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Veröffentlicht am 05.07.2019

Fiktive Geschichte der Donaubauer Lichtspiele in München - nah dran an der Realität (1926-1939)

Das Lichtspielhaus - Zeit der Entscheidung
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In ihrem Roman „Das Lichtspielhaus – Zeit der Entscheidung“ erzählt Heidi Rehn die Geschichte der fiktiven Familie Donaubauer und verknüpft sie eng mit der historischen Entwicklung des Kinos. Der Begriff ...

In ihrem Roman „Das Lichtspielhaus – Zeit der Entscheidung“ erzählt Heidi Rehn die Geschichte der fiktiven Familie Donaubauer und verknüpft sie eng mit der historischen Entwicklung des Kinos. Der Begriff Lichtspielhaus klang für mich antiquiert und richtigerweise führt die Erzählung mich in den Oktober 1926 als noch die bewegten Bilder im Vordergrund standen, zu denen Geräusche vor Ort geliefert wurden oder ein Ensemble die Stummfilme musikalisch untermalte. In Deutschland gab es damals zwei große Ateliers, in denen neue Filme gedreht wurden. Die großen Lichtspielhäuser konkurrierten um die Premiere. Zunehmend wurde um das Publikum mit immer neuen Ideen gebuhlt vor allem durch das Schaffen einer angenehmen Atmosphäre durch das Anbieten von Getränken und der bequemen Ausstattung des Saals sowie dem Aufrüsten durch neueste Technik.

Im Jahr 1926 verfügen die Donaubauer Lichtspiele inzwischen über fünf Filmtheater in und außerhalb von München. Geleitet werden sie von der verwitweten Zenzi, ihrem Sohn Karl und ihren Schwiegerkindern Elsa und Heinrich. Unvorhergesehen verlässt Karl aufgrund einer Liaison mit einer dunkelhäutigen Schönen seine Frau Elsa und seine beiden Töchter und lässt sich in den USA nieder. Doch Zenzi, Elsa und Heinrich führen die Lichtspielhäuser durch Höhen und Tiefen, die unter anderem bedingt sind durch die Einführung des Tonfilms und die sich ändernde politische Lage.

Die Trennung von Karl, kurz bevor sie 34 Jahre alt wird, kommt für Elsa sehr überraschend. Für ihn hat sie ihren Beruf aufgegeben und an seiner Seite in der Münchner Geschäftswelt Anerkennung erlangt. Kurz hat sie davon geträumt, eine kleine Rolle in einem Film zu spielen, doch jetzt setzt sie nicht nur ihren Verstand sondern auch ihr Herz dazu ein, die Donaubauer Lichtspiele in die Zukunft zu führen. Der Konkurrenzdruck zwingt sie, ständig auf dem neuesten Stand rund ums Kino zu bleiben. Dazu nutzt sie Informationen von persönlichen Kontakten und durch Zeitungen. Intern ist es nicht immer einfach zu dritt die Filmtheater zu führen, weil unterschiedliche Meinungen zu einer Entscheidung zusammengeführt werden müssen.

Auf gewohnt detailreiche Art führt Heidi Rehn durch das historische Geschehen. Ihrem Anspruch zu erzählen, wie es damals gewesen sein könnte, wird sie gerecht. Dank ihrer sehr guten Recherche wirken die beschriebenen Umstände auf dem Gebiet der Entwicklung der Filmtheater authentisch, die Lichtspiele entwickelten sich zum Publikumsliebling. In die Handlung lässt sie zahlreich Filme der entsprechenden Zeit einfließen. Ihre Charaktere haben Ecken und Kanten. Sie äußern ihre Ansichten und Handeln indem sie sich an ihren Interessen orientieren und dabei ihren eigenen Vorteil oder den ihrer Liebsten im Blick haben, zunehmend aber auch nach Kompromissen suchend mit den neuen Erlassen der politischen Führung. Natürlich ist der finanzielle Aspekt des Geschäftsbetriebs nie zu vernachlässigen. Bei Elsa und Zenzi bleibt jedoch auch immer der Wunsch bestehen, die Menschen bestens zu unterhalten und ihnen so eine Möglichkeit zu geben, dem Alltag zu entfliehen.

