Profilbild von yellowdog

yellowdog

Lesejury Star
offline

yellowdog ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit yellowdog über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.09.2019

Crazy

Vater unser
0

Angela Lehners Debütroman Vater unser ist sprachlich wie inhaltlich lebhaft und im positiven Sinne überdreht.
Die Ausgangssituation ist außergewöhnlich. Eine Frau, die in die Psychiatrie eines Wiener Spitals ...

Angela Lehners Debütroman Vater unser ist sprachlich wie inhaltlich lebhaft und im positiven Sinne überdreht.
Die Ausgangssituation ist außergewöhnlich. Eine Frau, die in die Psychiatrie eines Wiener Spitals eingeliefert wird, wo auch schon ihr Bruder Bernhard Patient ist. Gemeinsam ist ihnen eine schwere Kindheit im konservativen Kärnten.
Die Dialoge bestimmen den Ton. Dabei sind die Gespräche zwischen Eva und dem Psychiater Korb voller spöttischen Witz und Ironie, aber auch mit einer Tiefe versehen. Das ist schon ein sprachliches Feuerwerk.
Man rätselt, was mit Eva los ist und was eigentlich passiert ist, deswegen wird das Buch nie langweilig.
Daher ist die Autorin mit diesem Buch zu recht für den Deutschen Buchpreis und dem Debütpreis des österreichischen Buchpreises nominiert ist.

Veröffentlicht am 13.09.2019

Im Krieg

Nachts ist unser Blut schwarz
0

David Diops preisgekrönter Roman besitzt eine beeindruckende Sprache mit hoher Intensität, die auch aufgrund der gewählten Erzählform entsteht.
Der Autor thematisiert Ereignisse der französischen Armee ...

David Diops preisgekrönter Roman besitzt eine beeindruckende Sprache mit hoher Intensität, die auch aufgrund der gewählten Erzählform entsteht.
Der Autor thematisiert Ereignisse der französischen Armee aus dem ersten Weltkrieg, Frankreich setzt da Soldaten ein, die aus Senegal oder anderen kolonisierten Ländern stammen und die als Kanonenfutter verheizt wurde. Der Icherzähler ist so ein Soldat aus Senegal, der nicht mal französisch spricht und von den Kriegserlebnisse, in erster Linie durch den Tod seines Freundes und Waffenbruder, den er hautnah miterleben musste. Das treibt ihn selbst dazu, mit Grausamkeit gegen den Feind vorzugehen. Er verliert sich selbst und sogar nach dem Kriegseinsatz kann er nicht wieder zu sich finden.
Das Buch besitzt wegen der Umsetzung eine erschütternde Härte, die Sprache hat aber sogar etwas poetisches und zeigt, was Literatur vermag!

Veröffentlicht am 01.09.2019

Erzählerischer Reigen

Der Sprung
0

Die Schweizer Schriftstellerin Simone Lappert lässt in ihrem Roman Der Sprung in den anfänglichen Kapiteln eine Figur nach der anderen vor.:
Felix, Maren, Egon, Finn, Henry, Theres, Winnie, Edna, Astrid ...

Die Schweizer Schriftstellerin Simone Lappert lässt in ihrem Roman Der Sprung in den anfänglichen Kapiteln eine Figur nach der anderen vor.:
Felix, Maren, Egon, Finn, Henry, Theres, Winnie, Edna, Astrid ...
Alles Bewohner einer Kleinstadt.

Was diese Figuren schließlich verbindet, ist der Vorfall mit der Frau, die auf dem Dach steht und vor dem Sprung in die Tiefe steht.

Diese Erzählart empfand ich anfangs als nicht einfach zu lesen. Denn die Kapitel sind kurz und es fällt schwer, die Figuren so schnell gut kennen zu lernen. Aufmerksamkeit ist also gefordert.

Doch dann kommen die Figuren wieder in weiteren Kapiteln vor und langsam wird es einfacher.
Ich mochte besonders Finn, ein Fahrradkurier und der Freund von Manu, die auf dem Dach steht.
Dann den Polizeipsychologen Felix, der vor Ort Manu vor dem Springen abbringen will, aber selbst in einer Krise steckt.
Interessant auch Astrid, die politisch ambitionierte Schwester von Manu.
Dann noch Winnie, ein Mädchen, das in der Schule gemoppt wird, weil sie übergewichtig ist.
Auch andere Beteiligte sind interessant, doch da ich nicht immer sofort zu allen Zugang fand, könnte ich mir gut vorstellen, dass der Roman für ein zweites Lesen sehr gut geeignet ist.

