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Veröffentlicht am 21.09.2019

453 Tage

Fiona: Das tiefste Grab
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Es ist schon lange her, dass es für Fiona Griffiths eine richtige Leiche gab. 453 Tage musste sie warten. Nun wird sie zu dem Todesfalls der Archäologin Gaynor Charteris gerufen. Die Akademikerin wurde ...

Es ist schon lange her, dass es für Fiona Griffiths eine richtige Leiche gab. 453 Tage musste sie warten. Nun wird sie zu dem Todesfalls der Archäologin Gaynor Charteris gerufen. Die Akademikerin wurde von antiken Speeren durchbohrt und enthauptet. Fionas Gehirn beginnt mit der Arbeit. Es gibt keinen Grund, die angesehene Wissenschaftlerin zu töten. Da kann auch ihre Assistentin und Doktorandin Katie nicht weiterhelfen. Leider ist Fionas Chef DCI Jackson auf einem Sabbatical und sein Vertreter hat einen fürchterlichen Bart. Kein Wunder, dass Fiona mal wieder Probleme bekommt. Aber wenn der Mordfall doch etwas mit den auf den ersten Blick unbedeutenden Grabungen zu tun hat.

Noch immer ist das Geheimnis um Fionas Herkunft nicht geklärt und die große Ermittlung ist ins Leere gelaufen. Da kann es Fiona beinahe mit der Angst zu tun bekommen. Doch endlich gibt es einen neuen Fall nach Fionas Geschmack. Ein enthauptete Leiche, die Rätsel über Rätsel aufgibt, und eine Verbindung zu walisischen Geschichte. Mal wieder gräbt Fiona nach unmöglichen Verbindungen und gerät mit ihren speziellen Methoden und verqueren Ansätzen mit ihrem Interrims-Boss aneinander. Dieser muss jedoch relativ schnell einsehen, dass man Fionas Gedanken nicht ganz von der Hand weisen kann.

Bereits zum sechsten Mal kann man sich über Fiona Griffiths’ spitzfindige Überlegungen freuen. Inzwischen wünscht man sich, so langsam möge herauskommen, was es über Fionas wahre Eltern zu wissen gibt und wie das mit ihrem Vater zusammenhängt. Diese Wünsche geraten über den Ermittlungen im Archäologenmilieu schnell in Vergessenheit. Auf den ersten Blick erscheint der Fall doch zu arg weit hergeholt, aber wie der Autor mit der englischen Geschichte und ihren berühmten Artefakten spielt und mit welcher Chuzpe Fiona an die Sache herangeht, ist einfach zu genial und irrwitzig. Natürlich macht das Verbrechen vor nichts halt, auch nicht vor Dingen, die es nicht gibt. Diesen intelligenten und unterhaltsamen Krimi liest man nicht mal eben so weg, zum Glück. So wird er im Gedächtnis bleiben.

Veröffentlicht am 18.09.2019

Schattentiger

Levi
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Levi will überhaupt nicht, dass seine Mutter tot ist. Das macht sie aber auch nicht wieder lebendig. Levi will weder zur Beerdigung, noch will er die Sachen anziehen, die sein Vater ihm bereitgelegt hat, ...

Levi will überhaupt nicht, dass seine Mutter tot ist. Das macht sie aber auch nicht wieder lebendig. Levi will weder zur Beerdigung, noch will er die Sachen anziehen, die sein Vater ihm bereitgelegt hat, Levi will nich, dass seine Mutter beerdigt wird. Levi klaut die Urne und haut ab. So hat seine Mutter zumindest eine ungewöhnliche Trauerfeier. Der 11jährige Levi muss es ertragen, seine Mutter verloren zu haben. Sein häufig abwesender Vater ist keine große Hilfe. Mehr Hoffnung setzt der Junge da auf Vincent, der im selben Haus wohnt oder Kolja, der einen Kiosk betreibt und eigentlich Fotograph ist.

Mit diesem Debüt ist die Autorin für den Aspekte Literaturpreis nominiert und das wohl zurecht. Mit großem Einfühlungsvermögen versetzt sie sich in Levis Welt, die in Trümmern liegt. Ebenso unerträglich wie es für Eltern ist, ihre Kinder zu verlieren, so unerträglich ist es auch für kleine Kinder und Jugendliche ihre Eltern zu verlieren. Aus den Erinnerungen Levis, seinen Gesprächen mit Vincent und Kolja und seinem Misstrauen dem Vater gegenüber entspinnt sich eine Geschichte, die einem die Haare zu Berge stehen lässt. Jeder hat seine eigenen Probleme und Levi hat es besonders arg getroffen. Niemand ist da, an den er sich lehnen kann. Die sehr indirekte Entwicklung des Geschehens verleiht der Story tatsächlich einen besonderen Reiz. Als Leser fühlt man sich in seinem Innersten angesprochen von diesem Jungen, der Unerträgliches ertragen musste. Levi ist mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die für ihn kaum zu fassen ist, die er aber nicht ändern kann. In diesem tollen Roman wird ein Junge viel zu früh in die Welt der Erwachsenen gestoßen. Mit beinahe detektivischen Geschick versucht er, sich selbst die Fragen zu beantworten, die sich nach diesem großen Verlust stellen.