Die Geschichte reicht bis ins Jahr 1939. Zwischen den Kapiteln gibt es gelegentlich größere Sprünge von Monaten und Jahren. In diesen Fällen vermittelt die Autorin das, was inzwischen geschehen ist im Rückblick. Um den Anschluss zu erhalten, werden einige Male die Entwicklungen kurz in einigen Sätzen zusammengefasst. Durch die Detailtreue kommt es hier und da zu wenigen Längen. Schön fand ich es, im fiktiven, leicht umgestalteten München der Autorin auch das Kaufhaus aus ihrem vorigen Roman wiederzufinden. Mit Zenzi schafft Heidi Rehn eine Bayerin, die ihrem Dialekt treu bleibt, was manchmal den zügigen Lesefluss leicht unterbricht. Im Glossar am Ende des Buchs finden sich Erklärungen zu Begriffen aus der Welt des Films, zu bekannten Persönlichkeiten der damaligen Zeit, aber auch zu einigen Übersetzungen bayrischer Ausdrücke, die mir hilfreich waren.

Im Roman „Das Lichtspielhaus – Zeit der Entscheidung“ erzählt Heidi Rehn die fiktive, aber durchaus real mögliche Geschichte der Familie Donaubauer, die in den 1920ern zu den führenden Lichtspielbetreibern in München gehörte. Trotz vieler Krisen in der Branche, vor allem durch die Ansprüche der Besucher und den neuen politischen Erlassen sowie Missgunst und Streit innerhalb der Familie gelingt es ihnen ihr Gewerbe bis ins Jahr 1939 zu führen. Was in den kommenden Jahren geschehen wird, erzählt Heidi Rehn in der Fortsetzung, die im Frühjahr 2020 erscheinen wird. Ich empfehle das Buch vor allem an diejenigen, die Familienromane über mehrere Generationen mögen und interessiert sind an der Geschichte des Kinos.

Veröffentlicht am 03.07.2019

Berührend, überraschend und erschreckend

Das Labyrinth des Fauns
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„Das Labyrinth des Fauns“, geschrieben von Cornelia Funke, ist die Adaption des Films „Pans Labyrinth“ von Guillermo del Toro aus dem Jahr 2006, ergänzt durch zehn kurze Geschichten der Autorin, die einige ...

„Das Labyrinth des Fauns“, geschrieben von Cornelia Funke, ist die Adaption des Films „Pans Labyrinth“ von Guillermo del Toro aus dem Jahr 2006, ergänzt durch zehn kurze Geschichten der Autorin, die einige Hintergründe zu bestimmten Handlungen liefern. Der Roman ist eine Mischung aus fiktiver historischer Handlung und Phantastik, er spielt in Nordspanien im Jahr 1944.

Der auf den Seiten der Faschisten stehende Capitán Vidal hat sich mit den ihm unterstellten Soldaten in einer alten Mühle in waldreichem Gebiet niedergelassen um gegen eine Gruppe Widerstandskämpfer vorzugehen. Er soll der neue Steifvater der zwölfjährigen Ofelia werden, deren Mutter ein Kind von ihm erwartet. Erst vor einem Jahr ist der Vater von Ofelia im Krieg verstorben und die Zukunft steht ungewiss vor ihr. Das herrschsüchtige Verhalten von Vidal macht ihr Angst und sie sucht Zuflucht in ihren Büchern, denn mit Geschichten kann sie sich in andere Welten träumen.

Eines Tages begegnet Ofelia einer Fee, doch niemand glaubt ihr das. Doch die Fee kehrt wieder und führt sie in ein Labyrinth aus Stein, das sich in der Nähe der Mühle befindet. Dort wartet ein Faun auf sie, der ihr erzählt, dass sie die mögliche Reinkarnation der lang gesuchten Tochter Moanna des Königs des Unterirdischen Reiches sei. Um zu beweisen, dass sie tatsächlich die Prinzessin ist, muss sie drei Aufgaben lösen und bestehen.

Die fantastische Welt, in die Ofelia sich begibt, spiegelt alles das wider, was sie auch in der Realität erlebt. Es ist nicht immer einfach in beiden Welten, sofort zu erkennen, wer es gut oder böse mit ihr meint. Sie begreift nicht die Beweggründe ihrer Mutter, die dazu geführt haben, dass sie sich auf Vidal eingelassen hat und nun seinen Anweisungen folgt. Von Beginn an wird der Capitán als pedantisch und fordernd beschrieben. Durch sein Vorgehen schützt er jedoch auch die ihm Unterstellten und Anvertrauten, sofern sie sich an die Vorschriften halten. Jeder Verstoß wird von ihm auf grausamste Weise geahndet. Cornelia Funke fängt die brutale Seite des Kriegs und seiner Verfechter ein, aus ihren Worten entstehen Bilder im Kopf von barbarischer Gestalt.

