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Veröffentlicht am 29.11.2016

Die Überreste einer verborgenen Vergangenheit

Trümmerkind
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Eine Welt in Trümmern. Ein Kind ohne Familie. Eine Frau auf der Suche nach Wahrheit.

Inhalt

Agnes Dietz schlägt sich mit ihren Kindern Hanno und Wiebke als Schneiderin in einem vollkommen zerstörten ...

Eine Welt in Trümmern. Ein Kind ohne Familie. Eine Frau auf der Suche nach Wahrheit.

Inhalt

Agnes Dietz schlägt sich mit ihren Kindern Hanno und Wiebke als Schneiderin in einem vollkommen zerstörten Nachkriegsdeutschland durch. Keine Heizung, kein Geld und noch nicht mal etwas zu Essen. Jede Hilfe ist mehr als willkommen und der Handel auf dem Schwarzmarkt oft die einzige Möglichkeit zu überleben. Als Hanno eines Tages einen kleinen Jungen mit anbringt, den die Kinder zwischen den Ruinen der Stadt gefunden haben, nimmt Agnes diesen auf. Jahre später, forscht dieser Mann, den Agnes auf den Namen Joost getauft hat, nach seiner wahren Herkunft und durch Zufall begegnet er Anna Meerbaum, die endlich mehr Informationen für ihn hat. Doch schon bald stößt er auf vier ungeklärte Mordfälle, die direkte Parallelen zu seinem Leben aufzuweisen scheinen.

Meinung

Schon lange war ich auf den neuen Roman aus der Feder von Mechtild Borrmann gespannt, von der bereits einige Bücher auf meiner Wunschliste stehen. Die bislang sehr positiven Lesermeinungen ließen mich auf gute Unterhaltungsliteratur hoffen und genau die habe ich auch gefunden.

Die Autorin hat einen gängigen, leicht lesbaren Erzählstil für ihr Buch gewählt und eine eher ruhige, unaufgeregte Schreibweise. Spannung entwickelt sich hier subtil, während auf die historischen Hintergründe sehr einfühlsam und ausführlich eingegangen wird. Gerade dieser Fokus hat mich begeistert, denn die Lebensweise und die persönlichen Schicksalsschläge der Menschen, in einem vom Krieg vollkommen zerstörten Land werden geradezu brillant eingefangen und intensiv beleuchtet. Zerstörte Familien, einsame Findelkinder, ein täglicher Überlebenskampf und die bange Frage, wie sich die Zukunft gestalten wird. Dennoch herrscht Aufbruchstimmung und der unbedingte Wille den nächsten Tag so gut wie möglich zu überstehen.

Im Zentrum stehen hier zwei Zeitebenen, die sich zum einen mit der Vergangenheit und den Kriegswirren 1946/47 befassen und zum anderen mit der Recherche einer jungen Frau, die auf die fragwürdige Identität der eigenen Mutter gestoßen ist und im Jahre 1993 erstmals eigene Ermittlungen anstellt. Mechtild Borrmann verwebt geschickt die beiden Einzelschicksale von Anna und Joost und stellt eine fast unglaubliche Verbindung her. Der Spannungsbogen in der zweiten Hälfte des Buches nimmt zu und alles steuert auf ein Verbrechen hin, welches aus der Vergangenheit heraus eine einschneidende Erfahrung im Leben der beiden Protagonisten darstellt.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne und eine direkte Leseempfehlung für alle, die historische Zusammenhänge mögen, die sich direkt und indirekt auf ein Menschenleben auswirken können und weitreichende Folgen haben. Den Leser erwartet hier weniger ein Kriminalroman, als vielmehr eine Erzählung über die fragwürdige Herkunft, die ungeklärte Vergangenheit und das Schicksal vieler Familien in den Nachkriegswirren. Ein idealer Boden für Verbrechen, die mitunter erst Jahrzehnte später aufgeklärt werden können. Unterhaltungsliteratur vom Feinsten!

Veröffentlicht am 26.11.2016

Eine Fackel im Dunkel der Nacht

Elias & Laia - Eine Fackel im Dunkel der Nacht
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Wer Fantasy liebt und auf der Suche nach einer spannenden, monumentalen Handlung ist, der wird mit dem zweiten Band aus der Feder von Sabaa Tahir vollends zufrieden sein, denn „Elias & Laia“ zählt für ...

