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Veröffentlicht am 23.09.2019

Mit dem Wissen über die Vergangenheit in die Zukunft schauen!

Vergesst unsere Namen nicht
1

Rezension „Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger

Zum Inhalt „Vergesst unsere Namen nicht“

Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch ...

Rezension „Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger

Zum Inhalt „Vergesst unsere Namen nicht“

Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch das Psychogramm eines brutalen Kriegsverbrechers. Es zeigt die Zeit von ca. 1920 bis heute und es spielt in Norwegen. Es ist vor allem die Geschichte der deutschen Besatzung in Trondheim während des Zweiten Weltkriegs.

Das Schlimmste an diesem Buch ist, dass es auf Fakten beruht und keine Fiktion ist. Es ist ein historischer Roman, der mit abscheulichen Fakten hinterlegt ist. Deswegen habe ich in der rechten Spalten historischen Fakten aus den genannten Wikipedia Artikeln beigefügt.

Simon Stranger und „Vergesst unsere Namen nicht!“

„Wir leben in einer Welt der verbalen Auseinandersetzungen. Lass diesen Roman lieber eine Aufforderung sein, nach vorn zu sehen. Lass ihn lieber eine Möglichkeit zur Versöhnung sein und für Vergebung“, ...Seite 320

Dieser Aufruf kam von Simon Strangers Frau Rikke, deren Mutter Grete als Kind im Bandenkloster gewohnt hat und das, obwohl Ihre Familie durch den Holocaust Opfer zu beklagen hatte.

Das Buch ist für Simon Stranger eine sehr persönliche Angelegenheit. Es ist ein Teil seiner Geschichte oder genauer gesagt, es ist die Familiengeschichte seiner Frau.

Dieser Roman möchte nicht anklagen, er verwirklicht Rikke Strangers Aufforderung.

Historische Fakten zu „Vergesst unsere Namen nicht“
Norwegen unter deutscher Besatzung

Die Besetzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg begann mit dem Unternehmen Weserübung am 9. April 1940 und endete am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht.

Aus deutscher Sicht wurde die Invasion als „Inschutznahme“ gegen britische Operationen in norwegischen Gewässern verteidigt. Der bisherige NSDAP-Gauleiter von Essen, Josef Terboven, wurde von Hitler unter Abkehr von einer an die völkerrechtlichen Regeln gebundenen Besatzungsherrschaft einer Militärverwaltung, zum Reichskommissar für Norwegen ernannt und sollte die „Norweger als Freunde gewinnen“.

Nach der Besetzung lebten im Lande rund 2100 jüdische Norweger und Flüchtlinge aus Mitteleuropa, deren Situation sich ab Sommer 1941 verschlechterte. In Nordnorwegen verhafteten die deutschen Besatzer alle jüdischen Männer, in anderen Landesteilen nur die staatenlosen Juden.

(Entnommen aus Wikipedia Artikel „Norwegen unter deutscher Besatzung“

Worum geht es?

Simon Stranger erzählt das Schicksal der Familie Komissar. Familie Komissar steht als Juden auf der Seite der Verfolgten und gleichzeitig stellvertretend für alle Opfer.

Er erzählt auch die Geschichte Henry Oliver Rinnans. Ein Kriegsverbrecher, der als Kollaborateur, Spion, Folterer und Handlanger der Nazis auf Seiten der Täter steht, stellvertretend für alle Täter.

Es handelt sich zwar konkret um diese Familiengeschichte, aber Simon Stranger weist immer wieder darauf hin, dass seine Familie nur eine und der vielen Opferfamilien ist. Der Leser erfährt in diesem Zusammenhang auch einiges über die „Stolpersteine“, dem Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig.

Meine Gedanken zu Henry Oliver Rinnan

Rinnan wird zum Täter, ohne wirklich ein Nazi zu sein. Er war ein Psychopath, der im Nationalsozialismus, das System fand, in dem er seine Bedürfnisse befriedigen konnte, seine Rachegelüste ausleben konnte und das ihn anerkannte. Er war jemand! Er hatte es Allen gezeigt. Er hatte das Kommando!

Rinnan, nur 1.60 m groß, von den Anderen als Kind schon verspottet, wollte schon immer hoch hinaus. Empathie kannte er nicht. Der Autor erzählt eine Geschichte aus der Kindheit Rinnan, in der er großes Mitgefühl und hohe Sensibilität zeigte. Aber anscheinend hat ihm das Leben diese Seite abgewöhnt. Er wurde in der norwegischen Armee nicht angenommen. Und diese Erfahrung wiederholte sich. Jede Zurückweisung setzte bei ihm weitere kriminelle Energie frei. Schon früh zeigt sich, dass er über kein Unrechtsbewusstsein verfügt. Ich würde das schon als einen Napoleon-Komplex bezeichnen. Er versuchte durch scheinbare Erfolge, seine Körpergröße zu kompensieren.

