Cover-Bild Der Fetzen
11,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Tropen
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 12.03.2019
  • ISBN: 9783608115369
Philippe Lançon

Der Fetzen

Nicola Denis (Übersetzer)

»Ich war einer von ihnen, aber ich war nicht tot.« Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo hat das Leben von Philippe Lançon unumkehrbar in zwei Hälften gespalten. In eindringlicher Prosa arbeitet Lançon das Erlebte auf und sucht seinen Weg zurück in ein Leben, das keine Normalität mehr kennt.

Als sich Philippe Lançon an einem Morgen im Januar spontan entscheidet, in der Redaktion von Charlie Hebdo vorbeizuschauen, gibt es kein Anzeichen dafür, dass sein Leben direkt auf eine Katastrophe zusteuert. Gemeinsam mit seinen Kollegen sitzt er im Konferenzraum, als zwei maskierte Attentäter das Gebäude stürmen. Kurz darauf sind die meisten seiner Freunde tot, ihm selbst wird der Unterkiefer zerschossen. Philippe Lançon wird nicht als Gastdozent nach Princeton gehen, wie es geplant war. Er wird seine Querflöte verschenken, die er nicht mehr spielen kann. Und er wird lange Zeit keine Redaktion mehr betreten. Stattdessen wird er siebzehn Gesichtsoperationen erdulden und versuchen, seine Identität zu rekonstruieren. So, wie das Attentat Frankreich in ein Davor und ein Danach gespalten hat, hat es auch das Leben Philippe Lançons auseinandergerissen. In der fulminanten literarischen Verarbeitung seiner Traumata macht der Autor so eindrucksvoll wie behutsam sichtbar, wie Geist und Körper sich nach einer unsagbaren Erfahrung ihren Weg zurück ins Leben bahnen.

Das Buch gewann bereits folgende Preise:

Prix Femina

Prix Spécial Renaudot

Prix des Prix

Prix Roman News

Stimmen zum Buch:

»Ein unumstößliches, vollkommenes Meisterwerk.«

Frédéric Beigbeder, Le Figaro Magazine

»Sagenhaft ehrlich, unerhört intim, verstörend schön, todtraurig und tröstlich zugleich.«

Martina Meister, Welt am Sonntag

»Große Literatur«

Bernard Pivot, Le Journal du Dimanche

»Ein magistrales Journal der Trauer.«

Jean Birnbaum, Le Monde des Livres

»Ein reicher literarischer Bericht über eine unsagbare Erfahrung.«

Olivia de Lamberterie, Elle

»Ein seltenes Zeugnis, ebenso faszinierend wie schrecklich.«

Alexandra Schwartzbrod, Libération

»Eine unglaubliche Empfindsamkeit und Menschlichkeit.«

Philippe Labro, Le Point

Weitere Formate

Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.04.2019

Kaum zu ertragen

0

„Ihr habt Glück, für euch ist alles vorbei. Für mich fängt es erst an.“ So dachte Philipp Lancon als er von seinen Rettern an den Leichen seiner Kollegen vorbei getragen wurde. Hatte er doch Minuten vorher ...

„Ihr habt Glück, für euch ist alles vorbei. Für mich fängt es erst an.“ So dachte Philipp Lancon als er von seinen Rettern an den Leichen seiner Kollegen vorbei getragen wurde. Hatte er doch Minuten vorher sein zerschossenes Gesicht im Handy gesehen. Statt des Unterkiefers und der Lippen sah er nur noch einen blutigen Klumpen und einen Fetzen, der auch Anlass zur Titelwahl dieses Buches

DerFetzen war.

Am 07.01.2015 stürmten zwei Irre in den Konferenzraum der Zeitschrift Charlie Hebdo und ermordeten die meisten der Teilnehmer. Philipp Lancon wurde schwerst verletzt geborgen und beschreibt in seinem Buch den Weg in ein anderes Leben. Nein, der Weg zurück ins alte Leben ist es keineswegs, das wird beim Lesen der Aufzeichnungen klar.

