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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.10.2019

Der bisher beste Teil der Reihe

Stille Havel
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In seinem vierten Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben geht Tim Pieper neue Wege. Erstmals gibt es einen Vergangenheitsstrang, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges spielt.

Zuvor wird allerdings ...

In seinem vierten Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben geht Tim Pieper neue Wege. Erstmals gibt es einen Vergangenheitsstrang, der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges spielt.

Zuvor wird allerdings die Leiche des Kunsthändlers Helmut Lothroth im Potsdamer Park Sanssouci gefunden. Auf seinem Handy befinden sich Fotos eines Gemäldes, welches ein Frauenportrait mit Gesichtsschleier zeigt, das im Museum Barberini ausgestellt wird. Außerdem sind Bilder einer Villa an der Havel zu sehen. Welches Interesse hatte Lothroth am Gemälde und an der Villa? Und wer ist die Frau hinter dem Schleier?
Toni Sanftleben versucht Licht in den Mordfall zu bringen, jedoch ist sein Team rund um Phong und Gesa nicht wirklich gut aufeinander zu sprechen, was die Ermittlungen erschwert. Seit Phong versucht abzunehmen und sich nur mehr gesund ernährt, müssen die anderen mit seinen Launen klarkommen. Das macht die Ermittlungen nicht gerade einfacher, denn er verhält sich sogar Toni gegenüber äußerst anmaßend. Zusätzlich wird die Geschichte rund um Lothroth komplexer, der sich sehr für die Raubkunst aus dem Zweiten Weltkrieg zu interessieren schien. Als Toni Marie Hellström, die jetzige Besitzerin der Havelvilla kennenlernt, ist er von ihr fasziniert. Marie scheint die geheimnisvolle Frau auf dem Gemälde zu erkennen, gibt jedoch kaum etwas preis. Verschweigt sie etwas?
Verdächtig ist ebenfalls ein weiterer Kunsthändler, der sich in den heutigen rechtsextremen Kreisen herumzutreiben scheint und eine Museumsdirektorin, die sich hineter zwei verscheidenen Nachnamen zu verstecken scheint.

Im zweiten Handlungsstrang befinden wir uns im Jahre 1938 und lernen die junge Lydia kennen, die ein berühmter Filmstar werden möchte. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen möchte sie dem Mief der Kneipe ihrers Vaters entkommen. Deutsche Schauspielerinnen sind kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gesucht, denn die UFA in Babelsberg nützt diese vorwiegend für Propagandafilmchen. Lydia fällt dabei Reichsminister Joseph Goebbles ins Auge, der kleinen Filmsterchen nur zur gerne weiterhilft, wenn sie sich erkenntlich zeigen. Die auf der einen Seite noch sehr naive Lydia weiß jedoch genau, dass sie nie wieder in die ärmlichen Verhältnisse von früher zurück will. Allerdings rechnet sie nicht mit all den weiteren Konsequenzen...

Der geschichtlche Hintergrund ist großartig recherchiert und obwohl ich sehr viele Romane aus dieser Zeit lese, habe ich auch in diesem Krimi von Tim Pieper wieder etwas Neues gelernt, nämlich dass Goebbels sehr wohl seine Finger bei der UFA im Spiel hatte bzw. diese nicht bei sich lassen konnte und die Besetzungen und den Status der Filmlieblinge teilweise in sein Gebiet fiel. Hier bekommt der Leser einen tollen Einblick in die Geschichte der UFA zur Zeit des Nationalsozialismus.
Der Wechsel zwischen den beiden Zeitsträngen wird gekonnt dargestellt. Die beiden Handlungsstränge halten sich dabei gekonnt die Waage.

Die Charaktere sind vielschichtig und fast jeder verdächtig. Alle Figuren scheinen zwei Gesichter zu haben - sogar Phong ;)
Toni hingegen hadert noch immer mit seiner Vergangenheit, versucht jedoch endlich frei davon zu werden. Ob es ihm glückt, müsst ihr selbst lesen!

Fazit:
Der beste Krimi von Tim Pieper und ein absoluter Pageturner, den ich nur empfehlen kann! Hervorragend durchdacht, kurzweilig, spannend und fesselnd! Großartig!

Veröffentlicht am 08.10.2019

Grandioser zweiter Teil

Die Schwestern vom Ku'damm: Wunderbare Zeiten
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Nach dem ersten Band rund um die Thalheim Schwestern, der während des Zweiten Weltkrieges spielte, befinden wir uns nun im zweiten Teil in der Nachkriegszeit in Berlin 1952. Es sind die Jahre des Aufschwungs ...