Auch durch ihre Flucht in die Fantasy entkommt Ofelia der Gewalt nicht. Hier wie dort zeigt sich, dass die Herrschaft über Grundessenzen des Lebens dazu führt, die davon Abhängigen langsam, doch unwiderruflich dem Tod auszuliefern. Die auf solche Weise Darbenden greifen viel zu schnell nach angebotener Hilfe, die nicht ohne weiteren Schrecken zu erhalten ist. Strafe folgt auf regelwidriges Verhalten in der Realität wie auch in der gedanklichen Vorstellung von Ofelia. Sie lernt dadurch, dass sie die Konsequenzen aus ihren Entscheidungen tragen muss, die meistens unumkehrbar sind.

Cornelia Funke bleibt mit der geschriebenen Handlung eng am Film, Abweichungen in den Dialogen scheinen hauptsächlich der Übersetzung aus dem Englischen geschuldet zu sein. Gekonnt fängt sie die düstere Handlung in ihren Worten ein und umgarnt den Leser mit ihrem sprachlichen Können. Sie fokussiert auf Gesten und Blicke, aus denen sie die Gefühle der Personen in dieser unterkühlten Situation sprechen lässt, andererseits gibt sie ihre eigenen Empfindungen für das Tun der Figuren an den Leser weiter. Sie schafft es, das Zwischenmenschliche in ihrem Text zu transportieren. Im Wechsel der Kapitel führt sie einerseits die Geschichten rund um die Ereignisse an der Mühle und andererseits in der Fantasywelt weiter Jede der zehn kurzen mystischen Geschichten von Cornelia Funke, die den Roman bereichern, wird begleitet von einer Illustration, die von Allan William erstellt wurden.

Ich habe den Roman „Das Labyrinth des Fauns“ gelesen und erst danach den Film geschaut. Berührt war ich war von der Beherztheit Ofelias, aber auch überrascht von der Stärke Mercedes, einer jungen Frau die in einer wichtigen Nebenhandlung auf Seiten der Partisanen steht. Die Geschichte um den Mut, sich dem Bösen entgegenzustellen, empfehle ich. Gleichzeitig war ich erschreckt von der unverhüllten Grausamkeit in verschiedenen Szenen, so dass ich das Buch nur für Erwachsene und ältere Jugendliche (der Film hat eine FSK ab 16 Jahren) geeignet halte.

Veröffentlicht am 27.06.2019

Geschichte mit Leichtigkeit und Tiefgang

Glück ist meine Lieblingsfarbe
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„Glück ist meine Lieblingsfarbe“ ist ein einfühlsam geschriebener Liebesroman von Kristina Günak. Die Ich-Erzählerin Juli hat ihren Job bei einer Versicherung in Hamburg kurzfristig gekündigt. Ihre Gründe ...

„Glück ist meine Lieblingsfarbe“ ist ein einfühlsam geschriebener Liebesroman von Kristina Günak. Die Ich-Erzählerin Juli hat ihren Job bei einer Versicherung in Hamburg kurzfristig gekündigt. Ihre Gründe dafür bleiben lange im Dunkeln, doch von Beginn an spürte ich aufgrund von Andeutungen, dass ihr Entschluss auf einem Ereignis beruhte, das sie unvorhergesehen gefühlsmäßig schmerzlich getroffen hatte. Ein Freund aus ihrer Kindheit lebt auf La Palma/Spanien und sie folgt nach diesem großen Einschnitt in ihrem Leben gerne seiner Einladung. Inzwischen hat sie dort eine kleine Kellerwohnung in einem Dorf bezogen und verdient ein wenig Geld als Hundeausführerin und Verkäuferin auf einem Foodtruck. Auf einer Party lernt sie den deutschen Immobilienmakler Quinn kennen. Er erscheint ihr zwar freundlich und hilfsbereit, sie spürt jedoch, dass er eine Fassade aufgesetzt hat. Der erfolgreiche Geschäftsmann, der seiner Arbeit rund um die Uhr nachzugehen scheint, verbirgt eine große Verletzlichkeit. Beide finden weder die Gelegenheit noch die Worte dazu, über ihre Vergangenheit miteinander offen zu reden. Das fragile Vertrauen zueinander, droht dadurch wieder zum Einsturz zu kommen.