Zunächst berichtet Herr Lancon von den Tagen und Stunden vor dem Attentat. Warum er überhaupt ausgerechnet zu dieser Zeit an diesem Ort war und worüber sich unterhalten wurde. Es war der Autor Houellebecq und sein neuester Roman „Unterwerfung“, der ein Thema war. Als die beiden Brüder in den Raum stürzten lagen innerhalb von Sekunden alle dort Anwesenden tot oder verletzt auf dem Boden. Herr Lancon stellte sich leblos und das war seine Rettung.

Im Krankenhaus gab es etliche, die ihn mit ihrem eigenen Leid trösten wollten. Darauf und auf die Worte „Es wird schon wieder“ hätte er gerne verzichtet. Er schreibt in

DerFetzen, wie entsetzt die alten Eltern waren und dass sein Bruder für ihn eine starke Stütze war. Zwei Polizisten mit einer Beretta im Anschlag wurden als Leibwache abgestellt, da er noch immer als potenziell gefährdet galt. Als diese nach Monaten ohne Vorwarnung abgezogen wurden, kam er sich zunächst nackt und schutzlos vor.

Über viele Monate konnte er sich nur per Whiteboard und Filzstift verständigen. Sprechen war ein Ding der Unmöglichkeit. Zahllose Operationen musste er über sich ergehen lassen um wieder halbwegs wie ein Mensch auszusehen. Haut von seiner Wade wurde in der Mundhöhle transplantiert, und die nachwachsenden Haare setzten ihm zu. Nahrung aufnehmen konnte er nur per Sonde und die Schmerzen waren lediglich mit Morphium zu ertragen.

Nein,

DerFetzen ist kein Buch des Jammerns, im Gegenteil. Sachlich berichtet Philipp Lancon was in ihm vorging und wie er die Reaktionen seiner Mitmenschen empfand. Kurz nach dem Attentat waren nicht nur in Frankreich Großdemonstrationen an der Tagesordnung und viele Menschen behaupteten Charlie zu sein. Doch, wie sieht es jetzt, vier Jahre danach aus? Was wurde aus den Hinterbliebenen und kamen die Spenden auch tatsächlich dort an, wo sie gebraucht wurden? Wie geht es den Überlebenden? Fragen, die kaum noch gestellt und in dem Buch

DerFetzen teilweise beantwortet werden.

Für mich erschreckend ist die Tatsache, dass das Gesundheitssystem auch in Frankreich zusammengebrochen ist. Chirurgen sind überlastet und das Pflegepersonal ebenfalls. Darauf weist ein anderes Zitat aus dem Buch

DerFetzen hin:

„Die Welt scheint nicht dafür gemacht, Zeit auf die Pflege der Abseitigen zu verwenden.“ Den Satz schrieb Philipp Lancon im Zusammenhang mit seinem Aufenthalt im Hopital de Invalides, dem Invalidendom.

Der Schluss des Buches handelt von einem erneuten Attentat aus gleichen Motiven. Meiner Meinung nach ist

DerFetzen ein Muss für jeden Menschen, der seine Empathie noch nicht verloren hat. Es hilft ebenfalls zu verstehen, was es bedeutet, schwerverletzt ein Trauma zu überleben.

#NetGalleyDE

Veröffentlicht am 16.03.2019

Leben nach dem Anschlag

0

Dieses Buch berichtet von den Ereignissen vor, während und nach dem Attentat bei Charlie Hebdo, erzählt von einem Überlebenden. Philippe Lancon war Kolumnist bei Charlie Hebdo, dem Satire-Magazin. Er musste ...

Dieses Buch berichtet von den Ereignissen vor, während und nach dem Attentat bei Charlie Hebdo, erzählt von einem Überlebenden. Philippe Lancon war Kolumnist bei Charlie Hebdo, dem Satire-Magazin. Er musste mit ansehen, wie seine Kollegen getötet wurden, er selbst wurde auch schwer verletzt. 12 Menschen wurden getötet.