„S - wie der Spruch der Rinnan zugeschrieben wird und den er zu neuen Gefangenen gesagt haben soll, wenn sie ins Bandenkloster kamen: Willkommen am einzigen Ort in Trondheim, an dem die Wahrheit gesagt wird.“, ...Seite 301

Historische Fakten zu Henry Oliver Rinnan
Henry Oliver Rinnan (14. Mai 1915 – 1. Februar 1947) war ein berüchtigter norwegischer Gestapo- Agent während des Zweiten Weltkriegs (1940 – 1945). Er leitete eine Gruppe namens Sonderabteilung Lola. Diese Gruppe, unter Norwegern als Rinnanbanden bekannt, hatte 50 bekannte Mitglieder.

Ab September 1943 hatten die Rinnanbanden ihren Sitz in Trondheim, bekannt als Bandeklosteret . Rinnan arbeitete eng mit der deutschen Sicherheitspolizei in Trondheim zusammen. Während des Krieges wurde Rinnan zum SS – Untersturmführer der Reserve ernannt und erhielt 1944 das Eiserne Kreuz der 2. Klasse.

Rinnan wurde wegen persönlicher Ermordung von dreizehn Personen verurteilt, aber die tatsächliche Zahl könnte höher sein, hingerichtet. Er wurde eingeäschert und später inoffiziell auf dem Levanger-Friedhof in einem nicht gekennzeichneten Grab beigesetzt.

Vierzig Prozent der Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg wegen norwegischer Kriegsverbrechen hingerichtet wurden, waren mit der Sonderabteilung Lola verbunden.

(Entnommen Norwegischer ins Deutsche übersetzte Wikipedia Artikel zu Henry Oliver Rinnan)

Sprachstil

Simon Stranger erzählt in vier Zeitebenen und Handlungssträngen.:

1. Handlungsstrang: Hirsch Komissar (während der Besatzung). Im Buch die 1. Generation der Familie Komissar.

2. Handlungsstrang: Gerson Komissar und seine Familie (nach der Besatzung) 2. Generation.

3. Handlungsstrang: In der Gegenwart – der Autor erzählt von seiner Familie und der Entstehungsgeschichte von „Vergesst unsere Namen nicht“. 3., 4. und 5. Generation der Familie.

4. Handlungsstrang: Henry Oliver Rinnen – vor und während der Besatzung.

Der Autor schildert das Geschehen ohne Affektheischerei. Es sind Vorkommnisse, die man beim Lesen kaum ertragen kann. Das Wissen, dass es sich dabei um keine Horrorfiktion handelt, sondern um unsere deutsche Geschichte, ist der eigentliche Horror.

Besonders gut hat mir die Kapitelbezeichnung und Aufteilung gefallen. Simon Stranger hat das Alphabet mit Bespielen als Nummerierung genommen. Ich zitiere:

„A wie Anklage
A wie Aussage
A wie Arrest“
Ich fand das sehr aussagekräftig. Er fand für jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets, passende Schlagwörter. Es ist keine bequeme Lektüre. Es ist Literatur gegen das Vergessen.

Das Hörbuch

Die ungekürzte Hörbuchfassung wird exklusiv von Audible und ausschließlich als Download präsentiert. Das Hörbuch hat eine Länge von 10 Stunden und 9 Minuten und ist ebenfalls am 30.08.2019 erschienen.

Uwe Teschner liest das Buch sensibel und zurückhaltend. Mir hat die Stimme und das Sprachverhalten sehr gut gefallen.

Meine abschließenden Gedanken zu „Vergesst unsere Namen nicht“

Das Buch wurde mir über die Blogger-News von Bastei Lübbe, der Eichborn Verlag gehört zu Bastei Lübbe, angeboten. Obwohl mein Stapel ungelesener Bücher schon sehr hoch ist und ich zudem Rezensionen für September und Oktober zugesagt hatte, konnte ich, wegen folgender Zeilen aus dem Klappentext, nicht widerstehen, die ich gerne rezitieren möchte:

„In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.“Seite 6 und Klappentext

Ich finde das einen sehr schönen Gedanken des Talmuds, der auch einer der Entstehungsgründe der „Stolpersteine“ ist. Ich wollte mit der Veröffentlichung meiner Rezension einen kleinen Beitrag dazu leisten, deswegen habe ich dieses Rezensionsexemplar angefragt.

Ja! Ich schäme mich, dass wir Deutschen diese Gräueltaten begingen und zugelassen haben. Ich schäme mich, dass wir weggeschaut haben. Und trotz des Wissens über diese abscheulichen Verbrechen des Nationalsozialismus, ruckt Europa nach rechts und die Rechten marschieren wieder. Sie marschieren zwar nicht generell, aber immer wieder. In einigen Bundesländern konnte die AfD 25 % erreichen. Wie ist so etwas möglich? Hat uns die Zeit so desensibilisiert und alles vergessen lassen? Haben wir gar nichts aus unserer Geschichte gelernt?

Einige meiner Leser wissen, dass ich eine große Anhängerin Hannah Arendts bin. Eine großartige Philosophin, die selbst Jüdin, aber noch rechtzeitig mit ihrem zweiten Mann, Heinrich Blücher, ins Exil in die USA flüchten konnte. Walter Benjamin hat sich 1942, aus Angst vor den Verfolgern, in Paris das Leben genommen.

Ich benenne hier Hannah Arendt, weil Simon Strangers Frau Rikke, den Aufruf zur Versöhnung einbrachte. Auch Hannah Arendt wollte Versöhnung und keineswegs Rache oder Vergeltung.

