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Veröffentlicht am 13.04.2019

Blicke hinter die Fassade

Licht über dem Wedding
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Agnes, Wolf und Hannah leben alle in einem Hochhaus im Wedding in Berlin. Während Agnes dort mit ihrem Vater Wolf aufgewachsen ist, wohnt die Modebloggerin Hannah erst seit kurzem in einem der renovierten ...

Agnes, Wolf und Hannah leben alle in einem Hochhaus im Wedding in Berlin. Während Agnes dort mit ihrem Vater Wolf aufgewachsen ist, wohnt die Modebloggerin Hannah erst seit kurzem in einem der renovierten Wohnungen ganz oben. Sie ist in Agnes‘ Augen ein Püppchen und ihre bloße Anwesenheit macht sie aggressiv. In tollen Kleidern stolziert Hannah herum, während in ihrem eigenen Leben gerade so viel schief läuft: Ihr Freund hat keine Lust mehr auf sie, in die Schule geht sie nicht mehr und Wolf ist ein Alkoholiker, der zunehmend die Kontrolle verliert. Doch auch Hannahs Leben ist alles andere als perfekt…

Die Kapitel sind abwechselnd aus den Perspektiven der drei Protagonisten Agnes, Wolf und Hannah geschrieben und nehmen den Leser mit in den Wedding, der noch immer vorwiegend ein Arbeiterviertel ist, aber Stück für Stück modernisiert wird. Diese Situation spiegelt sich auch im Hochhaus wieder, in dem die drei wohnen: Oben Hannah in einer schicken Wohnung mit Ausblick, unten Agnes und Wolf, die dort seit Jahren mit wenig Geld über die Runden kommen.

Alle drei Charaktere sind alles andere als zugänglich. Gleich zu Beginn wird man Zeuge einiger krasser Szenen: Agnes schubst Hannah ins Gebüsch, Wolf schlägt Agnes ein blaues Auge und Hannah posiert für das perfekte Foto lebensmüde vor einer herannahenden Straßenbahn. Warum tun sie so etwas?

Mit jedem Kapitel lernt man die Protagonisten besser kennen und erhält Einblicke, was sie bewegt. Sie sind komplexe Charaktere, die man stückweise verstehen lernt. Agnes versteckt ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit unter einer Menge Wut und Aggression. Wolfs Wunsch, ein guter Vater zu sein, kommt die Alkoholsucht beständig in die Quere. Und Hannah kämpft mit Ängsten, die durch ihre schwierige familiäre Situation weiter verstärkt werden.

Nicola Karlsson erzählt mit einer schonungslosen, nichts beschönigenden Sprache. Sie packte mich emotional und zeigte mir einige der weniger schönen Seiten des Lebens. Es geht um Alkohol, Gewalt, Krankheit und Scheitern. Doch auch wenn die Situation oft trostlos erscheint, bleibt stets etwas Hoffnung erhalten. Immer wieder gibt schöne und rührende Szenen, die zerbrechlich sind und bald wieder von harten Momenten überdeckt werden, aber nachhallen und im Gefühl nicht verloren gehen.

Die Charaktere in „Licht über dem Wedding“ sind wie Kastanien: Außen stachelig, aber darunter verbirgt sich ein verletzlicher Kern. Agnes, Wolf und Hannah wollen unbesiegbar sein, doch ein Blick hinter ihre mühsam aufgebauten Fassaden offenbart Wünsche, Ängste und Hoffnungen. Ein wirklich lesenswertes Buch!

Veröffentlicht am 06.04.2019

Eine absolut gelungene Familiengeschichte!

Zwei Handvoll Leben
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Anna und Charlotte werden beide im Oktober 1899 geboren. Anna wächst im Spreewald mit fünf Geschwistern auf und macht eine Schneiderlehre. Nach dem ersten Weltkrieg gilt ihr bester Freund Erich als vermisst ...

