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Veröffentlicht am 13.06.2019

Der Bär

Die stille Tochter
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Vor vielen Jahren hat sich eine junge Frau aus einer Sportmannschaft bei einem Aufenthalt in Oslo in den Westen abgesetzt. Sie ist am Ziel ihrer Träume und wird doch nicht glücklich. Und irgendwann ist ...

Vor vielen Jahren hat sich eine junge Frau aus einer Sportmannschaft bei einem Aufenthalt in Oslo in den Westen abgesetzt. Sie ist am Ziel ihrer Träume und wird doch nicht glücklich. Und irgendwann ist sie nur noch eine vermisste Person. Als im Jahr 2016 in einem See eine Frauenleiche gefunden wird, ist es Tommy Bergmann, der versucht etwas über die Identität der Toten herauszufinden. Noch nach der langen Zeit ist erkennbar, dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben ist. Und so wird aus einem Leichenfund unversehens eine Mordermittlung, in die bald auch der Geheimdienst eingreift.

Der kalte Krieg, lange vorbei, so glaubt man wenigstens, und doch bietet er einen fesselnden Hintergrund zu diesem packenden Kriminalroman. Tommy Bergmann hat sich gefangen, bleibt aber doch er selbst. Mit Ecken und Kanten und nicht immer im Sinne seines Vorgesetzten handelnd, so kennt man ihn. Zum Teil wird seine Art genutzt, um zweifelhafte Aktionen auszuführen, dann wieder wird sie ihm vorgehalten, um ihm mit Jobverlust zu drohen. Gerade so wie es passt. Tommy Bergmann bleibt am Ball, ihm geht es um die Wahrheit und nicht um die Produktion eines Ergebnisses, das manchen gut in den Kram passen würde.

Ist der kalte Krieg überhaupt jemals zu Ende gewesen? Jedenfalls wirkt er in die Gegenwart nach und hat manche Menschen nie losgelassen. In den 1970ern und 80ern war manchmal nicht mehr klar, wer Freund und wer Feind ist. Jeder spionierte gegen jeden und eine junge Frau gerät zwischen die Fronten. Durch die Flucht hat sie jeglichen Kontakt zu ihrer Familie verloren, allein muss sie ihre Entscheidungen treffen. Man könnte meinen Tommy Bergmann ist in einer ähnlichen Situation, ein Einzelgänger, der manchmal keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Mit fein ziselierten Worten schildert der Autor wie Bergmann bei seinen Ermittlungen vorgeht. Stück für Stück deckt er die Strukturen auf, die die junge Frau damals umgaben und letztlich zu ihrem Tod führten. Durch den Wechsel zwischen Rückblende und Gegenwart wird der Leser langsam in immer größer werdende Anspannung versetzt. Welches Bild wird sich am Ende ergeben. Die gekonnte Mischung aus Politthriller und Mordermittlung ist sehr überzeugend. In diesem Fall ist nichts so wie es scheint.


Veröffentlicht am 11.06.2019

Florida Industrial

Die Nickel Boys
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Elwood scheint vom Leben begünstigt zu sein. Er lebt bei seiner Großmutter, die ihrem Enkel ein besseres Leben wünscht. Sie hält ihn an fürs College zu sparen, obwohl farbige Jugendliche in den 1960ern ...

Elwood scheint vom Leben begünstigt zu sein. Er lebt bei seiner Großmutter, die ihrem Enkel ein besseres Leben wünscht. Sie hält ihn an fürs College zu sparen, obwohl farbige Jugendliche in den 1960ern kaum eine Chance haben, eine höhere Schule zu erreichen. Ruhig, mit großem Gerechtigkeitssinn, beseelt von Dr. Martin Luther King ergreift Elwood die Möglichkeit, an einem Kurs am College teilnehmen zu können. Doch gerade in seinem glücklichsten Moment schlägt das Unheil zu. Obwohl er nur zur Schule trampen wollte, wird er als sich herausstellt, dass das Fahrzeug, in dem er nur Beifahrer ist, gestohlen war, zu einem Aufenthalt in einer Besserungsanstalt verurteilt.

Auch in seinem neuesten Werk greift der Autor die Thematik des Rassismus in Amerika auf. An einem Beispiel, dass einem fast das Herz rausreißen muss, stellt er die Situation zu Beginn der 1960er Jahre vor. In die gleichen Restaurants wie die Weißen dürfen sie nicht, allenfalls als Bedienstete, aber in Besserungsanstalten können die Farbigen schnell mal landen. Ein beinahe schon lächerlich nichtiges Vergehen reicht. Es ist als wolle die so genannte vorherrschende Schicht auch noch jede kleinste Chance zerstören, das sich etwas ändern kann. Gleichberechtigung bedeutet schließlich auch, dass die mal abgeben und zurückstecken, die es noch nicht gewöhnt sind. Möglicherweise eine lehrreiche Erfahrung.

