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Veröffentlicht am 28.03.2020

Überlebenswille versus Verblendung

Vardo – Nach dem Sturm
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Vardø, eine nord-norwegische Insel Heiligabend 1617: Ein furchtbarer Sturm verwandelt die Bucht vor der Insel in ein tödliches Inferno, in welchem die Fischer des Dorfes allesamt ihr Leben lassen. Den ...

Vardø, eine nord-norwegische Insel Heiligabend 1617: Ein furchtbarer Sturm verwandelt die Bucht vor der Insel in ein tödliches Inferno, in welchem die Fischer des Dorfes allesamt ihr Leben lassen. Den trauernden Frauen des Dorfes bleibt nichts anderes zu tun, als baldmöglichst ihre Schockstarre und Trauer zu überwinden. Gefangen in Aberglauben und christlichen Regeln verharrt die Mehrheit der Frauen in ihren „üblichen“ Rollen. Zwei Frauen jedoch krempeln die Ärmel hoch und organisieren die anstehenden „Männerarbeiten“, damit sie überleben können und ihr Dorf eine Zukunft haben kann. Überlebenswille und Verstand überzeugen nach und nach auch die meisten, großen Zweifler, so dass die Erfolgsgeschichte einer „Insel von Frauen“ ihre Runde macht.

Dies ruft mächtige Männer auf den Plan. Frauen, die allein – lediglich von einem Pfarrer betreut – ihr Schicksal in die Hand genommen haben, stellen eine Ungeheuerlichkeit, Unmöglichkeit und mit Sicherheit Hexenwerk dar. Dies zu überprüfen, ruft einen raubeinigen, im christlichen Glauben gefestigten, schottischen Inspektor auf den Plan, welcher die Lage vor Ort einer kritischen Überprüfung unterziehen soll. Nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen in Hexenprozessen, findet Absalom Cornet bald „seine“ Hexen in Vardø, welche im Rahmen eines grausamen „Prozesses“ überführt und schließlich hingerichtet werden.

Das Buch nimmt mich schnell für sich ein, während ich miterleben muss, wie die Protagonistinnen versuchen, ihrem Leben ein Stück Normalität zurückzugeben, in der kargen nordnorwegischen Landschaft zu überleben und das Beste aus ihrem Schicksal zu machen. Sie kämpfen, sie arbeiten hart und können schließlich die Früchte ihrer Arbeit ernten und die existenziellen Sorgen hinter sich lassen. Was für großartige Frauen!

Umso mehr lehne ich mich gegen den Schotten auf, welcher auf der langen Anreise nach Vardø quasi im Vorbeigehen eine Ehefrau gefunden hat und nun die „Ordnung“ auf der Insel um jeden Preis wiederherstellen will. Und damit stehe ich nicht allein. Einige Frauen von Vardø sind nicht bereit, die erlangte Selbstbestimmtheit aufzugeben.

Basierend auf wahren, historischen Begebenheiten hat Kiran Millwood Hargrave einen großartigen, aber auch atmosphärisch dichten Roman geschrieben. Die Haupt-Protagonistin Maren wächst mir ans Herz, ich freue mich, dass sie mit Hilfe der resoluten Kirsten aus ihrem eigenen Schatten heraustreten kann und ungeachtet ihrer äußeren Stärke zart und verletzlich bleibt. Der Plot lässt mich gefesselt von Seite zu Seite voranstreben und trägt mich dem unvermeidlich nahenden Ende entgegen.

Ein Zeitzeugnis aus dem 17. Jahrhundert, wo Mann sich für die Krönung der Schöpfung hält, Frauen jegliche Fähigkeiten jenseits von Haushalt und Bett abgesprochen werden, gepaart mit vermeintlich christlicher, gefährlicher Verblendung.


Kiran Millwood Hargrave, Vardø – Nach dem Sturm, Roman, eBook, Diana Verlag, 15,99 €, 432 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 02.03.2020

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Veröffentlicht am 10.01.2020

Auferstanden von den Toten

Lazarus
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„Hat Jurek Walter überlebt? Der gefährlichste Serienmörder Schwedens wurde vor Jahren für tot erklärt. Er war bei einem dramatischen Polizeieinsatz von mehreren Kugeln getroffen in den Fluss gestürzt. ...

