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Veröffentlicht am 18.06.2019

Must-read!

Bruder
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Einen guten Thriller macht in meinen Augen aus, dass man viel von der Gedankenwelt der Protagonisten erfährt. Aber es ist auch wichtig, dass der Autor Bilder entstehen lässt, die einem Gänsehaut bereiten. ...

Einen guten Thriller macht in meinen Augen aus, dass man viel von der Gedankenwelt der Protagonisten erfährt. Aber es ist auch wichtig, dass der Autor Bilder entstehen lässt, die einem Gänsehaut bereiten. Dieser Buch verbindet beides miteinander und zeigt: nicht nur das geschriebene Wort verursacht Kopfkino. Mitunter sind sogar die Dinge grausamer, die man nur zwischen den Zeilen lesen kann, oder sich selbst aus Andeutungen zusammenbastelt.

Die Hassliebe zwischen den Brüdern Reb und Michael Morrow steht hier im Mittelpunkt der Geschichte. Hört sich erst einmal nicht so spektakulär an, denn für die Grausamkeiten ist eine Figur zuständig, die sich meist am Rande herumdrückt und dennoch immer präsent ist: Momma.

„Das Haus wirkte in der Dunkelheit wie verflucht. Blasses Mondlicht spiegelte sich in den vorderen Fenstern. Der kalte weiße Lichtschimmer verlieh den verwitterten Dachschindeln einen fast schillernden Silberton.“ (Zitat S. 85)

Zurückgezogen leben die Morrows in einem abgelegenen Farmhaus. Michael stellt sich immer öfter die Frage, ob er hier sein Leben lang bleiben will und ihn die Morrows gehen lassen würden. Allen voran Reb, sein großer Bruder, vor dem alle Angst haben. Im Gegensatz zu Michael ist dieser schroff, brutal und herzlos. Liebe hat er nur für eine Person empfunden: für seine Schwester Lauralynn.

Als Michael dann Alice kennen lernt und sich in sie verliebt, möchte Reb ihn unterstützen, Alice' Herz zu gewinnen. Michael hofft nun auf die Beziehung zu seinem Bruder, die er sich von Anfang an gewünscht hat.

„Manche Dinge ergeben erst rückblickend einen Sinn. […] Du weißt nicht, was du dir ansiehst, bis du weißt, was als nächstes passiert. Dann musst du wieder an den Anfang gehen, um die Hinweise zu entdecken.“ (Zitat S. 142)

Die Entwicklung der Geschichte hat mich echt umgehauen. Nach und nach haben sich die Hinweise zwar zu einem Bild zusammengesetzt, aber so richtig gerechnet habe ich damit bis zum Ende nicht. Konkreter möchte ich nicht werden – das würde zu viel verraten. Ich habe auf einen Irrtum gehofft, auf einen Fehler in den Nachforschungen. Aber vergebens. Und doch hat es genauso gepasst, wie es war und wie es endet.

Obwohl mir vor Entsetzen manches Mal die Luft wegblieb, wollte ich unbedingt weiterlesen. Das war schon fast zwanghaft, weil ich ohnehin ständig an die beiden Brüder denken musste. An sich ist die Geschichte unterschwellig ruhig, doch es brodelt so viel unter der Oberfläche. Die Autorin hat einen unaufgeregten Schreibstil, der im Kontrast zur Handlung steht. Man hetzt nicht durch die Handlung, sondern wird mit ruhigen Worten durch die Grausamkeiten geführt. Das passt perfekt zu der beklemmenden und düsteren Atmosphäre, die das Haus und seine Bewohner umgibt. Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich an einige Passagen denke.

„Momma bekam, was Momma haben wollte.“ (Zitat S. 225)

Persönlich hätte ich es spannend gefunden, wenn man etwas mehr über Momma und Wade, und insbesondere über ihre Beziehung zueinander, erfahren hätte. Dennoch ist es durchaus konsequent, dass der Leser nur das weiß, was auch Michael weiß, weil er den Großteil der Geschichte erzählt. Ein paar Andeutungen lassen jedoch ein relativ gutes Bild davon entstehen, was Momma widerfahren ist.

Persönliches Fazit: Hohe Spannung bis zum letzten Wort und ein perfekt ausgearbeitetes Psychogramm – ein Tipp nicht nur für Fans des Genres, sondern für jeden, der gern in die tiefen Abgründe der menschlichen Seele abtaucht!