Anna und Charlotte werden beide im Oktober 1899 geboren. Anna wächst im Spreewald mit fünf Geschwistern auf und macht eine Schneiderlehre. Nach dem ersten Weltkrieg gilt ihr bester Freund Erich als vermisst und sie geht allein nach Berlin, wo sie auf Arbeit hofft. Doch auch in der Stadt sind gute Arbeitsplätze rar. Charlotte ist hingegen das einzige Kind eines Gutsherren, der vergeblich auf einen Sohn gehofft hat. Umso gespannter ist er, wen sie als Ehemann wählen wird. Ihre Entscheidung überrascht die Familie, und ihre eigenen Zweifel begleiten sie. Der zweite Weltkrieg verändert das Leben der beiden erneut…

In einem kurzen Vorwort berichtet die Autorin, dass es sich bei diesem Roman um die Geschichte ihrer beiden Großmütter handelt, die sich im Nachkriegsberlin begegnen werden. Danach sind die Kapitel abwechselnd aus der Sicht von Anna und Charlotte geschrieben. Während Anna in einer großen Familie aufwächst und ihr mit dem wenigen Gesparten eine Schneiderlehre ermöglicht wird, lebt Charlotte als Einzelkind in wohlhabenden Verhältnissen auf einem Gutshof und ist darauf bedacht, ihren zu Wutausbrüchen neigenden Vater nicht zu verärgern.

Nach einer verhältnismäßig unbeschwerten Kindheit bricht der erste Weltkrieg aus, und beide müssen um liebgewonnene Menschen bangen. Ein großer Schritt für Anna ist danach der Umzug nach Berlin, wo auch das auf dem Cover abgebildete KaWeDe eine Rolle spielt. Beide Protagonistinnen heiraten, bekommen Kinder und streben nach persönlichen Glück. Schließlich erleben sie das Erstarken des Nationalsozialismus und einen neuen Krieg, der noch weitreichendere Konsequenzen hat als der vorangegangene.

Ich konnte mich sowohl in Anna als auch in Charlotte sehr gut hineinversetzen. Der Autorin gelingt es, das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen auf fesselnde Weise zu beschreiben. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil ich unbedingt wissen wollte, ob Anna und Charlotte ihre Träume verwirklichen können. Einzelne interessante und folgenreiche, schöne, aber auch erschreckende Episoden werden ausführlich geschildert, während die Geschichte mit guter Geschwindigkeit voranschreitet. Dabei werden die beiden Weltkriege im selben Tempo beschrieben wie die Zeit davor und danach. Dadurch liest es sich nicht wie ein „Kriegsbuch“, sondern diese Zeiten mit all ihren Konsequenzen sind einschneidende, aber nicht die einzigen wichtigen Elemente der Geschichte. Meine Neugier blieb bis zum Schluss erhalten, weil ich wissen wollte, was die beiden bis zu ihrer Begegnung kurz vor der Hochzeit ihrer Kinder erleben.

In „Zwei Handvoll Leben“ werden die Geschichten von Anna und Charlotte erzählt, die 1899 geboren wurden und in ihren Leben so einiges gesehen und erlebt haben. Ich wurde vom Verlauf der Handlung immer wieder überrascht und las mich durch persönliche Glücksmomente und Rückschläge, während ich interessante Einblicke in die gesellschaftliche Situation zu jener Zeit erhielt. Schon lange ist es keiner Familiengeschichte mehr gelungen, mich so sehr zu packen. Katharina Fuchs ließ mich ganz nah heran an die Geschichte ihrer Großmütter und konnte mich mit ihren Worten berühren. Ich gebe eine ganz große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.04.2019

Das Warten hat sich gelohnt: Ein spannungsgeladener Reihenabschluss!

Vollendet - Die Wahrheit (Band 4)
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Nachdem Sonia den flüchtigen Wandlern Connor und Risa eine Erfindung gezeigt hat, die alles verändern könnte, überlegen diese fieberhaft, wie sie diese erfolgversprechend einsetzen können. Denn hinter ...

Nachdem Sonia den flüchtigen Wandlern Connor und Risa eine Erfindung gezeigt hat, die alles verändern könnte, überlegen diese fieberhaft, wie sie diese erfolgversprechend einsetzen können. Denn hinter der Umwandlung streckt eine einflussreiche Industrie, die das konkurrierende Produkt sofort zerstören würde. Unterdessen überfällt Starkey mit seiner Storchenbrigade weiter Erntecamps und wird dabei zunehmend brutaler und gnadenloser. Wie lange kann das gut gehen? Camus Comprix soll Molokai verlassen und beim Militär arbeiten, während Lev die Teilepiraten jagt, die für die Umwandlung von Wil verantwortlich sind.

Nachdem der vierte und letzte Teil der Vollendet-Reihe auf Deutsch leider nie als Hardcover erschienen ist, habe ich mich sehr über die Nachricht gefreut, dass alle Teile, auch der letzte, als Klappenbroschur veröffentlicht werden. Fünf Jahre nach dem Lesen des dritten Bandes hielt ich also endlich das große Finale in den Händen. Dank einiger vorangestellter Erklärungen, zum Beispiel zu Streunern, EAs, Klatschern und den wichtigsten Charakteren, fand ich mich schnell wieder in der Welt von Vollendet zurecht.

