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Veröffentlicht am 02.09.2019

Ein Leseerlebnis der besonderen Art

Teufelskrone
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Rebecca Gablé nimmt in ihrem neuesten Band der Waringham-Saga den Leser mit auf eine Reise in eine höchst interessante Epoche. Und wie wir es bereits aus den Vorgängern kennen, verquickt sie auf ihre unnachahmliche ...

Rebecca Gablé nimmt in ihrem neuesten Band der Waringham-Saga den Leser mit auf eine Reise in eine höchst interessante Epoche. Und wie wir es bereits aus den Vorgängern kennen, verquickt sie auf ihre unnachahmliche Weise belegbare historische Tatsachen der englischen Geschichte am Beispiel der Plantagenêts mit der fiktiven Familiengeschichte der Waringhams.

Zeitlicher Hintergrund für „Teufelskrone“ ist der Zeitraum zwischen 1192 bis 1216. Und es sind zwei jüngere Brüder, die im Zentrum der Handlung stehen. Auf der einen Seite Yvain, Sohn eines verarmten Landadeligen aus dem Süden Englands, auf der anderen John, Sohn von Henry II. und Eleonore von Aquitanien, Bruder von Richard Löwenherz. Und wie sich im Verlauf der Geschichte herausstellen wird, ist deren Schicksal untrennbar miteinander verbunden.

Wir erleben die letzten Jahre der Regentschaft König Richards, beobachten die Entwicklung seines Nachfolgers auf dem Thron, König John Ohneland, zum grausamen Despoten und nehmen an Feldzügen auf französischem Boden teil. Unbarmherzig gegenüber jedem, der seine Pläne kreuzt, mordet er nicht nur treue Untergebene aus seinem direkten Umfeld sondern schreckt auch nicht davor zurück, seinen Neffen Arthur eigenhändig zu töten. Er geht über Leichen, alles zum Zwecke des Machterhalts und zur Sicherung seiner „von Gott gegebenen Stellung“. Es ist die Gier, die ihn beherrscht, ob nach Frauen, Alkohol oder Ländereien, wobei letztere ihm die Exkommunikation und dem englischen Volk das Interdikt einbringt. Aber in seine Regierungszeit fällt auch die Magna Charta, die den Untertanen einen gewissen Schutz gegen Willkür durch ihre Lehnsherren gewährt und die Rechte und Pflichten des Adels festlegt. Wobei man natürlich festhalten muss, dass dies nicht auf Betreiben des Königs sondern durch äußere Notwendigkeiten geschehen ist.

Aber auch Yveins Leben ist wechselnden Strömungen unterworfen. Als fünfzehnjähriger Junge von seinem taktierenden Vater in die Obhut des Prinzen gegeben, erlebt er dessen Aufstieg und Regentschaft sehr zwiespältig. Anfangs noch bewundernd, später hadernd mit dessen Unberechenbarkeit und Unbarmherzigkeit. Heute Günstling, morgen persona non grata. Immer im Zwiespalt, immer auf der Hut. Sein Leben lang.

Die Autorin hält sich eng an die historischen Fakten, berücksichtigt aber auch die Ergebnisse der aktuellen Forschung und entzaubert so speziell den Mythos vom „edlen Ritter“ Richard Löwenherz. Dass John von der Geschichtsschreibung nicht geliebt wurde, liegt auf der Hand und ist wahrscheinlich zum einen seiner unbändigen Egozentriertheit, zum anderen aber auch seiner Brutalität im Umgang mit all denjenigen, die er als seine Feinde betrachtet hat, begründet. Dazu dann noch seine offen ausgelebte Promiskuität und die Nichtbeachtung der von der Kirche vorgegebenen Regeln – das hat ihm nicht viele Freunde eingebracht.

