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Veröffentlicht am 01.05.2019

Blau Gelb

Der Patriot
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Blau und Gelb sind die Farben Schwedens und die sollen von einer Gruppe unter der Führung von Carl Cederhielm verteidigt werden. Er und seine Kumpane verunglimpfen zunächst die freie Presse. Damit allerdings ...

Blau und Gelb sind die Farben Schwedens und die sollen von einer Gruppe unter der Führung von Carl Cederhielm verteidigt werden. Er und seine Kumpane verunglimpfen zunächst die freie Presse. Damit allerdings geben sie sich nicht lange zufrieden, bald schon werden die ersten Journalisten umgebracht. Vorgeschobener Grund für ihre Aktivitäten ist die angebliche Tatenlosigkeit, mit der die schwedische Regierung dem Flüchtlingsstrom begegnet. Unter den Journalisten lösen sie Angst und Schrecken aus. Die Redaktionen werden bewacht und die Zeitungsmitarbeiter überlegen sich jeden Schritt. Das weitere Vorgehen der Täter hat allerdings noch eine ganz besonders negative Qualität.

Der Autor war selbst lange als Journalist tätig. Er kennt die Szene, über die er schreibt, in und auswendig. Laut Autoren-Info war er vermutlich wegen seiner Tätigkeit selbst rechtspopulistischen Bedrohungen ausgesetzt, hat seinen Beruf aufgegeben und seinen ersten Roman verfasst. Mit diesem lehrt er die Leser wahrlich das Fürchten. Die dargestellten Szenarien wirken doch allzu realistisch. Man wünschte sich, niemand müsste auf solche Ideen kommen. Wie können vermeintlich normale Bürger nur so krude Ideen vertreten und dafür auch noch den Tod von Menschen in Kauf nehmen. Doch wie überall steht man diesem weltweit vorhandenen Phänomen wohl auch in Schweden ziemlich hilflos gegenüber.

Obwohl man bei der Handlung des Romans bei einigen Punkten ziemlich lange warten muss, bis man die Zusammenhänge versteht, wirken die Vorgänge besonders soweit sie in Schweden angesiedelt sind ausgesprochen spannend und sie scheinen die harte und raue Realität darzustellen. Das macht die Lektüre nicht gerade leicht, in Teilen liest sich das Buch eher wie ein Zeitungsbericht als wie ein Roman und dadurch wird er doch recht schwer verdaulich. Ob dieser Grausamkeiten fragt man sich, wie bloß das Schlimmste verhindert werden kann und findet doch keine Lösung. Der Patriot verstört, rüttelt auf und bringt das Gedankenkarussell ins Kreisen. Schweden ist leider überall.

Veröffentlicht am 26.04.2019

Die Zuflucht

Die Geschichte der schweigenden Frauen
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Nach den letzten großen Kriegen hat sich die Welt zwar einigermaßen erholt, doch ein bösartiger Virus, dessen Träger und Überträger die Männer sind, stellt sich für Frauen als tödliche Krankheit heraus. ...

Nach den letzten großen Kriegen hat sich die Welt zwar einigermaßen erholt, doch ein bösartiger Virus, dessen Träger und Überträger die Männer sind, stellt sich für Frauen als tödliche Krankheit heraus. Um den Fortbestand zu sichern, ist in Green City, einer Metropole in Südwestasien, ein Regime errichtet worden, in dem Frauen nicht viel mehr sein dürfen als Gebärmaschinen für mehrere Männer genannt Ehegatten. Das öffentliche Leben ist streng reglementiert, persönliche Beziehungen, die nicht staatlich kontrolliert sind, erwünscht man nicht. Nur einigen wenigen Frauen ist es gelungen, sich dem System zu entziehen. Doch auch sie müssen, um sich in ihrer Zuflucht versorgen zu können, gewisse Dienste anbieten.

In dieser Welt werden Frauen zu Unfreien und Unterdrückten, alles wird ihrer Fruchtbarkeit untergeordnet. Sie müssen medizinische Untersuchungen, Behandlungen und Experimente über sich ergehen lassen, ob sie wollen oder nicht. Es gibt keine freie Entscheidung. Zudem noch müssen sie mehrere Ehemänner haben. Und alles dient nur der Fortpflanzung, Freundschaft und Intimität haben keinen Platz in dieser Welt. Doch wie so oft verschaffen sich die Privilegierten einen Zugang zu eben diesen Entbehrungen. Sie nehmen die Dienste der Frauen aus der Zuflucht in Anspruch, die genau diese Lücke füllen. So werden die kleinen Rebellionen geduldet, denn im Endeffekt dienen auch sie dem System.

