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Veröffentlicht am 14.03.2019

Das Geheimnis der Keiko Ishida

Rainbirds
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Es ist erst ein paar Jahre her, als Indonesien Partnerland der Frankfurter Buchmesse war. Viele indonesische Bücher erschienen in deutscher Übersetzung und einiges habe ich davon gelesen.
Man merkte schnell ...

Es ist erst ein paar Jahre her, als Indonesien Partnerland der Frankfurter Buchmesse war. Viele indonesische Bücher erschienen in deutscher Übersetzung und einiges habe ich davon gelesen.
Man merkte schnell wie reichhaltig und vielfältig diese Literatur ist. Auch Clarissa Goenawans Debütroman Rainbirds ist ein überraschendes Buch, denn es ist einem Stil geschrieben, der stark an moderne japanische Literatur erinnert und tatsächlich ist die Handlung auch in Japan angelegt.
Der Student Ren Ishida reist aus Anlass des Todes seiner älteren Schwester Keiko von Tokio nach Akakawa, einer abgelegene Stadt.
Offenbar war es ein Mord. Ishida merkt aber auch, dass er nicht viel über seine Schwester weiß, die sich von der Familie entfernt hatte. Es gab wohl mal einen Familienstreit, der Keiko weggehen hat lassen ohne je zurückzukehren. Ein Familiengeheimnis, dass Ishida nicht kennt.

Ishida schlüpft unmerklich in die Rolle seiner Schwester, indem er ihre Lehrerstelle annimmt und er kümmert sich um eine Schülerin, die aus der Spur zu sein scheint.

Der Roman baut langsam, aber sicher Atmosphäre auf. Streckenweise finde ich die Handlung nicht ganz so zwingend wie erhofft, aber es entwickelt sich langsam. Schließlich wird man auch über die Vergangenheit und was passierte mehr erfahren. Der Roman ist überwiegend in einem einfachen Stil gehalten, der gut lesbar ist. Es gibt auch poetische Momente, z.B. in den Kapitelüberschriften.

Man darf gespannt sein, was von Clarissa Goenawan noch folgen wird. Ich hoffe auf weitere Veröffentlichungen.

Veröffentlicht am 12.03.2019

Kontrovers und interessant

Die große Heuchelei
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Die große Heuchelei habe ich als Hörbuch gehört. Gelesen wurde von dem großartigen Frank Arnold, dessen Stimme ich sowieso mag, der aber auch der ideale Sprecher für ein politisches Sachbuch mit brisanten ...

Die große Heuchelei habe ich als Hörbuch gehört. Gelesen wurde von dem großartigen Frank Arnold, dessen Stimme ich sowieso mag, der aber auch der ideale Sprecher für ein politisches Sachbuch mit brisanten Thema ist, da sein Tonfall den Text gut erdet.
Jürgen Todenhöfer verzichtet bewusst nicht auf Polemik. Man kann ihn aber auf sachliche Weise hören, da das Thema wichtig ist und unvoreingenommen gewertet werden sollte. So manche westliche Entscheidung war nicht gerade friedensliebend und geschehene Kriegsverbrechen kann man nicht leugnen.
Ein Aufrechnen gegen die Verbrechen des IS kann nicht zulässig sein.

Der Anfang des Hörbuchs hat beklemmende Passagen, wenn der Autor zusammen mit seinem erwachsenen Sohn, der filmte und dokumentierte, die irakische Stadt Mossul besuchte. Sie begeben sich in reale Gefahr.

Als behütet in Deutschland lebender Mensch kann man sich kaum vorstellen, was es heißt in zerstörten, gefährlichen Gegenden wie Syrien, Irak oder Jemen zu leben.

Todenhöfer beklagt zu Recht fehlende Proteste der Weltöffentlichkeit gegen Kriege, insbesondere von der Jugend.
Man kann gegen Todenhöfers Thesen Bedenken haben, aber seine Argumente
zur Verhältnismäßigkeit und gegen Maßlosigkeit sind schlüssig, z.B. in dem Abschnitt über Gaza.
Pauschal gegen Todenhöfer zu sein, zeugt von Verbohrtheit. Wer ihn pauschal als Naivling abtut, trägt zur Kriegstreiberei seinen Teil bei.
Der USA-Abschnitt, angesiedelt an der Wahlnacht, bei der Trump über H.Clinton triumphierte, vermag auch zu überzeugen. Jedenfalls erhält man einen guten Eindruck über die vorherrschende Stimmung.
Ebenfalls erhält man tiefe Einblicke in Saudi Arabien und Iran.
Die Syrien-Abschnitte hingegen entwerfen Verschwörungstheorien, die die Komplexität des Geschehens zu vereinfachen scheinen.
Am Ende ist noch eine Flüchtlingsgeschichte integriert.

Das Buch hat eine elementare Schwäche. Bei derart zementierten Meinungen und Behauptungen, wäre es dienlich, wenn sich eine Diskussion daraus entwickeln würden. Das ist natürlich im ersten Moment schwierig. Es bleibt daher der Eindruck der Einseitigkeit.

Am Ende bin ich froh, mich für die Hörbuchversion entschieden zu haben. Frank Arnold weiß seine Stimme passend einzusetzen. Die ideale Sprecherwahl für anspruchsvolle Texte. Ihm zuzuhören ist angenehm. Man kann ihn nicht genug loben für seine Hörbucharbeit.

