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Mickey221114

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Veröffentlicht am 14.07.2019

Die späte Entdeckung einer wundervollen Autorin

Das achte Leben (Für Brilka)
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Klappentext: Georgien, 1900: Mit der Geburt Stasias, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten, beginnt dieses berauschende Opus über sechs Generationen. Stasia wächst in der wohlhabenden Oberschicht ...

Klappentext: Georgien, 1900: Mit der Geburt Stasias, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten, beginnt dieses berauschende Opus über sechs Generationen. Stasia wächst in der wohlhabenden Oberschicht auf und heiratet jung den Weißgardisten Simon Jaschi, der am Vorabend der Oktoberrevolution nach Petrograd versetzt wird, weit weg von seiner Frau. Als Stalin an die Macht kommt, sucht Stasia mit ihren beiden Kindern Kitty und Kostja in Tbilissi Schutz bei ihrer Schwester Christine, die bekannt ist für ihre atemberaubende Schönheit. Doch als der Geheimdienstler Lawrenti Beria auf sie aufmerksam wird, hat das fatale Folgen.
Deutschland, 2006: Nach dem Fall der Mauer und der Auflösung der UdSSR herrscht in Georgien Bürgerkrieg. Niza, Stasias hochintelligente Urenkelin, hat mit ihrer Familie gebrochen und ist nach Berlin ausgewandert. Als ihre zwölfjährige Nichte Brilka nach einer Reise in den Westen nicht mehr nach Tbilissi zurückkehren möchte, spürt Niza sie auf. Ihr wird sie die ganze Geschichte erzählen: von Stasia, die still den Zeiten trotzt, von Christine, die für ihre Schönheit einen hohen Preis zahlt, von Kitty, der alles genommen wird und die doch in London eine Stimme findet, von Kostja, der den Verlockungen der Macht verfällt und die Geschicke seiner Familie lenkt, von Kostjas rebellischer Tochter Elene und deren Töchtern Daria und Niza und von der Heißen Schokolade nach der Geheimrezeptur des Schokoladenfabrikanten, die für sechs Generationen Rettung und Unglück zugleich bereithält.



Es ist ein langes Buch, ebenso schwer, wie die Geschichten, von denen es erzählt. Wie schon im Klappentext erwähnt geht es um eine Familie, ursprünglich aus Gerogien im 20sten Jahrhundert. Es geht um die Geschichte Georgiens, um den Umgang mit dem Geschehenem und dem Nicht-mehr-veränderbaren.

Ich habe mir das Buch mitbringen lassen, ein Spontankauf um kurz vor Ladenschließung, weil mir noch Lesestoff für die nächsten Tage fehlte. Meine Mitbewohnerin brachte es mir mit, nur aufgrund des Covers von mir über Fotos Ausgewählt.

Das Buch beginnt mit drei Anfängen, die parallel verlaufen. Nicht in verschiedenen Kapiteln, sondern direkt nebeneinander und dennoch übersichtlich taucht man direkt in die Geschichte ein. Die Erzählung wird von Niza übernommen. Sie ist eine der Protagonisten, aber nicht die einzige und führt den Leser durch die Familiensaga, durchbricht die vierte Schallmauer und tut dies auch wieder nicht.
Das Erzählung ist im Grunde ein Brief von Niza an Brilka, ihre Nichte. Sie spricht im Brief Brilka und damit den Leser an, distanziert sich von der faktischen Genauigkeit des eben Erzähltem.
Brilka soll mit Hilfe der Schilderung Ihren eigenen Weg finden und nicht in der Vergangenheit nach dem Sinn ihres Daseins suchen, wie Niza es tut.
Der Brief ist in sieben, bzw acht Abschnitte unterteilt, wodurch die sieben Protagonisten entstehen.

