück finden. „Die ...

Fünf ganz normale Frauen, Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde, wollen in unserer liberalen, emanzipierten Welt, die Informationen über Alles und Jeden bereithält, ihr persönliches Glück finden. „Die Liebe im Ernstfall“ begleitet ihren recht holprigen Weg dorthin.

Von den Vorstellungen zu Selbstbild, Partnerschaft und Familie, die die jungen Frauen beim Eintritt ins Erwachsenenleben hatten, ist im Laufe der Jahre nicht mehr viel übrig geblieben. Jede, ja wirklich jede von ihnen, hat herbe Enttäuschungen in ihrem Leben erlitten. Lebensentwürfe mussten aufgegeben, ganz neu entworfen werden. Herausgekommen sind teilweise an Kreativität kaum zu übertreffende Muster, von denen mir mindestens eines als Nicht-Betroffene untragbar erscheint, die aber für die Protagonistinnen im Roman den einen gangbaren Weg aus der Krise markieren. Die Geschichten von Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde zeigen allerdings eine Vielzahl von Ansätzen auf, die allgemein übertragbar sind, die Hoffnung geben. Beim Lesen hat mich intensiv beschäftigt, wie es zu diesen zerstörerischen Entwicklungen in den Beziehungen kommen konnte. Wurden zu hohe Erwartungen an den Partner gestellt? Gab es ein Ungleichgewischt in der gegenseitigen Liebe? Wurde das Thema Kinder völlig unterschätzt? Hat man zu viel Fehlentwicklung immer wieder einfach heruntergeschluckt und zu wenig miteinander gesprochen? Ich finde, „Die Liebe im Ernstfall“ ist ein ganz wunderbarer Roman, auch zur Selbstreflektion. Vermutlich wird sich jede(r) in der ein oder anderen Situation wiedererkennen. Die Reaktionen im Buch sind mit den eigenen vergleichbar.

Unsere fünf Protagonistinnen sind ein bunter Blumenstrauß an weiblichen Charakteren, die mit ihren Eigenschaften von unterwürfig bis durchsetzungsstark, von zuvorkommend bis rücksichtslos, von schüchtern und zurückhaltend bis zur „Rampensau“ ein breites Spektrum der gesamten aktuellen weiblichen Generation abdecken dürften. Allen gemein – und das finde ich sehr bemerkenswert, weil aus meiner Sicht außergewöhnlich - ist allerdings eine im Verhältnis zu den Wellen, die ihr Leben schlägt, ihnen innewohnende Ruhe und Gelassenheit oder vielleicht sogar stoische Grundhaltung. Wie groß auch immer die Enttäuschung in ihren Leben sein mag, ignorante Partner, fremdgehende Partner, ausgediente Ehen oder verstorbene Kinder, so richtig ausrasten tut keine von ihnen. Selbstverständlich gibt es Streit und Kontroversen, aber keine schlägt, herausgefordert von der hässlichen Seite des Schicksals, um sich oder gibt sich hemmungslos schreiend ihrem Gefühlschaos hin. Diese analytische Nüchternheit und zielorientierte Lösungsfindung der Damen hat mich schon massiv beeindruckt.

„Die Liebe im Ernstfall“ ist das erste Buch, das mehrere Einzelgeschichten zu einem Roman vereint, das ich gelesen habe. Diese Art des Aufbaus hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich mir ursprünglich die Verknüpfung zwischen den Geschichten intensiver vorgestellt hatte. Die Auswahl und Ausgestaltung der Protagonistinnen und ihrer Lebensentwürfe ist in meinen Augen sensationell stimmig. Das beginnt schon bei den fünf Namen, die in dieser Konstellation nur im Zeitalter der späten DDR so auftreten konnten. Daniela Krien schreibt angenehm lesbare Textpassagen, springt allerdings scheinbar zufällig, zwischen verschiedenen Vergangenheiten und der Gegenwart hin und her, so dass sich der Roman zwar zügig lesen lässt, aber gleichzeitig einen wachen und wachsamen Leser fordert, damit entscheidende Details nicht verloren gehen. Obwohl es thematisch in ihrem Roman um Liebe geht, stellt er längst keine Trivialliteratur dar.