Veröffentlicht am 07.03.2019

literarisch bemerkenswert

Vor der Flut
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Die Geschichte wird erzählt von einer Frau, die einen exzessiven promiskuitiven Lebensstil führt. Sie ist Zahnärztin auf einer Insel und verheiratet. Doch ihr Mann hat sich schon früh in der Ehe körperlich ...

Die Geschichte wird erzählt von einer Frau, die einen exzessiven promiskuitiven Lebensstil führt. Sie ist Zahnärztin auf einer Insel und verheiratet. Doch ihr Mann hat sich schon früh in der Ehe körperlich von ihr zurückgezogen. Das hat sie anscheinend so verletzt, dass sie offen immer wieder mit anderen Männern schläft, aber dennoch seit 25 Jahren mit ihrem Mann zusammenlebt. Ihr Zusammenleben ist jedoch nur eine Mischung aus Zweckgemeinschaft und kühler Ehehölle.
Corinna T.Sievers hat ihren Roman auf einen Text aufgebaut, den sie beim Ingeborg Bachmann-Preis gelesen hat und dessen Radikalität wurde heftig diskutiert.
Sprachlich ist der Text gut gemacht mit einer eigenwilligen Erzählweise, streckenweise auf der Oberfläche sehr sachlich, doch die Emotionalität der Frau wird in manchen Szenen sichtbar. Da mündet es in depressive Phasen, denn, wie sie selbst sagt, mit ihrem Mann Hovard gibt es nichts zu lachen. Die Folgen sind vereinzelte selbstzerstörerische Tendenzen, z.B. bleibt sie einmal mit dem Auto auf einer eisigen Strecke im Schnee stecken und tut nichts, um sich zu retten.
Ihre Lebensweise fordert einen Tribut.

Wegen den vielen expliziten Beschreibungen wirkt der Text penetrant.
Andere Textpassagen zeigen die raue Insellandschaft und erzeugen Atmosphäre.
Die Autorin ist ausdrucksstark! Ein Buch, wie man es nicht oft liest!

Veröffentlicht am 04.03.2019

Geschmeidig erzählt

Was uns erinnern lässt
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Kati Naumanns Roman „Was uns erinnern lässt“ erzählt exemplarisch von einer Familie in der DDR, die zu denen gehörten, die zwangsenteignet und umgesiedelt wurde und so ihren Besitz und Heimat verloren. ...

Kati Naumanns Roman „Was uns erinnern lässt“ erzählt exemplarisch von einer Familie in der DDR, die zu denen gehörten, die zwangsenteignet und umgesiedelt wurde und so ihren Besitz und Heimat verloren. Erzählt wird sorgfältig in zwei Handlungsebenen: in der Gegenwart, in der die alleinerziehende Anwaltsgehilfin Milla die Überreste eines Hotels im Thüringer Wald findet und mit den Nachkommen der ehemaligen Besitzer bekannt wird. Gemeinsam versuchen sie, einen Weg zu finden, die Besitzrechte zurückzubekommen und damit auch der Vergangenheit auf der Spur zu kommen. Hier gefällt mir gut, wie herausgearbeitet wird, das viele über die Vergangenheit nicht sprechen wollen und viele noch immer darunter leiden, was damals passiert ist.
Zwischen den Gegenwartspassagen beginnt nach dem Krieg die Geschichte der Familie Dressler, denen das Hotel Waldeshöh gehörte. Von der Gründung der DDR bis zur Wende erfährt man viel von dieser Familie, die so geschildert werden, das man die Figuren als Menschen wirklich kennenlernt.
Kati Naumanns Stil ist geschmeidig und angenehm zu lesen. Das Lesen vergeht wie im Flug und das Buch ist wirklich lesenswert.

Veröffentlicht am 04.03.2019

Ein bemerkenswerter Debütroman!

Das Volk der Bäume
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Das Volk der Bäume ist mit 18 Stunden auf 3 MP3 ein langes Hörbuch, das über das Leben eines Wissenschaftlers berichtet.
Die Sprecher machen ihre Sache gut, aber über dem Buch schwebt das Thema Missbrauch, ...

Das Volk der Bäume ist mit 18 Stunden auf 3 MP3 ein langes Hörbuch, das über das Leben eines Wissenschaftlers berichtet.
Die Sprecher machen ihre Sache gut, aber über dem Buch schwebt das Thema Missbrauch, daher ist das Zuhören überwiegend beklemmend.

Die Träumer, wie die Forscher sie nennen, sind sehr alte Menschen auf der tropischen Insel Ivu Ivu in Mikronesien.
Es geht von den Beschreibungen im Dschungel Faszination aus, aber es gibt auch erschreckendes wie z.B. primitive Rituale.

Der Protagonist Norton Perina ist ein kalter Mensch, schon deswegen kein Sympathieträger. Man bleibt als Zuhörer auf Distanz. Hanya Yanagihara schreibt aber nicht zufällig so. Sie setzt sogar die Methode des Erzählens mit Fußnoten ein. Fast wie ein Sachbuch, aber die Story an sich ist fiktiv. Es gab allerdings ein reales Vorbild für den Nobelpreisträgers Norton Perina.

Man erfährt viel über die Arbeit der Forscher, teilweise mehr als man wissen möchte. Das gilt zum Beispiel bei den Tierversuchen, aber auch die Menschen des Dschungelvolks werden nur als Objekte der Forschung gesehen. Und es ist auch kein Wunder, dass der Einbruch der Zivilisation jeglich paradiesisches der Insel zerstören wird.

Das Hörbuch ist etwas zu lang, doch man kann sich damit arrangieren, weil es sich lohnt. Ein bemerkenswerter Debütroman!