Der Beginn des Briefes ist mit Stasia, die erste Protagonisten im Jahre 1900.
Der zweite Abschnitt dreht sich um Christine, Stasias Schwester.
Der dritte Abschnitt ist es Konstantin, Stasias Sohn.
Der vierte Abschnitt konzentriert sich auf “Kitty”, Stasias Tochter.
Elene ist die Protagonisten des fünften Teils, Stasias Enkelin, Konstantins Tochter und Nizas Mutter.
Abschnitt 6 bezieht sich auf Daria, Nizas Schwester.
Im siebten Abschnitt ist Niza selbst Protagonistin und im 8ten Abschnitt geht es um Brilka.

Ich habe das Buch mit den 1276 Seiten verschlungen. Nino Haratischwilis Schreibstil hat mich vom ersten Satz an in ihren Bann gezogen. Die Hamburgerin zeichnet mit jedem Wort ein klares Bild der auftretenden Charaktere und der Umstände, durch die die Agierenden Charaktere aufeinander treffen.
Die Charaktere sind deutlich ausgearbeitet, entwickeln sich im Laufe des Buches und sind für den Leser nachvollziehbar dargestellt.
Obwohl ich mich beispielsweise mit Konstantin in keiner Weise identifizieren konnte, konnte ihn dennoch verstehen.

Es hat mich tief beeindruckt, wie sehr Haratischwili die schönen und hässlichen Situationen eines Lebens zu beschreiben versteht. So umschreibt sie beispielsweise grausame, brutale Ereignisse, konzentriert sich aber dabei auf die langfristigen Folgen für die Charaktere, die Charakterentwicklung, fokussiert sich nicht auf den momentanen Schmerz, sodass die Situation mich nicht so beklemmt hat, wie es beispielsweise bei Houellebecq oder Andrić der Fall ist.

Zusammenfassend kann ich also sagen, dass die Autorin mich überwältigt hat. Ich finde den Schreibstil einzigartig. Sobald ich das Buch aufschlage, bin ich wieder im Lesefluss und kann nicht mehr aufhören. Obwohl es so viele einzelnze, sich verwirrende Geschichten gibt, ist es für mich an keinem Punkt unübersichtlich geworden. Die charaktere sind ausführlich erarbeitet und nachvollziehbar, anspruchsvoll aber verständlich.

Mit dem Buch habe ich Haratischwili erst kennengelernt und kann nur sagen, dass ich mehr davon brauche. Ich habe selten ein so gutes Buch gelesen. <3

Veröffentlicht am 16.03.2022

Ergreifend, ehrlich, schonungslos

Elbleuchten
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Elbleuchten erschien am 26. 01. 2021 im Rowohlt Taschenbuch Verlag. Es ist der erste Band eines Zweiteilers von Miriam Georg, die uns die Geschichte von Lily und Jo erzählt. Mit gut 640 Seiten entführt ...

Elbleuchten erschien am 26. 01. 2021 im Rowohlt Taschenbuch Verlag. Es ist der erste Band eines Zweiteilers von Miriam Georg, die uns die Geschichte von Lily und Jo erzählt. Mit gut 640 Seiten entführt uns die Autorin in eine alte Welt, in der man in seine Rolle hineingeboren wurde, gesegnet oder gebrandmarkt, mit Stand, Geschlecht, Sexualität.

Im alten Hamburg des 19. Jahrhunderts herrschen noch die alten Regeln.
Wählen durften nur die Adligen und Reichen. Wer nicht Mann war, war Eigentum, Besitz bestimmte Wert, noch viel mehr als heute.
Lily Karsten jedoch wächst behütet auf. In eine wohlhabende Reederei Familie hineingeborgen, kennt sie nur die blühenden Seiten Hamburgs, weite und offene Straßen, die Grenzen ihres Vaters und solche, die das Geld ihres Vaters versetzen kann.
Zu Beginn der Geschichte ist sie noch ein naives, junges Ding, frisch verlobt, unwissend, aber wissbegierig.
Am Tag der Taufe eines neuen Schiffes der Reederei lernt sie Jo kennen und wird gezwungen aus ihrer Blindheit zu erwachen, als sie einen tödlich endenden Unfall mit verschuldet.