„Hat Jurek Walter überlebt? Der gefährlichste Serienmörder Schwedens wurde vor Jahren für tot erklärt. Er war bei einem dramatischen Polizeieinsatz von mehreren Kugeln getroffen in den Fluss gestürzt. Seine Leiche wurde jedoch niemals gefunden. Als nun der Schädel von Joonna Linnas toter Ehefrau in der Wohnung eines Grabschänders entdeckt und eine perfide Mordserie aus ganz Europa gemeldet wird, ahnt Joona Linna das Unvorstellbare: Der Albtraum ist nicht zu Ende, und der grausame Serienmörder droht, alle lebendig zu begraben, die Joona lieb sind. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt ...“ - Zitat Buchbeschreibung

Eine bestialische Mordserie hält Europa in Atem. Eines haben die Opfer gemeinsam: sie waren allesamt Straftäter unterschiedlichster Couleur. Treibt ein Rächer sein Unwesen, welcher der Überzeugung ist, die Justiz käme ihrer Verpflichtung zur Schaffung von Gerechtigkeit nicht in vollem Umfange nach? Beim nächsten Opfer wird ein unerwartetes Artefakt gefunden, was Joona Linna auf den Plan ruft. Unmittelbar beschleicht ihn ein ungutes Gefühl. Sollte Saga Bauer Jurek Walter seinerzeit doch nicht erschossen haben?

Für Linna gibt es nur eine logische, zwingende Reaktion auf sein Bauchgefühl: er muss seine Liebsten in Sicherheit bringen, sofern sie es zulassen. Joona hat genau für diesen – eher unwahrscheinlichen – Fall vorgesorgt! Kollegen und Wegbegleiter nehmen Linna nicht ernst; gehen von einem anderen, evtl. durch Walter inspirierten Täter aus. Joona Linna hingegen betreibt eigene Recherchen, folgt alternativen Spuren und kommt dem Serienmörder sowie der Wahrheit immer näher…

Das Autorenduo hinter dem Pseudonym Lars Keppler hat mit „Lazarus“ wieder einen hervorragenden Kriminalroman geschrieben! Ich habe schon mehrere Bücher von ihnen gelesen und kenne, mag Joona Linna. Keppler bedient sich einer klaren Sprache ohne Sicherheitsschirm, so dass ich die Brutalität der Morde und Grausamkeit der Tatorte deutlich erlebe. Diese Gewalttätigkeit passt jedoch genau in die erzeugte Spannung, die beschriebene Szenarie und wirkt an keiner Stelle aufgesetzt oder unpassend. Dadurch ist dieser Krimi sicher nicht für jeden geeignet.

Ich habe diesen Schweden-Krimi „verschlungen“ und atemlose Spannung verspürt. Für mich gab es keine Längen, kein unnützes Beiwerk oder Füllmaterial. Die Autoren verstehen es hervorragend, mit den Gefühlen der Leser zu spielen und auch eine gewisse Dramatik zu erzeugen. Für mich ist Lars Keppler immer eine Lese-Empfehlung!


Lars Keppler, Lazarus, eBook, Kriminalroman, Bastei Lübbe, 14,99 €, 640 Seiten in der Print-Ausgabe, Erscheinungstermin 28.02.2019

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Veröffentlicht am 10.01.2020

Unvorstellbarer Plot

Durst
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„Ein Serienkiller findet seine Opfer über die Dating-App Tinder. Die Osloer Polizei hat keine Spur. Der einzige Spezialist für Serientäter, Harry Hole, unterrichtet an der Polizeihochschule, weil er mehr ...

„Ein Serienkiller findet seine Opfer über die Dating-App Tinder. Die Osloer Polizei hat keine Spur. Der einzige Spezialist für Serientäter, Harry Hole, unterrichtet an der Polizeihochschule, weil er mehr Zeit für seine Frau Rakel und ihren Sohn Oleg haben möchte. Doch Holes alter Chef Mikael Bellmann kennt Olegs Vergangenheit und setzt Hole unter Druck. Der Kommissar gibt schließlich nach und arbeitet hochkonzentriert mit seinen Leuten an dem Fall. In einer Atmosphäre der Angst zögern viele Frauen, sich weiter über die App zu verabreden. Die schlimmsten Befürchtungen werden wahr, als tatsächlich eine weitere junge Frau verschwindet, ausgerechnet eine Kellnerin aus Holes Stammlokal. Und der Kommissar kann nicht länger die Augen davor verschließen, dass der Mörder für ihn kein Unbekannter ist“ - Zitat Buchbeschreibung

