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Veröffentlicht am 25.10.2019

die Welt durch andere Augen sehen

Wir sehen dich sterben
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„Der Läufer ging nicht. Er rannte. Er rannte um sein Leben.“ [12]

Der Beginn des Romans „Wir sehen dich sterben“ von Michael Meisheit ist rasant und spannend. Der Prolog erzeugt aber nicht nur Spannung, ...


„Der Läufer ging nicht. Er rannte. Er rannte um sein Leben.“ [12]

Der Beginn des Romans „Wir sehen dich sterben“ von Michael Meisheit ist rasant und spannend. Der Prolog erzeugt aber nicht nur Spannung, sondern gibt auch das Tempo für die ganze Geschichte vor. Man merkt sehr schnell, dass sich die Charaktere nicht ausruhen dürfen.
Wie wäre es, wenn man die Welt durch andere Augen sehen könnte? Der Sehnerv übermittelt die Bilder mit einer Geschwindigkeit von einem Mbit/s direkt zum Gehirn. Doch was wäre, wenn diese Informationen nicht nur dort ankommen, sondern auch als Stream live auf einer Internetseite zur Verfügung stehen würde? Faszinierend, spannend, bedenklich oder gar angsteinflößend? Und dann sieht man dort eine Person sterben. Man ist live dabei, kann aber nicht in die Handlung direkt eingreifen. Und genau hierum geht es in dem Thriller von Meisheit. Wie so oft, startet vieles mit einer Forschung und dem Ziel etwas zu verbessern, bis jemand auf die Idee kommt, die neue Erkenntnis für andere Zwecke einzusetzen.
Man sollte gar nicht glauben, dass Meisheits Werk sein erster Thriller ist. Durch seinen flüssigen Schreibstil, die Ausführungen, die wechselnden Perspektiven, wird der Spannungsbogen konstant hochgehalten. Der Leser folgt den rastlosen Charakteren im Buch und die Seiten fliegen nur so dahin. Man ist gefesselt, kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Spannung pur und mittendrin immer die entscheidende Frage: wer steckt hinter all den Geschehnissen? Man darf sich durchaus an der Ermittlung nach dem Drahtzieher beteiligen. Aber nicht allzu viel Zeit lassen. Denn auch der Mörder steht unter Zeitdruck. Es ist ein spannendes Spiel um die Zeit. Wer wird das nächste Opfer?


Veröffentlicht am 05.09.2019

Wahnsinnig gut

Die Einsamkeit der Seevögel
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„Die klare und messbare Sprache der Phänomene – das ist es, was ich brauche. Eine Sprache die unerschütterliche Tatsachen schafft.“ [14]


Gøhril Gabrielsen schickt in ihrem Roman „Die Einsamkeit der Seevögel“ ...

„Die klare und messbare Sprache der Phänomene – das ist es, was ich brauche. Eine Sprache die unerschütterliche Tatsachen schafft.“ [14]


Gøhril Gabrielsen schickt in ihrem Roman „Die Einsamkeit der Seevögel“ eine namenlose Protagonistin mitten im Winter in den äußersten Zipfel Norwegens. Und während die Wissenschaftlerin, am Ende der Welt, dabei ist, die Vögel zu erforschen, sieht sie sich in der Einsamkeit mit ihren Ängsten, Fragen, Problemen konfrontiert und muss sich mit eben diesen auseinandersetzen.

„Beweggründe für meinen Rückzug in die Einsamkeit. Gründe, ebenso verborgen wie das Leben in den Meerestiefen da draußen.“ [37]

Gabrielsen schreibt sehr pointiert, spannend und atmosphärisch. Man spürt förmlich die raue Natur, die vorherrschende Stille der Einsamkeit und ist von der Sprache ganz eingefangen. Die Autorin zeichnet ein faszinierendes Setting und lässt die Protagonistin einiges durchleben. Was dabei der Wirklichkeit entspricht oder der Phantasie der Wissenschaftlerin lässt sich nicht genau klären. Vieles verschwimmt fließend im Laufe der Zeit.
Die am Anfang vorherrschende positive Stimmung wandelt sich zusehends. „Im Einklang mit der mich umgebenden Natur werde ich mich entfalten, regelrecht aufblühen.“ [8] Mehr und mehr nimmt die Spannung zu und die Gedankenwelt wird beständig düster, wirkt bedrohlich, gar zerstörend. "So löscht es (Natur) mich nach und nach aus". Je länger die Hauptfigur in der Einsamkeit verweilt, umso mehr sieht sie sich bedroht. „Mein Status hat sich von gefährdet zu ernsthaft bedroht verschoben.“ [118]

„Die Einsamkeit der Seevögel“ ist ein sprachlich exzellenter Roman, den man langsam lesen sollte, um tief in die Gedankenwelt abzutauchen. Das im Insel Verlag erschienene Buch wirft viele Fragen bei den Leser*innen auf, beantwortet diese leider aber nicht, was dem offenen Ende geschuldet ist. Und wieder einmal steht man vor der Frage: Realität oder Phantasie? Ist alles nur ihrer eigenen Wahnwelt geschuldet? Sind die Wahrnehmungen der Protagonistin nur Phantasiebilder, die sich mit der Realität decken?