Sehr gern empfehle ich „Die Liebe im Ernstfall“ allen, die einen Blick in die normalen Abgründe des Familien- und Liebeslebens, die jeden von uns treffen können, aber nicht müssen, werfen wollen. Da die Mehrheit der Männer in diesem Roman eine nicht ganz so gute Figur machen, würde ich meine Empfehlung auf die weibliche Leserschaft und auf Männer, die „Frauenflüsterer“ sind, beschränken.

Veröffentlicht am 26.01.2019

Fast schon interaktiv

Der Grolltroll (Bd. 1)
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Der Grolltroll erlebt in dieser Geschichte, dass nicht jedes erdachte Projekt umsetzbar ist, dass auch beim Spielen nicht immer alles klappt. So entsteht in seinem Bauch aus Wut, Frustration und Ärger ...

Der Grolltroll erlebt in dieser Geschichte, dass nicht jedes erdachte Projekt umsetzbar ist, dass auch beim Spielen nicht immer alles klappt. So entsteht in seinem Bauch aus Wut, Frustration und Ärger ein Wut-Gewitter, das er auf seine Umwelt niederprasseln lässt. Doof ist jedoch auch das Alleinsein.
Das Buch ist sehr schön gestaltet, die Bebilderung zeigt die starken Gefühle des Grolltrolls, die verwendete Schriftart und die Größe der Buchstaben verkörpern die Lautstärke seiner Wutausbrüche. Schön finde ich auch den Troll zum Kuscheln, dessen Mimik sich wie im Buch je nach Laune anpassen lässt.
Fazit: Seit der Grolltroll bei uns eingezogen ist, lesen wir ihn fast jeden Abend vor. Einige Szenen spielt mein Kind (3) nun schon mit. Das Buch kommt bei uns prima an.
Wir empfehlen es gern weiter.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Verbrechen und Delikte der Nachkriegszeit

Vergessene Seelen
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Frank Goldammer arbeitet mit „Vergessene Seelen“ die Nachkriegszeit in Dresden gekonnt, gut recherchiert und sehr detailreich auf. Dabei geht er anhand von Einzelschicksalen, die Max Heller bei seinen ...

Frank Goldammer arbeitet mit „Vergessene Seelen“ die Nachkriegszeit in Dresden gekonnt, gut recherchiert und sehr detailreich auf. Dabei geht er anhand von Einzelschicksalen, die Max Heller bei seinen Ermittlungen begegnen, besonders auf die Verzweiflung der Bewohner Dresdens ein. Diese wird fortwährend von Hunger, Wohnungsmangel und den Nachwehen des Krieges genährt. Die Nachricht, im Westen soll eine neue Währung eingeführt werden, lässt die Hoffnungslosigkeit weiter anschwellen. Auch das Misstrauen gegenüber dem Staatsapparat wächst stetig. So hat es Max Heller alles andere als leicht, seinen aktuellen Fall, der sich um einen toten Jungen auf einer Baustelle rankt, zu lösen. Die vor meinem inneren Auge entstandene Atmosphäre wirkte realistisch und nachvollziehbar.

Ich habe Max Heller jetzt im Rahmen des 3. Bandes erst kennengelernt. Das Lesen der Vorgänger will ich demnächst nachholen. Wahrgenommen habe ich ihn als liebenden Ehemann und Vater, der es stets bereut, nicht ausreichend Zeit für seine Familie zu haben, und Alles tun würde, um Karin und Anni zu beschützen. Als Ermittler ist Heller ein Tuck zu ehrgeizig, nimmt sich unter Berücksichtigung der kriegsbedingten Gegebenheiten eigentlich immer zu viel vor. Dabei begibt er sich mehrfach selbst in Gefahr. Diese Schwächen lassen Heller menschlicher erscheinen. So wird aus ihm ein Charakter mit Ecken und Kanten, für den ich Sympathie entwickelt habe.

Ganz besonders gut hat mir Oldenbusch, der gefühlte Assistent von Heller, gefallen. Obwohl er eigentlich fast die ganze Zeit eher im Hintergrund tätig ist, wäre die Auflösung des Falls ohne ihn nicht möglich gewesen. Wann immer Heller ihn braucht, ist Oldenbusch stets ohne Murren zur Stelle. Manche Gefahrensituation Hellers wäre ohne Oldenbusch auch anders ausgegangen. Als Ruhe in Person bildet er zudem einen ausgleichenden Pol zu Max Heller. Dennoch ist er nicht nur Gefolgsmann. Klug bringt Oldenbusch seine eigenen, zum Teil auch von Heller abweichenden Ansichten zum Ausdruck.