Durch ihre freimütige, aber manchmal unbeholfene Art gewinnt Juli schnell Freunde. Im Umgang mit Hunden entwickelt sie zunehmend einen entschlossenen, sensiblen Ton, dem die Tiere gerne folgen. Sie sucht nach einer Tätigkeit von der sie sowohl ihren Lebensunterhalt bezahlen kann, die aber auch sinnerfüllend ist und Spaß macht. Dabei erkennt sie, dass sie eventuell auch das, was sie sich bisher aufgebaut und lieb gewonnen hat, zurücklassen muss. Hinter den Problemen der handelnden Figuren tritt die Beschreibung der Insel zurück. Dafür konnte ich aber die Besorgnis und den Zusammenhalt der Bewohner des Dorfes, in dem Juli lebt, deutlich spüren.

Kristina Günaks Roman ist gut durchdacht und bewegend. Durch die gewählte Erzählform konnte ich mich in die innere Zerrissenheit der Protagonistin einfühlen. Verlust und Vergangenheitsbewältigung werden geschickt von der Autorin durch amüsante Szenen überspielt. Sie geben dem Roman eine gewisse Leichtigkeit. „Glück ist meine Lieblingsfarbe“ ist eine unterhaltsame Geschichte mit Tiefgang, die sich jetzt im Sommer auch besonders gut als Strandlektüre eignet.

Veröffentlicht am 11.06.2019

Historisches Ereignis geschickt mit fiktivem Einzelschicksal verknüpft

Am Tag davor
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Michel und sein 14 Jahre älterer Bruder Joseph Flavent sind die Protagonisten des Romans „Am Tag davor“. Der Autor des Buchs, der Franzose Solj Chalandon lässt Michel in der Ich-Form seine Geschichte in ...

Michel und sein 14 Jahre älterer Bruder Joseph Flavent sind die Protagonisten des Romans „Am Tag davor“. Der Autor des Buchs, der Franzose Solj Chalandon lässt Michel in der Ich-Form seine Geschichte in der Gegenwart mit Rückblick auf seine Jugend erzählen, während Joseph bereits vor vielen Jahren verstorben ist. Noch am Tag vor dem großen Grubenunglück in Liévin am 27.12.1974 brausten die Brüder auf dem Moped von Joseph durch die Straßen der kleinen Stadt bis zur Steinkohlenzeche, in der der Ältere arbeitete.

Joseph hatte sich dagegen entschieden, den Bauernhof des Vaters zu übernehmen. Am nächsten Morgen war er für die Frühschicht eingeteilt. Michel übernachtete zu dieser Zeit einige Tage in der Wohnung seines Bruders, doch als er erwachte war seine Schwägerin nicht da. Eine seltsame Stille lag über dem Ort, denn die Förderung wurde aufgrund des Unglücks in der Zeche eingestellt. Doch Joseph gehörte nicht zu den Toten. Die Familie besucht den Verletzten, im Koma liegenden Sohn, Bruder und Ehemann im Krankenhaus. Er stirbt etwa vier Wochen später. Immer wieder weist der Autor auf den Umstand hin, dass Joseph nicht die Ehrerbietung erfährt wie die anderen Verstorbenen des Grubenunfalls. Für Michel wird die vom Vater gewünschte Rache für das Unglück fortan zum Lebenszweck.

Der Roman teilt sich in zwei Erzählstränge. Etwa bis zur Hälfte der Seitenzahlen erzählt Michel vom Tod seines Bruders und dem sich für ihn daraus ergebenden lebenslangen Sinnen nach Rache. Daneben liest sich aus den Zeilen aber auch die Traurigkeit über einen weiteren schweren Verlust. Im zweiten Erzählstrang erzählt Michel vom Prozess der ihm gemacht wird, nachdem er endlich der Verpflichtung seinem Vater gegenüber nachgekommen ist und Rache genommen hat. Das klingt zunächst nach einer gradlinigen Abfolge von Ereignissen, die zu einem schlüssigen Ende führt. Doch so einfach macht der Autor es dem Leser nicht. Denn Michel trägt eine große Schuld mit sich, deren Begreifen sich für den Leser erst zum Ende hin öffnet.