Dieser dystopische Roman beginnt mit einer Beschreibung des Systems. Es läuft irgendwie, nur wenige sind so unzufrieden, dass sie es wagen auszubrechen. Und doch auch in der Zuflucht dienen sie wieder dem System, denn durch ihre Dienste gibt es einen Zugang, zu der Intimität und Nähe, die das System eigentlich nicht erlaubt. Gerade die Mitglieder der Obrigkeit, unter denen sich vielleicht welche befinden könnten, die abweichen wollten, können so bei der Stange gehalten werden. Doch was, wenn einer mehr will? Wenn eine der Frauen aus der Zuflucht zu einer Gattin werden soll? Und was, wenn sie nicht will? Es entstehen Risse im System. Sowohl in der Zuflucht, wo nicht alle der Frauen die gleichen Ansichten, über ihre Heimstatt haben. Als auch bei den Herrschenden unter denen die Gierigen den Stein ins Rollen bringen und es doch zum Glück Menschen gibt, die helfenden Hände ausstrecken, um das Schlimmste zu verhindern.

Obwohl durch das Regime streng reglementiert, konnte es doch nicht verhindert werden, dass Menschen eben Menschen sind, mit Gefühlen, Wünschen, Zielen. Das ist vielleicht ein positiver Aspekt, einer, der Hoffnung weckt, wenn man diese düstere Vorstellung der Zukunft liest. Doch wie häufig, bringen gute Absichten, die im geheimen gewirkt werden, nur wenig Gutes hervor. Leute, redet miteinander, denkt man. Nur aus der ehrlichen Kommunikation kann etwas erwachsen. Nicht immer müssen oder sollten Frauen schweigen, besser ist es, wenn sie ihre Stimme erheben.

Veröffentlicht am 24.04.2019

Mein Stern

Ich, Eleonore, Königin zweier Reiche
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Auch im Jahr 1200 mit über 70 zieht Eleonore noch politische Fäden. Sie will eine ihrer Enkelinnen mit dem französischen Thronfolger verheiraten. Zu diesem Zweck reist sie nach Kastilien, um das junge ...

Auch im Jahr 1200 mit über 70 zieht Eleonore noch politische Fäden. Sie will eine ihrer Enkelinnen mit dem französischen Thronfolger verheiraten. Zu diesem Zweck reist sie nach Kastilien, um das junge Mädchen abzuholen. Zwar ist Blanche noch jemand anderem versprochen, das jedoch ficht die alte Königin nicht an. Gemeinsam mit ihrer Enkelin reist sie Richtung Frankreich ab. Eleonore, dereinst verheiratet mit Ludwig VII. von Frankreich und später mit Henry II. von England, Königin zweier Reiche, Ränkeschmiedin, Geliebte, Gefangene. Ihrer Enkelin erzählt sie von ihrem reichen Leben, das viele Höhen aber auch Tiefen bereitgehalten hat.

Als Erbin von Aquitanien musste die junge Eleanor heiraten, da sie als Frau im Mittelalter ihr Erbe nicht alleine antreten konnte. Wer mag heute noch an so etwas denken. Doch damals kam es gerade recht, das Reich des französischen Königs umfasste nicht viele Ländereien. Und genau das hatte Eleonore zu bieten. Doch Ludwig tat sich schwer in seiner Ehe, ihm als zweiten Sohn war eigentlich eine kirchliche Laufbahn zugedacht gewesen. Nur durch den unerwarteten Tod seines Bruders kam er in diese Position. Die Jungverheirateten verstanden sich erst gut, doch bald empfand Eleonore ihren Mann als schwach und mit der Behauptung, sie seien zu eng verwandt, wurde die Annullierung der Ehe erwirkt. Eleonore heiratete dann Henry Plantagenet, König von England.

Während der Kutschfahrt erzählt Eleonore ihrer Enkelin von ihrem Leben, ihrer Jugend, ihren Ehen, ihren Kindern. Mit wachsendem Interesse verfolgt man den Lebensweg der für ihre Zeit äußerst ungewöhnlichen und selbstständigen Frau, die über zwei Königreiche mitherrschte, die viele ihrer Kinder überleben musste. Wie die Autorin schreibt, ist das Leben Eleonores aus geschichtlichen Quellen, allerdings meist klerikalen und männlichen, gut belegt. Sie habe kaum etwas erfinden müssen. Durch den der Enkelin erzählenden Aufbau leicht und doch fesselnd zu lesenden Stil ist dieser historische Roman beeindruckendes Zeugnis einer herausragenden Persönlichkeit des Mittelalters. Wie war das noch mit England und Frankreich, Kapetingern und Plantagenets? Wenn man sich ein wenig für Geschichte interessiert, hat man ihr eine sehr lebendige Darstellung der damaligen Herrschergeschlechter in England und Frankreich, ihrer Leben, Lieben und Streitigkeiten. Das hat die Autorin auf wunderbare Art und Weise nicht erfunden.

Veröffentlicht am 22.04.2019

Totenhaus

Fiona: Wo die Toten leben
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In einem entlegenen walisischen Totenhaus wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Fiona Griffiths, deren Operation April gerade am absterben ist, will herausfinden, was es mit der Toten auf sich hat. ...

In einem entlegenen walisischen Totenhaus wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Fiona Griffiths, deren Operation April gerade am absterben ist, will herausfinden, was es mit der Toten auf sich hat. Fast schon hübsch war sie aufgebahrt. Eine Tote nach Fionas Geschmack, sie gibt ihr den Namen Carlotta. Doch vieles ist anders als es scheint. So ist Carlotta nicht ermordet worden, sie starb eines natürlichen Todes. Eigentlich gibt es keinen Fall. Aber sie muss doch irgendwo her gekommen sein. Fiona macht es sich zur Aufgabe, die Tote zu identifizieren und ihre Anverwandten zu finden.