Wer Fantasy liebt und auf der Suche nach einer spannenden, monumentalen Handlung ist, der wird mit dem zweiten Band aus der Feder von Sabaa Tahir vollends zufrieden sein, denn „Elias & Laia“ zählt für mich zu einer der besten Jugendbuchreihen der letzten Jahre.

Inhalt

Elias, die ehemalige Maske und Laia, ein einfaches Sklavenmädchen, deren Familie fast komplett ausgelöscht wurde, begeben sich gemeinsam auf die Reise quer durch ein Land, in dem der Krieg tobt und Hunger, Leid und Rachsucht dominieren. Beide haben nur einen Wunsch, sie müssen Laias Bruder Darin aus dem berühmten Gefängnis in Kauf befreien, denn er ist der Einzige, der ein Geheimnis kennt, welches das Imperium vor dem Untergang bewahren wird und die Kundigen des Landes befreien kann. Doch ihr Weg nach Kauf ist ein gefährlicher. Verfolgt vom Blutgreif des Imperators, abhängig von der Gunst der zersplitterten Stämme und angewiesen auf magische Kräfte bahnen sich die beiden einen Weg. Tod und Verlust begleiten sie unaufhörlich und Elias läuft die Zeit davon, denn seine barbarische Mutter, die selbst nach der Herrschaft des Landes trachtet hat ihn vergiftet und wenn es ihm nicht gelingt, das Gefängnis rechtzeitig zu erreichen, ruft die Welt der zerstörten Seelen, die Zwischenstatt mit lauter Stimme nach ihm.

Meinung

Zu Beginn des Jahres habe ich den ersten Band dieser Reihe mit Begeisterung gelesen und war nun ausgesprochen gespannt auf die Fortsetzung. Leider schwächeln viele Jugendbuch-Reihen ab dem zweiten Band, so dass ich nicht jede davon weiterverfolge.

Ganz anders ist es hier. Die Charaktere sind bestens herausgearbeitet, die Protagonisten bereits aus dem Vorgängerroman bekannt, entwickeln sich hier zu ausgereiften Persönlichkeiten, die man meint zu kennen. Besonders positiv empfinde ich das Vermögen der Autorin aus einer eher mäßig abwechslungsreichen Handlung (schließlich ist das Thema der Befreiung, der einzige wirkliche Handlungsstrang und das auf gut 500 Seiten), ein wahres Feuerwerk an Ereignissen und Abenteuern heraufzubeschwören, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte.

Ebenso fulminant und andersartig empfinde ich die Wahl des Handlungsortes, die sowohl dystopisch als auch historisch zu sein scheint. Als Leser kann man Parallelen ziehen und lernt doch eine komplett andere, unbekannte Welt kennen. Selbst die Ausflüge ins Reich der Fantasy, die uns mit Toten kommunizieren lassen und magische Fähigkeiten wie Heilkräfte und Unsichtbarkeit heraufbeschwören sind so kompakt und schlüssig in das Gesamtkonzept eingebettet, dass sie einfach perfekt passen.

Fazit

Ich vergebe volle Punktzahl mit 5 Lesesternen, denn mir hat der zweite Teil sogar noch besser als der erste gefallen und mit Freude habe ich gelesen, dass weitere Bände folgen werden. Diese Jugendbuchreihe eignet sich auch hervorragend für Erwachsene, weil sie teilweise sehr brutal angehaucht ist und subtile Stimmungen erzeugt, die viel mit Magie aber wenig mit klassischen Teenagerproblemen zu tun haben. Die Handlung erinnert mich an ein Epos, an Heldensagen und kriegerisch, dramatische Auseinandersetzungen. Hier wäre eine Verfilmung definitiv angebracht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Abenteuer
  • Fantasie
  • Spannung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.11.2016

Der hohe Preis vermeintlicher Freiheit

Die Spionin
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„Denn das habe ich immer gesucht: die Freiheit. Ich habe nicht die Liebe gesucht. Denn die Liebe kommt und geht – und ich habe ihretwegen Dinge getan, die ich nicht hätte tun sollen, und mich an Orte begeben, ...