Ein wenig Zeit braucht man, um in diesen Roman hineinzufinden. Doch spätestens, wenn man sich über die Ungerechtigkeit aufregt, die Elwood seiner Chancen beraubt, ist man angekommen. Auch an diesem fürchterlichen Ort bleibt Elwood ein ruhiger Vertreter, der versucht, seinen Weg möglichst schnell hinaus zu finden. Man ist dabei, die Daumen für eine Art Gelingen zu drücken und weiß doch, dass an solchen Orten der widerwärtigen Machtausübung, Daumen drücken meist nicht nützt. Elwoods Schicksal berührt, er ist ein so geradliniger Charakter, der eine gute Zukunft verdient. Mit unnachahmlicher Kunst schafft der Autor einen stillen Helden, den man so schnell nicht vergisst. Auf diesen fesselnden und nachdenklich machenden Roman will man sich gerne einlassen, auch wenn die innewohnende Tragik machmal das Herz beklemmt.

„Hier drin ist es genauso wie draußen, nur muss hier keiner mehr so tun als ob.“


Veröffentlicht am 31.05.2019

Turing

Maschinen wie ich
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Er hat einen, er hätte lieber eine Eve gehabt, aber wenigstens hat er einen Adam ergattert. Fast sein ganzes Geld ist dabei draufgegangen. Charlie Friend beginnt mit der Aufladung und Programmierung seines ...

Er hat einen, er hätte lieber eine Eve gehabt, aber wenigstens hat er einen Adam ergattert. Fast sein ganzes Geld ist dabei draufgegangen. Charlie Friend beginnt mit der Aufladung und Programmierung seines Maschinenmenschen Adam. Seine Nachbarin Miranda bezieht er mit ein, insgeheim möchte er eine intensivere Beziehung zu ihr. Charlies Konzept geht auf, Miranda und er kommen sich näher. Doch Adam, eigentlich eine Maschine, entwickelt bald eigenwillige Züge. Sollte er etwa ein Auge auf Mrianda geworfen haben? Können künstliche Wesen das überhaupt? Bald schon scheint Adam Charlie auszustechen und Charlie nimmt ihm das Versprechen ab, dass seine Freundschaft zu Miranda platonisch bleiben muss.

In einem etwas anderen England Anfang der 1980er Jahre. Der bekannte Wissenschaftler Alan Turing ist nicht früh gestorben, Computer und Internet sind viel früher entwickelt worden und Maschinen haben die Arbeit vieler Menschen übernommen. Die Eltern des Anfangdreißigers Charlie sind bereits verstorben, das Erbe durchgebracht, der letzte Rest für den Erwerb des Adams aufgewendet. Miranda, Anfang Zwanzig, sorgt sich um ihren kranken Vater und scheint in manchen Momenten sehr in sich zurückgezogen. Zu ihnen kommt einer der ersten 25 Adams und Eves. Das Zusammenleben mit der Maschine entwickelt sich anders als erwartet, denn Adam entpuppt sich schnell, er ist kein reiner Befehlsempfänger. Er saugt Informationen auf und hat ganz eigene Moralvorstellungen.

Mal wieder auf seine ganz eigene Art wirft der Autor einen Blick auf die Welt. Nur ist es diesmal eine Welt, die wir nur so ungefähr kennen. Irgendwie sind es die 1980er, irgendwie auch nicht. Schon das gibt der Lektüre einen besonderen Reiz, jedem Wiedererkennungseffekt wohnt auch etwas Fremdes inne. Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz wie es sie heute - man möchte sagen zum Glück - noch nicht gibt. Mehr als einmal schaudert es einen bei dem Gedanken, wie so eine fast menschliche Maschine agiert. Sind Menschen nicht bald überflüssig. Adam ist derjenige, der den Durchblick zu haben scheint, der körperlich kräftig ist und moralisch eine Instanz bildet. Charlie und Miranda wirken dagegen manchmal etwas unzulänglich in ihren Entscheidungen, sprunghaft in ihren Gedanken und Emotionen. Wer mag bei dieser Aussicht auf die Zukunft nicht verzweifeln. Doch Ian McEwan wählt einen anderen Weg, der der Menschheit eine Hoffnung gibt, die auch ertragen werden muss.

Mit diesem ausgesprochen intelligenten Werk macht der Autor seinen geneigten Lesern die große Freude, ein hochaktuelles Thema aufzuarbeiten und mit seinen Schlüssen zu überzeugen.

Veröffentlicht am 17.05.2019

Seelenzauber

Witchmark. World Fantasy Award für den besten Fantasy-Roman des Jahres 2019
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Dr. Miles Singer kommt als hochdekorierter Kriegsheld nach hause. Schon immer wollte er Arzt werden und während seiner Militärzeit konnte er das Studium beenden. Die erlebten Kriegsgreuel haben seine Seele ...

Dr. Miles Singer kommt als hochdekorierter Kriegsheld nach hause. Schon immer wollte er Arzt werden und während seiner Militärzeit konnte er das Studium beenden. Die erlebten Kriegsgreuel haben seine Seele nie verlassen und nun arbeitet er in einem Hospital für kriegsversehrte Soldaten. Seine Fähigkeiten als Heiler, seine gesamte Vergangenheit muss er dabei verheimlichen. Dennoch unternimmt er, was möglich ist, um seinen Patienten zu helfen. Eines Tages taucht ein Fremder vor der Klinik auf, der einen Sterbenden im Arm hält. Zwar scheitert Miles’ Versuch, den jungen Mann zu retten, doch der tödlich Getroffene, kann ihm noch zuraunen, dass er vergiftet wurde und dass er Miles’ Hexenmal sieht.