Davor habe ich große Achtung. Ich bezweifle, dass ich diese Größe hätte.

Schade, dass die Politik Benjamin Netanjahus, keine Toleranz gegenüber der anderen Seite hat und eine Siedlungspolitik verfolgt, die keine Rücksicht auf die Palästinenser nimmt. Man kann nur hoffen, dass die nach der Wahl beabsichtigte „Großen Koalition“ unter Benny Gantz und ohne Netanjahu kommt. Aber selbst dann, gibt es noch genügend Hardliner, die auf der Regierungsbank sitzen.

Simon Stranger ist dem Aufruf seiner Frau gefolgt. Er schrieb ein Buch, das nicht wertet, sondern berichtet und erzählt. Er versucht, Gründe zu finden, wie ein Mensch zu einem der größten Kriegsverbrecher Norwegens wurde. Die Geschichte ist nicht schwarz/weiß, sondern hat viele Grautöne. Der Leser selbst darf das Geschehen werten

Veröffentlicht am 23.09.2019

Mit dem Wissen über die Vergangenheit in die Zukunft schauen!

Vergesst unsere Namen nicht
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Rezension „Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger

Zum Inhalt „Vergesst unsere Namen nicht“

Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch ...

Rezension „Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger

Zum Inhalt „Vergesst unsere Namen nicht“

Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch das Psychogramm eines brutalen Kriegsverbrechers. Es zeigt die Zeit von ca. 1920 bis heute und es spielt in Norwegen. Es ist vor allem die Geschichte der deutschen Besatzung in Trondheim während des Zweiten Weltkriegs.

Das Schlimmste an diesem Buch ist, dass es auf Fakten beruht und keine Fiktion ist. Es ist ein historischer Roman, der mit abscheulichen Fakten hinterlegt ist. Deswegen habe ich in der rechten Spalten historischen Fakten aus den genannten Wikipedia Artikeln beigefügt.

Simon Stranger und „Vergesst unsere Namen nicht!“

„Wir leben in einer Welt der verbalen Auseinandersetzungen. Lass diesen Roman lieber eine Aufforderung sein, nach vorn zu sehen. Lass ihn lieber eine Möglichkeit zur Versöhnung sein und für Vergebung“, ...Seite 320

Dieser Aufruf kam von Simon Strangers Frau Rikke, deren Mutter Grete als Kind im Bandenkloster gewohnt hat und das, obwohl Ihre Familie durch den Holocaust Opfer zu beklagen hatte.

Das Buch ist für Simon Stranger eine sehr persönliche Angelegenheit. Es ist ein Teil seiner Geschichte oder genauer gesagt, es ist die Familiengeschichte seiner Frau.

Dieser Roman möchte nicht anklagen, er verwirklicht Rikke Strangers Aufforderung.

Historische Fakten zu „Vergesst unsere Namen nicht“
Norwegen unter deutscher Besatzung

Die Besetzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg begann mit dem Unternehmen Weserübung am 9. April 1940 und endete am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht.

Aus deutscher Sicht wurde die Invasion als „Inschutznahme“ gegen britische Operationen in norwegischen Gewässern verteidigt. Der bisherige NSDAP-Gauleiter von Essen, Josef Terboven, wurde von Hitler unter Abkehr von einer an die völkerrechtlichen Regeln gebundenen Besatzungsherrschaft einer Militärverwaltung, zum Reichskommissar für Norwegen ernannt und sollte die „Norweger als Freunde gewinnen“.

Nach der Besetzung lebten im Lande rund 2100 jüdische Norweger und Flüchtlinge aus Mitteleuropa, deren Situation sich ab Sommer 1941 verschlechterte. In Nordnorwegen verhafteten die deutschen Besatzer alle jüdischen Männer, in anderen Landesteilen nur die staatenlosen Juden.

(Entnommen aus Wikipedia Artikel „Norwegen unter deutscher Besatzung“

Worum geht es?

Simon Stranger erzählt das Schicksal der Familie Komissar. Familie Komissar steht als Juden auf der Seite der Verfolgten und gleichzeitig stellvertretend für alle Opfer.

Er erzählt auch die Geschichte Henry Oliver Rinnans. Ein Kriegsverbrecher, der als Kollaborateur, Spion, Folterer und Handlanger der Nazis auf Seiten der Täter steht, stellvertretend für alle Täter.

Es handelt sich zwar konkret um diese Familiengeschichte, aber Simon Stranger weist immer wieder darauf hin, dass seine Familie nur eine und der vielen Opferfamilien ist. Der Leser erfährt in diesem Zusammenhang auch einiges über die „Stolpersteine“, dem Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig.

Meine Gedanken zu Henry Oliver Rinnan

Rinnan wird zum Täter, ohne wirklich ein Nazi zu sein. Er war ein Psychopath, der im Nationalsozialismus, das System fand, in dem er seine Bedürfnisse befriedigen konnte, seine Rachegelüste ausleben konnte und das ihn anerkannte. Er war jemand! Er hatte es Allen gezeigt. Er hatte das Kommando!

