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Veröffentlicht am 15.11.2016

Ein gut recherchierter Psychothriller mit einer guten Grundidee, aber nur leidlich spannend

Mädchentod
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Inhalt:
Tessa Cartwright wurde kurz vor ihrem 17. Geburtstag entführt und auf einem Feld inmitten von Knochen und neben der Leiche eines anderen Mädchens lebendig begraben. Sie ist kaum noch am Leben als ...

Inhalt:


Tessa Cartwright wurde kurz vor ihrem 17. Geburtstag entführt und auf einem Feld inmitten von Knochen und neben der Leiche eines anderen Mädchens lebendig begraben. Sie ist kaum noch am Leben als sie wie durch ein Wunder in letzter Minute gefunden wird. An die Geschehnisse der letzten zweiunddreißig Stunden hat sie keine Erinnerungen mehr und würde selbst das Wenige, an das sie sich noch erinnern kann, am liebsten aus ihrem Gedächtnis verbannen. Den Anblick der erwürgten Collegestudentin und der Knochen der anderen unbekannten Mädchen, mit denen sie begraben wurde, sowie die Blumen, die Schwarzäugigen Susannen, die an ihrem Grab lagen und den namenlosen Opfern ihren Namen gaben, konnte sie allerdings nie vergessen. Tessa ist die einzige Überlebende des Serienmörders, die einzige Schwarzäugige Susanne, die gerettet werden konnte, und erlangte damit traurige Berühmtheit.
Auch siebzehn Jahre später wird sie aufgrund einer halbmondförmigen Narbe, die der Ring eines der anderen Opfer unter ihrem Auge hinterlassen hat, noch immer erkannt. Trotz diverser Therapien sind Tessas Erinnerungen nie zurückgekehrt, aber sie hört noch immer die Stimmen der anderen Schwarzäugigen Susannen, mit denen sie gemeinsam im Grab gelegen hatte. Der Täter konnte allerdings inzwischen gefasst werden und wartet nun im Todestrakt auf seine bevorstehende Hinrichtung. Jedoch hat jemand Schwarze Susannen vor Tessas Fenster gepflanzt und sie erhält außerdem immer wieder rätselhafte Nachrichten, die eigentlich nur vom Täter stammen können. Der vermeintliche Serienmörder soll in wenigen Wochen hingerichtet werden, aber Tessa beschleicht immer mehr der Verdacht, dass ein Unschuldiger verhaftet wurde, der wahre Täter noch immer auf freiem Fuß ist und sein Werk vollenden will. Gemeinsam mit einer Therapeutin, dem Anwalt Bill, der das Wiederaufnahmeverfahren des zum Tode Verurteilten betreibt, und einer Forensikerin begibt sie sich wieder auf die Spurensuche in ihre Vergangenheit, denn sie spürt, dass der wahre Mörder ganz in ihrer Nähe ist.

Meine persönliche Meinung:


Ich habe dieses Buch schon vor ein paar Monaten beim Stöbern in der Verlagsvorschau entdeckt und war so gespannt darauf, dass ich den Erscheinungstermin kaum abwarten konnte. Und so habe ich mich natürlich gefreut, dass ich Mädchentod gleich am Ersterscheinungstag in den Händen hielt und mit dem Lesen beginnen konnte. Nun ja, ein Buch dieses Umfangs lese ich in der Regel sehr schnell, aber der Einstieg in die Geschichte fiel mir recht schwer und war leider auch so langatmig, dass ich nicht so recht in Lesefluss kam, das Buch immer wieder zur Seite legte, mich zwischendurch anderen Büchern zuwandte und mehrere Wochen brauchte, um es zu beenden. Dies lag allerdings vor allem am Schreibstil bzw. an der Übersetzung des Textes, denn die Sprache ist so holprig und sperrig, dass das Lesen für mich recht anstrengend war und ich einige Kapitel brauchte, um mich daran zu gewöhnen. Außerdem passiert zu Beginn dieses Psychothrillers einfach recht wenig, sodass es ziemlich lange dauert, bis die Geschichte in Fahrt kommt.
Mädchentod wird abwechselnd in zwei Zeitebenen erzählt und die Kapitel wechseln zwischen den Geschehnissen der Gegenwart, kurz vor der Hinrichtung des vermeintlichen Täters, und den Ereignissen des Jahres 1995, kurz nachdem Tessie gerettet wurde. Beide Zeitebenen werden aus der Ich-Perspektive des Opfers geschildert, sodass man nicht nur der damals siebzehnjährigen Tessie, sondern auch der heutigen Tessa sehr nahekommt. Dennoch fiel es mir mitunter recht schwer, mich in die Hauptprotagonistin einzufühlen und ihre Gedankengänge und Handlungen nachzuvollziehen. Dabei ist es der Autorin zunächst wirklich sehr gut gelungen, die traumatischen Erinnerungen, die Tessa an die Stunden kurz vor ihrer Rettung hat, sehr eindrücklich zu beschreiben. Sie erinnert sich nicht an ihre Entführung, sondern nur daran, auf dem Feld inmitten von Knochen und neben der Leiche eines anderen Mädchens begraben worden zu sein, an die Insekten, Ratten und Krähen sowie an die Schwarzäugigen Susannen, also die Blumen, die an ihrem gemeinsamen Grab verstreut wurden. Diese Erinnerungen verfolgen Tessa noch heute, und noch immer träumt sie von den anderen den anderen Opfern des Serienmörders, ihren Schwarzäugigen Susannen, und hört ihre Stimmen. Es war für mich durchaus nachvollziehbar, dass sie diese traumatischen Erlebnisse niemals vergessen konnte, denn Julia Heaberlin hat Tessa sehr fein gezeichnet und gewährt durch die gewählte Ich-Perspektive tiefe Einblicke in ihr Gedanken- und Gefühlswelt.
In den Kapiteln, die im Jahre 1995 spielen, begleitet man Tessa während der Therapiestunden mit ihrem Psychologen und erfährt auch, dass sie bereits mehrere Therapeuten hatte, diese jedoch bisher alle ablehnte. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, was angesichts ihres Schicksals nicht verwunderlich ist, und einige Zeit auch an einer hysterischen Blindheit, also einer dissoziativen Sehstörung, bei der sich das Unterbewusstsein weigert, etwas zu sehen, obwohl die Augen gesund sind. Schwer nachvollziehbar war für mich, dass das Mädchen während dieser Therapiesitzungen so flapsig und aggressiv ist und wirklich nichts auslässt, um ihren Therapeuten zu provozieren. Für ein schwer traumatisiertes Mädchen fand ich ihr Verhalten nicht nur unangebracht, sondern auch nicht besonders glaubwürdig. Ich konnte zwar noch nachvollziehen, dass sie sich einerseits erinnern und ihre Erlebnisse verarbeiten will, andererseits lieber alles verdrängen und vergessen möchte, aber ihre Aggressionen und Provokationen waren für mich unverständlich.
Noch unverständlicher war für mich jedoch ihr Verhalten in der Gegenwart. Der vermeintliche Täter wurde bereits kurz nach ihrer Entführung verhaftet und zum Tode verurteilt. Schon wenige Wochen nach dem Prozess erhält Tessa zum ersten Mal Schwarzäugige Susannen, aber erst siebzehn Jahre später, kurz bevor der Mann, der seit Jahren unschuldig im Todestrakt sitzt, hingerichtet werden soll, kommt sie auf die Idee, dass diese Blumenbotschaften vom wahren Täter stammen könnten. Und nicht nur das, denn selbst nachdem sie endlich beschlossen hat, mit dem Anwalt des offenbar unschuldig Verurteilten den wahren Mörder zu finden, spricht sie mit niemandem über diese Schwarzäugigen Susannen, die über mehrere Jahre hinweg, wo immer sie auch gewohnt hat, vor ihrem Fenster gepflanzt wurden. Das mag verstehen, wer will, aber einleuchtend war dies für mich nicht, zumal sie immer wieder betont, dass sie sehen will, dass ihr „Monster“ stirbt und für seine grauenhaften Taten bestraft wird. Der Spannung des Plots ist dieses fragwürdige Verhalten der Protagonistin natürlich zuträglich, denn die Tage bis zur Hinrichtung sind inzwischen gezählt und so ist der Leser logischerweise sehr gespannt, wie und ob es überhaupt noch gelingen kann, das Leben des unschuldig Inhaftierten rechtzeitig zu retten. Dass er unschuldig ist, steht jedenfalls von Anfang an außer Frage. Obwohl man über diesen Mann, der seit mehr als einem Jahrzehnt unschuldig im Gefängnis sitzt, nur sehr wenig erfährt, war es sein Schicksal, das mich irgendwann am meisten berührte, während Tessa mir häufig ziemlich auf die Nerven ging. Julia Heaberlin erwähnt im Nachwort ihres Thrillers, dass sie sich bei ihren Recherchen nicht nur mit Psychologen und Anwälten, sondern auch mit einem ehemals zu Unrecht inhaftierten Strafgefangenen in Verbindung gesetzt hat, was man in einigen Passagen deutlich merkt und mich sehr beeindruckt und bewegt hat.
Nun, immerhin konnte ich mit der erwachsenen Tessa doch deutlich mehr anfangen, als mit der siebzehnjährigen Tessie. Die Kapitel, bei denen man einen Blick in das Jahr 1995 zurückwirft waren leider auch furchtbar langweilig, haben den Spannungsbogen immer wieder unterbrochen, denn außer den recht sinnlosen und wenig fruchtbaren Gesprächen mit ihrem Therapeuten passiert in diesen Passagen leider absolut nichts. Im Nachhinein betrachtet machen diese Kapitel zwar durchaus Sinn, aber da sich in ihnen dasselbe Szenario unendlich wiederholt, hätten sie nicht in dieser Ausführlichkeit und Regelmäßigkeit den gegenwärtigen Handlungsverlauf unterbrechen müssen.
Die Kapitel, die in der Gegenwart spielen waren nämlich durchaus spannend, da man die bedrohliche Situation, in der sich Tessa und ihre Tochter befinden, spürbar war und man eben auch hofft, dass der unschuldig zum Tode Verurteilte noch rechtzeitig gerettet werden kann.
Sehr interessant war hierbei auch, wie die Arbeit der Forensikerin geschildert wurde, die die sterblichen Überreste der anderen Opfer untersucht und versucht, den Schwarzäugigen Susannen, die bereits vor siebzehn Jahren ermordet wurden, eine Identität und einen Namen zu geben. Man merkt deutlich, dass die Autorin für diesen Thriller sehr akribisch recherchiert und sich umfassend über Methoden der Identifizierung von Leichen- und Knochenfunden informiert hat. Ich bin immer sehr beeindruckt, wenn sich Autoren die Mühe machen, für ihre Bücher gut zu recherchieren, denn das macht einen Thriller einfach glaubwürdiger.
Trotzdem war Mädchentod nur leidlich spannend und nahm erst gegen Ende richtig Fahrt auf. Die Auflösung des Falls war durchaus überraschend und nicht vorhersehbar, da die Autorin immer wieder falsche Fährten streut und der Leser eben nur die Perspektive der Hauptprotagonistin kennt, die ebenfalls im Dunkeln tappt und keine Erinnerungen mehr an die Geschehnisse hat. Leider bleiben auch am Ende noch zu viele Fragen offen, sodass mich dieses Buch mit einem ziemlich unbefriedigenden Gefühl zurückließ.
Die gute Recherchearbeit und die Einblicke in die Forensik sowie die teilweise sehr tiefgründigen Gedanken zur Rechtspraxis der Todesstrafe haben mich wirklich überzeugt. Auch die bedrohliche Situation, in der sich Tessa befindet, wurde sehr eindrücklich und nachvollziehbar geschildert. Die Idee, die diesem Psychothriller zugrunde liegt, hatte durchaus Potenzial, aber leider konnte mich die Umsetzung nicht so recht überzeugen und in weiten Teilen hat mir leider auch die Spannung gefehlt.

Veröffentlicht am 04.11.2016

Ein überaus spannender Thriller, dem es jedoch leider an Glaubwürdigkeit fehlt

Ihr letzter Sommer
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Inhalt:
Im Sommer 2003 verschwand die damals sechzehnjährige Rebecca Winters und konnte trotz einer großangelegten Suchaktion nie gefunden werden. Elf Jahre später greift die Polizei bei einem Ladendiebstahl ...

