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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.10.2019

Familiengeschichte aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg

Heimat ist ein Sehnsuchtsort
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Am besten wird die Autorin selbst aus ihrer Nachbemerkung in dem Buch zitiert, denn sie gibt voll umfänglich wieder, worum es ihr geht und was ihr mit dem Buch auch gelingt: „Zeugnis abzulegen wider das ...

Am besten wird die Autorin selbst aus ihrer Nachbemerkung in dem Buch zitiert, denn sie gibt voll umfänglich wieder, worum es ihr geht und was ihr mit dem Buch auch gelingt: „Zeugnis abzulegen wider das Vergessen, auf dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Zwischen 1914 und 1945 liegen nur einunddreißig Jahre. Wie konnte es innerhalb dieses Zeitraums zweimal zu einem derartigen Weltenbrand kommen?“
Eine Antwort darauf versucht diese Geschichte zu geben, und zwar anhand der deutschen Familie Sadler. Der Vater ist schwer versehrt aus dem ersten Großen Krieg auf den landwirtschaftlichen Hof im Grenzgebiet zu Polen zurückgekehrt, einer seiner Söhne gar nicht mehr. Der jüngste Sohn, eigentlich von einem Leben als Musiker träumend, betreibt die Landwirtschaft notgedrungen weiter gemeinsam mit seiner Ehefrau, die ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit vor ihrer Familie hütet. Zwei Kinder gehen aus der Ehe hervor – die naturwissenschaftlich hochbegabte Kathi – die Protagonistin - und die kranke Franzi. In dem im Fokus stehenden Zeitraum ab Ende der 20er Jahre werden die politischen Veränderungen in Deutschland auch bei ihnen auf dem Land immer spür- und sichtbarer.
Um erneut die Autorin zu zitieren, „ist viel über den Ersten und Zweiten Weltkrieg geschrieben worden“. Trotzdem enthält dieses Buch so manche mir bis dato unbekannte neue Information und Sichtweise, weshalb ich es sehr gerne gelesen habe. Einschränkend möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass etwa das letzte Viertel der Geschichte nicht mehr an den anfänglichen größeren Teil heranreicht. Hier treten Entwicklungen ein, die mir zu unrealistisch und zu weit hergeholt erscheinen. Auch das Thema Spionage, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, gehört in diese mir nicht so recht zusagende Kategorie. Deshalb weiß ich noch nicht so recht, ob ich den für Herbst 2020 angekündigten zweiten Band „Als die Sehnsucht uns Flügel verlieh“ lesen werde. Einerseits will ich natürlich wissen, wie es Kathi in Russland weiter ergeht. Andererseits aber befürchte ich, dass die dann behandelten Themen – Kathis Zusammenarbeit mit den Russen im Wettlauf zum Mond, der Versuch ihrer Mutter, den Ehemann aus einem sibirischen Gefangenenlager zu befreien – mich nicht wirklich packen werden.
In formaler Hinsicht weist das Buch einige schöne Besonderheiten auf: Zitate zu Beginn eines jeden Kapitels, die von Romanfiguren oder wichtigen Personen der Weltgeschichte stammen; eine Landkarte Schlesiens in den Grenzen von 1914 im vorderen und hinteren Bucheinband; Auszüge aus Feldpostbriefen, ein Glossar und eine Zeittafel im Anhang.
Sehr empfehlenswert für Leserinnen und Leser von Familiengeschichten mit Interesse an der deutschen Geschichte.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Roman in E-Mail-Form

Wenn du das hier liest
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Romane mit gegenseitigem Austausch von Briefen, E-Mails o.ä. finde ich immer etwas anstrengend zu lesen, weil ich mich oft über den jeweiligen Absender und Adressaten orientieren muss. Andererseits finde ...

