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Veröffentlicht am 06.06.2019

Wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen

Eine Handvoll Asche
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Auch im dritten Band der Reihe mit Captain Sam Wyndham, dem Ex-Detective von Scotland Yard, und seinem Assistenten Sergeant Surrender-not Banerjee bleibt der Autor Abir Mukherjee seinem außergewöhnlichen ...

Auch im dritten Band der Reihe mit Captain Sam Wyndham, dem Ex-Detective von Scotland Yard, und seinem Assistenten Sergeant Surrender-not Banerjee bleibt der Autor Abir Mukherjee seinem außergewöhnlichen Setting treu und verarbeitet einmal mehr ein Stück britischer Kolonialgeschichte in einer spannenden Krimi-Story. Handlungsort ist wieder Kalkutta, wir schreiben das Jahr 1921. Indien erwacht allmählich aus seinem Dämmerschlaf, will nicht länger unter dem Joch der Kolonialmacht leben. Die Bestrebungen nach Unabhängigkeit nehmen zu. Indische Gruppen organisieren sich, Unruhen kündigen sich an, die eine Gefahr für den bevorstehenden Besuch des Prince of Wales darstellen. Man fürchtet um dessen Leib und Leben, muss die Aufständischen in Schach halten

Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Wyndham herumschlagen muss. Sein Rauschmittelkonsum bringt ihn in eine prekäre Lage. Nichts mit seligem dahindämmern, sondern Flucht vor den eigenen Kollegen bei der Razzia in einer Opiumhöhle, wobei er über eine brutal verstümmelte Leiche stolpert. Noch ahnt er nicht, dass dies nur der Auftakt einer Reihe grausamer Ritualmorde ist, bei deren Aufklärung dem Ermittlergespann von offizieller Seite jede Menge Steine in den Weg gelegt werden.

Ein historischer Kriminalroman vom Feinsten. Auf der einen Seite ist es natürlich die „exotische“ Kulisse mit all ihren politischen, ethnischen und gesellschaftlichen Spannungen, der Pracht und dem Elend dicht nebeneinander, die Mukherjees Roman zu etwas besonderem macht, nicht zu vergessen die liebevoll gezeichneten Charaktere mit ihren Stärken und Schwächen. Zum anderen hält sich der Autor eng an die historisch verbrieften Fakten und setzt diese gekonnt in seiner Story ein. Und vielleicht weckt er so auch bei dem einen oder anderen Leser Interesse, sich – gerade in Zeiten des Brexit scheint mir das wichtig - über die Krimihandlung hinaus mit der Thematik des britischen Empire zu beschäftigen. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen.

Veröffentlicht am 05.06.2019

Klassisch britisch

Die andere Tote: Vera Stanhope ermittelt
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Wer mit Vera Stanhope, der Inspektorin aus der Reihe der englischen Autorin Ann Cleeves bzw. der ZDFneo-Serie bzw. vertraut ist, wird wieder einmal seine Freude an diesem Kriminalroman haben, bietet es ...

Wer mit Vera Stanhope, der Inspektorin aus der Reihe der englischen Autorin Ann Cleeves bzw. der ZDFneo-Serie bzw. vertraut ist, wird wieder einmal seine Freude an diesem Kriminalroman haben, bietet es dem Leser doch einiges mehr an Informationen zur Vergangenheit der eher spröden Hauptfigur.

Der Handlungsort liegt wie immer im Norden Englands, in Northumberland, einer eher dünn besiedelten, ländlich geprägten Region mit reicher Flora und Fauna, die den Bewohnern den einen oder anderen nicht immer legalen Nebenverdienst bietet. So haben auch Veras verstorbener Vater und seine Freunde ihr Einkommen regelmäßig mit dem Verkauf von Eiern und Jungvögeln geschützter Arten aufgebessert. Die Vierer-Bande nannten sie sich: Hector, Veras Vater, Robbie, zwielichtiger Ganove und seit zwanzig Jahren spurlos verschwunden, der Professor, großer Unbekannter und schließlich John, ehemaliger Polizist, wegen Korruption und Beteiligung an einem Mord von Vera hinter Gitter gebracht. Aber das ist Vergangenheit, oder doch nicht? Und wieweit reicht diese in die Gegenwart hinein? Der Fund zweier Skelette und deren Identifikation bringt die Inspektorin ins Grübeln, denn offenbar gibt es Verbindungen zu der Vierer-Bande. Hat ihr Vater einen Mord auf dem Gewissen? Und was hat das mehr als zweifelhafte Etablissement „Seagull“ mit diesen Todesfällen zu tun?