©Recensio Online, 2019

Veröffentlicht am 06.06.2019

Must-read!

Die gute Seele
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Mit „Die gute Seele“ habe ich einen megamäßigen Pageturner gelesen, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Im ersten Teil des Buches begleiten wir zunächst Laura, eine freundliche junge Frau und ...

Mit „Die gute Seele“ habe ich einen megamäßigen Pageturner gelesen, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Im ersten Teil des Buches begleiten wir zunächst Laura, eine freundliche junge Frau und Mutter von drei Kindern, die bei der Telefonseelsorge arbeitet. Aber der Schein trügt, denn Laura gibt nur nach außen hin die nette Frau – in Wahrheit ist sie eiskalt und nutzt ihren Job aus, um die Menschen zum Selbstmord zu animieren, anstatt sie davon abzubringen. Ihr Ziel dabei: den letzten Atemzug des Sterbenden zu hören. Dies fasziniert sie schon seit ihrer Kindheit.

Zitat S. 19
„Ich wurde gerne für den mütterlichen Typ gehalten. Dass mich alle für einen hilfsbereiten, harmlosen und unentbehrlichen Menschen hielten, kam mir sehr gelegen. Denn wenn man nicht als Bedrohung angesehen wird, komm man mit sehr viel mehr Dingen ungestraft davon.“

So organisiert sie einen Doppel-Selbstmord und treibt dabei die schwangere Charlotte zusammen mit einem Unbekannten in den Tod. Doch damit ist sie zu weit gegangen, denn Charlottes Mann Ryan kommt ihr nach und nach auf die Schliche.

So darf der Leser im zweiten Teil des Buches Ryan begleiten. Er erfährt durch die polizeilichen Ermittlungen, dass Charlotte vor ihrem Freitod hunderte Male bei der Telefonseelsorge angerufen hatte. Um Antworten zu suchen, ermittelt Ryan auf eigene Faust und stößt schon bald auf Laura. Er will wissen, warum seine Frau sterben wollte und kommt dabei Lauras Spielchen auf die Schliche. Dabei hat er nur eins im Sinne: Rache!

Zitat S. 216
„Am Ende der Woche wusste ich schließlich genau, wie ich Laura alles wegnehmen würde, so wie sie mir alles genommen hat.“

Im dritten Teil des Buches kommt es zu einem wahren Spannungsfeuerwerk. Das Aufeinandertreffen von Laura und Ryan könnte spannender und aufregender nicht sein. Laura schreckt vor nichts zurück und setzt dabei sogar ihre eigene Familie aufs Spiel, um Ryans Existenz vollständig zu zerstören. Der wiederum schlägt mit allem zurück, was ihm lieb ist. Aber kann er Laura endlich stoppen? Die Auflösung raubt einem dem Atem.

Der dritte Teil hat mich umgehauen! Wahnsinn, was hier alles passiert, mit dem man nicht im Geringsten rechnen würde. Hier hat John Marrs nochmal richtig aufgefahren und verpasst dem Leser eine ordentliche Portion Adrenalin.

Persönliches Fazit:

Ein absolutes must-read! Ich habe lange nicht mehr so ein spannendes Buch gelesen. Faszination von Anfang bis Ende. Ganz klare Leseempfehlung!

Recensio Online, 2019, Sabrina

Veröffentlicht am 29.05.2019

True Crime at its best!

True Crime
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True Crime ist ein Subgenre der Sachliteratur und widmet sich primär der Darstellung realer Kriminalfälle. Und genau das ist es, was die Leserschaft dermaßen anzieht und fasziniert: die Realität. Das wahre ...

True Crime ist ein Subgenre der Sachliteratur und widmet sich primär der Darstellung realer Kriminalfälle. Und genau das ist es, was die Leserschaft dermaßen anzieht und fasziniert: die Realität. Das wahre Verbrechen, das so, wie es im Buch, Podcast oder Internetbeitrag dargestellt wird, stattfand.

Bevor Sam Millar aka André Singleton als erfolgreicher Autor reüssierte, war er u.a. als "Blanket-Man" und Drahtzieher beim "großen Dings bei Brink's" berühmt-berüchtigt.