Ein toller Debütroman, der einen etwas überrollt und in weiten Teilen sehr berührt. Die Stimmung des Buches ist ausgesprochen gut eingefangen durch die Leserin des Hörbuchs Jasna Fritzi Bauer.

Veröffentlicht am 08.09.2019

Lieblingsoma

HERKUNFT
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Als der Autor das Mal davor seine Großmutter in Višegrad besucht hat, war sie noch gesund. Energiegeladen ist sie mit ihm in das Heimatdorf des Großvaters gefahren, auf den Berg, wo etliche Stanišićs lebten ...

Als der Autor das Mal davor seine Großmutter in Višegrad besucht hat, war sie noch gesund. Energiegeladen ist sie mit ihm in das Heimatdorf des Großvaters gefahren, auf den Berg, wo etliche Stanišićs lebten und etliche auf dem Friedhof liegen. Doch den Lebenslauf zu seinem Einbürgerungsantrag beginnt er nach vielen Versuchen mit einer Schlittenfahrt. Und eine Erinnerung führt zur nächsten, eine Geschichte zur anderen. Geburt, Flucht, ein Leben als Flüchtling in den 1990ern als aus dem Vielvölkerstaat Jugoslawien viele kleine Staaten wurden.

Irgendwie wiederholen sich die Einwanderungs- und Flüchtlingswellen und leider auch die Reaktionen der Alteingesessenen. Die Fremden sind eben fremd und nicht unbedingt willkommen. Ein Fünkchen Hoffnung könnte der Gedanke geben, dass es doch viele immer wieder geschafft haben. Und jeder eingedenk der wiederholten Wellen, sollte sich jeder erinnern, so wie es der Autor beschreibt, wo seine Herkunft liegt. Nun, so bildhaft und eindringlich wie der Autor wird es einem vielleicht nicht gelingen, aber der Gedanke zählt. Und häufig wird man in der eigenen Vergangenheit oder der der Vorfahren eine Wanderungsbewegung finden. Der Migrationshintergrund ist manchmal alles andere als weit weg. Es könnte ein Anreiz sein, es den Neuankömmlingen etwas leichter zu machen.

Die Schilderungen von Saša Stanišević berühren. Sie pendeln zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Sie beinhalten eine Familiengeschichte wie sie war oder wie sie ungefähr war. Leicht hat es der Junge nicht gehabt, aber er hat sich durchgekämpft, er hat es geschafft. Und irgendwann war die Herkunft irgendwie zweigeteilt. Die Wurzeln der Geburt werden nicht vergessen und doch wird neu verwurzelt. Beim Lesen fühlt man mit. Die Eltern opfern viel für ihren Sohn, er soll es einmal besser haben. Die Oma erdet ihn, sie bleibt die Verbindung in die Geburtsheimat.

Man wird zum Nachdenken angeregt, über die eigene Herkunft. Das Schicksal der eigenen Eltern und Großeltern. Der Schluss liegt mehr als nahe, dass Krieg und Vertreibung nun wahrlich nicht erstrebenswert sind. Doch gibt die Lektüre viel Positives an Kraft und Hoffnung. Und ein Gedenken an die eigene Lieblingsoma.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Der Eröffnungsfilm

Zimmer 19
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Es ist mal wieder Berlinalezeit. Heute soll der Eröffnungsfilm laufen. Der Kinosaal ist gut gefüllt, wie immer an solchen Abenden mit reichlich Prominenz. Allerdings steht dem gespannten Publikum ein Schock ...

Es ist mal wieder Berlinalezeit. Heute soll der Eröffnungsfilm laufen. Der Kinosaal ist gut gefüllt, wie immer an solchen Abenden mit reichlich Prominenz. Allerdings steht dem gespannten Publikum ein Schock bevor, der an denn Weltsicht rüttelt. Anstelle des erwarteten Werkes läuft ein Film, in dem eine junge Frau ermordet wird, zumindest sieht es sehr echt aus. Tom Babylon und seine Kollegen beginnen fieberhaft zu ermitteln. Schließlich scheint in der vermeintlich Getöteten die Tochter des Bürgermeisters Otto Keller erkennbar zu sein.

