Profilbild von Aennie

Aennie

Lesejury Profi
offline

Aennie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Aennie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.09.2019

Tritt ins Leere

Der Sprung
0

Eine kleine Stadt. Menschen wie du und ich und überall. Sie leben ihr Leben, Tag ein, Tag aus. Junge und alte, Menschen in langjährigen Ehen und welche in neuen Beziehungen, Menschen am Ende ihres Berufslebens ...

Eine kleine Stadt. Menschen wie du und ich und überall. Sie leben ihr Leben, Tag ein, Tag aus. Junge und alte, Menschen in langjährigen Ehen und welche in neuen Beziehungen, Menschen am Ende ihres Berufslebens und welche, die auf die nächste Stufe der Karriereleiter erpicht sind. Gelungene Lebenswege und tüchtig misslungene. Jeder hat ein Päckchen dabei, sein eigenes individuelles Päckchen – das kann zu viel Gewicht sein, Mobbing, finanzielle bis hin zu existenzielle Sorgen, Geheimnisse in der Gegenwart und in der Vergangenheit.
Und dann geschieht etwas. Das altbekannte oft täglich gleiche Gefüge verrutscht durch ein Ereignis mitten in dieser Stadt: eine junge Frau steht auf dem Dach. Suizidgefährdung! Ein gigantischer Notfalleinsatz ruft die Rettungskräfte auf den Plan und die Schaulustigen auf den Platz. Während sich die Blicke in den Himmel richten, gerät das Leben der Menschen am Boden in Bewegung, dieses Ereignis durchbricht ihren Alltag, sie weichen ab von ihren alltäglichen Wegen - und wenn es nur durch die Straßensperre der Polizei ist. Sie bewegen sich in ihrem Geflecht, aber die Strukturen sind aufgeweicht, instabil, durchlässig geworden – und dieser fast organische Körper beginnt sich an einigen Stellen neu zu formieren und hinterlässt das Gesamtgebilde und die einzelnen Ankerpunkte, die Menschen in dieser Stadt und anderswo, ebenfalls mitunter verändert zurück.
Simone Lappert ist ein Kunstückchen gelungen. Ihr Buch „Der Sprung“ vollführt mit jedem neuen Kapitel einen Perspektivwechsel. Sie schildert das Leben, die Sorgen und Nöte einiger Menschen in einer kleinen Stadt an einem beliebigen Tag, gibt Einblick in ihr Leben. Auf den ersten Blick und zu Beginn des Buches haben die Protagonisten (für den Leser) wenig bis nichts miteinander zu tun, im Laufe der Geschichte und mit mehr Personen, die hinzukommen, verdichtet sich das Bild, Fäden werden gesponnen und miteinander verknüpft rund um ein das Kernereignis des Buches – die junge Frau auf dem Dach, die Ziegel in die Menge schleudert.
Ein Buch, das aus so vielen einzelnen Kapiteln mit immer wechselnden Personen besteht, die aber trotzdem nicht in der Beliebigkeit versumpfen und – für mich – auch eigentlich immer klar und sofort identifizierbar oder zuordenbar bleiben, das ist große Kunst. Die Autorin charakterisiert so treffend, behutsam und mit unheimlicher Liebe für all ihre einzelnen Figuren, dass sie einem als Leser auch weitestgehend richtig ans Herz wachsen. Ich fand ganz besonders spannend, wie unterschiedlich gewichtet aber auch die Information zu Personen war, die übermittelt wird. Bei einigen Personen erfährt man sehr viel, auch über Vergangenes, weil es wichtig ist für ihr Verhalten und ihre Reaktion auf die Frau auf dem Dach. Bei anderen bleibt dies angerissen, wieder andere agieren nur in der Gegenwart. So wie es auch in der Realität welche gibt, die aus welchen Gründen auch immer, näher dran sind als andere, die Passanten bleiben.
Interessant ist, dass die Frau auf dem Dach, ihre Gedanken und Gefühle sowohl für die anderen Personen im Buch als auch den Leser nicht einhundertprozentig offenbart werden – sie erhält kein eigenes Kapitel, keine eigene Stimme. Sie stellt das verbindende Element dar und so werden ihre Gedanken während eines bestimmten Zeitpunktes chronologisch unabhängig als Intermezzi zwischen den einzelnen Teilen des Buches eingestreut, sie starten als Prolog und enden als Epilog und gipfeln in einem letzten Satz, der nicht nur ihre Motive klärt, sondern auch als Sinnbild für alle anderen Personen gelten kann. Sie stellt eine Klammer für alles und alle dar. Dieses Momentum teilt sie mit einer anderen Person im Buch, die kein eigenes Kapitel erhält, aber auch so etwas wie den „Klebstoff“ zwischen all den Lebenslinien darstellt – die Cafébesitzerin am Platz, die alle kennen und schätzen.
Fazit: „Der Sprung“ ist ein Buch, wie man selten eines liest. Es könnte aufgrund seiner Struktur zerrissen sein und ist das genaue Gegenteil davon, eine Symphonie, in der jedes Instrument zu hören ist und der Orchesterklang den Genuss ausmacht. Beeindruckende, berührende Soli werden eingestreut und spiegeln sich im Großen und Ganzen wider. Grandios! Kleine sprachliche Kostbarkeiten, Personen, so vielfältig, dass jeder sich ein Stück darin finden kann, Drama, ganz fein eingestreuter Humor, ein paar Weisheiten und philosophische Gedanken am Rande und gar nicht mal so wenig Spiegel der kritikwürdiger Strömungen der aktuellen Gesellschaft – anspruchsvolles Leserherz was willst du mehr. Die Antwort ist klar: mehr Bücher wie dieses.