Harry Hole hat seine Arbeit als Kommissar an den sprichwörtlichen Nagel gehangen und unterrichtet an der Polizeihochschule potenzielle Nachfolger*Innen. Ihn auch als Familienmensch zu erleben, tut gut; hat er doch bei all seinen Kriminalfällen immer sein ganzes Selbst mit in die Waagschale werfen müssen. Aber es wäre kein Buch von Jo Nesbø, wenn es dabei bliebe... Harry verweigert sich zunächst entschieden dem Ansinnen seines ehemaligen Vorgesetzten Bellmann, die Ermittlungen im Fall des Serienmörders durch seine aktive Mitarbeit voranzutreiben, um weitere Morde zu verhindern. Leider hält Bellmann ein Druckmittel in Händen und zögert nicht, dies einzusetzen.
Kaum zurück in den Reihen seines versierten Ermittlerteams wird Hole von seiner Vergangenheit eingeholt und muss sich gleich mehrerer todgeglaubter Dämonen erwehren, um obsiegen zu können.

Jo Nesbø hat mit Harry Hole einen unkonventionellen Kommissar erschaffen, der mir als Leser direkt ans Herz gewachsen ist. Der Feder des Autors ist auch dieses Mal ein wunderbarer Plot entsprungen, den ich zunächst nicht ernst nehmen wollte. Aber die Umsetzung des Modus Operandi in Kombination mit der psychischen Ausgestaltung des Serientäters lässt keinen Raum für Zweifel.

Die Morde werden in ihrer schier unmenschlichen Brutalität so geschildert, dass kaum Raum bleibt für Fantasie. Und doch bedient sich der Autor dieser Gewalt nicht aus reiner Effekthascherei, sondern sie passt wohldosiert in den Kontext. Dies könnte allerdings zartbesaitete Gemüter überfordern.

624 Seiten muten lang an, aber Nesbø versteht es hervorragend, mich mit Spannung und Entspannung, Nebenschauplätzen und Ablenkungsmanövern zu fesseln, dass „plötzlich“ der Fall gelöst und das Buch zu Ende ist.
Aus meiner Sicht ein weiterer, hervorragender Harry-Hole-Kriminalroman.


Jo Nesbø, Durst, Taschenbuch, Kriminalroman, Ullstein Taschenbuchverlag, 12,00 €, 624 Seiten, Erscheinungstermin 10.08.2018

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Veröffentlicht am 25.03.2019

Wiedergänger?

Erwachen - Das Böse der Seelen I
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1789 – Sean Burke ist Kopfgeldjäger und auf den Straßen Londons unterwegs. Er bedient sich weitreichender Kontakte in der Unterwelt. Aufgrund seiner zuverlässigen, zielgerichteten Arbeit wird er von Constable ...

1789 – Sean Burke ist Kopfgeldjäger und auf den Straßen Londons unterwegs. Er bedient sich weitreichender Kontakte in der Unterwelt. Aufgrund seiner zuverlässigen, zielgerichteten Arbeit wird er von Constable Mc Allister von der örtlichen Polizei gelegentlich zum Aufspüren von Tätern hinzugezogen. Als eine grausame, brutale Mordserie London in seinen Grundfesten erbeben lässt, wird Burke vorübergehend fest in die Ermittlungsarbeit integriert.

„Erwachen“ ist eine Mystery-Thriller-Reihe. Die Szenerie Londons in jener Zeit ist grau, düster, es gibt elendige Armut, Beschaffungskriminalität, hoffnungslose Gewalt, Aberglauben und jede Menge Arbeit für einen verdienten Kopfgeldjäger. Die aktuelle Mordserie sprengt jedoch alles, was Burke in seiner bisherigen Laufbahn gesehen hat. Auch Mc Allister ist angesichts der überbordenden Brutalität zum Teil überfordert.