Auch in seinem zweiten Auftritt hat Kommissar Tom Babylon gemeinsam mit der Psychologin Sita Johanns einen kniffligen Fall zu knacken. Besonders für Sita wird es zu einer Begegnung mit einer Vergangenheit, die sie am liebsten vergessen hätte. Doch auch Tom, der weiterhin nach seiner Schwester sucht, die schon als 10jährige verschwunden ist, muss einiges ertragen. Schwierig werden die Nachforschungen auch durch die Nähe zur Prominenz, die mit gebotener Vorsicht anzupacken ist und aus deren Reihen mitunter gemauert wird. Bald jedoch ist es vorbei mit der Rücksichtnahme, denn es geschieht ein zweites Verbrechen.

Der Autor hat sich hier eines spannenden Themas gewidmet, einem Teil einer DDR-Vergangenheit, den die Betroffenen sicherlich noch nicht überwunden haben. Auch die Verquickung der Beteiligten untereinander ist verwickelt und doch immer präzise geschliffen, da passt jedes Teil. Es bietet sich ein Bild der Vergangenheit, das man vielleicht nicht kennen möchte, das man zum Begreifen zumindest dieses Teils des Systems aber kennen muss. Eindringlich beschrieben sind auch die Bezüge zum persönlichen Umfeld der Ermittler. Auch in deren Gegenwart wirkt die Vergangenheit hinein. Mit diesem mitreißenden Kriminalroman versteht es der Autor, ein brisantes Thema anzupacken und gleichzeitig mit einem packenden Fall zu fesseln. Und am Ende ist klar, dass die Geschichte von Tom Babylon noch nicht auserzählt sein kann.


Veröffentlicht am 31.08.2019

Wie ein Phantom

Berta Isla
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Dass sie heiraten werden war immer klar. Bereits in ihrer Jugend haben sich Berta Isla und Tom Nevinson kennengelernt, sie die waschechte Madrilenin und er halb Engländer, halb Spanier. Doch zunächst geht ...

Dass sie heiraten werden war immer klar. Bereits in ihrer Jugend haben sich Berta Isla und Tom Nevinson kennengelernt, sie die waschechte Madrilenin und er halb Engländer, halb Spanier. Doch zunächst geht es ans Studieren. Berta bleibt dabei in Madrid, Tom geht nach Oxford. Geheiratet wird danach. Doch Tom ist irgendwie anders als er zurückkehrt. Ein Angebot des britischen Geheimdienstes, welcher Toms besondere Sprachbegabung gerne für sich nutzen möchte, hat er abgelehnt. Was also ist geschehen? Nevinson bleibt verschlossen, was das angeht. Und ein wirklicher Grund, die Hochzeit abzublasen, besteht nicht.

Berta und Tom führen eine normale Ehe, die nur dadurch anders erscheint, dass Tom häufiger nach England muss, um gewisse Aufträge durchzuführen, über die er nicht redet. Natürlich macht sich Berta Gedanken, zu in sich gekehrt ist Tom manchmal. Ihr Mann allerdings zerstreut ihre Bedenken. Wieder einmal ist Tom abwesend, da lernt Berta ein Ehepaar kennen, das ihren Verdacht bestärkt. Soll Tom bedroht werden, indem seine Frau bedroht wird? Zum Glück wird das fremde Paar an einen anderen Ort geschickt. In ihrer Sorge wagt es Berta, in England anzurufen.

Javier Marías ist für seine manchmal allzu präzisen Beschreibungen bekannt, dennoch sind seine Romane meist ab einem gewissen Punkt spannend und gut. In seinem hier vorliegenden Werk wird schon zu Beginn Spannung aufgebaut. Die ersten Kapitel sind vor der Hochzeit der beiden Protagonisten angesiedelt und geben dem Leser einen Wissensvorsprung. Damit wird ein Teil des Dilemmas verständlich, in dem Tom steckt. Und Bertas Sorgen und Grübeleien bekommen eine tiefere Dimension. Die Handlung ist zwischen den späten 1960ern und den frühen 1990ern angesiedelt. Es ist die Zeit, in der es beinahe selbstverständlich ist, dass sich die Geheimdienste verschiedener Länder belauern, um größeres Unheil zu verhindern. Da kann eine Frau schon auf den Gedanken kommen, dass die Dienstreisen ihres Mannes in einem ganz anderen Zusammenhang zu sehen sind. Herausragend wie sich der Autor in die immer wieder allein gelassene Ehefrau hineinfühlt und doch auch ihren gebeutelten Mann nicht aus den Augen lässt. Mit diesem kleinen Geniestreich gelingt es dem Autor bis zum Schluss mit Überraschungen aufzuwarten.