Wie in all ihren Krimis der Reihe entwickelt Ann Cleeves aus einer relativ einfachen Ausgangssituation einen komplexen, vielschichtigen Fall, der Vera Stanhope mit ihrer schmerzhaften Vergangenheit in Form der Beziehung zu ihrem Vater konfrontiert. Und es zeigt sich einmal mehr, dass unter der harten Schale der brummigen Inspektorin ein weicher Kern steckt. Auch das Setting passt wieder einmal absolut perfekt zu diesem atmosphärischen, detailreichen Whodunit, dessen Auflösung dem Leser nicht auf dem Tablett serviert wird, sondern sich erst allmählich völlig nachvollziehbar erschließt. Ohne wilde Schießereien und Verfolgungsjagden, keine voyeuristische Zurschaustellung brutaler Gewalt, kein Leichenporno, sondern ganz klassische Ermittlungsarbeit, wie wir es aus den spannenden Kriminalromanen der britischen Klassiker kennen. Nie langatmig oder geschwätzig. Sehr empfehlenswert!Wer mit Vera Stanhope, der Inspektorin aus der Reihe der englischen Autorin Ann Cleeves bzw. der ZDFneo-Serie bzw. vertraut ist, wird wieder einmal seine Freude an diesem Kriminalroman haben, bietet es dem Leser doch einiges mehr an Informationen zur Vergangenheit der eher spröden Hauptfigur.

Der Handlungsort liegt wie immer im Norden Englands, in Northumberland, einer eher dünn besiedelten, ländlich geprägten Region mit reicher Flora und Fauna, die den Bewohnern den einen oder anderen nicht immer legalen Nebenverdienst bietet. So haben auch Veras verstorbener Vater und seine Freunde ihr Einkommen regelmäßig mit dem Verkauf von Eiern und Jungvögeln geschützter Arten aufgebessert. Die Vierer-Bande nannten sie sich: Hector, Veras Vater, Robbie, zwielichtiger Ganove und seit zwanzig Jahren spurlos verschwunden, der Professor, großer Unbekannter und schließlich John, ehemaliger Polizist, wegen Korruption und Beteiligung an einem Mord von Vera hinter Gitter gebracht. Aber das ist Vergangenheit, oder doch nicht? Und wieweit reicht diese in die Gegenwart hinein? Der Fund zweier Skelette und deren Identifikation bringt die Inspektorin ins Grübeln, denn offenbar gibt es Verbindungen zu der Vierer-Bande. Hat ihr Vater einen Mord auf dem Gewissen? Und was hat das mehr als zweifelhafte Etablissement „Seagull“ mit diesen Todesfällen zu tun?

Wie in all ihren Krimis der Reihe entwickelt Ann Cleeves aus einer relativ einfachen Ausgangssituation einen komplexen, vielschichtigen Fall, der Vera Stanhope mit ihrer schmerzhaften Vergangenheit in Form der Beziehung zu ihrem Vater konfrontiert. Und es zeigt sich einmal mehr, dass unter der harten Schale der brummigen Inspektorin ein weicher Kern steckt. Auch das Setting passt wieder einmal absolut perfekt zu diesem atmosphärischen, detailreichen Whodunit, dessen Auflösung dem Leser nicht auf dem Tablett serviert wird, sondern sich erst allmählich völlig nachvollziehbar erschließt. Ohne wilde Schießereien und Verfolgungsjagden, keine voyeuristische Zurschaustellung brutaler Gewalt, kein Leichenporno, sondern ganz klassische Ermittlungsarbeit, wie wir es aus den spannenden Kriminalromanen der britischen Klassiker kennen. Nie langatmig oder geschwätzig. Sehr empfehlenswert!

Veröffentlicht am 15.05.2019

Eine entlarvende Sozialreportage

Nomaden der Arbeit
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Sie haben ihr Leben lang gearbeitet, sind zu bescheidenem Wohlstand gelangt, haben sich ein geruhsames Rentenalter vorgestellt. Doch dann kommt die Finanzkrise – und Wusch…alles weg. Keinen Job mehr, kaum ...

Sie haben ihr Leben lang gearbeitet, sind zu bescheidenem Wohlstand gelangt, haben sich ein geruhsames Rentenalter vorgestellt. Doch dann kommt die Finanzkrise – und Wusch…alles weg. Keinen Job mehr, kaum Ersparnisse, die Kredite können nicht mehr bedient werden, das Häuschen kommt unter den Hammer, erlöst aber weit weniger als erwartet, Pensionsfond futsch, die Taschen sind leer. Keine Krankenversicherung, die Sozialhilfe, ca. 500 Dollar im Monat, reicht hinten und vorne nicht. Was bleibt?

Realität für Abertausende Amerikaner im Rentenalter, die nach dem Crash 2007 alles verloren haben. Das Wenige, das sie noch haben, stecken sie in einen (in den meisten Fällen betagten) Camper und gehen auf Tour, wie bereits ihre Vorfahren während der Großen Depression in den dreißiger Jahren. Von Ost nach West, von Nord nach Süd, aber im Zweifelsfall immer dahin, wo billige Saisonarbeitskräfte benötigt werden. Als Erntehelfer, Hilfskräfte bei sportlichen Großveranstaltungen, Mädchen-für-alles in den Nationalparks, Aushilfen im Weihnachtsgeschäft des größten Onlinehändlers. Eingestellt werden sie gerne, sind sie doch zuverlässig und gewissenhaft, stellen keine Ansprüche und schuften sprichwörtlich bis zum Umfallen. Und das alles für kleines Geld und einen freien Stellplatz. Freiheit und Abenteuer? Bei Weitem nicht.