„Ich frage mich, ob wirklich ich es bin, die ich da sehe.“ [137]

Die Autorin liefert ein packendes Buch, in dem nichts so ist, wie es scheint. Bei all den Fragen ist eines sicher: Man bleibt auch Tage nach dem Lesen mit seinen Gedanken bei diesem Roman hängen.

Veröffentlicht am 26.08.2019

viel böser Zauber

Mucho Mojo
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„Auf dieser Welt gibt es das Böse. Das echte Böse. (Es) läuft auch nich in Schwarz und auf Zehenspitzen rum, und es is unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht. Manchmal entspringt das Böse aus guten Quellen. ...

„Auf dieser Welt gibt es das Böse. Das echte Böse. (Es) läuft auch nich in Schwarz und auf Zehenspitzen rum, und es is unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht. Manchmal entspringt das Böse aus guten Quellen. Manchmal tarnt es sich mit vielen guten Fassaden.“ [314]

„Mucho Mojo“ von Joe R. Lansdale ist der zweite Band zu der Reihe "Hap Collins & Leonard Pine“. Ich beziehe mich hier wieder auf die limitierte Taschenbuchausgabe des Golkonda Verlags.

Tja, was soll man sagen? Der erste Teil konnte mich begeistern, der zweite Teil ebenfalls. Wie ich schon bei dem ersten Band geschrieben hatte: „Zwischen der ganzen Gewalt, dem amüsanten Teil, der kurzweiligen Geschichte, steckt zwischen den Zeilen auch Gesellschaftskritik.“ Dies alles trifft abermals voll und ganz zu und zeigt sich auch an dem folgenden Zitat:

„In welcher Polizeiära die Mordserie angefangen hat. Damals lag die Wertschätzung für Minderheiten unter Null, und das is heute vielleicht nich viel anders.“ [207]

Diesmal lässt Lansdale seine beiden Charakteren der Frage nachgehen, was schlimmer ist: „Das vermüllte Haus eines Onkels zu erben, mitsamt Kinderleiche im Keller, oder Nachbarn, die dummdreiste Drogendealer sind?“ [Zitat Cover]

Und Hap und Leonard wären nicht sie selbst, wenn sie nur tatenlos zusähen und die Füße stillhielten. Sie mischen sich ein, wühlen auf, haben klare Statements, auch wenn die Durchführung der angestrebten Lösungen manchmal besser verlaufen könnte.

„Die Gegend hier braucht was Praktisches …. Und keinen Glaubenskram mehr. Kurse zur Verhütung und zur Krankheitsvorsorge, so was wird gebraucht.“ [115]

So ungleich die beiden sind, so zeigt sich doch anhand der Beiden, dass Freundschaft über Grenzen hinweg gilt.

„Ich machte mich ein bisschen über Leonard lustig, nur um zu zeigen, wie gern ich ihn hatte. Seine Antwort war ein ausgestreckter Mittelfinger, was so viel hieß wie: Ich mag dich auch.“ [98]

Fazit: Meine neue Lieblingsreihe geht in Runde zwei und man darf wieder gespannt mitfiebern.
„Die Sache stinkt immer mehr nach Agatha Christie, und mit Rätseln kenn ich mich nich aus.“ [151]

Veröffentlicht am 19.08.2019

Ein Märchen für „Kinder“ ab 16 Jahren

Das Labyrinth des Fauns
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"Die schlimmsten Ängste sind immer direkt unter uns, verborgen, den Boden erschütternd, den wir uns so fest und sicher wünschen." [167]

Es war einmal ein Film, der spielte in „Francos sauberem Spanien“ ...


"Die schlimmsten Ängste sind immer direkt unter uns, verborgen, den Boden erschütternd, den wir uns so fest und sicher wünschen." [167]

Es war einmal ein Film, der spielte in „Francos sauberem Spanien“ [149] der 1944er Jahre. Ein Märchen wie es seinesgleichen sucht, von einem Regisseur, der einem im Gedächtnis blieb, der etwas Grandioses erschaffen hat. Ein paar Jahre Später….