Natürlich gewichtet Gablé Ereignisse unterschiedlich, schmückt das eine aus und behandelt das andere nur am Rande. Dazwischen lockern dann immer wieder interessante Abschnitte zur Not der Leibeigenen in der damaligen Zeit und Abstecher zu den einzelnen Familienmitgliedern der Waringhams die Story auf, was den Lesefluss spürbar positiv beeinflusst. Man will ja schließlich wissen, wie sich bestimmte Beziehungen bzw. Personen entwickeln. Strahlende und/oder integere Helden sucht man in „Teufelskrone“ vergeblich. Dafür gibt es Liebe und Triebe, unerwartete Schicksalsschläge und Katastrophen, die ganze Bandbreite des menschlichen Lebens. Alles vertreten. Manches vorhersehbar, anderes völlig überraschend, aber immer im Gesamtzusammenhang passend.

Akkurat mit den historischen Fakten, die Personen und deren Beziehungen sehr gut charakterisiert, das Setting so anschaulich beschrieben, dass man sich jedes Detail vorstellen kann - einmal mehr ist Rebecca Gablé mit „Teufelskrone“ ein praller historischer Roman gelungen, der ein außergewöhnliches Leseerlebnis bietet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Figuren
Veröffentlicht am 01.09.2019

Sucht auf Rezept

Dopesick
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Der Gesetzgeber hat lange unbeteiligt zugesehen, aber nun endlich bewegt sich etwas. Vergangene Woche wurde Johnson & Johnson zu einer Geldstrafe von 572 Millionen Dollar verurteilt. Begründet wurde dieses ...

Der Gesetzgeber hat lange unbeteiligt zugesehen, aber nun endlich bewegt sich etwas. Vergangene Woche wurde Johnson & Johnson zu einer Geldstrafe von 572 Millionen Dollar verurteilt. Begründet wurde dieses Urteil damit, dass ihre abhängig machenden Schmerzmittel mitverantwortlich für die Drogenkrise in den Vereinigten Staaten sind. Aber natürlich läuft ein Berufungsverfahren. Gleichzeitig gibt es Gerüchte über Vergleichsverhandlungen des Pharmakonzerns Purdue und dessen Eignerfamilie Sackler, Hersteller des Schmerzmittels OxyContin, gegen die rund 2000 Klagen anhängig sind. In der Gesamtsumme geht es dabei um ca. 12 Milliarden Dollar.

400.000 Todesfälle zwischen 1999 und 2017, in 2018 pro Tag ca. 250 Tote in den USA durch ihre Schmerzmittelsucht. Das ist der Stoff, aus dem sich Beth Macys „Dopesick“ speist, die auf ihrer Reise durch die USA Betroffene und Hinterbliebene besucht und befragt hat. Fast alle eint der Fakt, dass ihnen die Opioide erstmalig von ihren Ärzten verschrieben wurden. Ärzten, denen Vertreter des Pharmagiganten Purdue ab 1996 weisgemacht haben, dass sie mit OxyContin ein wahres Wundermittel gegen Schmerzen auf den Markt gebracht hätten. Wobei die verheerenden Nebenwirkungen natürlich verschwiegen und die Risiken heruntergespielt wurden. Denn natürlich drehte sich alles um den Profit.

Ganz gleich ob Stadt oder Land, Arbeitsloser oder Akademiker, die Abhängigkeit zieht sich durch sämtliche gesellschaftlichen Schichten. Und nicht selten folgt dem Medikament, der Opioid-Abhängigkeit, der Umstieg auf Heroin. Die Geschichten ähneln sich allesamt. Sie zeigen beeindruckend nicht nur das Ausmaß sondern auch die Auswirkungen der Sucht, nicht nur auf den Einzelnen sondern auch auf die Gesellschaft. Aber es gibt auch Licht am Ende des Tunnels, denn gerade die Konsumenten, die sich aus der Sucht befreit haben, bekämpfen deren Verursacher nun mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. Im Kleinen wie im Großen.

Die Lektüre von „Dopesick“ macht traurig, aber auch wütend. Wütend, weil so lange weggeschaut wurde. Wütend, weil gerade unter Trump die Profite, nicht nur von Big Pharma, über das Wohl der Menschen gestellt werden. Wütend, weil diese Konzerne unantastbar scheinen.

Aber nun das Urteil gegen Johnson & Johnson. Der Anfang ist gemacht.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Spionagethriller der anderen Art

Dead Lions
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Sie sind zurück, die „lahmen Gäule“, die ausgemusterten MI5-Agenten, die man im Hauptquartier aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr haben will und deshalb mit mehr oder weniger vorgeschobenen ...