Der dritte Band endete mit einer großen Enthüllung, die der Schlüssel sein könnte, um der Umwandlung ein Ende zu bereiten. Das wollen viele einflussreiche Personen natürlich verhindern, weshalb man damit nicht einfach an die Öffentlichkeit gehen kann. Stattdessen muss sorgfältig vorbereitet werden, wie man die Welt von der Erfindung wissen lässt. Dabei stoßen die Charaktere auf so einige Herausforderungen und müssen sich erneut in Gefahr begeben.

In diesem Buch werden keine neuen Hauptcharaktere mehr eingeführt, sondern man begleitet die bereits bekannten beim Versuch, ihre Ziele zu erreichen. Diese sind ganz unterschiedlich, doch bald stellt sich ein Gefühl ein, dass der Status Quo nicht mehr lange gehalten werden kann und entscheidende Dinge passieren werden. Bis dahin lässt sich das Buch aber noch etwas Zeit und baut in jedem Handlungsstrang Spannung auf. Personen werden gesucht und gefunden, es gibt Intrigen und Geheimnisse, wilde Verfolgungen, Kämpfe auf Leben und Tod, vielversprechende Durchbrüche und unerwartete Wendungen.

Im finalen Band schöpft der Autor das Potential seiner Geschichte noch einmal voll aus und konnte mich fesseln. Zum Ende hin wird es vor gewaltigen Kulissen noch einmal besonders spektakulär und emotional. Für mich ist „Vollendet. Die Wahrheit“ ein spannungsgeladenes Buch, das die Reihe absolut gelungen abschließt!

Veröffentlicht am 25.03.2019

Eine gelungene Geschichte aus den Katakomben von Buchhaim

Der Bücherdrache
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In einem Traum wird Hildegunst von Mythenmetz in ein Buch verschleppt, wo er den Buchling Hildegunst Zwei trifft, der das gesamte Werk des Schriftstellers auswendig lernt. Der Buchling erzählt ihm eine ...

In einem Traum wird Hildegunst von Mythenmetz in ein Buch verschleppt, wo er den Buchling Hildegunst Zwei trifft, der das gesamte Werk des Schriftstellers auswendig lernt. Der Buchling erzählt ihm eine Geschichte aus seinem Leben: Einst hörte er während einer Schulstunde die Legende von Nathaviel, dem Bücherdrachen. Dieser soll im Ormsumpf hausen und sich schon so lange in ormgetränkter Literatur wälzen, dass er zum Orakel geworden ist. Als er einigen Mitschülern berichtet, dass ihm eine besonders gute Frage für den Bücherdrachen eingefallen ist, offenbaren die ihm, dass die Legende wahr ist und sie den Weg kennen. Der Weg zum Drachen soll gar nicht weit sein! So machte sich Hildegunst Zwei spontan auf dem Weg und erlebt Dinge, mit denen er niemals gerechnet hätte.

Das Cover des Buches ist für mich ein echter Hingucker: Der Bücherdrache blickt den Leser mit ernsten Augen an, davor steht ein kleiner Buchling mit einem Blick, in dem eine Mischung aus Neugier und Angst liegt. Nach acht Jahren endlich wieder ein neuer Zamonien-Roman, der von Walter Moers selbst illustriert wurde! Auch das Thema reizte mich sehr: Ein Drache, der sich so lange in ormgetränkten Büchern gewälzt hat, dass diese nicht nur seinen ganzen Körper eingehüllt haben, sondern er auch all ihr Wissen aufgesogen hat.

Bevor man mehr über den Bücherdrachen erfährt wird dem Leser berichtet, wie Hildegunst von Mythenmetz von dieser Geschichte erfahren hat: Über einen Traum, in welchen er in ein Buch verschleppt wird, wo er ein Buch findet, in das er verschleppt wird und Hildegunst Zwei trifft, der ihm eine Geschichte erzählen will. Ein verwirrendes, Inception-mäßiges Intro, das meiner Neugier aber keinen Abbruch tat.

Schon bald beginnt Hildegunst Zwei, dem Schriftsteller seine Geschichte zu erzählen. Sie führt den Buchling hinaus aus der Ledernen Grotte, in dem sein Volk in Frieden lebt, und hinein in die unbekannte Welt der Katakomben von Buchhain. Dort macht er aufregende Entdeckungen, erlebt einige Überraschungen und erfährt große Geheimnisse.