„Denn das habe ich immer gesucht: die Freiheit. Ich habe nicht die Liebe gesucht. Denn die Liebe kommt und geht – und ich habe ihretwegen Dinge getan, die ich nicht hätte tun sollen, und mich an Orte begeben, die ich besser gemieden hätte.“

Inhalt

Die schillernde Femme fatale Mata Hari, einst wunderschön und beneidet ebenso wie begehrt und berühmt schreibt aus dem französischen Gefängnis „Saint-Lazare“ einen Brief an ihren Anwalt, in Erwartung ihrer Strafe, die sich zwischen Begnadigung und Todesurteil entscheiden wird. Ein kurzer, skizzenhafter Abriss über ihr Leben, ihre Wünsche und Sehnsüchte ebenso wie getroffene Fehlentscheidungen, eine schriftliche Unschuldsbekundung und gleichermaßen ein bitteres Eingeständnis. Denn obwohl sie mitnichten eine deutsch-französische Doppelagentin im ersten Weltkrieg war, so lautete die Anklage, hat sie sich zahlreicher Verfehlungen hingegeben, deren einziger Initiator der Wunsch nach Anerkennung war. Und auch ihr Anwalt antwortet in einer Art Entschuldigungsschreiben, welches sie nicht mehr lesen wird, um ihr mitzuteilen, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort war und im gesamtpolitischen Hintergrundgeschehen keine gerechte Strafe erwarten könne.

Meinung

Grundlegend muss ich sagen, dass Paulo Coelho zu einen meiner Lieblingsautoren zählt, der mich mit zahlreichen Romanen zum Nachdenken und Innehalten angeregt hat, schon allein deshalb war ich auf sein neues Buch so gespannt. Und schon nach den ersten Seiten des Buches wurde mir klar: hier gibt es zu wenig Platz, um die Geschichte rund um Mata Hari in allen Einzelheiten zu erzählen.

Umso treffender finde ich die Aussage, die der Autor im Nachwort des Romans liefert. Denn dieses Buch stellt nicht den Anspruch eine Biografie von Margaretha Zelle (später Mata Hari) zu sein, sondern fungiert eher als eine Art Einstieg, um vielleicht die Lust beim Leser zu wecken, genauere Recherchen anzustellen und sich ein eigenes Bild zu machen. Und das ist mit diesem wahrlich kurzen, skizzenhaften Briefroman sehr gut gelungen.

Coelho legt sein Augenmerk auf wenige, einschneidende Erlebnisse in Mata Haris Leben, die sie in die Arme der falschen Männer getrieben haben. Er setzt sich mit der Illusion auseinander, die eine Gefangene hat, die von ihrer Unschuld überzeugt ist. Er zeigt, wie sich ihr selbstgewähltes, exotisches Auftreten im Laufe der Jahre gegen sie gewandt hat, nachdem sie feststellen musste, dass es immer wieder hübschere, jüngere Tänzerin geben würde und ihr Stern am Himmel nicht unendlich strahlen würde. Glanz und Glamour hatten auch damals schon einen hohen Preis, insbesondere, wenn man fast blauäugig und an Selbstüberschätzung leidend versuchte, als emanzipierte Frau in einer männerdominierten Welt zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, Fuß zu fassen. Dieser innere Zwang, es anderen zu beweisen und selbst im Angesicht des Todes eine gewisse Rolle zu spielen, hat mir die Person Mata Hari nähergebracht.

Der Schreibstil von Paulo Coelho liest sich flüssig und durch einige eingestreute Bilder und Zeitdokumente, wird der Text zusätzlich aufgelockert. Leider muss ich sagen, dass ich dieses Buch so gern gelesen habe, dass es mich schmerzt, wie wenig Textmaterial tatsächlich vorliegt. An so vielen Stellen hätte man in die Tiefe gehen können und gerade die historischen Zusammenhänge besser herausarbeiten können.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne für einen interessanten, wenn auch kurzen biographischen Eindruck aus dem Leben einer selbstbewussten Frau. Ein Buch, welches mir die Person Mata Hari aus der Ich-Erzählperspektive heraus, schmackhaft machen konnte. Mein Interesse wurde auf jeden Fall geweckt. Zwischen den Zeilen verpackt der Autor seine Lebensweisheiten, die ich immer gerne herauslese, um sie mit meinen persönlichen Lebenserfahrungen zu vergleichen. Ein stiller, nachdenklich stimmender Roman, dem es leider an Umfang fehlte.

