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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.07.2017

Eine spannende Idee, leider von der Erzählweise und Formatierung her nur unter erschwerten Bedingungen lesbar; die Lesefreude blieb aus.

Alle Namen
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Als ich den Klappentext von José Saramagos „Alle Namen“gelesen hatte, dachte ich „Das klingt nach etwas, was du lesen musst! ‚Lesen außerhalb der Komfortzone‘ mal beiseite, jetzt wird mal wieder was gelesen, ...

Als ich den Klappentext von José Saramagos „Alle Namen“gelesen hatte, dachte ich „Das klingt nach etwas, was du lesen musst! ‚Lesen außerhalb der Komfortzone‘ mal beiseite, jetzt wird mal wieder was gelesen, was total deins ist!“ – so mein Gedankengang. Doch leider wurde ich enttäuscht. Nicht von der Idee, die war wunderbar, sondern von dem Drumherum. Der Erzählstil war schwierig und die Formatierung hat sich einen entspanntem Lesen entgegengesetzt… Wie ich erst später gesehen habe, gehört dieses Buch zur „Trilogie der menschlichen Zustände“, ein meiner Meinung nach sehr treffender Name, zumindest für dieses Buch, wird hier doch die innere Zerrissenheit, die Suche nach dem Leben, beschrieben. Doch nun erst einmal zum Inhalt.

Senhor José, gut und gerne fünfzig Jahre alt, arbeitet seit 25 Jahren im zentralen Personenstandregister. Dort kartiert man das Leben und Sterben jeder örtlichen Person; alles wird fein säuberlich auf Karteikarten geschrieben und dann eingeordnet. Das Leben außerhalb der Arbeit, das echte Leben, hat er nie wirklich kennengelernt. Nach der Arbeit geht er in seine Wohnung, die direkt ans Register angrenzt, nimmt dort ein karges Abendmahl zu sich und morgens geht es wieder los. In seiner wenigen Freizeit sammelt er Zeitungsausschnitte berühmter Persönlichkeiten aus dem Ort, in dem er lebt. Wählerisch ist er dabei nicht, er sammelt Informationen über Künstler genauso wie Sportler, Politiker oder Köche, sie müssen nur für das, was sie tun, berühmt geworden sein. Als er eines Abends die Idee hat, doch seine Berühmtheiten-Sammlung mit Informationen über Geburt, Heirat und Tod zu erweitern, schleicht er sich auf die Arbeit und sucht nach den Karteikarten dieser Menschen. Als ihm dabei eine unbekannte Karte in die Hände fällt, gerät sein bisher geordnetes, pflichtbewusstes Leben außer Kontrolle: Wer ist diese fremde Frau von der Karteikarte? Es beginnt eine Suche, bei der Senhor José immer mehr aus seinem gewohnten Trott ausbricht und immer findigere Methoden anwendet, um seinem Ziel näher zu kommen. Doch was wird er sagen, wenn er sie gefunden hat? Will er sich nur ihres Lebens bestätigen?

So weit, so gut. Die Prämisse ist wahnsinnig gut, es klingt spannend und etwas schrullig. Eigentlich voll mein Ding. Allerdings hat die Formatierung und die eigensinnige Erzählweise meine Lesefreude doch ziemlich getrübt. Ich muss direkt mit der wörtlichen Rede anfangen, die Dialoge waren ein wahrer Graus. Mit Kommata getrennt, waren seitenlange Gespräche nur mit enormer Anstrengung zu lesen:

[…] Vorher frage ich Sie, ob Sie wissen wie viele Menschen zu einer Ehe gehören, Zwei, der Mann und die Frau, Nein, mein Lieber, in einer Ehe existieren drei Menschen, da ist die Frau, da ist der Mann, und da ist das, was ich dritte Person nenne, die wichtigste, die Person, die von dem Mann und der Frau gemeinsam gebildet wird, Darüber habe ich nie nachgedacht […]

Zu diesem Störfaktor gesellt sich noch die Erzählweise. Und zwar gibt es Stellen, wo ein allwissender Erzähler aus der Vogelperspektive Sr. Josés Treiben beobachtet und gelegentlich auch kommentiert, auch gerne mal vorgreift, was ja alles sehr toll ist, wäre da nicht der subtile Wechsel zur Ich-Perspektive, oft von einem Satz zum nächsten. José führt ein Notizbuch, in dem er seine Nachforschungen festhält, und schreibt in diesem natürlich aus seiner Sicht. Wenn er dieses jedoch zuklappt, wechselt die Erzählperspektive, was zuweilen sehr verwirrend sein kann. Zusätzlich zu diesen zwei Punkten stört noch der Fakt, dass es keine Absätze gibt, was den Lesefluss zusätzlich noch behindert. Alles in allem ein nicht gut und entspannt lesbares Buch.