In diesem fünften Band der Reihe muss man etwas Geduld haben mit Fiona Griffith. Ein Fall, der eigentlich keiner ist. Es dauert ein Weilchen bis sich in der Sache Spuren und Hinweise ergeben, die doch zu einem Verbrechen führen. Doch ist es lesenswert wie Fiona es schafft, die Identität der Toten herauszubekommen. Und auch Burnett, dem Fiona für den Fall unterstellt ist, hat einige markante Eigenschaften. Er und Fiona bilden ein gutes Team, das durch Pech und Schwefel geht, ob sie wollen oder nicht. Etwas weniger voran kommt Fiona mit der Suche nach ihrer Vergangenheit, da ist sicher noch mehr Musik drin.

Fiona mäandert ein wenig vor sich hin wie ein unterirdisches Gewässer. Doch wie eigentlich immer, wenn sie mit Nachforschungen beginnt, bohrt sie so lange nach, bis sich ein anderer Ansatz ergibt. Dieses um die Ecke denken, dieses mit den Toten oder für die Toten denken, ist es, was Fionas Klasse ausmacht. Und wenn man dann erstmal erkannt hat, welche perfiden Taten man hier vor sich hat, wird dieses Buch zu einem echten Pageturner. Fiona Griffith, eine der ungewöhnlichsten Polizeibeamtinnen unserer Tage, spielt hier ihre ganzen Fähigkeiten aus. In Kenntnis der vorherigen Teile der Reihe, fragt man sich, ob sich Fionas Karriere auf einen Höhepunkt zubewegt, mit dem alle Rätsel gelöst werden.

Diese Reihe sollte man von Beginn an genießen, damit man Fionas einzigartige Qualitäten und ihre liebevolle Affinität zu den Toten verstehen und sich von ihr hinreißen lassen kann.

Veröffentlicht am 14.04.2019

Herzensbrief

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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Ende der 1960er Jahr im Süden Italien lebt ein Postbote eigener Art. Er ist seinen Mitmenschen gegenüber eher zurückhaltend. An den Briefen, die durch seine Hände gehen, hat er doch ein gewisses Interesse. ...

Ende der 1960er Jahr im Süden Italien lebt ein Postbote eigener Art. Er ist seinen Mitmenschen gegenüber eher zurückhaltend. An den Briefen, die durch seine Hände gehen, hat er doch ein gewisses Interesse. Briefe, die besonders aussehen, die besonders riechen, die einen besonderen Adressaten haben, diese Briefe erhalten eine besondere Behandlung. Vor der Zustellung prüft der Postbote erstmal, ob sie in der geschriebenen Form übermittelt werden können. Mit außerordentlichem Geschick gelingt es dem Postboten Schriftbilder nachzuahmen, so dass er eine Entdeckung kaum zu fürchten hat, wenn er den Inhalt den allzu harten oder schmerzlichen Inhalt eines Briefes in gefälligere Worte kleidet.

Etwas eigenartig ist die Arbeitsauffassung des Postboten des kleinen Ortes Girifalco schon. Doch in dem kleinen Dorf kennt jeder jeden und so sind die Briefempfänger auch dem Briefträger nicht fremd. Wenn er dann mit ungezügelter Neugier einige Briefe öffnet und schwer erträgliche Nachrichten glättet, kann man ihn durchaus verstehen. Vielleicht wird sein Berufsstand grundsätzlich eher unterschätzt, an diesem Postboten ist jedoch ein Philosoph verloren gegangen. Über alles und jedes kann er sich Gedanken machen und jeder Zufall ist eine Betrachtung wert. Seine Einsamkeit rührt jedoch nicht von ungefähr, musste er doch auf seine große Liebe verzichten.

Den Ort Girifalco gibt es wie Google Maps verrät im Übrigen tatsächlich. Hätte man diese Feststellung vor der Lektüre getroffen, hätten sich einige Wege des Postboten möglicherweise anhand der Karte nachvollziehen lassen. Dieser echte Bezug lädt zudem dazu ein, ein paar Momente auf den möglichen Echtheitsgehalt des Romans zu verwenden. Gut vorstellbar, dass so ein Postbote trotz der eher unerlaubten Handlungen als gute Seele des Ortes seine Bahnen zieht. Doch vernachlässigt er, indem er anderen zu schönen Briefen verhilft, nicht sein eigenes Leben? Wenn es gälte zu handeln, hält er sich zurück. Schon hat er sich die Szenerie visualisiert, durchdacht und das Ergebnis vorausgeahnt. Und so sicher ist er sich, dass er die eigentlich vorausgesetzte Frage nicht erst stellt. Je länger man den Postboten beim Austragen seiner Briefe begleitet, desto mehr wünscht man sich, er würde nicht nur die fremden Leben leben, sondern sich auf sich selbst besinnen.

Ein melancholischer und doch humorvoller Roman mit einem sympathisch knorrigen Helden, der die alten Gassen eines echten Ortes durchwandert.