Die lebendigen Beschreibungen und gelungenen Illustrationen machten die wundersame Welt der Katakomben und des Ormsumpfes greifbar und ließen mich tief ins Buch eintauchen. Der Kern des Buches und mein Highlight ist ein längerer Dialog - humorvoll, philosophisch und voller Wortwitz. Hier läuft der Autor zu Höchstform auf und konnte mich absolut begeistern.

Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe es an einem einzigen Abend durchgelesen. Zum Ende hin wird es noch einmal spannend und ist dann viel zu schnell vorbei. Denn nach nur 165 Seiten heißt es Abschied nehmen, auf den letzten 20 Seiten des Buches ist eine Leseprobe von „Die Insel der 1000 Leuchttürme“ abgedruckt. Insgesamt eine absolut gelungene Geschichte aus den Katakomben von Buchhain. Ein Must Read für alle Zamonien-Fans!

Veröffentlicht am 16.03.2019

Dieses Familienepos ist ein Lesehighlight!

Rückwärtswalzer
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Lorenz Prischinger ist Schauspieler und lebt in Wien. Seine Karriere ist in letzter Zeit jedoch ins Stocken geraten, und in Kombination mit seiner ungebrochenen Kauflust steht er nun vor einem Schuldenberg. ...

Lorenz Prischinger ist Schauspieler und lebt in Wien. Seine Karriere ist in letzter Zeit jedoch ins Stocken geraten, und in Kombination mit seiner ungebrochenen Kauflust steht er nun vor einem Schuldenberg. Notgedrungen zieht er bei Tante Hedi und Onkel Willi ein, in deren Küche auch Hedis Schwestern Mirl und Wetti ständig anzutreffen sind. Warum die drei so viel Zeit miteinander verbringen, darüber hat Lorenz sich bislang nicht viele Gedanken gemacht. Als Willi überraschend stirbt, soll er seinem Wunsch entsprechend im Familiengrab in Montenegro beigesetzt werden. Doch auch die Tanten sind knapp bei Kasse, sodass sie kurzerhand beschließen, die Überführung auf eigene Faust mit Willis Panda zu erledigen. Von Wien bis Montenegro sind es schließlich nur 1029 Kilometer…

Gleich im ersten Kapitel begegnet der Leser dem Schauspieler Lorenz Prischinger, für den es derzeit nicht gut läuft. Er ist hoch verschuldet und kann daran nichts ändern, da seit einiger Zeit die Engagements ausbleiben. Auch seine Freundin will nichts mehr von ihm wissen. Lorenz‘ Situation wird mit tragisch-komischem Tonfall geschildert und ich war neugierig, ob es ihm gelingt, aus der Misere herauszukommen.

Als vorübergehende Maßnahme zieht Lorenz bei seiner Tante Hedi und seinem Onkel Willi ein. Hedi und ihre Schwestern Mirl und Wetti verhalten sich Lorenz gegenüber stets wie Glucken, die ihn mit Unmengen Paniertem versorgen. Sie machten auf mich einen weltfremden und kauzigen Eindruck, zum Beispiel fahren sie alle kein Auto trotz bestandener Führerscheinprüfung und waren noch nie im Ausland.

Doch nicht immer haben die Tanten ihre Tage gemeinsam in der Küche verbracht. Der Roman springt nach jedem Kapitel in der Gegenwart einmal in die Vergangenheit und gibt aufschlussreiche Einblicke in die Geschichte der Familie Prischinger. Die drei Frauen sind gemeinsam mit ihren beiden Brüdern auf einem Wirtschaftshof aufgewachsen, in dessen Gasthaus russische Besatzungssoldaten lebten. Sie alle hat es schließlich hinaus in die Welt gezogen, wo es immer wieder Momente gab, in denen sie wegweisende Entscheidungen treffen mussten und die der Leser miterleben darf. Doch nicht alle alten Geschichten werden bereitwillig geteilt. Man merkt schnell, dass es gewisse Themen gibt, die bewusst umschifft werden und bis heute emotional nicht aufgearbeitet wurden.

Sowohl die Rückblenden als auch die Kapitel in der Gegenwart, in denen schließlich ein skurriler Roadtrip auf dem Programm steht, konnten mich begeistern. Vea Kaiser ist es gelungen, eine in erster Linie unterhaltsame Geschichte zu schreiben, die trotz reichlich schräger Situationen nicht ins alberne abrutscht und auch viele Momente beinhaltet, die mich berühren konnten und nachdenklich gestimmt haben. Dieses Familienepos ist ein Lesehighlight, das ich uneingeschränkt weiterempfehle!