Die vollständige Rezension findet ihr auf dem Blog: http://killmonotony.wordpress.com

Veröffentlicht am 10.03.2019

Schwacher Abschluss für eine bisher sehr starke Trilogie – Vanderbekes neuer Roman kann leider nicht überzeugen.

Alle, die vor uns da waren
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Birgit Vanderbekes „Wer dann noch lachen kann“ habe ich 2017 richtiggehend verschlungen, unwissend, dass es sich um den zweiten Band einer Trilogie handelt. Band eins wurde kurzerhand nachgekauft – und ...

Birgit Vanderbekes „Wer dann noch lachen kann“ habe ich 2017 richtiggehend verschlungen, unwissend, dass es sich um den zweiten Band einer Trilogie handelt. Band eins wurde kurzerhand nachgekauft – und stand ungelesen im Regal. Bis dann der Erscheinungstermin von Teil drei, „Alle, die vor uns da waren“, bekanntgegeben wurde. Und so las ich im Februar die beiden vorangehenden Bücher von Vanderbekes autobiographisch angehauchten Romanen, also „Ich freue mich, dass ich geboren bin“ (1) und „Wer dann noch lachen kann“ (2) – letzteren zum zweiten Mal. Und erneut begeisterte mich Birgit Vanderbeke mit ihrer speziellen Erzählsprache und der emotionalen Geschichte. Band drei konnte kommen! Und obwohl mich der Klappentext dann doch nicht so ansprechen konnte, wollte ich doch diese Trilogie beenden, deren erste zwei Bücher mich so begeistert haben. Doch leider entpuppte sich „Alle, die vor uns da waren“ als Enttäuschung, die nach zwei großartigen Büchern einen faden Nachgeschmack hinterließ.

"Eine Sache ist nicht beendet und aus der Welt, bloß weil niemand darüber spricht. Bloß weil die Leute sich selbst Amnestie und Absolution erteilen, bis sie vor Selbstgerechtigkeit kaum mehr laufen können. Es sind immer die, die nach uns kommen, die dafür bezahlen müssen."

Es geht um unsere aus den zwei vorangehenden Bänden bereits bekannte Protagonistin, die bekanntermaßen keine angenehme Kindheit hatte. Und obwohl sie dies stets als „kleines Pech“ abtut, verfolgen sie die Geschehnisse von damals bis in ihr Erwachsenenalter. Wir treffen Karline und ihren Mann Gianni, die einen Sohn haben, der auch bereits eine eigene Familie gegründet hat. Das Ehepaar macht sich auf den Weg nach Irland zum Urlaub, in das Haus der Familie Böll. Dass sich das Dörfchen auf der Insel mitten im Nirgendwo befindet und die beiden komplett abgeschnitten von der Außenwelt sein würden, trifft Karline und Gianni unerwartet. Dennoch versuchen sie, das beste aus der Situation zu machen, indem sie über die Vergangenheit sinnieren, im Böll-Haus herumstöbern und die Ortschaft erkunden. Karline beschäftigt sich mit den Geschichten ihrer Großmutter und der Zeit, bevor sie und ihre Familie vom Auffanglagern im Osten ins „Schlaraffenland“, den Westen umgezogen sind. Hier lockte der Konsum, Lebensmittelknappheit war kein Problem mehr und man konnte sich alles leisten, was man will. Doch so schön es auch gewesen sein mag, litt Karline unter ihrem Vater, der sie häufig windelweich prügelte, da sie ungeschickt war und Dinge öfters mal zu Bruch gingen. So weit die Prämisse.

Dieser Teil des Buchs hat mir sehr gut gefallen, doch mit den Geschichten aus dem Lager und denen der noch weiter zurückliegenden Vergangenheit konnte ich mich nicht so richtig anfreunden. Viel lieber hätte ich noch mehr aus Karlines Leben gehört. Die Szenen in Irland haben sich ein wenig im Kreis gedreht, da Gianni und sie nur begrenzte Möglichkeiten vor Ort hatten. Die Überlegungen Karlines, was die Nachwelt angeht, der Zukunft, in der ihr Sohn und seine Kinder leben müssen, fand ich hingegen sehr spannend. Sie beschäftigt sich mit Gedanken zur Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit, die ihrer Meinung nach viel zu spät die breite Masse erreicht haben:

"Inzwischen wissen wir, dass es mit dieser Zukunft vorbei ist und alle Kinder von dieser vergewaltigten und geschundenen Erde von Glück sagen können, wenn sie sie überleben."