Was vielen als „Pans Labyrinth“ von Guillermo del Toro bekannt ist, kommt nun als "Das Labyrinth des Fauns" in Buchform zu uns. Cornelia Funke hat dabei ganze Arbeit geleistet. In meinen Augen hat sie das Oscar prämierte Meisterwerk hervorragend umgesetzt. Man taucht sofort in Ofelias Welt ab, begibt sich mit der Protagonistin auf eine nicht leichte Reise, die teils grausam, blutig, schockierend daher kommt. Trotzdem ist man gefesselt. Man kann gar nicht das Werk aus der Hand legen, um etwas zu verschnaufen. Kurze Kapitel, unglaublicher Ideenreichtum und der bild- und wortgewaltige Schreibstil liefern ein herrliches Setting.

Carmen Cardoso glaubte an das gefährlichste aller Märchen: An das, in dem der Prinz kommen und sie retten würde. [14]

Dass nicht immer ein Prinz kommt und die Geschichte zu einem glücklichen Ende bringt, lässt es hier del Toro spüren. Dafür gibt er uns einen Einblick in ein düsteres Spanien, und in eine fantastische Welt des Fauns, in die sich auch Ofelia flüchtet.

"Geheimnisse. Sie vertiefen die Dunkelheit der Welt, doch sie wecken auch den Wunsch in uns, mehr zu erfahren." [29]

Der Autor bringt in dieser düsteren Geschichte Gesellschaftskritik unter, zeigt oftmals die Grausamkeit der damaligen Zeit. Del Toros Werk zeigt auf ganz besondere Weise, dass man für Freiheit kämpfen muss, sie nicht als gegeben betrachten darf.

„Man zahlt meist einen hohen Preis dafür, dass man die Freiheit wählt.“ [149]

Fazit: Für mich ist es ein faszinierendes Buch, jedoch aufgrund der Thematik und der brutalen Szenen, definitiv kein Jugendbuch. Es ist aufwendig gestaltet, Bilder zeigen einzelne Figuren aus dem Werk. Eine ganz klare Leseempfehlung – für „Kinder“ ab 16 Jahren.

Veröffentlicht am 12.08.2019

Perfektionist trifft saufende künstliche Intelligenz

Der Metropolist
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„Ich sage nur, wenn man die Illusion moralischer Autorität aufgibt, kann man jedes Problem angreifen, ohne mehr Schaden als Gutes zu bewirken.“ [312]

„Der verklemmteste Korinthenkacker in der Geschichte ...

„Ich sage nur, wenn man die Illusion moralischer Autorität aufgibt, kann man jedes Problem angreifen, ohne mehr Schaden als Gutes zu bewirken.“ [312]

„Der verklemmteste Korinthenkacker in der Geschichte des Bundesamts für kommunale Infrastruktur“ [219] Henry Thompson erlebt mit der künstlichen Intelligenz OWEN einiges, wovon er wahrlich nicht zu träumen wagte.

Dem Protagonisten Henry stellt Seth Fried in seinem Roman „Der Metropolist“ die künstliche Intelligenz OWEN zur Seite. „Diese Leute sollten mir dankbar sein, dass ich sie von dem ganzen Terrorismus abgelenkt habe.“ [170]
Quasi als Impulsgeber, als Ergänzung und als denjenigen, ohne den die Geschichte langweilig wäre. Beide Charaktere sind komplett unterschiedlich, und können ohne den anderen nicht agieren, ja funktionieren, da sie einander benötigen. Sei dies bei der Ausführung diverser durch OWEN initiierte Aktionen die er als Projektion gar nicht physisch ausführen kann oder als Übersetzer für Henry.

In diesem Science Fiction Roman wachsen die Charakter zusehends mit ihren Aufgaben, nehmen mit fortschreitender Zeit eine Wandlung an. Fried zeichnet ein interessantes Setting von einer perfekten Welt, das er gerne auf noch mehr Seiten hätte beschreiben können. Sein Schreibstil, Owen und die Gesellschaftskritik, machen das Buch zu einem Lesevergnügen. Humorvoll, ohne unnötige Längen oder Ausschweifungen fesselt das Buch die Leser*innen, zieht sie in den Bann von Metropolis.

Die Geschichte ist so faszinierend und bunt wie das Cover, welches ich mir glatt als DIN A0 Poster aufhängen würde. „Der Metropolist“ ist ein Buch, das aus der Masse hervorsticht, eine spannende und amüsante Geschichte bietet und durchaus auch etwas Gesellschaftskritik übt.