Die Spuren der Tatorte lassen nur einen Schluss zu; kein Mensch kann diese Morde begangen haben; irgendetwas, was es definitiv nicht geben kann, scheint der Täter zu sein. Ein zuverlässiger Zeuge des ersten Mordes gibt Burke einen wichtigen Hinweis, dessen Verwertung jedoch zunächst im Dunklen bleibt. Eine erste Spur führt den Kopfgeldjäger in die Tiefen der Londoner Unterwelt, wo sich die Upper Class satanischen Zirkeln hingibt. Liegt hier der Schlüssel?

Der Autor hat eine sehr mysteriöse, brutale und spannende Geschichte ins Leben gerufen, die mich packt und in seinen Bann zieht. Die Szenerie lässt kaum Spielraum für Fantasie, die Brutalität wird bis ins kleinste, bluttriefende Detail beschrieben. Trotzdem bleibt die Handlung in sich stimmig, passt in den Plot. Die Spannung zieht im Laufe des Buches immer wieder an, um sich in einem furiosen Finale zu entladen.

Kritik: zu kurz.


Philip J. Kaiser, Erwachen – Das Böse der Seelen I, eBook, Mystery-Thriller, ePubli-Verlag, 3,49 €, 284 Seiten, Erscheinungstermin 12.11.2018

Veröffentlicht am 29.11.2018

Hartes, aber wunderbares Lese-Abenteuer

Für eine Stunde
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Aufgrund richterlicher Anordnung muss Amy sich bis zu ihrem 18. Geburtstag in die Obhut ihres Großvaters, den sie nie kennengelernt hat, begeben und ihre Mutter sowie ihren kleinen Bruder zurücklassen. ...

Aufgrund richterlicher Anordnung muss Amy sich bis zu ihrem 18. Geburtstag in die Obhut ihres Großvaters, den sie nie kennengelernt hat, begeben und ihre Mutter sowie ihren kleinen Bruder zurücklassen. Alles Aufbegehren ist vergebens, so dass Amy sich schließlich allein auf die Reise ins Ungewisse begibt. Um das Geld für den Bus zu sparen, beschließt Amy zu trampen. Eine Entscheidung, die alles verändern wird…

„Für eine Stunde“ ist dem Genre „Thriller“ zugeordnet. Auch das schön gestaltete Cover lässt Rückschlüsse auf diese Sparte zu. Dieses Buch ist jedoch sehr vielschichtig und aufgrund dessen nicht eindeutig zuzuordnen. „Natürlich“ gibt es Thrill, Spannung, Gewalt, Brutalität und Action, die einen zartbesaiteten Leser überfordern würden. Aber es gibt auch die leisen Töne, Zartheit, bunte Blumen und Liebe.

Perry Payne hat hier ein hervorragendes Buch geschrieben! So hart es stellenweise war, so gerne habe ich Amy auf ihrem Weg begleitet. Eine zum Teil wunderbare Reise, auch mit Augenblicken zum Träumen; ein Handlungsstrang, an dessen Ende fast alle Fragen beantwortet werden. Ich bleibe mit einem Tränchen im Augenwinkel zurück, als ich das Buch schließe. Aber die entscheidende Frage, welche letztlich alles aufklären kann, muss ich mir selbst beantworten. Und dann eröffnet sich ein neuer Blickwinkel…

Trotzdem finde es etwas schwierig, dieses Buch zu rezensieren. Wie schon gesagt, nicht etwa, weil es ein schlechtes Buch ist, sondern weil ich einfach nicht zu viel verraten möchte. Ich halte es für wichtig, unvoreingenommen diesen Lesegenuss zu starten, sich auf dieses Lese-Abenteuer einzulassen. Ich kann nur auf mich rückschließen, aber hätte ich gewisse Aspekte des Plots im Vorfeld geahnt, wäre ich aufgrund von Vorurteilen nicht wirklich an diesem Buch interessiert gewesen. Und damit hätte ich schlicht und ergreifend etwas versäumt…

Ich habe diesem Buch am Anfang durchaus kritisch gegenübergestanden, zumal es in den zitierten Kritiken nur positive, begeisterte, fantastische Wertungen gab. Eine Einschätzung, der ich mich „nur“ vollinhaltlich anschließen kann.


Perry Payne, eBook, Thriller, Franzius Verlag, 8,99 €, 346 Seiten, Erscheinungstermin 27.10.2018