Man liest selten von solchen Ereignisse auf unmittelbare, detaillierte Art, dazu von einem Zeugen und Betroffenen, der wirklich schreiben kann. So wird der Bericht tatsächlich zu einem autobiografischen Roman.

Lange Passagen handeln von den Gesundheitsprozess. Die Gesichtsverletzungen waren schwer, lange Krankenhausaufenthalte und Operationen erforderlich.
Hilfreich waren kulturellen Themen, Musik und Literatur, wie Kafka, Proust, Thomas Manns Zauberberg und Bach sowie Jazz.

Mich hat die Haltung von Philippe Lancon beeindruckt und die Genauigkeit der Details seiner Schilderungen. Ein starkes Buch!

Veröffentlicht am 04.09.2020

Die Geschichte des Terrors und seiner Folgen

0

Philippe Lançon ist Journalist und Überlebender des Attentats auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015. In diesem Buch verarbeitet er seine lange, mühsame Leidengeschichte, ...

Philippe Lançon ist Journalist und Überlebender des Attentats auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015. In diesem Buch verarbeitet er seine lange, mühsame Leidengeschichte, unterteilt sein Leben in das "Davor" und "Danach", schildert den Anschlag, die ersten Momente danach, die zahlreichen Operationen und Krankenhausaufenthalte, das Entschwinden aus der "aktiven" Gesellschaft und schließlich den beschwerlichen Weg zurück ins (neue) Leben.

Man mag sich so eine Qual, physischer und psychischer Natur, überhaupt nicht vorstellen - und man kann es auch nicht. So war es sicher auch ein Hauch Voyeurismus, gepaart mit der Neugier auf Verarbeitungsstrategien des Traumas, die mich zu diesem Werk greifen ließen. Stichwort: "Wie gehe ich mit dem Überleben um, wenn so viele andere gestorben sind - warum ich?" oder auch "Wie kann ich Außenstehenden auch nur im Ansatz begreifbar machen, was passiert ist - und wie ich (nicht) damit umgehen kann?"

Zunächst: Applaus für Philippe Lançon, nicht nur fürs "bloße Überleben", sondern fürs Kämpfen und Abrackern und Festhalten all dieser Umstände - der Autor geht mit allen, sich selbst eingeschlossen, offen und ehrlich um. So gesehen ist dieses Buch sicher eine Art Befreiungsschlag für ihn - es ist schon teils recht schonungslos, wie er Unzulänglichkeiten (eigene, die anderer, des Gesundheitssystems) aufdeckt und beschreibt. Ich fragte mich dann aber irgendwann: Ist das noch Buch oder schon Therapie - und ist das auch wirklich alles für mich und meine Ohren (bzw. Augen) bestimmt? Es ist schon eine besondere Intimität, die der Autor hier zulässt, und die auf die lesende Person überspringt. Das muss man mögen - ist aber natürlich bei der Thematik erwartbar, da sollte eigentlich man schon so halbwegs wissen, worauf man sich einlässt.

Nun zum großen Aber: Auch Lançons Stil muss man mögen, und da musste ich dann doch ziemlich mit kämpfen. Die Sprache ist sehr literarisch, blumig und extrem von Exkursen zu verschiedensten "schönen Künsten" (Literatur, bildende Kunst, Jazz, Philosophie...) geprägt. Augenscheinlich erzählt Lançon seine Geschichte chronologisch - doch das häufige Bewusstseinsstrom-artige Schwadronieren über Hochkultur hat mich immer wieder rausgerissen und dann auch sehr schnell gelangweilt. Ich konnte die vielen derartigen Ausflüge nicht oder nur kaum in Bezug zur eigentlichen Geschichte setzen, so wie es wohl gedacht war.

Und wie immer ist auch hier meine Bewertung daher eine ganz persönliche Sache: So sehr mich die Thematik auch interessierte und so sehr ich auch Lançons Offenheit schätze, um so enttäuschter war ich größtenteils mit der Umsetzung.