Sie sind zurück, die „lahmen Gäule“, die ausgemusterten MI5-Agenten, die man im Hauptquartier aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr haben will und deshalb mit mehr oder weniger vorgeschobenen Begründungen aus dem aktiven Dienst entfernt und ins Slough House abgeschoben hat. Darauf hoffend, sie so mürbe zu machen und zur Kündigung zu bewegen, weil sie irgendeinem ambitionierten Agenten im Weg stehen. Louisa, Shirley, Catherine, Min, River, Roderick, Marcus, und allen voran Jackson Lamb, der den Laden zusammenhält und, man mag es kaum glauben, über ausgeprägte Instinkte verfügt, weshalb er auch äußerst misstrauisch ist, als er vom Tod eines früheren Kollegen erfährt, mit ihm aktiv als „Kalten Krieger“ in Berlin. Und nun Herzinfarkt in einem Bus, auf einer Strecke, die so überhaupt nicht in sein Bewegungsprofil passt. Ein mysteriöser Eintrag auf dessen Handy, dazu schlampige Untersuchungen der Zentrale, um den Todesfall ohne Aufsehen schnell abzuhandeln und zu den Akten zu legen. Lambs ungute Ahnung verstärkt sich, als auch noch zwei seiner Mitarbeiter zum Schutz eines russischen Oligarchen abgezogen werden, der London besucht. Etwas ist im Busch, und das hat mit den „Löwen“ zu tun, die offenbar doch nicht so reglos vor sich hin schlafen…

Was Mick Herrons Agenten-/Spionagethriller auszeichnet ist der erfrischend andere Blick auf die Geheimdienstaktivitäten der britischen Military Intelligence Organisation. Gespickt mit einer gehörigen Portion Ironie präsentiert er seinen spannenden Thriller, der ganz ohne die strahlenden Helden à la James Bond und Konsorten auskommt, die wir üblicherweise aus diesem Genre kennen. Sämtliche Personen wirken trotz oder gerade wegen ihrer Macken sympathisch, authentisch und überzeugend, man nimmt ihnen ihr Handeln jederzeit ab. Dazu ein überzeugender Plot, nicht nur mit viel Liebe zum Detail sondern auch den kritischen Untertönen, auf die so viele seiner Autorenkollegen, speziell in diesem Genre, gerne verzichten. Jede Menge Ironie und schräger Humor runden das Ganze ab und machen aus diesem komplexen Spionagethriller der anderen Art ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 28.08.2019

Spannend und authentisch

Tod in Porto
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Kriminalromane von deutschen Autoren, die in Portugal verortet sind, gibt es einige, aber leider meist von zweifelhafter Qualität. Die einzigen, die mich bisher überzeugen konnten, waren die drei Leander-Lost-Krimis ...

Kriminalromane von deutschen Autoren, die in Portugal verortet sind, gibt es einige, aber leider meist von zweifelhafter Qualität. Die einzigen, die mich bisher überzeugen konnten, waren die drei Leander-Lost-Krimis von Gil Ribeiro (aka Holger Karsten Schmidt), deren Handlungsorte ausnahmslos an der östlichen Algarve zu finden sind. Umso gespannter war ich auf Mario Limas „Tod in Porto“, dieser Hafenstadt an der Atlantikküste im Nordwesten, nach Lissabon zweitgrößte Stadt Portugals und wirtschaftliches und industrielles Zentrum. Denn auch dort gibt es offenbar jede Menge kriminelle Aktivitäten, die Inspektor Fonseca samt Team einiges an Ermittlungsarbeit abverlangen. Der deutsche Autor lebt schon lange in Portugal, was sich äußerst positiv auf die Authentizität seiner Schilderungen auswirkt.