Fazit: Mit dem abschließenden Band ihrer Roman-Trilogie legt Birgit Vanderbeke auch zugleich den schwächsten Roman vor. Auch, wenn mir die bekannte Erzählsprache wieder sehr gefallen hat, haben mich die Geschichten der Vergangenheit von Karlines Großmutter wenig berührt. Die Handlung auf der Insel drehte sich im Kreis und lediglich ein Teil des großen Ganzen konnte mich wirklich begeistern. Leider war ich nach der Lektüre sehr enttäuscht; die gesamte Reihe hat dank des letzten Buchs einen faden Nachgeschmack gewonnen.

Veröffentlicht am 06.01.2019

Ein leichter, vor sich hin plätschernder Roman – Leider mit wenig Substanz.

The Hills
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Dieses Buch habe ich euch bereits in meinen Neuerscheinungs-Posts gezeigt und nun habe ich es endlich gelesen. In Matias Faldbakkens Roman „The Hills“ geht es um einen Kellner, der sein Leben lang nichts ...

Dieses Buch habe ich euch bereits in meinen Neuerscheinungs-Posts gezeigt und nun habe ich es endlich gelesen. In Matias Faldbakkens Roman „The Hills“ geht es um einen Kellner, der sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, und um seinen Alltag. Aus der Ich-Perspektive erfahren wir alles zum Tagesablauf im „Hills“, dem traditionsträchtigen Restaurant mit Stil. Die Gäste kennt er, weiß, was sie wie bestellen und wie sie empfangen werden möchten. Unser namenloser Kellner hält sich stets im Hintergrund, scheint kein Leben außerhalb des Hills zu haben und auch keine Freunde. Sein Leben richtet sich nur nach seiner Kellnertätigkeit, morgens beginnt er im Hillsund abends geht er nach Hause, sieben Tage die Woche macht er nichts anderes und ist völlig festgefahren in seinem Trott. Und dieser Alltags-Muff wird gehörig durcheinandergewirbelt, als eine ihm unbekannte Frau („Die Kindsfrau“) im Hills erscheint und sich zu seinen altbekannten Gästen setzt und sich (Obacht!) mit ihnen unterhält. Sie bleibt bis abends spät im Restaurant, erscheint als Erste am Morgen wieder im Hills, taufrisch, und bestellt einen vierfachen Espresso. Unser Kellner lässt sich von ihr vollkommen ablenken, bringt Chaos im Hills, und sein Tagesablauf wandelt sich.

"Ich warte. Ich bin zu Diensten. Ich bewege mich im Raum umher und nehme Bestellungen auf, schenke ein und räume ab. Im Hills können die Menschen mit einem traditionsreichen Umfeld verschmelzen."

Eigentlich eine interessante Prämisse, allerdings vermag Matias Faldbakken nicht viel aus ihr herauszuholen. Er schildert die dem Kellner bekannten Vorgeschichten der Gäste, den immer gleichen Ablauf seiner Tätigkeit, die mitgehörten Gespräche, und auch die Ankunft der Kindsfrau kann zwar den Tagesablauf etwas durcheinander wirbeln, doch leider geschieht einfach nicht mehr. Es gibt einige interessante Passagen, wo der Kellner über sich, sein Leben und den Nutzen von Kaffee sinniert, die sind gut zu lesen, allerdings plätschert irgendwie alles nur seicht vor sich hin.

Weiterlesen: https://killmonotony.de/rezension/kurz-knapp-the-hills

Veröffentlicht am 13.05.2018

„Fische“ bleibt im Kopf — leider aus den falschen Gründen. Gute Idee, zu viel Eskalation

Fische
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Dieses Buch hat mich bereits seit einigen Monaten immer wieder angelacht, das wunderschöne Cover in meiner Lieblingsfarbe (Mint!), der Klappentext und einige positive Rezensionen haben mich dann schlussendlich ...

