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Veröffentlicht am 01.04.2019

Heilige unter sich

Unter Heiligen
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leben in Junction, einer kleinen Siedlung am Straßenkreuz. Heilige: so bezeichnen sich die Mormonen selbst. Die hier Ansässigen haben sich zum großen Teil von der Hauptkirche gelöst und praktizieren einen ...

leben in Junction, einer kleinen Siedlung am Straßenkreuz. Heilige: so bezeichnen sich die Mormonen selbst. Die hier Ansässigen haben sich zum großen Teil von der Hauptkirche gelöst und praktizieren einen aus ihrer Sicht freieren, klareren Glauben. Für die meisten von ihnen gehört dazu, entgegen den Maßgaben der Hauptkirche monogam zu leben.

Winter 1888: Allein zu Haus zu sein ist Deborah gewohnt - ihr Mann Samuel ist wie in jedem Jahr als wandernder Handwerker unterwegs. Nur: diesmal ist er nicht wie versprochen und bisher immer gehalten am 1. Dezember zurückgekommen - nun ist es fast Mitte Januar und Deborah wartet noch immer auf ihn. Ohne auch nur daran zu denken, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.

Es stellt sich ein Reisender ein - einer von denen, die Deborah bereits erwartet, wenn auch nicht in dieser Jahreszeit. Gemeinsam mit ihrem Mann Samuel und dessen Stiefbruder Nels ist sie nämlich Teil einer Kette von Verschworenen, die Brüder auf der Flucht vor dem Gesetz unterstützen. Und zwar Andersdenkende: sie werden wegen Polygamie verfolgt und trotz ihrer anderen Haltung unterstützen die Drei die Glaubensbrüder. Doch mit dem neuen Besucher ist etwas anders, das zeigt sich auch darin, dass er von einem Marshall verfolgt wird, nicht von einfachen Ordnungs- und Gesetzeshütern.

Die Autorin schreibt in einem schlichten, sehr klaren Stil. Einerseits ziehen in diesem Roman mehrere Schicksale am Leser vorbei, andererseits jedoch passiert nicht wirklich viel. Doch es wird deutlich, welche Kraft Deborah braucht, um sich ihrem Leben zu stellen, dieses zu meistern in der kargen Einöde Utahs. Mir ist deutlich geworden, dass sie diese Kraft tatsächlich hat. Es ist ein Roman, der viel Trauer, aber ebenso viel Hoffnung beinhaltet. Sehr zu empfehlen für Freunde anspruchsvoller historischer Romane, die gerne auch mal etwas weitab des Mainstream lesen!

Veröffentlicht am 01.04.2019

Liv und die Wikinger

Finsteres Kliff
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Oder wie man sonst die wilden nordischen Gesellen so bezeichnet, die den alten Göttern huldigen. In diesem Krimi zeigt sich Sylt überhaupt nicht als Insel der Reichen und Schönen, sondern vor allem als ...

Oder wie man sonst die wilden nordischen Gesellen so bezeichnet, die den alten Göttern huldigen. In diesem Krimi zeigt sich Sylt überhaupt nicht als Insel der Reichen und Schönen, sondern vor allem als ein ursprüngliches Stück Land inmitten der Nordsee mit ebenso ursprünglichen, traditionsbewussten (Ur)Einwohnern, die eine eigene Sprache sprechen.. Von ihnen stammt Liv Landers, die junge Kommissarin ab, doch hat es sie aufgrund komplizierter Verwandtschaftsverhältnisse nach Flensburg verschlagen, wo sie - gerade mal um die 30 - mit Großmutter Elise und Sanna, ihrer pubertierender Tochter lebt. Und arbeitet. Außer, es verschlägt für einen Fall mal wieder nach Sylt.

Der aktuelle hängt eng mit den regionalen Traditionen zusammen, hat sich doch am Rande des traditionsreichen Biike-Feuers ein Mord ereignet - an Gerhard, einem jungen Mann, der seinerseits eine starke Bindung zu den alten Riten hatte. Und seine Verlobte ist verschwunden. Auch als sie wieder auftaucht, völlig durcheinander, können zunächst einmal keine Zusammenhänge hergestellt werden. Ist der gesamte Freundeskreis verdächtig? Noch ratloser werden die Ermittler, als auf einmal deutlich wird, dass ein Apothekerpaar mit Sohn immer wieder im Rahmen der Ermittlungen auftaucht. Und diese Familie huldigt ganz klar nicht den Göttern, sondern dem schnöden Mammon!

Ein Krimi, in dem das Privatleben der Ermittlerin Liv Landers stark im Vordergrund steht. Ich finde, es passt gut zu dem Setting und dadurch intensiviert sich auch ein anderer Eindruck von Sylt: nämlich das Bild als Nicht-Nur-Touristen-Insel.