Veröffentlicht am 25.08.2019

Spuren der Vergangenheit

Unbarmherzig (Ein Gina-Angelucci-Krimi 2)
0

Nach zwei Jahren Elternzeit ist Gina Angelucci schon auch ein wenig froh, sich zukünftig wieder mit ungelösten alten Kriminalfällen im Münchner Kommissariat befassen zu dürfen. Auch wenn sie Chiara über ...

Nach zwei Jahren Elternzeit ist Gina Angelucci schon auch ein wenig froh, sich zukünftig wieder mit ungelösten alten Kriminalfällen im Münchner Kommissariat befassen zu dürfen. Auch wenn sie Chiara über alles liebt, und sie auch ein wenig Bedenken hat, ob ihr Mann Tino (Kommissar Dühnfort – die andere Krimireihe der Autorin) das Hausmannsein und Vater immer leicht von der Hand gehen wird, ihr Beruf macht ihr eben auch sehr viel Freude. Als in Altbruck Knochen und Knochenfragmente auftauchen, wissen anfangs weder die Finderin Ella Loibl noch die Kommissarin, dass sie nicht nur im dunkelsten Kapitel der Vergangenheit Altbrucks sondern auch in Ellas Familiengeschichte tief graben und ungeahnte Dinge finden werden. Schnell ist klar, die Knochen stehen in Zusammenhang mit der Munitionsfabrik aus dem dritten Reich, es handelt sich um die sterblichen Überreste eines Mannes aus der Gegend und einer Frau aus Lettland, doch was ist im Herbst 1944 wirklich geschehen? Gina verbeißt sich in den Fall, denkt vor allem an Hinterbliebene und Nachfahren, die nie mehr etwas von der verstorbenen Zwangsarbeiterin gehört haben könnten. Gleichzeitig muss sie sich plötzlich um das Wohlergehen ihrer eigenen Familie sorgen, denn ihr letzter Fall um die entführte Marie ruft plötzlich eine Spätfolge auf den Plan, mit der niemand rechnen konnte und die sich plötzlich in ihr Privatleben drängt und ihr Denken zusätzlich mit großer Sorge und Angst belastet, so dass Gina fast in Frage stellt, ob es richtig war zurück in ihren Beruf zu kehren.
Die beiden Gina-Angelucci-Krimis der Autorin sind die ersten beiden, die ich von ihr gelesen habe, obwohl ihr Kommissar Dühnfort ja nun seit Jahren erfolgreich im Roman und in der Krimiwelt ermittelt. Ich habe die flüssige und spannende Erzählweise sehr geschätzt, in „Umbarmherzig“ habe ich darüber hinaus auch insbesondere die Verknüpfung der historischen und der aktuellen Ereignisse sehr gerne gelesen. Die Protagonisten sind der Autorin wirklich außerordentlich sympathisch und trotzdem komplex gelungen, ich finde man bekommt ein gutes Gespür für die Persönlichkeit des ermittelnden Ehepaars, ihre Herangehensweisen und ihren Charakter im Einzelnen und im Zusammenspiel. Für mich ein richtiger, lohnenswerter Krimi mit einem guten Spannungsbogen, einem interessanten Fall und einer glaubhaften Auflösung.
Fazit: ich freu mich, dass ich auf Ilse Löhnig gestoßen bin, und dass sie so viel geschrieben hat, was ich noch nicht gelesen habe, Nachschub ist also gesichert.