Romane mit gegenseitigem Austausch von Briefen, E-Mails o.ä. finde ich immer etwas anstrengend zu lesen, weil ich mich oft über den jeweiligen Absender und Adressaten orientieren muss. Andererseits finde ich es faszinierend, wie sich nach und nach ein immer detaillierter werdendes Bild über die Romanfiguren herauskristallisiert. Beides gilt auch für die vorliegende Geschichte, in der sich nach dem Tod der krebskranken Iris vor allem ihre Schwester und ihr Chef, die beide nur schwer ihren Tod verkraften, aber auch weitere Beteiligte, austauschen. Anlass ist der ebenfalls in die Geschichte eingewobene Blog, den Iris in ihrem letzten Lebenshalbjahr geführt hat und den sie veröffentlicht wissen wollte. Es ist schön zu lesen, wie Schwester und Chef gegenseitige Stärken und Schwächen aufdecken, Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdecken. Da stellt sich dann sehr bald die Frage, ob aus beiden angesichts ihrer negativen Vorerfahrungen mit Partnern vielleicht ein Paar wird. Die sachlich gehaltenen Blogeinträge wirken überhaupt nicht traurig oder bedrückend, manchmal eher sogar (galgen)humorvoll wie auch so manche andere E-Mail.
Das Buch kann ich empfehlen.

Veröffentlicht am 19.09.2019

Ein beeindruckendes Frauenleben

Olga
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Der Roman erzählt die Liebesgeschichte von Olga und Herbert, die Ende des 19. Jahrhunderts geboren sind und unterschiedlichen sozialen Schichten entstammen. Zeitlich reicht sie bis in die 70er Jahre des ...

Der Roman erzählt die Liebesgeschichte von Olga und Herbert, die Ende des 19. Jahrhunderts geboren sind und unterschiedlichen sozialen Schichten entstammen. Zeitlich reicht sie bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts.
Formal besteht das Buch aus drei Teilen.
Im ersten Teil lernen sich Olga und Herbert kennen und lieben, allerdings sind seine Eltern als reiche Gutsbesitzer aus Pommern gegen die Beziehung, obwohl es das Waisenkind Olga gegen alle Widerstände schafft, Lehrerin zu werden. Die Liebe zu Herbert verlangt ihr eine Menge ab, begibt sich Herbert doch immer wieder auf weite Reisen, die sie zum Warten zwingen, zuletzt im Jahr 1913 auf eine Expedition in die Arktis, von der er nie zurückkehrt.
Im zweiten Teil freunden sich Olga und Ferdinand an, ein Junge aus einer Familie, für die Olga näht. Sie erzählt ihm Vieles aus ihrem Leben.
Der dritte besteht aus einer Anzahl von Briefen, geschrieben von Olga an Herbert und nach Olgas Tod von Ferdinand gefunden. Hier wird so manches aufgeklärt.
Die Sprache klingt für den modernen Leser etwas fremd, passt aber zu der Zeit, in der die Geschichte spielt. Besonders die Briefe im letzten Teil sind so völlig anders abgefasst, als das heute geschehen würde. Sehr interessant sind geschichtliche Aspekte, die einfließen und die die Gegensätzlichkeit von Olga und Herbert zum Ausdruck bringen. Während Herbert fast schon wahnhaft an die Größe Deutschlands glaubt, ist Olga bescheiden und bringt es aus eigenem Ehrgeiz und Antrieb zu mehr im Leben.
Geschichtlich interessierten Lesern sei dieses Buch empfohlen.

Veröffentlicht am 30.08.2019

Die Rache der betrogenen Ehefrau

Das Heinrich-Problem
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Als Coach beruflich betrogenen Ehefrauen mit Rat und Tat zur Seite stehen, ist eine Sache. Doch auf einmal selbst in deren Rolle zu sein, ist etwas ganz anderes. So verhält es sich jedenfalls bei der die ...