Rinnan, nur 1.60 m groß, von den Anderen als Kind schon verspottet, wollte schon immer hoch hinaus. Empathie kannte er nicht. Der Autor erzählt eine Geschichte aus der Kindheit Rinnan, in der er großes Mitgefühl und hohe Sensibilität zeigte. Aber anscheinend hat ihm das Leben diese Seite abgewöhnt. Er wurde in der norwegischen Armee nicht angenommen. Und diese Erfahrung wiederholte sich. Jede Zurückweisung setzte bei ihm weitere kriminelle Energie frei. Schon früh zeigt sich, dass er über kein Unrechtsbewusstsein verfügt. Ich würde das schon als einen Napoleon-Komplex bezeichnen. Er versuchte durch scheinbare Erfolge, seine Körpergröße zu kompensieren.

„S - wie der Spruch der Rinnan zugeschrieben wird und den er zu neuen Gefangenen gesagt haben soll, wenn sie ins Bandenkloster kamen: Willkommen am einzigen Ort in Trondheim, an dem die Wahrheit gesagt wird.“, ...Seite 301

Historische Fakten zu Henry Oliver Rinnan
Henry Oliver Rinnan (14. Mai 1915 – 1. Februar 1947) war ein berüchtigter norwegischer Gestapo- Agent während des Zweiten Weltkriegs (1940 – 1945). Er leitete eine Gruppe namens Sonderabteilung Lola. Diese Gruppe, unter Norwegern als Rinnanbanden bekannt, hatte 50 bekannte Mitglieder.

Ab September 1943 hatten die Rinnanbanden ihren Sitz in Trondheim, bekannt als Bandeklosteret . Rinnan arbeitete eng mit der deutschen Sicherheitspolizei in Trondheim zusammen. Während des Krieges wurde Rinnan zum SS – Untersturmführer der Reserve ernannt und erhielt 1944 das Eiserne Kreuz der 2. Klasse.

Rinnan wurde wegen persönlicher Ermordung von dreizehn Personen verurteilt, aber die tatsächliche Zahl könnte höher sein, hingerichtet. Er wurde eingeäschert und später inoffiziell auf dem Levanger-Friedhof in einem nicht gekennzeichneten Grab beigesetzt.

Vierzig Prozent der Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg wegen norwegischer Kriegsverbrechen hingerichtet wurden, waren mit der Sonderabteilung Lola verbunden.

(Entnommen Norwegischer ins Deutsche übersetzte Wikipedia Artikel zu Henry Oliver Rinnan)

Sprachstil

Simon Stranger erzählt in vier Zeitebenen und Handlungssträngen.:

1. Handlungsstrang: Hirsch Komissar (während der Besatzung). Im Buch die 1. Generation der Familie Komissar.

2. Handlungsstrang: Gerson Komissar und seine Familie (nach der Besatzung) 2. Generation.

3. Handlungsstrang: In der Gegenwart – der Autor erzählt von seiner Familie und der Entstehungsgeschichte von „Vergesst unsere Namen nicht“. 3., 4. und 5. Generation der Familie.

4. Handlungsstrang: Henry Oliver Rinnen – vor und während der Besatzung.

Der Autor schildert das Geschehen ohne Affektheischerei. Es sind Vorkommnisse, die man beim Lesen kaum ertragen kann. Das Wissen, dass es sich dabei um keine Horrorfiktion handelt, sondern um unsere deutsche Geschichte, ist der eigentliche Horror.

Besonders gut hat mir die Kapitelbezeichnung und Aufteilung gefallen. Simon Stranger hat das Alphabet mit Bespielen als Nummerierung genommen. Ich zitiere:

„A wie Anklage
A wie Aussage
A wie Arrest“
Ich fand das sehr aussagekräftig. Er fand für jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets, passende Schlagwörter. Es ist keine bequeme Lektüre. Es ist Literatur gegen das Vergessen.

Das Hörbuch

Die ungekürzte Hörbuchfassung wird exklusiv von Audible und ausschließlich als Download präsentiert. Das Hörbuch hat eine Länge von 10 Stunden und 9 Minuten und ist ebenfalls am 30.08.2019 erschienen.

Uwe Teschner liest das Buch sensibel und zurückhaltend. Mir hat die Stimme und das Sprachverhalten sehr gut gefallen.

Meine abschließenden Gedanken zu „Vergesst unsere Namen nicht“

Das Buch wurde mir über die Blogger-News von Bastei Lübbe, der Eichborn Verlag gehört zu Bastei Lübbe, angeboten. Obwohl mein Stapel ungelesener Bücher schon sehr hoch ist und ich zudem Rezensionen für September und Oktober zugesagt hatte, konnte ich, wegen folgender Zeilen aus dem Klappentext, nicht widerstehen, die ich gerne rezitieren möchte:

„In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.“Seite 6 und Klappentext

Ich finde das einen sehr schönen Gedanken des Talmuds, der auch einer der Entstehungsgründe der „Stolpersteine“ ist. Ich wollte mit der Veröffentlichung meiner Rezension einen kleinen Beitrag dazu leisten, deswegen habe ich dieses Rezensionsexemplar angefragt.