Eine kleine Warnung möchte ich noch aussprechen: Bei der Radio-Rezension vom SWR2 wird von Gerrit Bartels sogleich das Ende des Buches verraten und die letzten beiden Sätze gespoilert. Das halte ich wirklich für nicht sinnvoll und möchte empfehlen, diese Rezension nicht vor Leseende zu hören oder nachzulesen.

Fazit: Der Sprung ist insgesamt gesehen ein gut gemachter Roman, der es schafft, ein zeitgenössisches gesellschaftliches Bild zu zeigen. Von Simone Lappert würde ich weitere Romane lesen.

Veröffentlicht am 01.09.2019

Das Jahr 1969

Der Sommer meiner Mutter
0

Der Sommer meiner Mutter ist eine melancholische Coming-of-age-Geschichte. Sie wird geprägt durch den ersten Satz:
„Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine ...

Der Sommer meiner Mutter ist eine melancholische Coming-of-age-Geschichte. Sie wird geprägt durch den ersten Satz:
„Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben“

Durch die dadurch entstandene Stimmung wird der Roman zu etwas besonderen, der sich von anderen, oft auch banalen Geschichten um heranwachsende unterscheidet.

Tobias war damals 11. Erzählt wird die Geschichte vom jetzt erwachsenen Tobias, der sich an dieses Jahr und was vor dem Suizid passierte zurückerinnert. Das ist handwerklich sauber gemacht und funktioniert.
Die Zeit 1969 und die Stimmung dieser Zeit wird lebendig.

Für Tobias und seinen Eltern werden die neu hinzugezogenen Nachbarn wichtig. Die sind weniger konservativ als sie selbst und irgendwie freunden sie sich sehr an. Da ist auch die 13jährige Tochter Rosa.
Es ergibt sich eine Konstellation, die neues in Gang setzt, insbesondere auch für Tobis Mutter, die erste Emanzipationsversuche wagt.

Obwohl ich die Figuren mag, erfüllen sie doch die Stereotype.Ich hätte sie mir vielschichtiger gewünscht. Sie sind sehr konstruiert. Aber das wird so gebraucht, um den versuchten Ausbruch der Mutter aus den Konventionen zu erzählen. Der dann freilich mit schlimmen Konsequenzen scheitert.

Ich mochte auch Rosa und ihre Gespräche mit Tobi. Die hatten Tiefe und waren für den Jungen von Bedeutung. Dennoch war auch Rosa etwas überzeichnet, sie hatte fast nichts kindliches. Tobis Schwanken zwischen kindlichen und jugendlichen Empfindungen hingegen, erschienen mir sehr glaubhaft wie auch die Entwicklung der gesamten Geschichte.

Man kann sich von der Handlung beim Lesen kaum losreißen, da der Roman so eine Dichte und Geschlossenheit besitzt.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Eine Gormenghast-Geschichte

Der Junge im Dunkeln
0

Die Erzählung Der Junge im Dunkeln ist eine gute Gelegenheit zur Annäherung an das Werk von Mervyn Peake, das im zentralen aus den Gormenghast-Romanen besteht.
Der titelgebende Junge ist der 14jährige ...

Die Erzählung Der Junge im Dunkeln ist eine gute Gelegenheit zur Annäherung an das Werk von Mervyn Peake, das im zentralen aus den Gormenghast-Romanen besteht.
Der titelgebende Junge ist der 14jährige Titus, der überfordert von Zeremonien zu seinem Geburtstag heimlich die Feierlichkeiten und das Schloss Gormenghast verlässt und dabei auf tierähnliche Menschen trifft. Er gerät in Gefahr. Die Geschichte bleibt geheimnisvoll und packend.
Mervyn Peake ist leider relativ jung gestorben, daher ist sein Werk nicht so umfassend, dennoch sieht man schon in dieser Erzählung wie dicht es geschrieben ist. Das hat wirklich Niveau und steckt voller Atmosphäre.