Inhalt:


Im Sommer 2003 verschwand die damals sechzehnjährige Rebecca Winters und konnte trotz einer großangelegten Suchaktion nie gefunden werden. Elf Jahre später greift die Polizei bei einem Ladendiebstahl eine junge Rumtreiberin auf, die vorgibt, die verschwundene Rebecca zu sein. Da sie einer Bestrafung entgehen will und weiß, dass sie der Vermissten zum Verwechseln ähnlich sieht, erzählt sie den Beamten, sie sei damals entführt worden und wolle nun wieder nach Hause zu ihrer Familie. Ihr Plan scheint aufzugehen, denn Rebeccas Familie empfängt sie mit offenen Armen und ist froh, die verloren geglaubte Tochter endlich wiederzuhaben.
Die junge Frau schlüpft nun in die Rolle des vermissten Mädchens, trägt ihre Kleidung, trifft sich mit Rebeccas alten Freunden, lebt allerdings auch in der ständigen Angst, dass ihr falsches Spiel auffliegen könnte. Doch je länger sie im Haus der Familie lebt und je mehr sie sich mit der tatsächlich Vermissten zu identifizieren versucht, umso rätselhafter erscheint ihr das Verhalten der Familienmitglieder und Freunde. Sie versucht mehr über das Mädchen herauszufinden, dessen Leben sie jetzt lebt und kommt allmählich hinter das erschreckende Geheimnis um Rebeccas Verschwinden.

Meine persönliche Meinung:


Thriller über verschwundene Kinder gibt es wie Sand am Meer, und auch die Idee, dass sich Jahre nach dem Verschwinden, ein anderer für das vermisste Kind ausgibt, ist nicht gerade neu, sodass ich gespannt war, wie innovativ Anna Snoekstra diese Thematik in ihrem Thrillerdebüt Ihr letzter Sommer umsetzen wird. Neu war für mich nämlich, dass man als Leser schon von vornherein weiß, dass es sich bei der jungen Frau nicht um das seit elf Jahren vermisste Mädchen handelt. Und so war ich natürlich neugierig, ob es diese Rumtreiberin schaffen wird, die Polizei und vor allem die Familie der Vermissten davon zu überzeugen, wirklich Rebecca zu sein. Besonders spannend war jedoch die Frage, was der Sechszehnjährigen damals passiert ist, warum sie verschwand und ob sie überhaupt noch am Leben ist.
Der Thriller wird in zwei Handlungssträngen erzählt, denn man begleitet nicht nur diese namenlose junge Frau, die nun die Identität des vermissten Mädchens annimmt, sondern wirft auch einen Blick in die Vergangenheit und zu den Ereignissen, die sich elf Jahre zuvor kurz vor Rebeccas Verschwinden zugetragen haben. Während die aktuellen Geschehnisse aus der Ich-Perspektive der vermeintlich zurückgekehrten Vermissten geschildert werden, werden die zurückliegenden Ereignisse aus der personalen Perspektive von Rebecca erzählt. Trotz der Ich-Perspektive, die eigentlich eine besondere Nähe zur Hauptprotagonistin schaffen müsste, eignet sich diese junge Frau kaum als Identifikationsfigur. Da die Autorin ihr keinen Namen gegeben hat und auch ihre Herkunft nur sehr schwammig beschrieben wird, blieb sie mir über das ganze Buch hinweg fremd. Man lernt sie im Grunde nur in ihrer Rolle als Rebecca Winters kennen, die sie allerdings nicht gerade überzeugend spielt. Anfangs hatte ich noch ein wenig Verständnis für diese Frau, da sie sich offenbar nach der Liebe einer Mutter sehnt und nun bei Rebeccas Familie Geborgenheit zu finden glaubt, aber im weiteren Verlauf der Erzählung wurde sie mir zunehmend unsympathischer. Sie entpuppt sich nämlich nicht als eine liebesbedürftige junge Frau, sondern als äußerst oberflächliche, egozentrische und einfältige Person, die ihr bisheriges Leben offenbar nur mit Partys und diversen Männerbekanntschaften verbracht hat und sehr unbedarft durchs Leben ging. Schon kurz nachdem sie zu Rebeccas Familie gebracht wird, begibt sie sich auf die Suche nach einem adäquaten Liebhaber. Besonders wählerisch ist sie dabei nicht, denn eigentlich kommt für sie jedes männliche Wesen, dem sie in ihrer neuen Umgebung begegnet, hierfür in Betracht, selbst Rebeccas Brüder. Immerhin sieht sie ein, dass es eine schlechte Idee wäre, sich ausgerechnet mit einem ihrer vermeintlich leiblichen Brüdern einzulassen, aber ansonsten denkt sie recht wenig über ihre vorgetäuschte Identität nach. Sieht man davon ab, dass es äußerst geschmacklos ist, sich für ein seit Jahren vermisstes Mädchen auszugeben, stellt sie sich dabei auch unglaublich dämlich an. Auf die Idee, sich etwas eingehender mit dem Leben der Person zu befassen, in deren Rolle sie geschlüpft ist, kommt sie erst, als sie befürchtet, dass ihr falsches Spiel auffliegen könnte. Es dauert jedenfalls recht lange bis sich dann doch die ersten Skrupel regen und sie allmählich eine innere Wandlung vollzieht.
Doch auch die wahre Rebecca, die man während der Rückblenden in die Vergangenheit kennenlernt, wollte mir nicht so recht ans Herz wachsen. Ihr kann man immerhin zugutehalten, dass sie zum damaligen Zeitpunkt erst sechszehn Jahre alt war, aber besonders liebenswürdig ist sie nicht. Auch unter ihren Freunden und Familienmitgliedern konnte ich keinen einzigen Sympathieträger ausmachen. Ich finde es nicht tragisch, wenn Romanfiguren unsympathisch sind, denn wenn sie gut ausgearbeitet sind, sind gerade das häufig die interessantesten Charaktere. Allerdings nehme ich es einem Autor ein wenig übel, wenn seine Protagonisten unglaubwürdig sind, ihr Verhalten keinen Sinn macht und nicht nachvollziehbar ist. Wenn jemand verschwindet und elf Jahre später wieder auftaucht, würde vermutlich irgendjemand aus dem Familien- oder Freundeskreis irgendwann auf die Idee kommen, mal nachzufragen, wo diese Person in all den Jahren war und was ihr damals zugestoßen ist. Selbst wenn man das Ende dieses Thrillers kennt, macht das Verhalten einiger Protagonisten keinen Sinn und ist weder logisch noch nachvollziehbar, denn kein Mensch würde sich so verhalten. Dieser jungen Frau kommt es natürlich gelegen, dass sich niemand für ihre vermeintliche Entführung und ihren Aufenthaltsort der letzten Jahre interessiert, sondern man sie einfach in Ruhe lässt und zum Alltag übergeht, aber glaubwürdig ist das nicht. Außer dem Polizisten, der bereits elf Jahre zuvor in dem Vermisstenfall ermittelte, stellt jedenfalls niemand lästige Fragen und selbst er gibt entnervt auf, als sie einfach behauptet, sich an nichts mehr erinnern zu können, was für mich ebenfalls etwas unglaubwürdig war. Auch als sie sich weigert, sich wegen ihrer vorgetäuschten Amnesie in ärztliche Behandlung zu begeben oder einem DNA-Test zuzustimmen, wird niemand stutzig, obwohl sich ein Entführungsopfer diesbezüglich sicher kooperativer zeigen würde.
Allerdings trägt das rätselhafte, mitunter auch absurde Verhalten der Figuren enorm zum Spannungsaufbau bei, denn ich hätte wirklich jedem Protagonisten zugetraut, an Rebeccas Verschwinden schuld zu sein, sie entführt oder gar ermordet zu haben. Immer wieder wird der Verdacht also auf eine andere Person gelenkt, sodass ich bis zum Ende der Geschichte keine Ahnung hatte, was dem Mädchen zugestoßen sein könnte oder ob es womöglich gar nicht mehr am Leben ist. Eines muss man diesem Thriller nämlich lassen – die Spannungskurve steigt von Seite zu Seite kontinuierlich an und reißt bis zum Schluss nicht ab. Immer wieder kommt es zu überraschenden Wendungen, sodass ich jeden Verdacht erneut verwerfen musste und das Ende für mich wirklich vollkommen unvorhersehbar war. Leider war es auch sehr überkonstruiert, und wenn man den Ausgang der Geschichte dann kennt, offenbaren sich im Nachhinein bedauerlicherweise auch ein paar kleine Logikbrüche.
Anna Snoekstras Debüt ließ sich jedoch sehr schnell und flüssig lesen, denn der Schreibstil der Autorin ist sehr angenehm und es gelingt ihr auch, die Spannung stets aufrechtzuerhalten. Und so war Ihr letzter Sommer für mich ein fesselnder, durchaus solider und unterhaltsamer Thriller für Zwischendurch, dem es jedoch leider an psychologischer Tiefe und Glaubwürdigkeit fehlte.