Zu Beginn erlebte ich Michel als Teenager mit großen Träumen für seine Zukunft. Doch sein Leben ist geprägt von der Angst der Eltern vor der Grubenarbeit in der Zeche, denn sie haben ein Familienmitglied dadurch verloren. Für Michel aber hat Joseph Vorbildcharakter. Wer sich mit der Arbeit eines Bergmanns unter Tage beschäftigt weiß, dass hier Kameradschaft gelebt wird und hierin ein hoher Anreiz zu finden ist. Dabei wird die Gefahr für die Gesundheit häufig verdrängt und doch quälten sich viele und starben früher oder später auch oft an der sogenannten Staublunge. Bei beiden meiner Onkel, die im Steinkohlenabbau gearbeitet haben, war das ebenfalls so. Das Thema stellt Sorj Chalandon in den Vordergrund und zeigt mit dem Unglück was passiert, wenn ein Kumpel aus der Solidaritätsgemeinschaft ausweicht. Eindringlich betont er, dass Nachlässigkeiten nicht mehr zu heilen sind und eine ganze Stadt in Verzweiflung stürzen kann. Für Michel trägt seine Umgebung überall die Erinnerung an seinen Bruder, so dass er bereits in jungen Jahren die Heimat verlässt.

Gefühlsmäßig noch intensiver erlebte ich die Gerichtsverhandlung, bei der ich die Gründe für Michels Handlungen im weiteren Verlauf der Geschichte nach dem Grubenunglück immer besser verstehen lernte und ihm immer tiefer ins Herz blicken durfte.

Solj Chalandon gelingt es mit „Am Tag davor“ ein historisches Ereignis von großer allgemeiner Bedeutung mit einem fiktiven Einzelschicksal gekonnt zu verknüpfen. Dabei überrascht er den Leser mit einer unerwarteten Wendung durch die seine Erzählung eine ganz andere Richtung nimmt. Sein Roman ist bewegend, erschütternd und wirkt noch lange nach.

Veröffentlicht am 31.03.2019

Berührende und bestürzende Handlung mit Spannung vom Beginn bis zum Ende

Liebes Kind
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Dass der Titel des Thrillers „Liebes Kind“ von Romy Hausmann nicht wirklich liebevoll gemeint ist, sieht man gleich anhand der Covergestaltung, denn die Buchstaben sind in zerlaufenden schwarzen Buchstaben ...

Dass der Titel des Thrillers „Liebes Kind“ von Romy Hausmann nicht wirklich liebevoll gemeint ist, sieht man gleich anhand der Covergestaltung, denn die Buchstaben sind in zerlaufenden schwarzen Buchstaben geschrieben. Sie stehen über einer geschlossenen Gitterbox, die auf mich beim Anblick beängstigend wirkte, weil ich mich fragte, was darin eingeschlossen wurde. Der Thriller hat drei Protagonisten: Lena, Hanna und Matthias, die in unregelmäßigen Wechseln jeweils einen Teil der Geschichte in Ich-Form erzählen.

Die frühere Lehramtsstudentin Lena ist seit vierzehn Jahren in einer Hütte im Wald gefangen und kümmert sich um ihre beiden Kinder, 11 und 13 Jahre alt, die sie gemeinsam mit ihrem Entführer hat. Ihm obliegt die Aufgabe, seiner Arbeit nachzugehen, um mit den Einnahmen seine Familie zu versorgen und vor der Umwelt zu beschützen. Das ältere der beiden Kinder ist Hannah. Sie begleitet ihre Mutter ins Krankenhaus nachdem Lena ein Ausbruchversuch gelingt und damit ungeahnte Folgen auslöst. Matthias ist der Vater von Lena, der seit ihrem Verschwinden die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass Lena doch noch zu ihren Eltern zurückkehren wird.

Romy Hausmann bietet mit ihrem Thriller-Debüt eine anhaltend spannende Unterhaltung. Sie blickt auf vielfältige Art und Weise in die Abgründe des Einzelnen. Ihre Figuren handeln in einigen Fällen irrational, für mich manchmal vielleicht unlogisch, jedoch innerhalb der Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Aus der Situation heraus, im Abgleich mit den bisherigen eigenen Erfahrungen der einzelnen Charaktere, ergeben sie dennoch durchaus Sinn. Beeindruckend erschienen mir die Handlungen von Lena, die ihren Kindern mit viel Liebe, ihrer Fantasie und den wenigen, ihr zur Verfügung stehenden Dingen, eine begreifbare Welt gestaltet. Aus der Extremsituation des beschränkten, abgeschlossenen Raums heraus und über viele Jahre hinweg ist aber eine gewisse psychische und körperliche Schädigung nicht abzuwenden. Die Erzählung ist aus dieser Sicht verstörend und erzeugt daher Unbehagen über den gesamten Thriller hinweg.

Wer nach einem von Beginn bis zum Ende hin spannenden Thriller sucht, dessen Handlung berührend, erschreckend und bestürzend ist, ist bei „Liebes Kind“ von Romy Hausmann genau richtig. Gerne empfehle ich das Buch an alle Thrillerfans weiter.