Ja! Ich schäme mich, dass wir Deutschen diese Gräueltaten begingen und zugelassen haben. Ich schäme mich, dass wir weggeschaut haben. Und trotz des Wissens über diese abscheulichen Verbrechen des Nationalsozialismus, ruckt Europa nach rechts und die Rechten marschieren wieder. Sie marschieren zwar nicht generell, aber immer wieder. In einigen Bundesländern konnte die AfD 25 % erreichen. Wie ist so etwas möglich? Hat uns die Zeit so desensibilisiert und alles vergessen lassen? Haben wir gar nichts aus unserer Geschichte gelernt?

Einige meiner Leser wissen, dass ich eine große Anhängerin Hannah Arendts bin. Eine großartige Philosophin, die selbst Jüdin, aber noch rechtzeitig mit ihrem zweiten Mann, Heinrich Blücher, ins Exil in die USA flüchten konnte. Walter Benjamin hat sich 1942, aus Angst vor den Verfolgern, in Paris das Leben genommen.

Ich benenne hier Hannah Arendt, weil Simon Strangers Frau Rikke, den Aufruf zur Versöhnung einbrachte. Auch Hannah Arendt wollte Versöhnung und keineswegs Rache oder Vergeltung.

Davor habe ich große Achtung. Ich bezweifle, dass ich diese Größe hätte.

Schade, dass die Politik Benjamin Netanjahus, keine Toleranz gegenüber der anderen Seite hat und eine Siedlungspolitik verfolgt, die keine Rücksicht auf die Palästinenser nimmt. Man kann nur hoffen, dass die nach der Wahl beabsichtigte „Großen Koalition“ unter Benny Gantz und ohne Netanjahu kommt. Aber selbst dann, gibt es noch genügend Hardliner, die auf der Regierungsbank sitzen.

Simon Stranger ist dem Aufruf seiner Frau gefolgt. Er schrieb ein Buch, das nicht wertet, sondern berichtet und erzählt. Er versucht, Gründe zu finden, wie ein Mensch zu einem der größten Kriegsverbrecher Norwegens wurde. Die Geschichte ist nicht schwarz/weiß, sondern hat viele Grautöne. Der Leser selbst darf das Geschehen werten

Veröffentlicht am 26.08.2019

Magisches Jugendbuch mit Mittelalterflair

Rowan - Verrat im Ostreich
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Was bisher geschah in den ersten drei Bänden geschah::
Rowans Großvater ist der mächtige Magier Bunduar, der König Wilhar schon seit vielen Jahren zur Seite steht. Rowan und der Thronfolger Ottgar wuchsen ...

Was bisher geschah in den ersten drei Bänden geschah::
Rowans Großvater ist der mächtige Magier Bunduar, der König Wilhar schon seit vielen Jahren zur Seite steht. Rowan und der Thronfolger Ottgar wuchsen zusammen auf und sind die besten Freunde. Während Rowan zum Magier ausgebildet werden sollte, sollte Ottgar zum Ritter ausgebildet werden. Inzwischen darf auch Rowan an der Ritterausbildung teilhaben. Im ersten Band lernt er den Elfen Sirii kennen, der auch in diesem Band eine Rolle spielt. Rowan rettet mit der Hilfen des Elfen das Reich vor den Drachen. Im zweiten Band reist er an andere Königshöfe, um seine Ausbildung zu vervollständigen. Dort trifft er auch wieder mit Ottgar zusammen und wird weiterhin auf seine wichtigste Aufgabe vorbereitet. Ottgar wird einmal König werden und Rowan wird sein Leben und das Reich mit seiner Magie und allem, was er kann, schützen.

„Mardok sollte Heerführung bei Xandril lernen, während Ottgar von Rowan begleitet, ins Ostreich ziehen sollte, um die Beziehungen beider Länder zu vertiefen, vielleicht sogar neue Bündnisse zu schließen.“

Großmagier Bunduar hatte den Freunden durch Prinz Sirii Anweisungen für die Zukunft gegeben:
Der dritte Band „Rowan – Verrat im Ostreich“
Der Alltag sieht aber nun ganz anders aus. Rowan kämpft hier an mehreren Seiten. Die Klauenseite herrscht im Reich und droht auch die anderen Reiche zu infizieren. Eine Hungerkatastrophe droht!

Die Ritter am Hof belächeln ihn. Magier haben an König Kustins Hof keinen guten Ruf. Auch die Freundschaft zwischen Rowan und Ottgar leidet. Früher hat Ottgar seinem Freund blind vertraut. Inzwischen haben die Ritter großen Einfluss auf Ottgar.

Aber es kommen noch viel größere Probleme auf den jungen Magier zu. Zwerge halten sich nicht mehr an die ausgemachten Regeln und Rowan spürt, dass es Verräter am Königshof gibt.

Rowan lernt zum ersten Mal die Liebe kennen!

Kann Rowan seinen Freund Ottgar in Sicherheit bringen?

Sprachliche Gestaltung
Aileen o’Grian erzählt die Abenteuer aus Sicht des jungen Magiers. Die Kapitel haben eine angenehme Länge.