Veröffentlicht am 27.10.2016

Temporeicher Actionthriller mit Gruselatmosphäre

Creepers
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Inhalt:
Der Geschichtsprofessor Robert Conklin und drei seiner ehemaligen Studenten sind sogenannte „Creepers“ bzw. „Urban Explorers“, also Menschen, die heimlich in verlassene und dem Verfall preisgegebene ...

Inhalt:


Der Geschichtsprofessor Robert Conklin und drei seiner ehemaligen Studenten sind sogenannte „Creepers“ bzw. „Urban Explorers“, also Menschen, die heimlich in verlassene und dem Verfall preisgegebene Gebäude eindringen, um die Relikte der Vergangenheit zu erkunden und sie zu dokumentieren. Ihre aktuelle Expedition, zu der Conklin auch den Reporter Frank Balenger eingeladen hat, führt sie nach Asbury Park ins Paragon Hotel. Dieses ehemals pompöse Luxushotel wurde vor mehr als hundert Jahren erbaut, steht seit über dreißig Jahren leer und soll nun bald abgerissen werden. Streng nach der Devise, nichts am Zustand des einst belebten Hotels zu verändern, sondern seinen Verfall nur zu dokumentieren, dringen die fünf eines Nachts durch einen unterirdischen Tunnel in das heruntergekommene Gebäude ein. Gemeinsam erkunden sie nun die Räume, die noch immer die Spuren der letzten Hotelgäste und auch die des recht skurrilen Erbauers und Hotelbesitzers Morgan Carlisle tragen, der nach der Schließung weiterhin in seinem Hotel gelebt hat, es nie verließ und schließlich Selbstmord beging. Der marode Zustand des Gebäudes macht die Entdeckungstour zu einem sehr gefährlichen Unterfangen. Doch die eigentliche Gefahr lauert nicht hinter den bröckelnden Wänden, unter einstürzenden Decken und auf morschen Treppen, denn die fünf Creepers müssen zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie nicht alleine sind. Das Gebäude wird zur tödlichen Falle, und die Expedition entwickelt sich zu einem grauenhaften Alptraum, aus dem es kein Entrinnen mehr zu geben scheint.

Meine persönliche Meinung:


Verlassene und vergessene Gebäude, sogenannte „Lost Places“ finde ich unglaublich interessant und spannend. Der morbide Charakter, der diesen verfallenen Gemäuern innewohnt, fasziniert mich sehr, denn der Verfall dieser Häuser, die sich die Natur Stück für Stück zurückerobert und in denen trotzdem noch immer die Reste des Lebens, das einst in ihnen herrschte, zu sehen sind, ist nicht nur geheimnisvoll und mystisch, sondern teilweise auch sehr ästhetisch. Da sogar das Inventar häufig zurückgelassen wurde, scheint es fast, als würden die Menschen, für die diese Gegenstände einst eine Bedeutung hatten, noch immer an diesen Orten leben und seien nur kurz gegangen. Und so bieten diese verlassenen Gebäude, seien es Wohnhäuser, Villen, Industrieanlagen oder Kliniken, einen viel authentischeren, ehrlicheren und vor allem unmittelbareren Blick auf die Vergangenheit, als es Museen oder sanierte Bauwerke jemals könnten. Leider werden viele solcher Lost Places durch Vandalismus zerstört und aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen. Sobald sie zum Ausflugsziel erkoren werden, wie etwa die Beelitz-Heilstätten – der wohl berühmteste Lost Place in Deutschland – oder die ersten Archäologen und Denkmalschützer diese Gebäude erforschen, ist der Charme dieser Orte natürlich dahin, denn dieser beruht eben gerade darauf, dass diese Bauten verlassen, vergessen und sich selbst überlassen wurden. Menschen, die von solchen Gebäuden fasziniert sind, sie aus historischem Interesse erkunden und dokumentieren oder die Ästhetik des Verfalls und die verblassende Schönheit einstiger Prachtbauten auf Fotografien festhalten wollen, nennt man „Urban Explorers“ oder „Creepers“. Die goldene Regel der Urban Explorers ist es, den verlassenen Ort genau in dem Zustand zu belassen, in dem er vorgefunden wurde, also nichts zu verändern, zu zerstören oder gar mitzunehmen, sondern sich die Relikte der Vergangenheit nur anzuschauen und sie zu fotografieren. Trotzdem ist Urban Exploration eigentlich illegal, da es sich dabei – zumindest wenn keine offizielle Genehmigung vorliegt – um Hausfriedensbruch handelt. Außerdem ist es auch nicht ganz ungefährlich, denn die Decken können einstürzen, Treppen und Fußböden einbrechen. Obwohl mich solche Gebäude faszinieren, ist diese Freizeitbeschäftigung für Angsthasen wie mich eher ungeeignet, sodass ich es dabei belasse, mir die teilweise wirklich wunderschönen Bildbände anzusehen oder eben Bücher wie Creepers von David Morrell zu lesen.
Als ich den Klappentext gelesen hatte, musste ich das Buch einfach lesen. Ich habe einen gruseligen Thriller mit Mystery-Elementen erwartet, denn zweifellos sind solche verlassenen Gebäude natürlich nicht nur historisch interessant, sondern vor allem sehr geheimnisvoll und gruselig, zumal sich um viele verlassene Häuser düstere und schaurige Geschichten ranken. Im Nachwort seines Thrillers berichtet der Autor, dass auch er ein Creeper sei und ihn Lost Places schon seit seiner Kindheit magisch anziehen. Diese Faszination spürt man auch deutlich im ersten Drittel dieses Buches. Ich hätte problemlos weitere tausend Seiten an der Seite von Professor Conklin und seinen vier Begleitern durch das verlassene Paragon Hotel wandeln können. David Morrell versteht es wirklich ausgezeichnet, dieses Gebäude vor den Augen des Lesers Gestalt annehmen zu lassen und die gruselige Atmosphäre, die ihm innewohnt, perfekt zu inszenieren. Man kann den modrig faulen Geruch förmlich riechen und spürt, wie der aufgewirbelte Staub, der sich seit Jahrzehnten auf dem Inventar angesammelt hat, im Hals kratzt. Der Autor hat dieses Haus auch mit einer interessanten und bizarren Vergangenheit versehen, die eng mit der Geschichte des ehemaligen Hotelbesitzers verwoben ist, der eine äußerst skurrile Persönlichkeit war. Er hat dieses Hotel erbaut und aufgrund einer Krankheit bis zu seinem Tod niemals verlassen. Das Hotel war seine Möglichkeit, trotzdem am Leben anderer Menschen teilzuhaben, indem er seine Hotelgäste genauestens beobachtete und so zum Zeuge ihrer Schicksale, Geheimnisse und Perversionen wurde. Als er die Pforten seines Hotels schloss, ließ er die Hotelzimmer in dem Zustand, in dem die letzten Gäste sie verließen, sodass die fünf Creeper dort einige überaus verstörenden Entdeckungen machen. Ich erwischte mich dabei, dass ich vor jeder Tür, die sie öffneten, den Atem anhielt, weil ich es kaum erwarten konnte, zu erfahren, was sich dahinter verbergen mag und gleichzeitig auch Angst hatte, welche schrecklichen Dinge sie dort erwarten werden. Hinzu kommt, dass das Gebäude so marode ist, dass jeder Schritt gefährlich werden kann, da die Fußböden und Treppen von Fäulnis zerstört wurden und einstürzen können.
Nun war mir schon klar, dass irgendetwas passieren wird und es der Autor sicher nicht dabei bewenden lässt, den Leser an der Seite dieser fünf Protagonisten einfach nur durch dieses verwunschene Hotel zu führen. Irgendwann merken sie jedenfalls, dass sie durchaus nicht allein in diesem verlassenen Gebäude sind, und die Handlung nimmt eine überraschende Wendung. Das Hotel wird zur tödlichen Falle, als sie sich gegen andere Eindringlinge zur Wehr setzen müssen, die sich keineswegs aufgrund ihrer Faszination für verlassene Gebäude in das Haus geschlichen haben. Auch innerhalb der Gruppe treten nun plötzlich völlig andere Motive zutage, als nur historisches Interesse an der Vergangenheit. Und nicht nur das – sie müssen auch feststellen, dass das Hotel seit dem Tod des Erbauers keineswegs unbewohnt war und jemand weder sie noch die anderen Eindringlinge lebend aus dem Gebäude lassen wird. Nun geht es nur noch darum, in diesem Labyrinth voller Geheimgänge einen Weg nach draußen zu finden, sich gegen alle Feinde erfolgreich zur Wehr zu setzen und diesem Alptraum zu entkommen.
Es wäre vielleicht schlau gewesen, wenn ich mich im Vorfeld über den Autor informiert hätte, denn mir sagte sein Name bislang leider gar nichts. David Morrell gilt als der Vater des modernen Actionthrillers und hat auch die Figur Rambo erfunden. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich auch nicht gewundert, dass sich das Buch von einem anfänglich schaurigen Mysterythriller zum rasanten Actionthriller mit viel Krawumm entwickelt. Zweifellos ist der Autor ein Meister dieses Genres und versteht es, Spannung aufzubauen und einen turbulenten, actiongeladenen Plot zu konstruieren, denn ich fühlte mich wie im Kinosessel, während ein brutaler Actionfilm über die Leinwand rauscht. Leider kann ich weder diesen Filmen noch solchen Büchern viel abgewinnen. Obwohl die Kulisse natürlich nach wie vor großartig war, blieben die gruseligen und düsteren Momente nach der ersten Wendung einfach aus und wurden durch ein temporeiches Action- und Katastrophenszenario ersetzt. Wie es bei diesem Genre wohl üblich ist, gibt es einen Helden, der nahezu unbesiegbar ist, während die anderen Protagonisten blass bleiben. Außer zu Frank Balenger, der keineswegs Reporter, sondern wie Rambo Kriegsveteran und somit natürlich kampferfahren ist, konnte ich zu keinem der Protagonisten eine Bindung aufbauen. Auch die anderen Eindringlinge sind vollkommen konturlos und so klischeeüberladen, dass sie, obwohl der Autor jeden mit einem Namen und einem recht auffälligen Äußeren ausgestattet hat, kaum zu unterscheiden sind. Einen wahren Sympathieträger auszumachen, wollte mir jedenfalls nicht gelingen. Nun gut, man muss die Protagonisten eines Romans auch nicht mögen, aber dies führte eben dazu, dass mir nahezu egal war, ob sie diese Nacht im Paragon Hotel nun überleben oder nicht. Logischerweise überstehen nicht alle diesen brutalen Alptraum, aber an Leichen hat David Morrell in seinem Thriller ohnehin nicht gespart. Ich muss allerdings zugeben, dass Creepers von der ersten bis zur letzten Seite spannend war und ich in Höchstgeschwindigkeit durch das Buch geflogen bin, da einfach auf jeder Seite etwas Unerwartetes passiert und der Autor zahlreiche, wenn auch sehr überkonstruierte Wendungen eingebaut hat. Mir fehlte in der zweiten Hälfte lediglich die düstere Gruselatmosphäre, die David Morrell am Anfang seines Thrillers so gekonnt aufgebaut hat und mir häufig Gänsehaut bescherte. Was den Schauplatz anbelangt, war dieses Buch wirklich grandios, wer rasante und brutale Actionthriller mag, wird Creepers sicher lieben, aber mir wäre etwas weniger Action und etwas mehr Grusel einfach lieber gewesen.