Jo, ein Hafenarbeiter, zeigt ihr die schäbigen Gängeviertel und all das Leid und Armut, die ihre Familie sie nie sehen lassen würde. Sie erkennt die Folgen des Unfalls für die Familie des Verunglückten und lernt Frauen kennen, die für ihr Recht kämpfen, deren Einfluss und Ideen sie sich nicht entziehen kann.
Während sie sich öffnet, langsam formt, wer sie sein möchte, wird aus dem ehemalig verschlossenen Jo ein Halt für sie.
Er begleitet sie, lässt sich von ihr in ihren Bann ziehen und hält nicht zu selten den Kopf für sie ihn.

Der Schreibstil ist teils sehr romantisch, sehr emotional, gibt aber fortwährend einen Einblick in das Innenleben der Charaktere, die die Autorin auftreten lässt.
Immer wieder wechselt der allwissende Erzähler zwischen verschiedenen Charakteren hin und her, offenbart Gedanken und Beweggründe, schafft Verständnis für die Handlungen und Weltbilder der verschiedenen Schichten und Situationen, in denen sich Romanhelden wiederfinden.

Die Gassen und Häuser der Welt, durch die wir uns bewegen, werden detailreich dargestellt, verhelfen zu einem intensiven Gesamteindruck.
Eindrucksvoll und ungeschönt werden Szenarien beschrieben, die nicht beschönigt werden können.
Immer wieder treten neue Wendungen auf, geben allerdings auch den Blick frei auf kleine Blasen des Glücks.
Obwohl die Liebesgeschichte von Lily und Jo durchaus die Basis bildet, ist sie eng verwoben mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Einzelschicksalen, bleibt nachvollziehbar und authentisch.

Alles in allem bin ich von dem Buch sehr positiv überrascht.
Von dem Klappentext ausgehend hätte ich eine etwas schwulstige und schnell langweilende Aneinanderreihung von Romeo und Julia Aspekten erwartet, die jedoch weder so offensichtlich, noch so plakativ waren, dass ich mich nicht von der Geschichte unterhalten gefühlt hätte.
Ich bin beeindruckt von der glaubwürdigen Entwicklung jedes einzelnen Charakters und auch das Ende hätte ich so nicht vorausahnen können.

Ich würde das Buch jedem empfehlen, der sich gern mit den Lebensumständen zu früheren Zeiten auseinander setzt, Romantik nicht abgeneigt ist und Freude darin finden kann, sich auch zwischenzeitlich auf ganz banale Kleinigkeiten zu konzentrieren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.07.2019

Unerwartet Authentisch

Das Spielhaus
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Das Haus sieht aus wie jedes andere, doch lass dich nicht täuschen! Hier kannst du mehr gewinnen als Gold oder Juwelen - im legendären Spielhaus. Und wenn du raffiniert genug bist, darfst du gegen die ...

Das Haus sieht aus wie jedes andere, doch lass dich nicht täuschen! Hier kannst du mehr gewinnen als Gold oder Juwelen - im legendären Spielhaus. Und wenn du raffiniert genug bist, darfst du gegen die Besten der Besten antreten: die Spieler der Oberen Gemächer. Der Gewinn kann alles sein, was du dir je gewünscht hast: Macht über ganze Königreiche, ewige Jugend, immerwährendes Glück, Lebensjahre, um die Jahrhunderte zu überdauern. Doch je höher der Einsatz, desto tödlicher sind die Regeln …


Das Auffälligste an dem Buch ist der Schreibstil, weshalb ich mich auch für das Lesen dieses Buches entschieden habe. Es ist in einem sehr altertümlichen Schreibstil verfasst, der Leser ist ein aktiver Zuschauer, erst zum Ende hin wird das lyrische Ich verschoben. So wird der Leser immer wieder gebeten zuzuschauen, sich dazuzustellen oder sich zu verstecken, damit er vom Protagonisten der Geschichte nicht gesehen wird. Wie genau dies zu Stande kommt, wird gegen Ende aufgelöst. Was das Buch so interessant macht, wird also direkt als Stilmittel von der Autorin mitverwendet, was aber wie gesagt erst spät im Buch deutlich wird.