Als Coach beruflich betrogenen Ehefrauen mit Rat und Tat zur Seite stehen, ist eine Sache. Doch auf einmal selbst in deren Rolle zu sein, ist etwas ganz anderes. So verhält es sich jedenfalls bei der die 50 überschrittenen Berti, deren von sich sehr überzeugter, rücksichtsloser Ehemann Heinrich sich Knall auf Fall von ihr trennen will. Zunächst wie gelähmt, geht Berti mehr und mehr in der Rolle der Aktiven auf und nimmt Nachforschungen über ihren untreuen Mann auf. Dabei kommt so vieles zu Tage, vor allem so manch andere Frau (und Kind). Berti und ihre gleichfalls hintergangenen Nebenbuhlerinnen starten einen Rachefeldzug gegen Heinrich.

Ein heiterer Frauenroman, der die Leserinnen vor allem mit der Protagonistin Berti sympathisieren lässt und in ihnen hoffentlich größtmögliche Antipathie für den untreuen Heinrich weckt. Sehr schön ist die Entwicklung dargestellt, wie sich Berti im Zuge ihres Rachefeldzuges von dem eher unselbständigen Hausmütterchen zur beruflich ambitionierten Pensionswirtin mausert und am Ende ihrem Männe haushoch überlegen ist, vor allem in finanziellen Dingen, in denen sie ihn so erfolgreich überlistet. Der lokale Hintergrund in Zürich und Ascona am Lago Maggiore im Tessin gibt schöne Einblicke in das Leben in der Schweiz, wo die Autorin ja herkommt.

Veröffentlicht am 25.08.2019

Das Schicksal der Bewohner eines Dorfes in der DDR

Kastanienjahre
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Wie schon Anja Baumheiers erstes Buch „Kranichland“ handelt auch ihr vorliegendes zweites von Schicksalen von Bürgern der DDR. Sie weiß, wovon sie schreibt, hat sie doch die ersten zehn Lebensjahre selbst ...


Wie schon Anja Baumheiers erstes Buch „Kranichland“ handelt auch ihr vorliegendes zweites von Schicksalen von Bürgern der DDR. Sie weiß, wovon sie schreibt, hat sie doch die ersten zehn Lebensjahre selbst noch in der DDR verbracht.
Aufbereitet wird ein Stück deutscher Geschichte, das gerade für mich, die ich aus Westdeutschland stamme und keinen persönlichen Bezug zur früheren DDR und ihren Bewohnern habe, interessant ist. Im Mittelpunkt stehen einige Personen aus einem kleinen Dorf an der mecklenburgischen Ostsee in dem Zeitraum ab Gründung der DDR über den Mauerbau bis zur Nachwendezeit. Sehr hilfreich ist insoweit das vorangestellte Personenverzeichnis, auf das ich zunächst noch einige Male zurückgreifen musste. In der Gegenwart im Jahr 2018 kehrt eine von ihnen – Elise, die Hauptprotagonistin, mittlerweile in Paris lebend – zurück, um zu erfahren, was es mit dem Tod ihres Vaters und dem plötzlichen Verschwinden ihres Freundes auf sich hatte.
Sehr schön ist die Darstellung des beispielhaften Zusammenhaltes im Dorf. Gelungen ist auch die detaillierte und wirklich wissenswerte Beschreibung der verschiedenen zeitlichen Stationen in der Gesellschaft der DDR mit ihren jeweils so spezifischen Problemen – wie etwa die Überführung der landwirtschaftlichen Betriebe in LPGs, der Mangel an Konsumgütern und Gegenständen des täglichen Bedarfs, die Bespitzelung und Denunziation durch die Stasi, Ausreiseschwierigkeiten, Flucht und Fluchthilfe, die in der Form gar nicht gewollte Wiedervereinigung, der Konsumrausch und die Übervorteilung nach der Wende.
Gestört hat mich lediglich die gelegentliche unrealistische zeitliche Darstellung. So wird Elise bereits im Alter von fünf Jahren als begabte Näherin eingeführt oder wird ihr ihre Boutique in Paris Ende Dezember schon zu Anfang Januar gekündigt.
Ein empfehlenswertes Buch für Leser von Familiengeschichten mit Interesse an der jüngeren deutschen Geschichte.