Veröffentlicht am 16.08.2019

Einer für alle und alle für einen

Geblendet
0

Die Augen spielen dem Verstand einen Streich, weil Sehende sich blind auf sie verlassen. Das kann Jenny Aaron nicht passieren. In den letzten fünf Jahren und sechs Monaten haben sie und ihre Sinnesorgane ...

Die Augen spielen dem Verstand einen Streich, weil Sehende sich blind auf sie verlassen. Das kann Jenny Aaron nicht passieren. In den letzten fünf Jahren und sechs Monaten haben sie und ihre Sinnesorgane eine vollkommen neue Beziehung entwickelt. Bemerkenswerte Fähigkeiten hat sie entwickelt, zusätzlich zu jenen, die sie zuvor schon hatte. Jenny ist eine tödliche Waffe, von klein auf von ihrem Vater darauf trainiert und später vervollkommnet in ihrer Ausbildung. Eine Vergangenheit, die auch zur Last werden kann, so wie jedes einzelne Ereignis, jeder einzelne Auftrag seine Spuren auf ihrer Seele hinterlässt. Die Abteilung, dieses im Verborgenen agierende Gebilde, zwischen BKA, GSG9 und KSK ist ein Hochleistungsbetrieb, eine Maschine aus menschlichen Maschinen – und für die Menschen ein Zuhause, eine Familie, der Himmel und die Hölle zugleich. Dann wird dieses Gebilde hart getroffen, und es wird für alle Beteiligten zur einzig wichtigen Angelegenheit, die Hintergründe aufzudecken und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Gegner ist bekannt, und Jenny ist plötzlich mit einer Art Alter Ego konfrontiert und alten Bekannten, mit denen sie ohnehin noch die ein oder andere Rechnung offen hat, nun mehr denn je – doch offensichtlich beruht dies auf Gegenseitigkeit.
Vor ihrer Erblindung gehörte Jenny Aaron zur Abteilung, dann nicht, dann doch wieder, aber nicht so richtig – wie in jeder Beziehung manchmal – „es ist kompliziert“. Fakt ist, sie braucht die Abteilung und die Abteilung und die Menschen in der Abteilung brauchen sie, ihr Gespür, ihre Fähigkeiten. So auch in diesem dritten, abschließenden?, Band der Reihe von Andreas Pflüger, um Jenny Aaron. Wie auch zuvor wird der Leser mit ihren besonderen Fähigkeiten konfrontiert und davon in den Bann gezogen, wie sie damit umgeht, diesmal auch damit, wie es ihr geht, als sie tatsächlich wie im Vorgängerband schon angedeutet, eine Therapie beginnt, es Hoffnung gibt auf eine Rückkehr der Sehkraft, doch will sie das, will sie wieder Gefahr laufen, dass Augen und Verstand ihr Streiche spielen?
Für mich heben sich die Bücher von Andreas Pflüger deutlich ab aus dem manchmal zugegebenermaßen doch recht vergleichbaren Thriller-Einerlei. Nicht nur, dass die Thematik, die Protagonisten einmal aus einem ganz anderen Umfeld stammen, hier ist einfach vieles anders. Die Themen an sich, die Strategien, Vorgehensweisen, Lösungen sind hart und brutal und häufig auch von sehr großer Sachlichkeit geprägt. Dadurch entsteht in meinen Augen, ein ganz spezieller, mittlerweile auch unverwechselbarer Erzählton des Autors, den ich sehr mag. Was ich grandios finde, ist wie er für die Menschen in der Abteilung eine so ganz eigene Art der internen Kommunikation entwickelt hat. Ich könnte seitenweise dem Sarkasmus, den lakonischen Bemerkungen, den harten aber so ehrlichen Worten folgen, die sie für einander finden. Immer hochkonzentriert, manchmal scherzend, immer bereit sich für den anderen in den Kugelhagel zu werfen um ihn zu retten. Insbesondere dieser Ton des Autors hat für mich einen ganz großen Anteil am Reiz, den diese Reihe auf mich ausübt.

Fazit: Absolute Leseempfehlung, wie auch schon die ersten beiden Bücher, spannend, intelligent, beeindruckend. Man sollte nicht mit diesem dritten Band der Reihe beginne, sondern mit dem ersten. Zum einen finde ich ein bisschen Background wichtig, um alles zu verstehen, was mit und um die Protagonisten so vor sich geht, und zum anderen sie die Bücher einfach zu gut, um nur dieses eine zu lesen und die anderen nicht zu kennen!