Nach dem ersten Band rund um die Thalheim Schwestern, der während des Zweiten Weltkrieges spielte, befinden wir uns nun im zweiten Teil in der Nachkriegszeit in Berlin 1952. Es sind die Jahre des Aufschwungs und des Wiederaufbaus, aber auch die Jahre, die die Spaltung des Landes vorantreiben.
Das Kaufhaus Thalheim ist wieder eines der führenden Modegeschäfte Berlins. Rike ist bemüht alles weiterhin am Laufen zu halten und kümmert sich neben ihrer Familie auch um die neuersten Modeerscheinungen. Doch als Oskar aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, übergibt Friedrich Thalheim seinem Sohn die Geschäftsführung und missachtet Rikes jahrelanger Bemühungen das Kaufhaus zu halten. Oskar hingegen interessiert sich kaum für die Geschäfte und feiert lieber die Nächte durch.

Diesmal steht Silvie im Mittelpunkt. Während ich sie im ersten Band als eher flatterhaft und noch sehr unreif empfand, wuchs sie mir in "Wunderbare Jahre" richtig ans Herz. Sie ist selbstbewusst, erfolgreich und steht mit beiden Beinen im Leben. Ihre Karriere als Rundfunkredakteurin bei RIAS bekommt mit ihrer neuen Sendung "Stimmen" einen Höhenflug. Als Rike sie bittet sich ebenfalls im Kaufhaus zu engagieren und mitzuarbeiten steht Silvie vor einer schwierigen Entscheidung. Lässt sich ihr Engagement beim Radio mit dem Kaufhaus verbinden? Und wie wird ihre weitere Zukunft aussehen? Silvie möchte weiterhin ihr Leben genießen, denn auch bei ihr hat der Krieg Spuren hinterlassen. Auf der anderen Seite fühlt sie sich Oskar und der Familie sehr verbunden. Immer wieder geht ihr der Satz "Kein Mann, kein Haus, kein Kind" im Kopf herum, als ihr dreißigster Geburtstag immer näher rückt. Die große Liebe...wo bleibt sie?
Und während der wirtschaftliche Aufschwung vorangeht, gibt es im Hause Thalheim viele Turbulenzen und Schicksalsschläge zu verkraften...
Oskar ist schwer traumatisiert, Rike reibt sich zwischen Familie und Arbeit auf und Nesthäkchen Florentine lädt der Familie zusätzliche Probleme auf. Sie rebelliert auf ganzer Linie. Silvie versucht zu vermitteln und wächst immer mehr an ihren Aufgaben.

Die historischen Begebenheiten, vorallem die politischen Veränderungen zwischen Ost und West, hat die Autorin wieder wunderbar eingefangen. Während ich schon sehr viele Romane gelesen habe, die zur Zeit der beiden Weltkriege spielen, waren es erst wenige, die sich mit der Nachkriegszeit in Deutschland beschäftigen. Als Österreicherin und zu dieser Zeit noch nicht geboren, bekam ich diese Epoche der Spaltung Deutschlands nicht wirklich mit. Deswegen ist es umso interessanter mehr über diesen Zeitraum zu erfahren. Aber nicht nur die politischen Veränderungen, wie der Aufstand in Ungarn, werden in die Geschichte miteingebaut, sondern auch kulturelle und wirtschaftliche Ereignisse. Die neuartigen Musikrichtungen aus den USA, wie der Swing, Jazz, Blues und der Rock'n'Roll werden in Deutschland immer heimischer. Aber auch historische Personen spielen eine Rolle. Man begegnet Grace Kelly, Billy Wilder, Hildegard Knef, Marilyn Monroe und erlebt das Wunder von Bern hautnah mit. Ebenso findet die Frankfurter Buchmesse in einigen Kapiteln Platz.

Die Charaktere sind wunderbar authentisch und facettenreich. Ich lebte und fühlte mit jeder Figur mit, auch wenn ich sie nicht mochte oder verstehen konnte. Ich hatte jede vor Augen und fieberte den nächsten Ereignissen entgegen.
Mich hat der zweite Band dieser Trilogie vollkommen überzeugt und ich freue mich auf die finale Geschichte der Thalheim-Schwestern, in denen Florentine unsere Hauptprotagonistin ssein wird.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin hat mich wieder völlig in den Bann gezogen. Er ist ausdrucksstark und lebendig, bildhaft und ich fühlte mich mittendrin in der Zeit, in der der Roman spielt. Der Spannungsbogen steigt zum Ende hin kontinuierlich an und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.
Am Ende findet man eine Zeittabelle mit den wichtigsten zeitgeschichtlichen Informationen Berlin's von 1952 - 1957.