Insgesamt ein runder Fall, am Ende fehlte mir ein kleines bisschen die Spannung: nachdem alles fest stand, wurde es nochmal aufgerollt und wieder und wieder beleuchtet, das war aus meiner Sicht viel zu langatmig. Dennoch war dies nur ein geringer Störfaktor, denn dies ist definitiv eine Reihe, bei der ich am Ball bleibe, bei der sich die Protagonistin von der Masse absetzt dank verschiedener Alleinstellungsmerkmale. Ich mag Liv sehr gern, sie ist so authentisch und einfach ein Typ. Kein unkomplizierter, aber ganz klar ein liebenswerter. Ich mag besonders gern an ihr, dass sie kein bisschen zickig ist und dass sie ein ebenso guter Kumpel für Männer wie für Frauen ist - wenn man sie lässt. Auf ihren nächsten Fall freue ich mich schon jetzt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Figuren
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 29.03.2019

Mord am See

Ein Espresso für den Commissario
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Am Comer See nämlich - da bleibt Commissario Marco Pellegrini nichts anderes übrig, als auf den zweiten und dritten Espresso des Morgens zu verzichten und die Ermittlungen aufzunehmen. Einen jungen Studenten ...

Am Comer See nämlich - da bleibt Commissario Marco Pellegrini nichts anderes übrig, als auf den zweiten und dritten Espresso des Morgens zu verzichten und die Ermittlungen aufzunehmen. Einen jungen Studenten hat es erwischt, der - so stellt sich allmählich heraus - auf ganz schön großem Fuß gelebt hat.

Schnell wird deutlich, dass es so einige gibt, die ein Interesse an dem Fall haben - aber warum? Und kann alles stimmen, was die Zeugen so erzählen?

Erschwert wird die Aufklärung durch das Ermittlerteam - Pellegrini hat seine liebe Not damit, seine Mitarbeiter am Ball zu halten - jedenfalls so, dass sie auch zur Ermittlung beitragen. Konflikte und Animositäten am Arbeitsplatz werden hier sehr gut und eindringlich, dabei durchaus unterhaltsam dargestellt.

Mehr noch allerdings lenkt Autor Dino Menardi die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Schönheit der Landschaft und auf weitere Vorzüge, vor allem leibliche Genüsse. Es fiel mir schwer, diesen Krimi zu lesen, ohne zwischendurch zu naschen oder mir zumindest ein Käffchen zu gönnen - einen Espresso, versteht sich! Und ich habe fortwährend Appetit auf italienisches Essen!

Ein Regionalkrimi also, der genau das erfüllt, was man (ich zumindest) sich davon erhofft: Stimmung, Spannung und Spaß. Auch, wenn der Spannungsbogen nicht so ganz bis zum Ende der Geschichte aufrecht erhalten wurde. Doch das ist bei dieser Art von Krimis auch nicht ganz so wesentlich. Für Italienurlauber ist dies genau die richtige Lektüre - ob zum Einstimmen zu Hause oder auch zum Lesen im Liegestuhl - wenn man dann endlich angekommen ist in seinem eigenen italienischen Paradies - ob am Comer See oder an einem anderen traumhaften Ort!

Veröffentlicht am 28.03.2019

In das Land, in dem Milch und Honig fließen

Über die Berge und über das Meer
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wollen weder Tarek noch Soraya - zwei afghanische Kinder, die sich - jeder für sich - auf einen beschwerlichen Weg begeben. Begeben müssen, denn sie und damit auch ihre Familien werden aus bestimmten Gründen ...

wollen weder Tarek noch Soraya - zwei afghanische Kinder, die sich - jeder für sich - auf einen beschwerlichen Weg begeben. Begeben müssen, denn sie und damit auch ihre Familien werden aus bestimmten Gründen unter Druck gesetzt. Ihre jeweiligen Väter übergeben sie aus Mangel an Alternativen an Schlepper. Für beide Kinder ist die Trennung von der Familie ein Alptraum - am liebsten wären sie einfach zu Hause geblieben.

Mitten in den schneebedeckten Bergen Afghanistans begegnen sie, die sich aus langen gemeinsamen Sommern, aus glücklichen Kindertagen also kannten, einander während der Flucht durch Zufall wieder und würden am liebsten gemeinsam weiterziehen. Die Hoffnung auf ein erneutes Aufeinandertreffen und eine gemeinsame Weiterreise ist beiderseits vorhanden.

Sie fliehen nicht aus eigenem Willen oder aus Hoffnung auf ein besseres Leben, sondern es bleibt ihnen ganz einfach keine andere Wahl. Ganz auf sich gestellt sind sie während ihrer Flucht, denn dass auf Schlepper kein Verlass ist, lernen sie schnell. Umso überraschender für sie selbst sind verschiedene Begegnungen mit besonderen Menschen, die ihnen helfen oder denen auch sie helfen können. Begegnungen, die hoffen lassen.