Dieses Buch hat mich bereits seit einigen Monaten immer wieder angelacht, das wunderschöne Cover in meiner Lieblingsfarbe (Mint!), der Klappentext und einige positive Rezensionen haben mich dann schlussendlich zur Lektüre verleitet. Denn mal ehrlich, wie viele Bücher über einen Meermann hab ich bisher gelesen? Richtig, zero! Allerdings hätten mir Ausdrücke wie „merman erotica“ eine Warnung sein sollen… Smells fishy! Es geht um Lucy, die ihren Freund nur noch als speckige Masse ansieht, die sich nicht mehr länger um sie bemüht, und kurzerhand mit ihm Schluss macht. Nach der Trennung sieht sie ihn natürlich wieder als den, der er zu Anfang der Beziehung war, und stürzt in eine emotionale Krise. Ihre Dissertation zu Sappho, die sei seit neun Jahren ernährt und an der sie immer mal wieder halbherzig arbeitet, lässt sie nun vollends schleifen. Ihre Halbschwester beordert Lucy nach einigen Wochen Misere zu sich nach Hause, in das Strandhaus in Venice Beach, wo sie auf den Hund, „ihr Baby“ aufpassen soll, während sie und ihr Mann durch die Welt reisen. Einzige Verpflichtung: nicht nur auf den Hund aufpassen, sondern auch zu einer Liebes- und Sextherapiegruppe gehen. Und zwar regelmäßig. Während eines Strandspaziergangs trifft sie „Schwimmer“ Theo, der ihren mittlerweile ganz guten Lauf doch ziemlich ins Wanken bringt…

An die eigenen Lügen zu glauben ist eine Kunst. Manche Leute sagen, man müsse sich erst selbst von der Lüge überzeugen, doch ich konnte mir in dem Moment einfach keine andere Realität vorstellen.

„Fische“ ist kein Roman über die Heilung einer Obsession, nein, Lucy reitet sich immer weiter in ihre eigene Depression hinein, macht sich und ihr Wohlbefinden von einem Mann abhängig und weiß, ganz auf sich allein gestellt, nichts mit sich anzufangen. Über Tinder trifft sie zwei ganz hinreißende Exemplare Mann, und nach zwei unvergesslichen Nächten findet sie sich am Boden der Tatsachen wieder. Ihre Depression wächst und wächst. Immer wieder kehrt sie zu „Theos Felsen“ zurück, an dem er stets mit dem Unterkörper im Wasser vorfindet. Natürlich ist er der Meermann, der auf dem Klappentext erwähnt wird und nein, das ist definitiv kein Spoiler, wenn es sogar zur Marketingkampagne gehört. ? Theo ist natürlich wunderschön, sieht sehr jung aus, hat den perfekten Körper und holla, einen ebenso perfekten Penis. Und hier beginnt auch schon der Teil, bei dem mein Interesse an „Fische“radikal abgeflaut ist. Der Leser bekommt jede Menge „merman erotica“, der Meermann wird mit einer Schubkarre ins Haus geschoben und der Hund der Schwester kurzerhand betäubt, damit er beim Liebesspiel nicht so viel bellt. Unsere Protagonistin verfällt immer mehr in einen für mich unverständlichen Wahnsinn und nicht nur ihre Therapiegruppe oder ihre neue Freundin, die sich umbringen will, leiden darunter, sondern vor allem der Hund ihrer Schwester. Der wird mehr und mehr zum lästigen Übel, um dass Lucy sich immer weniger kümmern will. Es schmerzt, mitzulesen, wie er in seinen eigenen Exkrementen sitzt und darauf wartet, dass sie ihn füttert. Um ihre „Beziehung“ zu Theo aufrechtzuerhalten, muss sie immer mehr Betäubungsmittel heranschaffen und fährt wie ein Junkie dazu zu vielen verschiedenen Tierärzten. Kompletter Wahnsinn. Dass ihre Schwester irgendwann zurück kommt, blendet Lucy vollkommen aus und gibt sich dem Liebesspiel mit dem Meermann hin. Dass das zu keinem guten Ende führen kann, ist keine Überraschung.

Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/melissa-broder-fische-spoiler

Veröffentlicht am 10.04.2018

Unangenehm, bedrückend und leider immer noch Realität.

Samy
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In Zdenka Beckers Roman "Samy" lernen wir den zu Beginn kleinen titelgebenden Samy kennen und mit ihm seine Familie. Seine Mutter Olga wuchs zusammen mit ihrer besten Freundin Viera in der Slowakei auf: ...