Im ersten Teil des Buches begleiten wir Thene Orcello, wir, der Leser und das lyrische Ich, dass sich im ersten Teil nicht ein einziges Mal als lyrisches Ich betitelt. Der Leser wird vom Erzähler nicht von der Spielerin abgelenkt, der Leser erfährt zum Beispiel (mit einer Ausnahme) nicht, wie es den anderen Spielern ergeht, es sei denn, die Spielerin wohnt dem entsprechendem Geschehen bei.
Die Art und Weise das Geschehen zu beschreiben, sowie der Umfang des Wissens des Erzählers ist an das Spiel angepasst. Es handelt sich bei dem Spiel, den ,,wir" beiwohnen um das erste Spiel vonThene.

Im zweiten Teil sind schon die Schriftarten der Überschriften und die Erzählweise nicht wie im ersten Teil, wobei das lyrische Ich bzw der Erzähler sich nicht verändert. Das Spiel, dem wir hier beiwohnen, ist eines von vielen, das unser Protagonist, Remy Burke, schon gespielt hat, er kann seinen Gegner besser einschätzen, hat mehr Erfahrung, dementsprechend mehr Informationen erhält auch der Leser.
Umso länger der Spieler schon Spiele spielt, desto besser kann auch der Leser sich in den Spieler hineinversetzen.

Immer wieder tritt das lyrische Ich hervor und spricht mit dem Leser selbst, kommentiert das Geschehen. Das lyrische Ich spricht von sich selbst als Veteran des Spielhauses, einem Spieler.

Ich möchte nicht spoilern, weshalb ich nicht anmerken werde, was im dritten Teil geschieht.

Das Ende des Buches fand ich im Handlungsverlauf etwas vorhersehbar. Im eigentlichen Ende gibt es keine Überraschung, keinen Schrecken, keine Irritation. Es kommt, wie es kommen muss, wobei Claire North es trotzdem schafft, das Ende nicht langweilig zu gestalten. Die Figuren sind durchdacht und facettenreicher dargestellt, als ich bei dem Schreibstil erwartet hätte.

Es ist kein schwieriges Buch, liegt nach dem Lesen nicht wochenlang schwer im Magen, bis man es verarbeiten konnte, ist aber auch keine seichte Unterhaltung. Viele Kleinigkeiten, Nebensätze, Kommentare des lyrischen Ichs, ergeben zum Beispiel erst im Nachhinein Sinn.

Mir hat das Buch alles in Allem sehr gefallen. Den Ansatz und die Idee finde ich großartig und kann das Buch nur jedem ans Herz legen, der gerne Romane liest, die sich mit der Frage nach moralischen Anschauungen und dem Verhältnis von Logik und Menschlichkeit auseinandersetzen, denn das ist letztlich das, worum sich die Konflikte des Buches drehen. Spieler spielen, und ,,wir" sehen zu und urteilen, oder urteilen nicht, welche Mittel die Spieler dafür auch immer benutzen und wie weit das Benutzen eben dieser Mittel auch gehen mag.

Veröffentlicht am 08.09.2019

Wunderschön, aber völlig neutral, manchmal kitschig

Die hellen Tage
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In einer süddeutschen Kleinstadt erlebt das Mädchen Seri helle Tage der Kindheit: Tage, die sie im Garten ihrer Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit ihrer Mutter ...

In einer süddeutschen Kleinstadt erlebt das Mädchen Seri helle Tage der Kindheit: Tage, die sie im Garten ihrer Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand wohnt.
Aber schon die scheinbar heile Welt ihrer Kindheit in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat einen unsichtbaren Sprung: Seris Vater starb kurz nach ihrer Geburt, und Ajas Vater, der als Trapezkünstler in einem Zirkus arbeitet, kommt nur einmal im Jahr zu Besuch. Karl, der gemeinsame Freund der Mädchen, hat seinen jüngeren Bruder verloren, der an einem hellblauen Frühlingstag in ein fremdes Auto gestiegen und nie wieder gekommen ist.
Es sind die Mütter, die Karl und die Mädchen durch die Strömungen und Untiefen ihrer Kindheit lotsen und die ihnen beibringen, keine Angst vor dem Leben haben zu müssen und sich in seine Mitte zu begeben.
Zsuzsa Bánk erzählt die Geschichte dreier Familien und begleitet ihre jungen Helden durch ein halbes Leben: Als Seri, Karl und Aja zum Studium nach Rom gehen, wird die Stadt zum Wendepunkt ihrer Biographien – und zur Zerreißprobe für eine Freundschaft zwischen Liebe und Verrat, Schuld und Vergebung.