Die magische Welt von Kingston wird von Sturmsängern beherrscht, die das Wetter im Zaum halten. Ihre Fähigkeiten haben zu einem großen Aufschwung Aelands geführt, allerdings auch zum Krieg. Der Strom der heimkehrenden traumatisierten und verletzten Soldaten reißt nicht ab. Doch längst ist nicht alles so wie es scheint. Das Geheimnis des Toten, gilt es, zu enträtseln. Gemeinsam mit dem Fremden macht sich Miles daran, zu untersuchen, wer am Tod des jungen Mannes Schuld trägt. Miles kommt dabei nicht umhin, sich seiner Vergangenheit zu stellen.

Recht unbefangen geht man an diesen Fantasy-Krimi, doch schon nach wenigen Seiten ist man gefesselt. Zunächst vermutet man, der junge Arzt soll und will einfach nur herausfinden, wer das Opfer vergiftet hat. Bald schon entwickelt sich diese Frage in eine lebensverändernde Situation für Miles. Die Vergangenheit, die er eigentlich für immer hinter sich gelassen glaubte, drängt sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Macht zurück in sein Leben. Alles, was er als gegeben hinnahm, stellt sich als anders heraus. Und schließlich bleibt nur noch der Fremde als Vertrauter.

Diese Mischung als Kriminalroman und Fantasy zieht einen wirklich in ihren Bann. Um wessen Wohl geht es? Inwieweit rechtfertigt der Zweck die Mittel? Und die immer wiederkehrende Frage nach dem Vertrauen. Wer hängt an welchem Faden? Wer manipuliert? Dieses Romandebüt kann man wirklich nur empfehlen, es entführt in eine fremde ähnliche Welt, die einen zum Teil schaudern lässt, immer fesselt und nie die Hoffnung verlieren lässt.

Ein weiterer Band um die Kingston-Welt ist angekündigt.

Veröffentlicht am 19.04.2019

Entropia

Cat & Cole 2: Ein grausames Spiel
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Lachlan, eine Art Vater für Cat, ist derjenige, dem das Handwerk gelegt werden muss. Obwohl erschöpft und ihre Verletzungen noch kaum ausgeheilt, begibt sich Cat mit ihren Gefährten auf die Suche. Lachlan ...

Lachlan, eine Art Vater für Cat, ist derjenige, dem das Handwerk gelegt werden muss. Obwohl erschöpft und ihre Verletzungen noch kaum ausgeheilt, begibt sich Cat mit ihren Gefährten auf die Suche. Lachlan muss unbedingt gefunden werden, bevor er die Menschheit umprogrammieren kann. Die Spur führt nach Entropia, der Stadt der Genhacker, in der viel der ursprünglichen Gentechnik entwickelt wurde. Eigentlich ein logisches Versteck, denn Labore sind vorhanden. Doch wird Regina, eine Mitbegründerin der Ansiedlung, Cat und ihre Freunde einfach so willkommen heißen? Schon auf dem Weg nach Entropie werden Anzeichen einer neuen Gefahr ersichtlich.

Die Seuche scheint besiegt, ein Impfstoff wurde entwickelt und verteilt. Die Menschen kommen aus ihren Zufluchtsorten und eigentlich sollte es eine Zeit der Freude sein. Doch schon wieder beginnen Menschen Zeichen von Krankheiten zu zeigen. Wie konnte das geschehen? Droht hier eine neue Gefahr? Unverdrossen machen sich Cat und Cole auf, um Lachlan zu suchen und seine Pläne zu durchkreuzen. Dabei ist Cat nicht nur den äußeren Gefahren ausgesetzt, auch aus ihrem Inneren mehren sich Zeichen, dass von dort weiteres Ungemach kommen kann. Cat kämpft dagegen an, die Rettung der Menschheit ist schließlich wichtiger als ihre unbedeutenden Wehwehchen. Doch möglicherweise hängt alles zusammen. Cat weiß nicht, ob es sich bei dem, was in ihrer Seele verborgen ist, um Freund oder Feind handelt.

Mit ihren Erfindungen Cat und Cole weiß Emily Suvada wahrlich zu überzeugen. Mindestes ebenso spannend wie der erste Band bietet auch dieser zweite Teil der Reihe packende Unterhaltung. Wobei man diese nervenaufreibende Tour de Force beinahe nicht einfach Unterhaltung nennen kann. So manches Mal denkt man, das kann sie doch nicht machen, um nur kurze Seiten später zu erfahren, dass sich doch alles logisch ins Bild fügt. Mit ihren unkonventionellen Gedanken und Lösungen fesselt die Autorin außerordentlich. Ebenso wie ihre Heldin ist sie eine, die dem Problem entgegentritt und eine Antwort fordert. Eine Antwort, die die Autorin natürlich in erster Linie selbst finden muss und das ist zur Freude der Leserin sehr gelungen.