Am besten hat mir Frank Goldammers Auseinandersetzung mit den Kinderschicksalen in der Nachkriegszeit gefallen. Wir machen uns heute gar nicht mehr bewusst, was es bedeutet, ganz besonders für ein Kind, stehlen zu müssen, damit man überhaupt irgendetwas zu essen und zum Anziehen hat. Wir wissen auch nicht, was schlimmer ist: Ohne Eltern aufzuwachsen oder bei Eltern, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeiten können mit der Folge, dass sämtliche angestaute Wut auf dem Rücken der eigenen Kinder entladen wird. Wenig Liebevolles wurde vielen Kindern zu Teil. Sie wurden missbraucht für die kriminellen Machenschaften Anderer, immer in der Hoffnung auf ein Stückchen Brot. Dem stehen Lichtblicke gegenüber, wo Eltern ganz selbstverständlich für ihre Kinder ihr letztes Hemd geben.

Sprachlich wurde sehr gut durch den Roman geführt. Kurze Kapitel, die mit Zeitangaben überschrieben sind, verleiten zum langen Lesen. Ich musste mich regelrecht zu Pausen zwingen. Dabei sind die Geschehnisse so einprägsam, dass ich auch nach einer längeren Leseunterbrechung den Faden sofort wieder aufnehmen konnte. Mein einziger Kritikpunkt ist die Benamung der Utmann-Kinder. Es war für mich nicht ganz so einfach Albert, Alfons und Alfred auseinander zu halten. Dennoch gebe ich gern eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Emotionsgeladen

Du und ich und das Meer
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Sandy Taylor erzählt eine Geschichte über die Höhen und Tiefen einer Freundschaft zwischen zwei Mädchen, die bezüglich ihres Charakters nicht unterschiedlicher sein könnten.

Die Geschichte wird von Dorothy ...

Sandy Taylor erzählt eine Geschichte über die Höhen und Tiefen einer Freundschaft zwischen zwei Mädchen, die bezüglich ihres Charakters nicht unterschiedlicher sein könnten.

Die Geschichte wird von Dorothy Perks, Dottie, erzählt. Sie ist mit ihrem Asthma gesundheitlich eingeschränkt. Sie ist immer sehr vorsichtig, damit sie sich nicht überanstrengt. Vermutlich auch deshalb entspricht Dottie nicht dem perfekten Maß. In ihrer Schüchternheit ist sie mir als Achteinhalbjährige genauso sympathisch wie als 17-Jährige. Sie erinnert mich an meine eigene Kindheit und Pubertät.

Mary Pickles, eins von sieben Kindern, klein, aber hübsch und Dank sechs Brüdern auch ziemlich durchsetzungsstark und sehr resolut wird in dem Sommer, als sie nach Brighton zieht, Dotties beste Freundin. Sie ist mit ihrer dominanten Art die perfekte Ergänzung zu Dottie.

Die beiden sind ein typisches Beispiel für beste Freundinnen, eine etwas hübscher als die andere, die dann auch den Ton in der Freundschaft angibt. Dennoch haben beide etwas davon, denn die Hübschere ermöglicht der anderen den Eintritt in eine andere Welt, die Welt der jungen Herren.

Was anfänglich ein Segen ist, wird jedoch im Verlauf des Romans zu einem fast unüberwindbaren Problem für die Freundschaft. Nur durch Dotties Fähigkeit eigene Interessen ganz weit hinten anzustellen, lässt dich die Freundschaft retten. Der Preis, den Dottie dafür zahlt, ist immens.

Ganz nebenbei erweckt Sandy Taylor in „Du und ich und das Meer“ das Lebensgefühl der 60er Jahre in Brighton zum Leben. Man wohnt auch mit großen Familien in relativ kleinen Häusern. Eigene Zimmer für Kinder haben Seltenheitswert. Um sich zu treffen, gehen Dottie und Mary in kleine Cafés. Fast das ganze jugendliche Leben findet dort statt. Größere Ereignisse gibt es auf den Piers.