Veröffentlicht am 07.11.2016

Ein Sommer am Strand von Le Touquet

Die vier Jahreszeiten des Sommers
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Vier Lieben, vier Leben – ein Sommer.

Inhalt

Ein französischer Strand, an dem sich Jahr für Jahr das Sommerleben verschiedener Menschen abspielt, die immer gleichen Bewegungsabläufe, die ähnlichen Hoffnungen, ...

Vier Lieben, vier Leben – ein Sommer.

Inhalt

Ein französischer Strand, an dem sich Jahr für Jahr das Sommerleben verschiedener Menschen abspielt, die immer gleichen Bewegungsabläufe, die ähnlichen Hoffnungen, Wünsche und Probleme und das Meer, welches vieles relativiert, manches hervorlockt und einiges wegwischt. Am 14. Juli 1999 sind am Strand von Le Touquet im Norden von Frankreich vier verschiedene Personen, die sich nicht kennen, die alle ein anderes Alter haben und die der Zufall dennoch irgendwie verbindet. Sie sind die Gesichter der Liebe, in jungen Jahren, im Erwachsenenalter, im zweiten Frühling ihres Lebens und im Alter. Sie stehen gleichbedeutend für Sehnsucht, Begehren, Enttäuschung, Hoffnung, Neuanfang und Ewigkeit.

Meinung

Ich bin froh, mit diesem kleinen aber feinen Roman ein Juwel des französischen Autors Grégoire Delacourt kennengelernt zu haben, welches emotional, liebenswürdig, feinsinnig und mitreißend zugleich ist. Eine ganz klare Struktur schafft hier den Erzählrahmen, bei dem der Leser aus vier Perspektiven etwas über den Sommer der Liebe am Strand von Touquet erfährt. Egal ob man den sehnsuchtsvollen Blick des Teenagers spürt oder die enttäuschte Mittdreißigerin kennenlernt, die nie den Richtigen getroffen hat, immer findet der Leser neue Ansatzpunkte, die ebenso flüssig wie bekannt erscheinen und nichts weiter sind als einfache Lebensbetrachtungen. Und dennoch verbirgt sich hinter der simplen Beschreibung diverser Gefühlsregungen das ganze Leben.

Besonders gelungen finde ich die zufällig wirkende Verkettung der Protagonisten, die sich im Roman dadurch begegnen, dass sie zur gleichen Zeit am gleichen Ort aufhalten und von den anderen wahrgenommen werden, als das, was sie sind oder zu sein scheinen. Dadurch entsteht ein runder, in sich geschlossener Roman der den Leser mitnimmt zu den Grundsätzen seines Lebens, zu den vergessenen oder wiederentdeckten Gefühlen. Im Mittelpunkt steht hier nicht ein einzelner Charakter, noch nicht einmal ein Menschenleben sondern vielmehr die Liebe und ihre zahlreichen Schattierungen im Verlauf der Zeit. Mühelos könnte man weitere Geschichten einfügen und hätte die Grundaussage dadurch dennoch nicht verändert.

Fazit

Ich vergebe 5 Lesesterne und eine eindeutige Leseempfehlung für alle, die französische Erzählkunst mögen und sich gerne in andere Menschen hineinversetzen oder auch nur Berührungspunkte zwischen sich selbst und den Romanfiguren suchen. Dieser Roman bietet nicht nur eine in sich geschlossene Erzählung über die Facetten der Liebe, sondern auch die Möglichkeit Dinge und Handlungen zu hinterfragen und sich wichtigen Lebensfragen zu stellen. Außerdem berührt er das Herz des Lesers, weil man doch zu gerne an das Gute, das Vorherbestimmte, das Besondere glauben mag, an die Einzigartigkeit der Liebe und die Unendlichkeit der Gefühle. Vielleicht ist es auch eine Lektüre für Idealisten, die gerne so bleiben möchten, wie sie sind.