Veröffentlicht am 19.09.2016

Ein eindrücklicher Endzeit-Roman mit sehr guten Ansätzen, aber leider auch einigen Schwächen

Am Ende aller Zeiten
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Mit Am Ende aller Zeiten von Adrian J Walker startete Fischer TOR, das neue Science-Fiction- und Fantasy-Imprint der S. Fischer Verlage, nun kürzlich sein Programm. Momentan habe richtig Lust auf gute ...

Mit Am Ende aller Zeiten von Adrian J Walker startete Fischer TOR, das neue Science-Fiction- und Fantasy-Imprint der S. Fischer Verlage, nun kürzlich sein Programm. Momentan habe richtig Lust auf gute Dystopien und war deshalb sehr neugierig auf dieses Buch. Es fällt mir nun allerdings nicht leicht, diesen Roman zu rezensieren, weil er mich mit etwas gemischten Gefühlen zurückließ.
Adrian J Walker hat im Grunde ein für das Genre typisches endzeitliches Szenario entworfen und dystopische Elemente einfließen lassen, die man auch von anderen Büchern dieses Genres kennt. Die Welt, wie man sie bisher kannte, existiert nicht mehr, wurde durch eine Naturkatastrophe vollkommen zerstört, und nun müssen sich die wenigen Menschen, die die Apokalypse überlebt haben, in dieser Welt zurechtfinden.
Der Leser lernt den Hauptprotagonisten Ed vor der Katastrophe kennen, erlebt an seiner Seite das Asteroideninferno mit und begleitet ihn dann auf seinem Weg durch diese zerstörte Welt. Im Zentrum des Romans steht vor allem die Entwicklung dieses Protagonisten, denn die Katastrophe verändert die Menschen, die sie überlebt haben. Allerdings nicht unbedingt zum Guten, denn Ed muss feststellen, dass sich die Menschen bereits verändern, als sich die Katastrophe ankündigt und ist auch von seinen eigenen Verhalten irritiert.
Dem Autor ist es sehr gut gelungen, die Situation während der herannahenden Gefahr sehr eindrücklich zu schildern, sodass man sich als Leser unwillkürlich fragt, wie man sich selbst verhalten würde, wenn man wüsste, dass sich eine Naturkatastrophe dieses Ausmaßes anbahnt. Würde man anderen helfen und dafür sein eigenes Leben riskieren? Oder denkt man in solchen Momenten nur an sich selbst und würde alles versuchen, nur sein eigenes Leben und das seiner Liebsten zu retten? Als die ersten Asteroiden einschlagen, muss Ed diese Entscheidung treffen, denn er ist einer der wenigen in seiner Nachbarschaft, der einen Keller hat.
Während das Inferno über Edinburgh hinwegfegt und Ed mit seiner Familie im Keller seines Hauses gefangen ist, wird ihm zum ersten Mal bewusst, dass er in jeglicher Hinsicht versagt hat und kaum in der Lage ist, seine Kinder zu beschützen. Er hat weder genügend Nahrungsmittel mit in den Keller genommen noch für ausreichend Wasservorräte gesorgt. Doch erst als er nach der Evakuierung von seiner Familie getrennt wird, erkennt er, dass er seine Frau und seine Kinder wirklich liebt. Er reflektiert sein bisheriges Leben und erkennt, dass er ein miserabler Vater und Ehemann war.
Schon nach den ersten Kapiteln ahnt man also, worauf das Buch eigentlich hinausläuft – auf die Läuterung des Helden, der sich erst angesichts der Katastrophe bewusst wird, dass sein bisheriges Leben, das ihn entsetzlich anödete, eigentlich gar nicht so schlecht war und erst merkt, wie sehr er seine Familie liebt, als er befürchten muss, sie für immer verloren zu haben.
Zwischen ihm und seiner Familie liegen nun mehr als 500 Meilen, alle Straßen sind weitgehend zerstört und ein intaktes Fahrzeug zu finden, ist ohnehin nahezu unmöglich. Problematisch ist allerdings, dass Ed vor der Katastrophe nicht nur ein schlechter Familienvater, sondern ein übergewichtiger, phlegmatischer und vollkommen unsportlicher Couch-Potato war und nun zu Fuß diese Strecke von mehr als 800 Kilometern bewältigen muss. Wenn er seine Familie jemals wiedersehen will, muss es ihm gelingen, in knapp drei Wochen Cornwall zu erreichen, denn sonst sind die Schiffe, mit denen ganz Großbritannien evakuiert werden soll, weg und seine Familie für immer verschwunden. Und so macht er sich mit einer kleinen Gruppe von Überlebenden auf den Weg. Schon nach kurzer Zeit stößt sein untrainierter Körper natürlich an seine Grenzen, aber sein Wille und die Liebe zu seiner Familie lässt ihn dennoch Tag für Tag durchhalten.
Auf dem Weg nach Cornwall trifft die Gruppe immer wieder auf andere Überlebende, aber die Menschen haben sich verändert, sich auf unterschiedliche Weise mit dem Leben in einem zerstörten Land arrangiert oder sich in recht bizarren Gruppen zusammengefunden. Da eine staatliche und gesellschaftliche Ordnung vollkommen fehlt, herrscht im Grunde völliges Chaos, Anarchie und das Recht des Stärkeren. Während manche Überlebende einfach nur ihren Verstand verloren zu haben scheinen, haben die meisten inzwischen jegliche Form von Zivilisiertheit und Moral abgelegt und machen es Ed und seinen Begleitern schwer, ihren Weg fortzusetzen. Nur selten können sie auf Hilfe hoffen und geraten häufig in gefährliche Situationen. Ich war immer wieder gespannt, wessen Weg die kleine Gruppe noch kreuzen wird, denn diese Begegnungen mit anderen Überlebenden waren überaus verstörend. Für mich waren dies die spannendsten Passagen des Romans, denn der Autor zeigt hier sehr gute Ansätze, vergaloppiert sich aber immer wieder und spinnt die Fäden, die er aufgenommen hat, leider nie zu Ende.