Veröffentlicht am 11.07.2019

Die Jagd des Kraken

Die Stille des Todes
0

Immer wenn Inspector Unai Lopez de Ayala, genannt Kraken, einen Tatort betritt und vor einem Mordopfer steht, beginnt er seine Arbeit mit einem stummen Ritual. „Hier endet deine Jagd, hier beginnt die ...

Immer wenn Inspector Unai Lopez de Ayala, genannt Kraken, einen Tatort betritt und vor einem Mordopfer steht, beginnt er seine Arbeit mit einem stummen Ritual. „Hier endet deine Jagd, hier beginnt die meine.“ Ein prägnanter Satz, der keine Zweifel offenlässt, dass ab nun die Dinge anders laufen werden. Die Zeit des Täters ist vorüber, die Zeit des Ermittlers ist angebrochen. Als Ayala jedoch vor zwei Opfern steht, eine Konstellation, die ihm überaus vertraut ist, aus einem zwanzig Jahre zurück liegenden grausamen Fall, ist er genau wie die gesamte baskische Provinzhauptstadt Vitoria-Gasteiz in Alarmbereitschaft. Zwei Opfer, immer in einem bestimmten Alter, nackt, abgelegt an für die Stadtgeschichte wichtigen Orten, in einer inszenierten Pose. Die Hintergründe und die Bedeutung – völlig unklar. Der Täter wurde damals verhaftet, tragischerweise von seinem eigenen Zwillingsbruder und sitzt seither in Haft, die er jedoch in Kürze für einen ersten Freigang verlassen wird. Steuert er aus dem Gefängnis sein „Comeback“? Gibt es einen Nachahmungstäter? Wer steckt hinter dem Twitter-Account, der offensichtlich als Informationskanal dienen soll und Hinweise an die Polizei liefert? Ayala und seine Kollegin Estibaliz Ruiz de Gauna beginnen mit der Analyse des aktuellen Falles und der Sichtung alter Unterlagen, beschäftigen sich mit mystischen Orten und Pflanzen, alten Freunden und Familiengeheimnissen um dem Täter auf die Spur zu kommen. Immer dringender wird die Suche nach dem Täter, als weitere Opfer abgelegt werden, und die ersten bekannten Gesichter aus dem Umfeld der Ermittler darunter auftauchen bzw. das Umfeld zur Risikogruppe Nr.1 zu zählen beginnt…Der Täter scheint über alles äußerst gut Bescheid zu wissen und macht sich die manchmal unübersichtliche Lage während der Feierlichkeiten der Fiestas de la Virgen Blanca durchaus zu nutze. Wie häufig, muss Ayala tief in der Vergangenheit und lange gehüteten Geheimnissen kramen, um der Wahrheit näher zu kommen, fast einen Schritt zu nahe, als das die Geschichte gut ausgehen könnte.
Ich finde es immer wieder spannend, wie sich innerhalb des Genres Thriller dann doch die Provenienz des Autors im Stil niederschlägt. Würde man alle Namen austauschen, man käme doch schwerlich auf die Idee einen skandinavischen oder angloamerikanischen Autor zu lese, nicht mal einen französischen. Irgendwie schaffen es die Autoren oft doch, ihren ganz besonderen regionalen Stempel mit in die Handlung zu legen, auch wenn natürlich vieles, was man hier liest nicht neu ist. Inszenierte Tatorte, Familiengeheimnisse um Identitäten, Verbindung zu alten Mordserien, Kommunikation mit dem (oft vermeintlichen) Täter der alten Fälle und doch: fühlt sich bei Eva Garcia Saenz irgendwie neu und frisch an. Für mich hat dazu vor allem der Erzählstil beigetragen, nicht nur aus der Perspektive Ayalas und in der ersten Person verfasst, sondern mit einer sehr direkten Ansprache des Lesers. Das hat mich von den ersten Seiten an an das Buch gefesselt, vor allem da man zu Beginn irgendwie nicht so genau weiß, in welchem Zustand er denn wohl sein könnte. Die aktuelle Handlung wird in der Rückschau nach Abschluss der Ermittlungen von Ayala geschildert, Einschübe berichten von Vorkommnissen in Vittoria vor 45-30 Jahren und machen das Gesamtbild stimmig.
Dieses stimmige Gesamtbild wird noch dadurch gestützt, dass so ganz nebenbei es auch einen kleinen Crash-Kurs in baskischer Kultur und Tradition gibt, und vor allem: baskische oder alavesische Namen… das ist tatsächlich anfangs ein wenig holprig und man muss sich ein wenig einlesen, aber dann geht es. In jedem Fall macht dieser erste Band einer geplanten Trilogie neugierig auf die Folgebände, die hoffentlich genau so viel Spannung und Unterhaltung bieten werden wie der Erste.