Werden sie in Sicherheit gelangen und werden sie einander wieder begegnen? Der Leser bangt auf jeder einzelnen Seite mit den jungen Protagonisten.

Der Autor Dirk Reinhardt hat sorgfältig recherchiert, mit zahlreichen jungen Flüchtlingen gesprochen und sie verstehen gelernt. Entsprechend ergreifend und mitreißend ist sein Buch geworden, das Teenager adressiert, aber auch für Erwachsene sehr lesenswert ist. Ich bin mir recht sicher, dass man bei Jugendlichen, die diese Lektüre "durchgezogen" haben, nur noch selten Sprüche wie "Du hast es ja sooo gut, denk an die armen Flüchtlinge" bringen muss - sie haben plastisch vorgeführt bekommen, wie es diesen Kindern geht. Ein schmerzhaftes und wirklich wichtiges Buch, das uns nicht nur hilft, Geflüchtete zu verstehen, sondern uns auch dabei weiterhilft, uns selbst besser zu verstehen und bestenfalls entsprechend zu positionieren. Ein sehr besonderes Buch, das ich nicht so schnell vergessen werde!

Veröffentlicht am 28.03.2019

Das Schicksal einer Kirche und dreier Menschen

Die Glocke im See
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steht im Mittelpunkt dieses eindrucksvollen Romans.

Ein kleiner Ort, in dem die Jahrhunderte alte Kirche den Mittelpunkt bildet, vor allem die darin enthaltenen Glocken, die vor einigen Generationen von ...

steht im Mittelpunkt dieses eindrucksvollen Romans.

Ein kleiner Ort, in dem die Jahrhunderte alte Kirche den Mittelpunkt bildet, vor allem die darin enthaltenen Glocken, die vor einigen Generationen von einem damals wohlhabenden Gutsbesitzer in Gedenken an ein tragisches Familienereignis gestiftet wurden. Dieser Hof, der Hekne-Hof nämlich, kämpft inzwischen, in den 1880er Jahren wie die meisten anderen auch gegen große wirtschaftliche Probleme an. Doch die derzeitigen Bewohner, vor allem Astrid, die älteste Tochter, sind sich dieses Erbes ganz klar bewusst.

Aus Deutschland kommt ein Angebot, dass die Kirche nicht ausschlagen kann: die dortige Kirche soll in Einzelteile zerlegt und in Deutschland wieder aufgebaut werden, inklusive der Glocken. Die Summe, die geboten wird, macht es der Kirche leicht, hier zuzustimmen. Ersatz soll in Form einer wesentlich schlichteren Kirche erfolgen. Viele Dorfbewohner nehmen dies als gegeben an, doch Astrid wehrt sich. Und das, obwohl beide Männer, die auf Arbeitsebene in diesen Prozess der Kirchenversetzung eingebunden sind, ihr etwas bedeuten: der örtliche Pfarrer Kai Schweigaard nämlich und der deutsche Ingenieur Gerhard Schönauer.

Eine Konstellation, die Dramatisches erahnen lässt und die die Grundlage bildet für einen Roman, dem man die große schriftstellerische Tradition der Norweger Seite für Seite anmerkt.

Hier wird ein Norwegen gezeichnet, wie man es von Hamsun kennt: harte menschliche Schicksale inmitten kraftvoller Natur. Doch Autor Lars Mytting tut dies mit der Weitsicht und dem Wissen des 21. Jahrhunderts. Dem Wissen um das Vergangene, dem er sich hier teils behutsam, teils aber auch durchaus offensiv annähert. Die Sozialgeschichte, die gesellschaftlichen Strukturen: das alles hat in seinem aktuellen Werk eine wesentlich größere Präsenz als in den Romanen vergangener Zeiten, in denen diese als gegeben hingenommen wurden. Doch gerade durch die differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Thematik, auch durch die Gegenüberstellung norwegischer und deutscher Verhältnisse ist dieser Roman aus meiner Sicht so anschaulich und eindringlich, durchaus auch (ge)wichtig.

Ein Roman, den ich trotz gelegentlicher Längen und von mir wahrgenommener kleinerer Widersprüche jedem Leser empfehlen möchte, der sich gerne mit Vergangenem auseinandersetzt und der einfach auch hochwertige Literatur genießen will: denn das ist dieser Roman, der zudem aber auch Qualitäten eines klassischen Schmökers aufweist, ganz unbedingt. Wobei sich diese beiden Beurteilungen "hochwertig" und "Schmöker" ja auch nicht widersprechen müssen!