Der Einstieg in dieses Buch ist genauso eingängig wie langatmig.
Der Schreibstil ist schlicht und einfach sehr schön, nicht besonders verschnörkelt, nicht kompliziert, nicht dramatisch mit viel Spannungsaufbau.
Im Grunde ist das Buch gehalten, wie auch der Titel.

Sorgen werden eher oberflächlich thematisiert, wenn denn überhaupt, Missstände werden beschrieben, aber in einen Mantel des Schweigens gehüllt.
Beziehungen sind vage beschrieben, die meisten Aussagen, die die Geschichte trifft, werden nur impliziert.

Ein Buch, das auch für die Autorin nicht unbedingt typisch ist.

Mir persönlich würde es schwer fallen, das Buch nicht zu mögen. Allerdings fällt es mir ebenso schwer, das Buch tatsächlich positiv zu bewerten.
Es hat praktisch keinen Eindruck hinterlassen, hat mich nicht beeindruckt oder mitgerissen, sondern eher mit sehr hübschen Bildchen in meinem Kopf beschallt, bis ich das Buch wieder aus der Hand gelegt habe.
Wunderschön, aber völlig neutral, manchmal auch etwas kitschig.
Entsprechend knapp fällt auch die Bewertung aus, das es keine Themen gibt, die mich nach dem Lesen noch beschäftigt haben oder die anspruchsvoll gewesen seien.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der nach einem anstrengenden Tag sich gerne mit einer Tasse Tee ins Bett kuscheln, es sich gemütlich machen und vor dem Einschlafen noch mal ein bisschen auf andere Gedanken kommen möchte.
Wer mehr an Spannung oder sehr kritischen Szenarien interessiert ist, sollte das Buch eher auf später verschieben.

Veröffentlicht am 16.03.2022

weit entfernt von originell und fad

Marianengraben
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"Und jetzt liebe ich dich nur noch gefangen in einer Zwischenwelt aus Präteritum und Konjunktiv und in einer Realität, die vor deinem Tod ein Leben und danach nur noch ein Zustand war."

Einer der wenigen, ...

"Und jetzt liebe ich dich nur noch gefangen in einer Zwischenwelt aus Präteritum und Konjunktiv und in einer Realität, die vor deinem Tod ein Leben und danach nur noch ein Zustand war."

Einer der wenigen, hervorstechenden Sätze aus dem Buch Marianengraben von Jasmin Schreiber, welches am 28. Februar 2020 veröffentlicht worden ist. Darin geht es um die Geschichte einer jungen Frau und eines alten Mannes, die vom Leben geprägt worden sind.
Es ist im Eichborn Verlag als Taschenbuch veröffentlicht worden, als erstes Werk einer noch recht jungen Autorin.
Nach dem Tod ihres Bruders hat die junge Frau, Paula, jeglichen Willen und Antrieb verloren und bricht, auf einen Rat ihres Therapeuten hin, in einen Friedhof ein. Dort wird sie von einem alten Mann überrascht, Helmut, der sich ebenfalls illegal an den Gräbern aufhält und nach einer toten Freundin sucht. Nach einem kurzen, geflüstertem Gespräch müssen beide vor den Friedhofswärtern fliehen und nach einigen kleinen Ereignissen beginnt eine Reise in einem alten Wohnmobil in die Berge, die sich über etwa 250 Seiten erstreckt.

In dem Buch wird sowohl Depression thematisiert, als auch verschiedene Umgangsweisen mit Trauer, Bewältigung eben dieser, sowie Generationsunterschieden und - parallelen.