Mir hat „Du und ich und das Meer“ richtig gut gefallen. Es ist so mitreißend und emotional geschrieben, dass ich zum Ende hin beim Lesen die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Die eingestreuten Tagebucheinträge unterstützen die Handlung fast schon meisterhaft. Sie geben einen Einblick in das Gefühlschaos von Mary, in dem ansonsten aus Dotties Sicht geschriebenen Roman.

Fazit: Klare Empfehlung für Alle, die starke Gefühle lieben.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Spannungsgeladener Schlagabtausch

Invisible
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Brutale Morde reihen sich mit kurzem Zeitversatz aneinander. Die Opfer sind den Tätern gänzlich unbekannt. Sie wissen nur, dass sie sie hassen. Nach ihrer Tat sind die bisher unbescholtenen Mörder scheinbar ...

Brutale Morde reihen sich mit kurzem Zeitversatz aneinander. Die Opfer sind den Tätern gänzlich unbekannt. Sie wissen nur, dass sie sie hassen. Nach ihrer Tat sind die bisher unbescholtenen Mörder scheinbar entsetzt bzw. von sich selbst überrascht. Die Ermittlungen in der Mordserie werden federführend Daniel Buchholz und Nina Salomon übertragen. Lange können sie keinen Zusammenhang ausmachen, tappen im Dunklen. Als sie dann einen weiteren Täter, der hinter den Einzeltätern die eigentlichen Fäden zieht, vermuten, kommen Daniel und Nina langsam dahinter. Trotzdem stehen die Ermittler unter Druck. Weitere Verbrechen passieren, ein Täter schafft es, Suizid zu begehen. Presse und Fernsehen rennen ihnen quasi die Bude ein.

Nina ist mir der angenehmste Charakter. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, wirkt ausgleichend auf Daniel. Trotzdem bringt sie eine Lockerheit mit, dass sie gewagtere Theorien ihren Kollegen preisgibt. Ein bisschen Risiko in Kauf nehmend ist sie zum Teil auch mit gedehnten Regeln im Sinne der Aufklärung der Mordserie unterwegs.

Daniel ist der typische mit Privatproblemen behaftete Ermittler, der stets um Konzentration ringt und etwas zu viel Alkohol für meinen Geschmack konsumiert. Deshalb ist er mir anfangs nicht ganz so sympathisch, aber trotzdem irgendwie liebenswert. Nachdem sich sein Privatleben beruhigt hat, fährt seine ermittlungstechnische Performance wieder hoch. Das dient dann auch seiner Sympathiekurve.

Die Kollegin Pia hat von Beginn an recht schroff auf Daniel und Nina reagiert, weil sie sich irgendwie benachteiligt fühlt. Sie frotzelt die ganze Zeit munter weiter, insbesondere gegen Nina. Dass Nina lange Zeit ganz ruhig bleiben kann, finde ich sehr bewundernswert. Auch Philipp, ein neuer Kollege im Team, sorgt nicht gerade für Entspannung. Er hat offensichtlich mehr als nur ein dienstliches Interesse an Nina. Beide Charaktere möchte ich nicht.

Nachdem in der ersten Buchhälfte ein buntes Potpourri an Tötungsdelikten geboten wird, steht in der zweiten Hälfte primär das Zusammenlesen und Zusammenfügen von unzähligen Puzzleteilen im Fokus. Kopfkino und Kombinationsgabe werden gleichermaßen bedient.

Außerordentlich gut gefällt mir der Schreibstil in der Ich-Perspektive. Das Besondere dabei ist, dass ein Kapitel aus Ninas Sicht einem aus Daniels Sicht folgt und umgekehrt, immer im Wechsel. So wirkt der ganze Thriller wie ein Schlagabtausch, was eine sehr schöne Geschwindigkeit in die Geschichte bringt.

Ich finde diesen Thriller richtig klasse. Schon die verfügbare Leseprobe versprach ein spannendes Leseerlebnis. Meine dadurch geweckten hohen Erwartungen wurden durch Invisible mehr als nur erfüllt. Ich kann Invisible uneingeschränkt weiterempfehlen.