Weltenbau
Rowan, der junge Magier, lebt in einer mittelalterlichen Welt, in einem Königreich, das mit anderen Königreichen befreundet ist. Es gibt nicht nur Könige und Magier, der Leser begegnet Rittern, Hexen, Zwergen, Naturgeistern in allen Elementen, Drachen und noch vielem mehr. Rowan ist sogar fähig, die Sprache der Tiere zu verstehen und mit ihnen zu reden.

Aileen o’Grian übernimmt einige Bräuche aus dem historischen Mittelalter und der Kräuterheilkunde.



Fazit „Rowan – Verrat im Ostreich“
Aileen o’Grian verfolgt wie schon in den ersten beiden Bänden den Ansatz: Magische Kräfte entstehen mit Hilfe der Natur, Heilkräuter, Zusammenarbeit mit Tieren und Naturgeistern und das Verstehen der Körpersprache von Tier und Mensch. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz und seit „Fridays for Future“ und Greta Thunberg ein hochaktueller Ansatz. Er beinhaltet Naturschutz bzw. Umweltschutz in Verbindung mit Achtsamkeit und Besonnenheit.

Außerdem bringt die Autorin den jungen Leser einiges über das Mittelalter bei. Angefangen vom Rittertum, über Heiler, bis zum „Recht der ersten Nacht“ (Jus prima noctis), das beinhaltet, dass der Lehnsherr, König oder eben der „Herr“, der Braut in der ersten Nacht noch vor dem Bräutigam „beiliegen“ darf. Ja, das waren schon befremdliche Sitten! Aileen o’Grian bringt dies dem Leser sehr sensibel nah.

Es geht um das „Erwachsen werden“, um Moral, die erste Liebe, und auch ein wenig darum, welchen Beruf ich wähle. Man kann sich gut damit identifizieren, bzw. man kann sich wieder gut an diese Zeit erinnern. Und, wie schon erwähnt, der Leser erfährt viel über das Mittelalter.

Ich finde die Rowan Reihe sehr schön. Rowan wird mit jedem Band erwachsener. Aileen o’Grian lässt dieses Erwachsenwerden in ihre Geschichte einfließen, ohne es benennen zu müssen! Man merkt es an seinen Entscheidungen und Handlungen.

Rowan ist eben genauso ein Jugendlicher, wie es seine Leser sind oder waren. Ein schönes Jugendbuch.

Veröffentlicht am 08.08.2019

Der Krieg nimmt keine Rücksicht

Das goldene Palais
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Zum Inhalt

„Das goldene Palais“ von Natascha Salomons erzählt die Geschichte der „Goldbaums“ oder doch der „Rothschilds“?

Dem in der Frankfurter Judengasse geborenen Mayer Amschel Rothschild, der als ...

Zum Inhalt

„Das goldene Palais“ von Natascha Salomons erzählt die Geschichte der „Goldbaums“ oder doch der „Rothschilds“?

Dem in der Frankfurter Judengasse geborenen Mayer Amschel Rothschild, der als der Gründer der Rothschilddynastie gilt, war es noch verboten, außerhalb des Frankfurter Ghettos Grundbesitz zu erwerben. Seine Söhne zählten dagegen zu den wohlhabendsten Europäern und wurden in Österreich und England in den Adelsstand gehoben. (Wikipedia Geschichte der Rothschilds).

Die Geschichte der Goldbaums hat exakt diese Gründungsgeschichte.

Das Buch erzählt die Zeit von 1911 bis November 1917 in Europa. Es beginnt in Wien und endet in London.

Auf jeden Fall ist es die Geschichte einer Dynastie des Bankenadels. „Das goldene Palais“ bildet ein Stück Zeitgeschichte ab und es zeigt, wie begehrt das jüdische Geld und wie wenig geachtet die jüdischen Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und Russland waren.

„Wie der alte Moses Goldbaum die fünf Bruder Dov, Moses, Robert, Jakob und Salomon in die Finanzmetropolen Europas ausgesandt hatte, damit sie Goldbaum-Bankhäuser gründeten. Jedem Bruder wurde die Samenkapsel einer Sykomore, in Silber eingefasst, mitgegeben (wegen ihrer symbolischen Widerstandskraft und der Fähigkeit, noch auf den kärgsten Grund zu gedeihen), ein Empfehlungsschreiben des Fürsten ihres Vaters und das Versprechen, die Kreditlinie des Vaters in Anspruch nehmen zu dürfen.“

Gut florierende Bankhäuser in ganz Europa, die untereinander ihre Partnerschaft und Verbundenheit durch Heirat festigten, waren das Ergebnis. Greta die Tochter des Wiener Goldbaum-Zweiges soll den Sohn des Londoner Goldbaum-Zweiges heiraten. Greta lässt sich auf das Abenteuer ein. Natascha Salomon erzählt Gretas Geschichte mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

In Russland gibt es Progrome und trotz ihres immensen Kapitals und obwohl der Zar, das Geld benötigt, können die Goldbaums diese nicht wirklich verhindern. Und teilen Gretas französischem Cousin Henry mit, dass er im Land unerwünscht sei, sie hätten schon genügend Juden.

Die Goldbaums konnten auch den Ersten Weltkrieg nicht verhindern. Der Kriegseintritt der USA 1917 mischt die Karten neu.