Ein toter Brasilianer, ein Video mit drastischem Bildmaterial, verschickt an sieben weitere Empfänger, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Aber Fonseca lässt nicht locker, auch wenn er dafür seine Ermittlungen in der Unterwelt der malerischen Küstenstadt durchführen muss. Und was er dort erfährt, gefällt ihm überhaupt nicht. Es ist das Primeiro Comando da Capital, eine brasilianische Organisation mit mafiösen Strukturen, die mit brutaler Gewalt ihre Ziele durchsetzt. Sowohl in Portugal, als auch in ihrem Heimatland. Und wer sich mit deren Mitglieder anlegt, spielt mit seinem Leben…

Ich bin ein großer Fan von Romanen, deren Thematik an die gesellschaftspolitische Realität angelehnt ist und mich zu weiteren „Nachforschungen“ anregt. Und das ist Mario Lima mit diesem Krimi gelungen. Dass es durch die koloniale Vergangenheit Portugals Beziehungen zu Brasilien gibt, ist/war zu vermuten. Allerdings war mir nicht klar, dass auch die brasilianische Mafia sich in der portugiesischen Unterwelt tummelt und nicht nur dort über jede Menge Einfluss verfügt, sondern auch in Politik und Wirtschaft Fäden zieht.

Das Team ist sympathisch, die Story schlüssig aufgebaut und vermittelt neben spannender Unterhaltung jede Menge Erkenntnisgewinn. Dabei erzählt Lima aber nicht staubtrocken, sondern sehr lebendig mit viel trockenem Humor und Lokalkolorit.

Eine klare Empfehlung - nicht nur für Portugal-Urlauber sondern auch die Daheimgebliebenen!

Veröffentlicht am 27.08.2019

Wie Phönix aus der Asche...

Messer (Ein Harry-Hole-Krimi 12)
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…steigt Harry Hole diesmal nicht empor. Wer dachte, dass Harry Hole sämtliche Talsohlen der menschlichen Existenz bereits durchschritten hätte, sieht sich getäuscht. Ihm geht es dreckig, richtig schlecht. ...

…steigt Harry Hole diesmal nicht empor. Wer dachte, dass Harry Hole sämtliche Talsohlen der menschlichen Existenz bereits durchschritten hätte, sieht sich getäuscht. Ihm geht es dreckig, richtig schlecht. Nix mehr mit harmonischem Privatleben, dafür volle Kanne Selbstzerstörung.

Wieder einmal der Griff zur Flasche. Sein Privatleben liegt in Trümmern, Rakel hat ihn vor die Tür gesetzt, seinen Dozentenjob hat er verloren. Nur gut, dass Katrine Bratt, mittlerweile seine Chefin, ihn zurückgenommen und ein Auge auf ihn hat, ihm etwas zu tun gibt. Denn seine Fähigkeiten als grandioser Ermittler hat er noch nicht verloren.

Ein Killer hinterlässt eine blutige Spur und Harry nimmt Witterung auf. Die Morde ähneln denen eines Täters, den er aus der Vergangenheit kennt, den er verhaftet hat. Aber wenn er glaubt, dass sich mit dessen Überführung wieder alles zum Guten wendet, sitzt er einem Irrtum auf. Denn es kommt für ihn viel schlimmer, als er es sich jemals hätte vorstellen können…

Mit „Messer“ sind wir mittlerweile beim zwölften Band der Reihe, und obwohl es einige Muster gibt, die wir bereits, wie auch zahlreiche Personen, aus den Vorgängern kennen, hat Jo Nesbø doch noch den einen oder anderen Pfeil im Köcher, mit dem er seine Leser überrascht. Der Plot mit den beiden parallel verlaufenden Handlungssträngen ist gelungen, sorgt für Tempo, bringt Abwechslung und hält das Interesse hoch. Und dennoch gibt es auch Längen, besonders dann, wenn Hole über das Leben philosophiert, im Selbstmitleid badet. Bereits zur Genüge bekannt aus den Anfangsbänden der Reihe. Hier wäre weniger mehr gewesen, hätte der Qualität dieses Krimis nicht geschadet. Aber das ist meckern auf hohem Niveau. Ganz besonders dann, wenn man sich anschaut, was die skandinavischen Krimis, die seit geraumer Zeit die Buchhandlungen und Bestseller-Listen fluten, im Vergleich zu bieten haben. Von daher…volle Punktzahl!