Stattdessen gibt es zwischen diesen Begegnungen endlos lange Textpassagen, in denen nur das Laufen im Mittelpunkt steht. Man merkt deutlich, dass Adrian J Walker eine besondere Affinität zum Laufsport hat, denn der zuvor vollkommen untrainierte Ed entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer wahren Sportskanone und findet so großen Gefallen am Laufen, dass er sogar fast schon traurig ist, als die Gruppe kurzfristig ein paar Meilen mit einem Fahrzeug zurücklegen kann. Laufen ist für Ed nicht einfach nur die einzige Möglichkeit, so schnell wie möglich zu seiner Familie zu gelangen, sondern wird für ihn zu einer Form der Meditation. Und so ist das Buch in weiten Teilen eine Hommage an den Laufsport und trägt im Englischen deshalb auch den durchaus passenderen Titel The End of the World Running Club. Inwiefern es realistisch ist, dass ein übergewichtiger Mann, der noch nie im Leben Sport getrieben hat, innerhalb von wenigen Tagen solche sportlichen Höchstleistungen vollbringen kann, sei mal dahingestellt. In Notsituationen und aus Liebe kann man sicherlich ungeahnte Kräfte mobilisieren, inwiefern dies jedoch auch unter Nahrungsmittelentzug und ohne die nötige Zufuhr von Flüssigkeit möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Mag sein, dass Laufen für viele Menschen ein durchaus spirituelles Erlebnis sein kann, aber angesichts dieses endzeitlichen Szenarios wirkt Eds plötzliche Begeisterung für den Laufsport leider vollkommen deplatziert. Mir gingen diese endlosen Passagen, in denen Ed einfach nur läuft, übers Laufen reflektiert und es quasi zur Religion erhebt, furchtbar auf die Nerven, denn sie sind leider auch ziemlich langweilig und lassen den Spannungsbogen immer wieder abreißen.
Adrian J Walker hat Ed sehr präzise und fein gezeichnet und legt sein Augenmerk vollkommen auf die Entwicklung seines Hauptprotagonisten, der nicht nur erkennt, dass er ein lausiger Vater und Ehemann war und seine Familie, die ihn vor der Katastrophe nur genervt hat, eigentlich unendlich liebt, sondern im Verlauf der Geschichte auch vom Phlegmatiker zum begeisterten Marathonläufer wird. Während ich Ersteres noch durchaus nachvollziehbar fand, hat mir Letzteres den Spaß am Lesen doch ein bisschen genommen. Die Katastrophe macht Ed in jeglicher Hinsicht zu einem besseren Menschen, lässt ihn über sich hinauswachsen, verleiht seiner vormals sinnentleerten Existenz endlich einen Sinn und ist somit ja fast schon ein Segen, was ich schon ein wenig befremdlich fand. Auch wenn mir Ed vor dem Inferno nicht gerade sympathisch war, war er zumindest authentisch angelegt, büßt seine Glaubwürdigkeit jedoch im weiteren Verlauf der Handlung immer mehr ein.
Alle anderen Protagonisten können der Katastrophe jedenfalls nicht so viel Positives abgewinnen und außer Ed scheint auch keiner von ihnen geläutert zu sein. Leider hat der Autor den Menschen, die Ed auf seinem Weg durch Großbritannien begleiten, nur wenig Kontur verliehen. Lediglich Bryce, ein etwas ungehobelter Biker, der jedoch sein Herz am rechten Fleck hat, vermochte es, mir ans Herz zu wachsen, während alle anderen recht blass und fremd blieben.
Walkers Erzählstil hat mir jedoch sehr gut gefallen, denn er ist sehr eindringlich und lässt sich flüssig lesen. Bis zur Mitte war der Roman auch überaus spannend und hat mich wirklich gefesselt. Die Beschreibung der zerstörten Landschaft und die Begegnungen mit anderen Überlebenden waren sehr eindrücklich, verstörend und gelungen. Einige wirklich hervorragenden Ansätze konnten mich ebenfalls überzeugen, wären sie nicht ebenso im Sande verlaufen, wie die spannende Handlung dieser Dystopie, die gegen Ende manchmal geradezu ins Absurde abrutscht. Das Ende hat mich dennoch ein wenig versöhnlich gestimmt, hatte durchaus Tiefe und überraschte mit einer unvorhersehbaren Wendung, aber leider hat mich zu vieles an diesem Roman gestört, um Am Ende aller Zeiten uneingeschränkt weiterempfehlen zu können.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Sehr einfühlsam und psychologisch ausgefeilt, aber leider etwas vorhersehbar und langatmig

In guten wie in bösen Tagen
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Es fällt mir nicht leicht, In guten wie in bösen Tagen von Jamie Mason zu rezensieren und diesem Buch mit wenigen pauschalisierenden Worten gerecht zu werden, denn es war gänzlich anders als ich es mir ...