Greta

Greta ist eine beeindruckende junge Frau, die sich nicht so einfach in eine Rolle pressen lässt. Sie hat eine sehr enge Beziehung zu ihrem Bruder Otto, der ihre kleine Eskapaden belächelt und sie oftmals aus schwierigen Situationen rettet.

Obwohl es sich bei ihrer Ehe mit Albert um eine arrangierte Ehe handelt, findet Greta Glück, Liebe und Geborgenheit. Allerdings sieht sie, wie ihr Cousin Henry und ihr Bruder, sich oftmals wegen der von ihnen erwartenden Pflichterfüllung verbiegen und Henry dadurch seine große Liebe und noch viel mehr verliert.

Greta findet Halt bei ihrer Schwiegermutter und schafft sich ein Refugium, einen Garten, den sie selbst plant, anlegt und mit eigenem Personal bewirtschaftet. Dieser Freiraum gehört ihr und gibt ihr Kraft.

Als Frau hat sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einige Zwänge und als eine „Goldbaum“ noch viel mehr. Trotzdem verbiegt sich Greta nicht und findet einen eigenen Weg sich treu zu bleiben.

Sprachliche Gestaltung

Natascha Salomons erzählt meist aus der Perspektive Gretas, aber sie wechselt auch zu anderen Perspektiven. Sehr interessant fand ich die Perspektive von Karl, der Kanalratte. Vom Stand der Goldbaums, einer der reichsten Familien Wiens, hinab zu Karl, der sein Geld damit verdient, Knochen aus den Kanälen zu fischen und von den Almosen der Goldbaums zu leben. Durch diese Gegenüberstellung wird der Reichtum dieser Dynastie noch sichtbarer. Karl begegnet dem Leser wieder gegen Ende des Buches. Auch dann wird wieder der Bogen zu den Goldbaums gespannt.

Natascha Salomons berichtet und erzählt chronologisch, gibt den Geschehnissen unterschiedlich Raum. Das bringt Dynamik ins Geschehen.

Cover und äußere Erscheinung

Das Buch wird in Jahreszahlen von 1911 bis 1917 aufgeteilt. Den einzelnen Kapitelüberschriften werden die Monate hinzugefügt, fast schon wie ein Tagebuch oder Kalender. Das gefällt mir durch den historischen Zusammenhang sehr gut.

Und es hat ein Lesebändchen – ich liebe Lesebändchen.

Das Cover ist passend gewählt. Es zeigt Greta, aber nur bis von den Füßen bis unter die Augen in einem tiefgrünen ärmellos ausgeschnittenen Abendkleid. Aber die Augen sieht man eben nicht. Die Augen, wie sagt man so schön, die Fenster zu Seele.

Das Cover zeigt Greta in ihrer Rolle als Frau Albert Goldbaum. Wer die wirkliche Greta kennenlernen möchte, muss das Buch aufschlagen, lesen und vor allem auch zwischen den Zeilen lesen.

Gibt es ein Hörbuch

Leider bis jetzt noch nicht!

Fazit

Und dann kommt der Krieg. Plötzlich ist Greta in ihrer neuen Heimat der „FEiND“ und wird gemieden. „Das goldene Palais“ ist nun das vierte Buch, das ich innerhalb weniger Monate gelesen habe, dass sich mit dieser Zeit und dem Ersten Weltkrieg beschäftigt. Und jedes Mal ergreift mich ein Grauen und bodenlose Angst davor, jemals so etwas erleben zu müssen.

Natascha Salomons gelingt es, diese kriegsmüde angsterfüllte, hoffnungslose Atmosphäre des Krieges mit ihren Worten zu spiegeln und zu zeigen, dass der Krieg sie letztendlich alle zu Verlierern macht. Dieser Erste Weltkrieg der die Menschen ungeschützt Waffen wie Artillerie und Maschinengewehren aussetzt und zum ersten Mal in Farbbildern das Grauen ablichtet.

Gustav Klimt wird auch in das Buch geschrieben. Seine Geliebte verkauft Greta Kleider im Stile Klimts, die noch dazu ohne Corsage getragen werden! Revolution der Frauen! Die Titanic geht unter und wurde nicht von „Goldbaums“ versichert. Erst 1916/17 strecken die Goldbaums ihre fühle nach Amerika aus.

Das Buch hat mir Freude gemacht. Ich konnte mich gut mit Greta identifizieren und mag sie sehr. Ihre Stärke, aber auch ihren Pragmatismus, aus Dingen, die sie nicht ändern kann, das Beste herauszuholen.

Die Autorin hat sehr gut recherchiert und als Hintergrund einfließen lassen. Das hat mir gut gefallen. Auch den immer stärker werdenden Antisemitismus hat die Autorin sensibel veranschaulicht.

Dieses Buch ist absolut lesenswert.

Veröffentlicht am 22.07.2019

Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung

Winterjournal
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Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung


Zum Inhalt „Winterjournal“

Bei Paul Auster ist die Antwort jedoch vielschichtiger! Er offenbart, und zeigt sich, in all seinen ...

Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung


Zum Inhalt „Winterjournal“

Bei Paul Auster ist die Antwort jedoch vielschichtiger! Er offenbart, und zeigt sich, in all seinen Büchern sehr privat und offenbart dem Leser, viel von seinem inneren Ich. Aber zurück zum „Winterjournal“.