Sam Millar blickt auf eine schwierige Kindheit zurück: der Vater war bei der Marine und oft nicht zu Hause, die psychisch labile Mutter geplagt vom Alleinsein, suchte Trost im Alkohol, Essen gab es meistens durch Rabattmarken und Lebensmittelgutscheine, und die strenggläubige katholische Erziehung durch den Großvater tat ihr Übriges. So erlebte er auch den "Blutsonntag" 1972 in Derry hautnah mit. Als ein ehemaliger Schulfreund erschossen wurde, wechselte Sam zu einem militanten Republikanismus. Man warf ihm vor, er würde zur IRA gehören, einer irisch-republikanischen, paramilitärischen Organisation, die aus der Spaltung der Irisch-Republikanischen Armee im Dezember 1969 hervorging. Aufgrund dieser Verbindung und späterem Vorwurf des Waffen- und Sprengstoffbesitzes wurde er im Gefängnis Long Kesh (auch bekannt als Maze Prison oder H-Blocks) untergebracht. Da er sich vehement dagegen wehrte, die Verurteilung und die Regeln des Gefängnisses anzuerkennen, musste er jahrelang unter schlimmsten, die Menschenwürde verletzenden Bedingungen leben.

Dies alles wird im ersten Teil des Buches beschrieben. Die Kapitel sind chronologisch unterteilt und haben Überschriften, die sich auf die jeweiligen Inhalte beziehen. Dazu gibt es jeweils passende Zitate aus anderen Büchern.

KAPITEL EINS
Das Haus
April 1965

Sie versauen dich, deine Mutter und dein Vater. Vielleicht nicht mit Absicht, trotzdem tun sie es. Sie füllen dich an mit ihren eigenen Fehlern. Und geben noch welche obendrauf, nur für dich. - Philip Larkin, This Be The Verse

Im zweiten Teil des Buches führte ihn sein Weg hinaus in die Freiheit, ab nach New York. Dort gründete er eine Familie mit seiner Frau, sie bekamen drei Kinder. Doch statt das Leben zu genießen, das Beste draus zu machen, plante er 1993 den spektakulärsten Überfall in der amerikanischen Geschichte. Bis dahin war er mir äußerst sympathisch, doch dann kam ich nicht umhin, mich zu fragen, warum jemand ständig auf der Suche nach Problemen ist. Fiel es ihm wirklich so schwer, einfach mal glücklich (oder zumindest zufrieden) zu sein? Hatte er denn aus seiner Vergangenheit nichts gelernt?

Die knochenfarbenen Zellen, deren Trostlosigkeit der dunkle Himmel noch unterstrich, waren das erste, was ich sah, als ich aus dem Transporter stieg [...] Ein Wärter hatte sich in eine Ecke verkrochen, um eine zu rauchen. [...] Einen Moment hatte ich den Eindruck, als würde er mich kopfschüttelnd betrachten und an meinem Verstand zweifeln. (Seite 91, 92)

Natürlich ging alles Mögliche schief, und er wurde schließlich wieder verhaftet. Das ist übrigens kein Spoiler, denn der Fall samt anschließendem Gerichtsverfahren sorgte einst für mächtig Wirbel in den Medien. Und zwar so sehr, dass Warner Brothers, die die Filmrechte erworben hatten, einen Rückzieher machten, nachdem die Bush-Regierung aufgrund der Anschläge vom 11. September behauptete, das Buch würde den Terrorismus verherrlichen.

Im zweiten Teil erhält der Leser interessante Einblicke in die Prozessführung und in das amerkanische Rechtssystem. Dabei schreibt Millar nicht mit prahlerischem Unterton, glorifiziert seine Handlungen nicht, belehrt nicht, sondern greift auf Fakten zurück und schildert mit konsterniertem Understatement. Er schreibt locker, geradeheraus und lässt stellenweise seine politischen Ansichten mit einfließen.

Persönliches Fazit: Ein aufschlussreicher, spannender, erschütternder und autobiografischer Krimi, der erstaunlich leicht von der Hand ging. True Crime at its best.

© Recensio Online, 2019, Julie

Veröffentlicht am 31.03.2019

Ein starker Thriller!

Die Akte Rosenrot
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Für mich war es das zweite Buch von der Autorin, und obwohl bereits "Gleis der Vergeltung" für mich das Nonplusultra im Thriller-Bereich war, konnte Astrid Korten mich erneut überraschen. Beeindruckend, ...