Es fällt mir nicht leicht, In guten wie in bösen Tagen von Jamie Mason zu rezensieren und diesem Buch mit wenigen pauschalisierenden Worten gerecht zu werden, denn es war gänzlich anders als ich es mir anhand des Klappentextes vorgestellt hatte. Teilweise war ich enttäuscht, weil meine Erwartungen nicht erfüllt wurden, aber manche Aspekte haben mich auch sehr positiv überrascht. Erwartet hatte ich einen fesselnden Psychothriller, der mich in die Abgründe menschlicher Seelen führen würde und bekommen habe ich das erschütternde Psychogramm einer Ehe und die Verarbeitung einer problematischen Kindheit.
Das ganze Buch wird aus der Ich-Perspektive der Hauptprotagonistin Dee erzählt. Somit erhält der Leser natürlich sehr tiefe Einblicke in Dees Gedanken- und Gefühlwelt. Der Autorin ist es sehr gut gelungen, eine äußerst vielschichtige und dreidimensionale Protagonistin zu gestalten, in die ich mich sehr gut einfühlen konnte. Der Leser begleitet Dee während der Autofahrt zu einem Ort, an dem sie sich erhofft, endlich herauszufinden, warum und von wem sie seit Monaten verfolgt wird und weshalb ihr Leben vollkommen aus den Fugen zu geraten scheint. Während der Fahrt führt sie eine Art inneren Dialog mit ihrer verstorbenen Mutter, reflektiert über die Ereignisse der letzten Monate, ihre Vergangenheit und lässt ihr ganzes bisheriges Leben noch einmal Revue passieren. Sie erinnert sich an ihre unkonventionelle Kindheit, ihren Wunsch, dieses gefahrenvolle Leben an der Seite ihrer Mutter endlich hinter sich zu lassen und ihre Hoffnung, in Patrick einen soliden Mann gefunden zu haben, mit dem sie ein ruhiges Leben führen kann, ohne ständig mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen. Doch als sie über die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit nachdenkt, erkennt sie, dass sich ihre Hoffnungen nicht erfüllt haben und erlangt auch die Gewissheit, dass sie es den ungewöhnlichen Erziehungsmaßnahmen ihrer Mutter und ihrer Kindheit in ständiger Alarmbereitschaft zu verdanken hat, dass sie Warnsignale und Gefahren frühzeitig erkennen kann. Dabei kommt sie auch zu der sehr schmerzhaften Überzeugung, dass ihr Ehemann Patrick nicht der ist, der er vorgab zu sein und gelangt auch zu der ernüchternden Erkenntnis, dass ihre Ehe ganz grundsätzlich auf falschen und vollkommen unterschiedlichen Erwartungen beruhte.

" Ich hatte Patrick ausgewählt, weil er für etwas stand, nicht wegen dem, der er war."

So wie Dee ihren Mann beschreibt, würde ich ihn als furchtbaren Langweiler bezeichnen, aber Dee sehnte sich geradezu nach etwas Langeweile oder zumindest nach Beständigkeit, Sicherheit, Ruhe und vorhersehbaren und zuverlässigen Strukturen, denn all das kannte sie vor ihrer Begegnung mit Patrick nicht. Während dieser Autofahrt erkennt sie, dass die Wahl ihres Ehemannes im Grunde eine Art Rebellion gegen ihre Mutter war, muss aber auch zugeben, dass ihre Mutter ihr sehr wertvolle Ratschläge auf den Weg gab und die erlernten Fähigkeiten ihr nun geholfen haben, herauszufinden, was ihr Mann im Schilde führt. Und so verarbeitet sie bei dieser Fahrt auch ihre mitunter schwierige Kindheit, schließt Frieden mit ihrer verstorbenen Mutter und nimmt innerlich Abschied. Mich haben Dees Gedanken tief berührt, denn auch wenn ihre Kindheit nicht einfach war und die Geheimnisse, die ihre Mutter umgaben, Dee sehr belastet haben, klagt sie ihre Mutter nicht an, sondern ist erfüllt von Dankbarkeit und auch sehr schönen und liebevollen Kindheitserinnerungen.
Ich muss zugeben, dass es mir nicht leichtfiel, mich in dieses Buch einzufinden, denn es dauert recht lange, bis die Geschichte in Gang kommt. Allerdings hat mich das hohe sprachliche Niveau schon auf den ersten Seiten sehr beeindruckt. Der Schreibstil der Autorin ist für dieses Genre sehr außergewöhnlich, denn er ist teilweise fast poetisch. Allerdings hat mir die Spannung fast vollständig gefehlt. Der Leser begleitet Dee während dieser Autofahrt, erfährt, wie sich ihr Leben in den letzten Wochen verändert hat und wirft einen Blick zurück in ihre Vergangenheit, aber es passiert eben leider nichts. Ich würde dieses Buch keineswegs als Psychothriller, sondern einfach als Roman bezeichnen, denn er weist nahezu keine Thrillerelemente auf. Erst ganz am Ende des Buches, als Dee das Ziel ihrer Fahrt erreicht, kommt es zu einem überraschend actionreichen Showdown, aber ansonsten war dieses Buch leider sehr vorhersehbar und auch ziemlich langweilig.
Für mich war In guten wie in bösen Tagen ein überaus einfühlsames, psychologisch ausgefeiltes Buch, das mich zwar emotional sehr tief berührte, aber leider nicht fesseln konnte.