Die amerikanische Journalistin Jessica Bruder hat sich drei Jahre intensiv mit diesem Thema beschäftigt und auch über einen längeren Zeitraum einige dieser „Workamper“ im eigenen Camper begleitet und deren Leben geteilt. Ihre Erlebnisse hat sie in „Nomaden der Arbeit. Überleben in den USA im 21. Jahrhundert“ niedergeschrieben, einer entlarvenden und zu Herzen gehenden Sozialreportage. Mit großer Sympathie für ihre Reisegefährten seziert sie den „American dream“ und zeigt die Auswirkungen einer Politik, die sich nur Profitinteressen verpflichtet fühlt. Eine Entwicklung, die nicht nur die USA betrifft sondern auch hierzulande gilt. Deshalb: „Nomaden der Arbeit“ - Pflichtlektüre für all diejenigen „Volksvertreter“, die sowohl das soziale Netz beschneiden als auch die Altersvorsorge auf andere Füße stellen wollen.

Veröffentlicht am 08.05.2019

Ein Meisterwerk!

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
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"Harry Quebert" habe ich verschlungen, hat dieses Buch das Genre des Kriminalromans gesprengt und im besten Sinne erweitert. Die Spannung war groß, ob der Autor nach der eher lauen „Geschichte der Baltimores“ ...

"Harry Quebert" habe ich verschlungen, hat dieses Buch das Genre des Kriminalromans gesprengt und im besten Sinne erweitert. Die Spannung war groß, ob der Autor nach der eher lauen „Geschichte der Baltimores“ mit seinem neuen Werk an alte Stärken anknüpfen könne. Und ich nehme es vorweg, ja, er kann.

Stephanie Mailer ist eine junge Journalistin, die ihre Nase in einen zwanzig Jahre alten, bereits aufgeklärten Kriminalfall steckt. Aber wenn sie sich über die Konsequenzen ihrer Nachforschungen im Klaren gewesen wäre, hätte sie das vermutlich lieber bleiben lassen.

Das hört sich zunächst simpel an, aber mit welcher Raffinesse der junge Schweizer daraus eine komplexe Geschichte strickt…davon könnte sich so mancher arrivierte Autor eine Scheibe abschneiden. Neben einer spannenden Krimihandlung, in der es neben zahllosen Verdächtigen, unerwarteten Entwicklungen und überraschenden Wendungen, beschreibt Dicker das Bild einer Kleinstadt und ihrer Bewohner, wie ich es in dieser Intensität (bezogen auf das Genre) bisher nur bei Stephen King gelesen habe.

Ein großartiger Roman, intelligent komponiert, hochspannend, brillant geschrieben, den man am liebsten in einem Rutsch lesen möchte.

Veröffentlicht am 08.05.2019

Eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit

Rheinblick
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Romane, die sich mit dem Werden der Bundesrepublik auseinandersetzen, gibt es einige. Aber kaum einer Autorin gelingt es, diese spannende Übergangszeit unterhaltsam und dennoch mit Erkenntnisgewinn für ...

Romane, die sich mit dem Werden der Bundesrepublik auseinandersetzen, gibt es einige. Aber kaum einer Autorin gelingt es, diese spannende Übergangszeit unterhaltsam und dennoch mit Erkenntnisgewinn für den Leser zu beschreiben wie Brigitte Glaser. Bewiesen hat sie das bereits mit dem 2016 erschienenen „Bühlerhöhe“, das sich mit der Nachkriegszeit unter Adenauer auseinandersetzt.

Nun also „Rheinblick“, in dessen Zentrum der SPD-Politiker Willy Brandt nach der vorgezogenen Bundestagswahl 1972 steht. Dieser Wahlsieg ist phänomenal, ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte der BRD, weht doch damit jetzt endlich ein frischer Wind durchs Land, der auch der jungen Generation Hoffnung auf Veränderung gibt. Allerdings kann muss Brandt die Koalitionsverhandlungen aus der Hand geben, da seine überstrapazierten Stimmbänder versagt haben, was natürlich seine Einflussmöglichkeiten nachhaltig beeinflusst. Es darf und wird geklüngelt werden.

Soweit der Hintergrund, vor dem Glaser einen Roman entwickelt, der glaubwürdig das gesellschaftliche Klima dieser Zeit transportiert, gut recherchiert ist, sich aber mit Sicherheit auch aus den Erinnerungen der Autorin speist. Ich bin der gleiche Jahrgang wie Brigitte Glaser und kann mich noch gut an dieses Jahr erinnern. Zuerst die Vertrauensfrage, dann das Misstrauensvotum. Das Gefühl von „alles ist möglich“, die Aufbruchstimmung nach den Studentenunruhen, das zarte Pflänzlein der Emanzipation. Endlich ging es voran.

Das passende Zeitkolorit, die gute Charakterisierung der Personen, die Geschichte dreier Freunde und deren Irrlichtern im Dschungel der Politik, das sind die Zutaten, aus denen die Autorin mit „Rheinblick“ eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit generiert, an der ich gerne teilgenommen habe. Bitte mehr davon!