Gegenseitig helfen sich die beiden Protagonisten über Verluste hinweg und zu einem Neuanfang.

Paula dürfte etwa Mitte 20 sein. Sie kommt in ihrer Doktorarbeit nicht voran, morgens nicht aus dem Bett und kann den Tod ihres kleinen Bruders nicht verarbeiten. In den vereinzelten Rückblicken auf das Verhältnis der beiden wird klar, wie nah sich die beiden standen, wie konträr sie allerdings auch gewesen sind.
Paula selbst ist dennoch freundlich und offen, etwas aufdringlich neugierig und durchaus spontan.

Helmut hingegen ist mürrisch, zieht sich eher zurück, als dass er private Details freigegeben würde und plant sein Handeln lang im Voraus.

Im Verlaufe der Erzählung entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden, die Paula ein Lichtblick in ihrem Grau sind und ihr helfen, mit ihrem tristen Alltag, sowie ihren Schuldgefühlen fertig zu werden.

Das Buch ist ein Brief an Paulas Bruder, jeder Satz richtet sich an ihn, als würde sie sich noch immer mit ihm unterhalten.
Die Metapher des Marianengraben für bodenlose Trauer und tiefe Depressionen ist interessant, ebenso die Tiefe diesen als Etappen der Trauerbewältigung zu verwenden, ist eine überzeugendes Konzept. Allerdings fehlt dieses Konzept in jedem einzelnen, anderen Aspekt des Buches.

Die Sätze sind kurz, wenig kompliziert und haben den gleichen, eintönigen und unkreativen Satzbau.
Nur wenige Sätze bleiben überhaupt in Erinnerung, wie beispielsweise "Und jetzt liebe ich dich nur noch gefangen in einer Zwischenwelt aus Präteritum und Konjunktiv und in einer Realität, die vor deinem Tod ein Leben und danach nur noch ein Zustand war.". Ein Glücksgriff neben den ansonsten so hingeschmierten Formulierungen.
Dominierend ist die Wortwahl von Modalverben geprägt, wenig Abwechslung und etwas drögem Humor.
Ebenso wenig originell ist die Geschichte, die erzählt wird. Sowohl Thema, als auch Verlauf werden aus keiner neuen Position betrachtet. Das "Auftauchen aus dem Mariannengraben" ist linear und erstreckt sich über nur wenige Tage. Die Besserung von Paula ist plötzlich und rasant, verharmlost Depressionen und das damit einhergehende Leiden. Ebenso suizidale Tendenzen und der Umgang damit.
Mir persönlich viel es schlicht schwer, mich in Paula hineinzuversetzen, zu oberflächlich wird ihr Charakter nur umrissen, obwohl so eine Betonung auf ihrem Schmerz liegt und jeder Gedanke geteilt wird, so wenig sagen die Worte aus.
Die Erlebnisse mit ihrem Bruder wirken ironischer weise aus dem Leben gerissen, ihre Reaktionen auf verschiedene Ereignisse widersprüchlich, um der Story zu dienen erzwungen.

Ich kann nicht nachvollziehen, warum man einem fremden alten Mann nach Hause folgen und dort duschen sollte, nachdem dieser versehentlich die Asche seiner toten Freundin über meinem Haupt entleert hat. Ebenso die Entscheidung mit ihm noch am folgenden Tag in einem Wohnmobil aufzubrechen.

Traurigerweise gilt dies auch für Helmut, der eingangs so verschlossen, nach wenigen Tagen sich völlig geöffnet hat und Paula seine Lebensgeschichte Bissen für Bissen serviert und auch vor Krankheit und Schicksalsschlägen keinen Halt macht.

Das tatsächliche Ende war leider ebenso wenig überraschend und griff auf ein Motiv zurück, das x-mal in vorherigen Geschichten verwendet worden ist.

Mein Fazit zu dem Buch: weit entfernt von originell und langweilig.

Ich würde das Buch jungen Heranwachsenden empfehlen, die sich erstmalig mit Themen wie beispielsweise Depressionen oder Tod auseinander setzen möchten.

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