In Zdenka Beckers Roman "Samy" lernen wir den zu Beginn kleinen titelgebenden Samy kennen und mit ihm seine Familie. Seine Mutter Olga wuchs zusammen mit ihrer besten Freundin Viera in der Slowakei auf: beide Mädchen verband stets eine tiefe Freundschaft, was sich aber in einigen Jahren ändern sollte, als Vieras Söhne zu Neonazis herangewachsen sind und Olgas Sohn, der mit seiner Hautfarbe nicht ins Bild der Gemeinde passt, penetrant diskriminieren und zusammenschlagen. Samys Vater ist ein österreichischer Arzt, der gebürtiger Inder ist, und Samy wächst so ohne einen richtigen Sinn für Identität auf. Wer ist er? Österreicher? Inder? Oder Slowake? Womit kann er sich identifizieren?

Dadurch, dass Olga ihm nur häppchenweise die Wahrheit erklärt, dass ihre Eltern seinen Vater genausowenig akzeptieren würden wie sie ihn akzeptieren - nämlich zunächst gar nicht. Samy wächst in einem schwierigen Umfeld heran: Mobbing und Prügel in der Schule, daheim eine Mutter, deren Erziehung inkonsequenter kaum sein könnte, und dann noch Großeltern, die bereits bei Samys Geburt gesagt haben, dass Olga nicht länger ihre Tochter ist – also Samy von Grund auf nicht akzeptieren. Bei den seltenen Besuchen wird Samy anfangs vom Großvater völlig ignoriert; er wächst aus diesen Verhältnissen zu einem depressiven, missmutigen Jugendlichen heran, der sich für nichts begeistern kann und weder Arbeit noch Hobbys hat. Olgas bescheidene Versuche, ihren Sohn zu erreichen, scheitern kläglich. Und am Ende geschieht das, was geschehen musste.

»Der Papa wird es nicht überleben, eine solche Schande, seine einzige gesunde Tochter ist eine ledige Mutter und noch dazu mit einem schwarzen Kind. Es wird ihm das Herz brechen. Er wird sicher bald sterben, und du allein bist dafür verantwortlich.«

Ein bedrückender Roman mit einer seltsamen Grundstimmung. Olgas Eltern und auch die gesamte Umgebung wirkt rückständig, scheint Rassismus doch an der Tagesordnung zu sein. Aber so ist es leider in der Realität noch immer. Die sozialistische Ideologie in Bratislava macht es Olga schwer, mit ihrem Sohn akzeptiert zu werden. Stets ist sie die Verstoßene, über sie wird getuschelt und getratscht. Dass sie einen Mann aus dem Westen liebt – undenkbar.
 
Zdenka Becker zeichnet hier ein trauriges Familienportrait, das sich so oder so ähnlich garantiert schon irgendwo auf der Welt abgespielt hat, so traurig es ist. Man findet gut in die Geschichte hinein, doch etwas fehlt mir – der Punkt der Identifikation. Mit keinem der Charaktere konnte ich mich identifizieren, es war stets ein "von oben Zuschauen". Manche Passagen kamen mir seltsam vor, wenn in wörtlicher Rede ausschweifende Phrasen verwendet wurden, die so kein Mensch sagen würde – so gab es auch eine Stelle, wo der noch junge Samy mit seinen vielleicht acht Jahren Sätze sagt, die völlig unglaubwürdig erscheinen. Auch die Passagen, die sich um Meli, Olgas geistig behinderte Schwester drehen, fand ich nicht so gelungen.
 
»[...] ich finde es sehr traurig, dass alle, sogar deine Kinder, Samys Hautfarbe mehr interessiert als das, was ihn tatsächlich ausmacht. [...] Hast du ihnen einmal gesagt, dass ein Mensch ein Mensch ist, egal, wie er aussieht?«

Fazit: "Samy" war einfach nicht mein Buch. Natürlich, die aufgegriffenen Themen sind immer noch aktuell und immens wichtig, aber mir hat die Erzählweise nicht hundertprozentig zugesagt, es war auch mehr ein "Erzählen statt Zeigen". Große Emotionen wurden erklärt, statt die Charaktere sie einfach ausleben zu lassen. Vielleicht lag es auch nur am Zeitpunkt meiner Lektüre, für manche Bücher braucht man als Leser den Moment, wo alles passt und man sich voll auf ein Buch einlassen kann. Das war bei "Samy" leider nicht der Fall. Ich hatte das Gefühl, dass Zdenka Becker hier nur an der Oberfläche kratzt, sehr gern hätte ich mehr aus Samys Gefühlswelt erfahren.