„Winterjournal“ von Paul Auster ist der erste Teil seiner Biografie. Ein Jahr später folgte der zweite Teil, „Bericht aus dem Inneren“.



Es ist eine Biografie, die Spuren folgt, die das Leben auf dem eigenen Körper hinterlassen hat. Es sind nicht nur Narben und Blessuren auf der Haut, sondern es sind auch Narben des Lebens. Jeder erinnert sich an diese „Unfälle“, weil sie Narben auf unserem Körper hinterlassen haben, die mit Schmerzen verbunden waren. Es ist mit seinen Worten: Eine Phänomenologie des Atmens und es ist ihm ein Bedürfnis, die Worte jetzt niederzuschreiben.



Paul Auster gibt sich in vielen einzelnen Episoden, die er aus der Erinnerung heraus erzählt, zu erkennen, indem er sich öffnet und dem Leser Details seines Lebens preisgibt. Ehrlich und ungeschönt, manchmal geradezu exhibitionistisch beschreibt er, was er erlebte. Es sind weniger die einzelnen Geschehnisse, die beeindrucken, sondern es sind, die Gedanken und Erinnerungen, die er dazu beiträgt.



Zwiegespräch

Als Erstes fiel mir die Erzählperspektive auf. Paul Auster wählte die zweite Person Singular, also das „Du“.



Das gesamte Buch wird aus dieser Perspektive erzählt. Der Autor war 64 Jahre alt, als er „Winterjournal“ schrieb. Es handelt sich um keine Erzählung, ich betrachte es als ein Zwiegespräch mit sich selbst. Auf mich wirkt es, als ob er sich selbst auf Geschehnisse aufmerksam macht und es erstaunt wahrnimmt. Beispiele:



Er weist sein fiktives Du darauf hin, wann er das erste Mal gedanklich jemanden getötet hat.



Der Leser sieht, wie tiefsinnig und reflektiert Paul Auster mit seinen Erinnerungen umgeht.



Wie zuverlässig sind diese Erinnerungen? Oft verknüpft er diese mit Sinneseindrücken. Nur diese merkt man sich. Verletzungen, Schmerzen körperlicher, aber auch seelischer Art. Einer seiner ersten bewussten Erlebnisse war, dass ihm das Nachbarskind den Spielzeugrechen auf seinen Kopf schlug, als er selbst erst drei oder vier Jahre alt war.



Schuld ist ein zentrales Thema

Es geht um Schuld. Mit 52 Jahren war er mit seiner Frau, seiner 15-jährigen Tochter und dem Familienhund mit dem Auto auf dem Heimweg. Doch die Autofahrt endete mit einem schweren Unfall. Obwohl er keine Schuld trug, setzte er sich danach nie mehr ans Steuer.



Er offenbart Schnipsel seines Lebens, Er macht sich selbst auf Erinnerungen aufmerksam. Es geht um familiäre Geheimnisse oder auch Abgründe.



Verlust

Es geht um Verlust bzw. den Umgang mit Verlust. Es beginnt mit dem oben schon angedeuteten Verlust des geliebten Hundes. Der Leser erfährt seine Trauer und den Umgang mit dem Tod des Vaters und den Tod der Mutter. Vor allem seine Mutter nimmt einen großen Teil des Buches ein.



Wie geht man damit um, wenn man erfährt, dass man innerhalb weniger Wochen sterben muss, ohne die Möglichkeit daran etwas ändern zu können. Paul Auster thematisiert das fiktiv, indem er sich über einen Film, der davon handelt, identifiziert.



Der Winter naht!

Der Winter naht! Der Winter, die letzte der Jahreszeiten, bevor das Jahr zu Ende geht. Es wächst nichts mehr. Die Blüte und Fülle ist vergangen. Ich denke, deswegen hat Paul Auster den Namen „Winterjournal“ gewählt, was ich sehr passend finde. Paul Auster spricht schonungslos ehrlich über zahlreiche Liebesbeziehungen. Es waren nie oberflächliche „One-Night-Stands“. Er sucht immer die Begegnung mit dem Menschen hinter den Äußerlichkeiten. Auch das Aufwachsen seines Sohnes auf erster Ehe und der Tochter schildert er liebevoll.



Die Liebe

Und dann geschieht es, dass er Siri Hustvedt begegnet und er weiß, er ist dort, wo er immer hin wollte. Dieses Buch ist ein einzigartiges Bekenntnis zu seiner Frau. Es ist ein Liebesbrief, wie man ihn kaum schöner hätte entwerfen können. Er preist ihre Schönheit, ihre Herzenswärme und ihre Intelligenz, ohne schmalzig oder übertrieben zu wirken. Und man spürt sein Erstaunen und die ihn beruhigende Erleichterung, dass sie tatsächlich seine Gefährtin ist.



Ein Buch, das Herz und Seele berührt

Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst bald 60 werde und mir, seit einiger Zeit täglich bewusst ist, dass ich keine Zeit mehr vergeuden darf.



Ich habe beim Lesen nicht den Schriftsteller, sondern den Menschen Paul Auster kennengelernt.