Veröffentlicht am 24.10.2016

Der lange Weg zurück auf Null

Weit über das Land
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"Nicht alles, was man tut, hat einen Grund. Es war kein großer Entschluss gewesen, eher eine Reihe kleiner, zielloser Entscheidungen, Nachlässigkeit vielleicht, ein Nachgeben."

Inhalt
Eines Abends, kurz ...

"Nicht alles, was man tut, hat einen Grund. Es war kein großer Entschluss gewesen, eher eine Reihe kleiner, zielloser Entscheidungen, Nachlässigkeit vielleicht, ein Nachgeben."

Inhalt
Eines Abends, kurz nach der Rückreise aus dem gelungenen Sommerurlaub, beschließt Thomas, nicht nach drinnen ins Bett zu gehen, sondern hinaus in die Welt. Er läuft los, ohne ein Wort des Abschieds und verlässt nicht nur Frau und Kinder sondern auch sein gesamtes bisheriges Leben. Für die Hinterbliebenen bleibt nur Ursachenforschung und gähnende Leere, denn gerade Astrid, seine Frau findet keine Erklärung für sein Verhalten und kann es dennoch tief im Inneren nachvollziehen. Als er offiziell für tot erklärt wird, mag sie nicht daran glauben und behält Thomas auf eigene Art und Weise in ihrem Herzen.

Meinung
Dieses Buch habe ich ohne besondere Erwartungshaltung begonnen, da ich weder den Autor kannte, noch ein Augenmerk auf den Deutschen Buchpreis hatte. Einzig die Geschichte an sich, so wie sie der Klappentext verspricht, reizte mich ungemein. Insbesondere die Aussage "Ein Roman über den einen Moment, der unser Leben in Frage stellt", weckte meine Neugier. Denn ich spekuliere sehr gerne über das Für und Wider einer Entscheidung und genau das, kann man hier tatsächlich.

Auf recht wenigen Seiten entwirft Peter Stamm ein derart greifbares Szenario in einer schockierenden, lebensverändernden Situation, so dass ich zwischen Mitleid, Verzweiflung und Unverständnis hin und herpendelte. Gerade die durchaus banale Entscheidung, einfach aus der Tür zu gehen und niemals wieder zurückzukehren, entfacht eine unmittelbare Kettenreaktion, die gerade die Angehörigen nachhaltig und bitter beeinflusst.

Beim Lesen habe ich immer wieder innegehalten und versucht, die Beweggründe der Protagonisten nachzuvollziehen, doch das ist mir nicht gelungen. Sowohl der entschlossene, doch unzufriedene Thomas als auch die patente, doch zurückgelassene Astrid blieben mir immer recht fremd, dennoch hat mich dieser Abstand nicht gestört, denn die Hauptcharaktere handeln schlüssig und werfen mit ihren Handlungen immer neue Fragen auf, denen man nur zu gern nachgehen würde. Auf Grund dieses Aspektes sehe ich auch eine Berechtigung darin, diesen Roman beispielsweise als Unterrichtslektüre zu wählen, denn kontroverse Diskussionen werden sich fast zwangsläufig ergeben.

Ein kleiner Kritikpunkt meinerseits sind die ausufernden Landschaftsbeschreibungen, die gerade bei der geringen Seitenanzahl des Buches manchmal zu viel Raum einnehmen und den Blick auf die Gefühle und Gedanken der Protagonisten schmälern.

Fazit
Ich vergebe 5 Lesesterne und eine Leseempfehlung, für alle die sich gern mit unliebsamen Entscheidungen, einem aufgezwungenen Schicksal und der Möglichkeit, das eigene Leben radikal zu verändern, beschäftigen möchten.

Es fällt schwer die Situation objektiv zu betrachten, selbst wenn Peter Stamm sehr distanziert und korrekt schreibt. Immer wieder fällt der Leser in eine Rolle hinein - in die des sinnsuchenden Vaters, der verlassenen Ehefrau, der enttäuschten Kinder und letztlich bleibt er hängen an der Tatsache, dass nicht alles im Leben einen Sinn haben muss. Und selbst wenn man keine müde Mark auf diese Aussage setzt, wird man hier gezwungen, darüber nachzudenken, was sein könnte, was wirklich ist und was niemals geschehen wird. Dieses Dilemma verkörpert "Weit über das Land" und wird mir damit lange und nachhaltig in Erinnerung bleiben.