Veröffentlicht am 03.07.2019

Spitzen-Thriller

R.I.P.
0

Yrsa Sigurdadottir kann es einfach. Die isländische Autorin hat sich bei mir mit ihren Thrillern um den Ermittler Huldar und die Psychologin Freyja mittlerweile zu einer Lieblingsautorin des Genres entwickelt. ...

Yrsa Sigurdadottir kann es einfach. Die isländische Autorin hat sich bei mir mit ihren Thrillern um den Ermittler Huldar und die Psychologin Freyja mittlerweile zu einer Lieblingsautorin des Genres entwickelt. Der dritte Fall „R.I.P.“ der Reihe steht den beiden Vorgängern in nichts nach: wieder geschehen äußerst grausame Morde, dokumentiert und verbreitet über kurze Videosequenzen, „Snaps“, des Social Media-Netzwerks Snapchat. Die Opfer sind Jugendliche, so dass die Kriminalpolizei auch diesmal wieder im Kinderhaus Reykjavik um fachliche Unterstützung bittet – was natürlich auch ganz im persönlichen Interesse von Huldar liegt, der seine Beziehung mit Freyja gerne nach dem vollkommen missglückten Start endlich auf eine etwas andere Ebene führen würde. Irgendwann wird klar, die Morde haben etwas mit Mobbing zu tun – und: es handelt sich um eine Serie. Bei den Opfern werden Zahlen gefunden, wer steht noch auf der Liste des Killers? Wer hat die Polizeidienstelle telefonisch auf einen Fall hingewiesen, der nicht auffindbar ist? Wie weit gehen die Mobber? Was müssen sich Mobbing-Opfer gefallen lassen, wer steht für sie ein – kumulierend in der für alle zutreffenden Frage – Wer ist bereit, wie weit zu gehen?

Jeder weitere Bezug zum Inhalt verbietet sich, will man nicht Gefahr laufen, ernsthafte Spoiler miteinzubauen. Jedem Freund von Thrillern der etwas härteren Gangart hat die Autorin wieder ein Lesehighlight beschert. Der Spannungsaufbau ist grandios, das Springen zwischen den Schauplätzen und Akteuren, sorgt immer und immer wieder dafür, dass man noch ein Kapitel und noch ein Kapitel mehr liest, um zu erfahren, wie es wo weiter gehen wird. Die Thematik ist aktuell, brisant und glaubwürdig dargestellt, genau wie die Gefühlswelt der Betroffenen, finde ich. Die Verbrechen sind brutal, ein wenig Abscheu und Nervenkitzel gehört aber ja auch irgendwo dazu, wenn ich einen Thriller lese. Und der letzte Satz des Buches – grandios bzw. liest man den nachts, steht man vielleicht auch noch mal auf und schaltet nicht das Licht direkt aus.
Das Buch ist zwar Teil 3 der Reihe, funktioniert aber genauso gut, wenn man es ohne Kenntnis der Vorgänger liest, einzig die Gesamtheit der Animositäten im Kommissariat zwischen Huldar und allen anderen im Allgemeinen und Erla im Speziellen erfasst man vielleicht nicht so ganz, aber das tut dem Ganzen nun wirklich keinen Abbruch. Verfolgt man die Reihe insgesamt, nimmt man natürlich an diesem Drumherum ein bisschen mehr Anteil – und ich schätze das auch. Solange es nicht vollkommen in den Vordergrund rückt, finde ich die Tatsache, dass man Kommissare, Psychologen oder wen auch immer auch neben ihrer Tätigkeit als Privatmenschen mit Problemen und Beziehungen darstellt, einen realistischen Gewinn für das Gesamtwerk (mit anderen Worten: „Huldar gib, nicht auf, ich glaub an dich und Freyja !“).

Fazit: Thriller-Highlight 2019 bisher, absolut empfehlenswert, nichts für zimperliche Gemüter, wer die Autorin noch nicht kennt, sollte sie schleunigst für sich entdecken!