Für mich war es das zweite Buch von der Autorin, und obwohl bereits "Gleis der Vergeltung" für mich das Nonplusultra im Thriller-Bereich war, konnte Astrid Korten mich erneut überraschen. Beeindruckend, spannend und hochbrisant - mit diesen drei Worten würde ich "Die Akte Rosenrot" beschreiben. In jedem Satz stecken Herzblut, Fachwissen und Professionalität. Man merkt dem Plot an, dass hier äußerst gründlich recherchiert wurde.

Vor allem jedoch überzeugte mich der Thriller ob des Mutes, mit dem die Autorin hier ans Werk ging. Nicht jedem Autor gelingt es, ein brisantes und aktuelles Thema aufzugreifen und mit ungezügelter Ehrlichkeit in die Welt hinauszutragen. Geschickt werden falsche Fährten gelegt, Netze gesponnen und Abgründe aufgetan, in die man als Leser nicht nur reinstolpert, sondern tief hinabfällt. Ich war dermaßen gefangen in diesem Sog, dass mich das Buch noch nach dem Zuschlagen beschäftigte. Auch, weil ich aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen mit dem Subgenre Politthriller vor dem Lesen bereits negativ eingestellt war. Voreingenommen. Umso besser für mich, dass ich "Die Akte Rosenrot" lesen durfte. Dieses Buch ist eine Mischung aus Thriller, Psychothriller und Politthriller.

Mit Ibsen Bach bekommt der Plot einen außergewöhnlichen Protagonisten an die Seite gestellt. Ein verwundetes Lamm, vom Leben gezeichnet und mit einer faszinierenden Finsternis umhüllt. Er war mir auf Anhieb sympathisch und vermittelte Authentizität. Passend also, dass er als ermittelnde Figur die Geschichte vorantreibt. Ein Geheimnis, an das er sich zunächst nicht mehr erinnert, ließ mich aufhorchen. Ich liebe es, in den Sachen Anderer zu wühlen und das Schmutzige zu entlarven. Innerlich habe ich mich darauf eingestellt, von der Autorin auf Irrwege geführt zu werden, und so kam es dann auch. Stück für Stück arbeitet der Leser an diesem geschickt inszenierten Schiebepuzzle, bewegt hier ein Teilchen, dort eins, um dann letztendlich festzustellen, dass die Lösung eine ganz andere ist.

An dieser Stelle möchte ich einbringen, dass dieser Thriller Szenen enthält, die unmissverständlich, direkt und grausam sind. Damit ist zu rechnen, wenn man sich für ein solches Werk entscheidet. Mir gefiel es, wie kritisch, souverän und ehrlich Astrid Korten die Motive und Handlungen ihrer fein gezeichneten Figuren dem Leser nahebringt.

Mit Berlin und Moskau als Schauplätze bekommen wir ein spannendes Setting, und in einzelnen Handlungssträngen wird jeweils die Geschichte von Profiler Ibsen Bach und die der russischen Bloggerin Leonela Sorokin erzählt. Zwei einprägsame Charaktere, die differieren. Beide recherchieren in unterschiedlichen Fällen, die offenbar durch dasselbe Geheimnis miteinander verbunden sind.

Oft katapultiert die Autorin den Leser zurück in die Vergangenheit, die immer noch wichtig für die Protagonisten zu sein scheint und sie in der Gegenwart stark beeinflusst. Dabei wird zwischen der auktorialen (Außen)Perspektive und der Ich-Erzählung gewechselt, etwa wenn Ibsen Bach aus seiner Sicht erzählt. Und obwohl der Plot sich ob der Komplexität des Themas auf hohem Niveau bewegt, kann er dennoch mit überraschenden Wendungen und Spannungselementen aufwarten. Warum "dennoch"? Weil ich, wie eingangs erwähnt, die Erfahrung gemacht habe, dass vor allem sehr anspruchsvolle Lektüre ausreichend Spannungskurven vermissen lässt. Dies ist hier nicht der Fall. Ich fühlte mich zu jedem Zeitpunkt bestens unterhalten.

Persönliches Fazit: Ein beeindruckener Mix aus Thriller, Psychothriller und Politthriller, der mit gründlicher Recherche, einem temporeichen sowie intelligenten Plot und überzeugenden Charakteren punktet. Unbedingt lesen!

© Rezension, 2019, Julie

Veröffentlicht am 16.03.2019

Ein starker Thriller!

Alexandra
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Selten hat mich eine Protagonistin derart abgestoßen und trotzdem unglaublich fasziniert wie Alexandra. Sie ist taff, wirkt unmoralisch, arrogant, ziemlich crazy und würde über Leichen gehen, um an ihr ...

Selten hat mich eine Protagonistin derart abgestoßen und trotzdem unglaublich fasziniert wie Alexandra. Sie ist taff, wirkt unmoralisch, arrogant, ziemlich crazy und würde über Leichen gehen, um an ihr Ziel zu gelangen. Dennoch - oder gerade deswegen - strahlt sie Authentizität und Selbstbewusstsein aus. Natasha Bell schafft es mühelos, den ambivalenten Charakter ihrer Schlüsselfigur darzustellen. Und zwar so realistisch, dass man trotz der Aversion ihr gegenüber eine Verbindung herstellen kann. Das lässt den Leser zwar nicht gänzlich hinter die Fassade blicken, vermittelt jedoch ein gutes Bild darüber, wie die innere Haltung eines Menschen sein kann - die in diesem Fall wahrscheinlich nicht mit der eigenen konform geht. Es ist die Faszination des Bösen, die an das Buch fesselt, und sicherlich auch die Bedeutung von Wahnsinn. Denn das ist Alexandra meiner Meinung nach: wahnsinnig.

Im starken Kontrast dazu bekommt der Leser es mit ihrem Ehemann Marc zu tun, der sich allein um die Kinder und den Haushalt kümmern muss, nachdem Alexandra spurlos verschwunden ist. Ich konnte die gewaltigen Emotionen nachempfinden, denen man erlegen ist, wenn man nicht weiß, ob die eigene Frau noch lebt oder längst tot ist. Diese quälende Ungewissheit raubt Marc den Verstand. Zeitgleich bemüht er sich, die Hoffnung aufrecht zu erhalten, dass Alexandra eines Tages wohlbehalten zurückkommt. Selbst dann, als die Polizei den Fall ad acta legt. Doch je mehr Marc versucht, eine Spur zu finden und das Puzzle zusammenzusetzen, desto mehr wird ihm auch klar, dass er seine Frau womöglich gar nicht so gut kennt, wie er dachte.

"Der skeptische Teil seines Ichs löste sich von ihm und schwebte unsichtbar unter der Zimmerdecke, blickte auf ihn herab und verspottete seine armselige, hoffnungsvolle Ernsthaftigkeit." (Zitat Seite 23/24)

"Jemand hat sie gesehen, mit ihr gesprochen oder sie mitgenommen. Mir ist egal, was Sie getan haben, ich will meine Frau einfach nur zurück." (Zitat Seite 117)

Das Netz aus Lügen und Geheimnissen ist so fein gestrickt, dass man der Autorin immer wieder in die Falle tritt und nur über Irrwege zum Ziel gelangt. An einigen Stellen wirkt es so, als würde Natasha Bell abdriften, zu weit ausholen, aber manche Dinge brauchen etwas mehr Zeit, um zu reifen. Letztendlich wurde der Raum geschaffen, der nötig ist, damit die unterschiedlichen Eindrücke und Wahrnehmungen sich gänzlich entfalten können, denn diese machen den Plot im Wesentlichen aus. Der Thriller punktet primär mit psychologischen und emotionalen Aspekten und verzichtet dabei auf genre-typisches Blutvergießen und Brutalität.

"Er hielt mich am Boden fest, drückte mir das Knie in den Magen. Ich konnte seinen süßen und wohlbekannten Schweiß riechen. [...] Er wollte, dass ich seine ganze Kraft fühlte, mir meines Rangs bewusst wurde." (Zitat Seite 126)

Kaum zu glauben, dass es sich hierbei um das Debüt der Autorin handelt. Vor allem das Ende hat mich innerlich völlig zerrissen. Ich war wütend, fassungslos, nachdenklich, durcheinander.

Persönliches Fazit: Ein beeindruckender Thriller mit überraschenden Wendungen, einer ungewöhnlichen Protagonistin und psychologisch raffinierten Handlungssträngen. Bestens geeignet für Leserinnen und Leser, die auf Nervenkitzel und temporeiche Spannung setzen.


© Rezension, 2019, Recensio Online