Fazit:
Ein grandioser zweiter Teil um die Thalheim-Schwestern, der meiner Meinung nach dem ersten Band überflügelt und mich komplett überzeugt hat. Zahlreiche Wendungen und ein sehr spannendes letztes Drittel ließen mich das Buch kaum aus der Hand legen! Ich empfehle diese Reihe wirklich gerne weiter und freue mich schon auf den finalen Band.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Intensiv, vielschichtig, melancholisch, aber auch hoffnungsvoll und tiefgründig

Der Geschmack unseres Lebens
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Julia Fischers neuer Roman ist von Beginn an ein Buch, das auf der Zunge zergeht. Das liegt an all den beschriebenen Köstlichkeiten, die unsere Sinne ansprechen, wie auch an dem unvergleichlichem poetischen ...

Julia Fischers neuer Roman ist von Beginn an ein Buch, das auf der Zunge zergeht. Das liegt an all den beschriebenen Köstlichkeiten, die unsere Sinne ansprechen, wie auch an dem unvergleichlichem poetischen Schreibstil der Autorin, der einem sofort gefangen nimmt.
Aber nicht nur die Süße begleitet uns in der Geschichte rund um Ella Donati, sondern auch der bittere Geschmack des Lebens, der von persönlichen Verlusten und psychischen Krankheiten erzählt. Trotzalledem schwelgt man im intensiven und wohl persönlichsten Roman der Autorin, den man sicherlich nicht so schnell vergisst.

Als Leser begleiten wir Ella, eine junge Frau, die mit fünf Jahren ihre Mutter verloren hat. Ihr Bruder Danilo verlässt die Familie nach einem großen Streit mit dem Vater und verpflichtet sich zum Militär. Ella steht kurz vor ihrer Hochzeit, als ihr Vater an Krebs erkrankt und ihr Verlobter ein Jobangebot in den USA bekommt und annimmt. Ella soll nachkommen, doch sie fühlt sich verpflichtet den Vater zu pflegen. Nach seinem Tod muss die Haselnussplantage, die in jahrzehntelangem Familienbesitz war, verkauft werden. Ein neuerlicher herber Verlust für Ella. Ihren Traum eine eigene Chocolateria zu eröffnen, hat die mittlerweile alleinerziehende Mutter von Zwillingen aber nie aufgegeben. Im kleinen Städtchen Alba im Piemont, unweit ihrer alten Heimat, eröffnet sie im historischen Stadtkern ihre kleine, aber exquisite Chocolateria "La Cuccagna" (= Schlaraffenland). Und genau so fühlt man sich auch, wenn man ihr Geschäft betritt und einem der Duft von Schokolade in die Nase steigt. 32 Pralinensorten hat Ella in ihrem Sortiment, die gleiche Anzahl ihrer Lebensjahre und die ihrer Mutter, als diese starb. In der Bäckerei gegenüber hat Ella einstmals gelernt, jedoch sind die Barberis alles andere als gut auf Ella und Maresh, dem Besitzer des indischen Restaurents nebenan, zu sprechen und machen beiden das Leben schwer.
Als der neue Besitzer der Haselnussplantage ihrer Eltern, Michele Mariani, ihr ein geschäftliches Angebot macht und ihr Bruder Danilo wieder nach Hause zurückkehrt, gerät Ellas Leben erneut aus den Fugen. Während Danilo bei Mariani zu arbeiten begonnen hat und beim alten Trüffelsucher Salvatore wohnt, holt Ella die Vergangenheit ein....

Was nach einem leichten Frauenroman aussieht, ist eine gefühlvolle Geschichte mit Tiefgang, die nicht nur die angenehmen Seiten des Lebens aufzeigt. Julia Fischer spricht Themen wie Trauerverarbeitung, Trennung, Verluste und psychische Krankheiten an. Trotzdem gibt es auch hoffnungsvolle und humorvolle Stellen, vorallem wenn von den "Neun vom Stadtplatz" die Rede ist. Diese illustre Runde alter Herren hat es faustdick hinter den Ohren und beeinflussen das Leben in Alba und ihrer Einwohner mehr als man denkt.

Bildgewaltig hat Julia Fischer auch den historischen Umzug mit dem Eselrennen in Alba beschrieben. Bei der Leserunde gab es zusätzlich jede Menge Fotos der Landschaft, dem Mittelalterfest, zur Pralinenherstellung und den Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Ein Fest nicht nur für die Sinne, sondern auch fürs Auge. Neben der Schokolade und den Haselnüssen ist auch der Trüffel und die Trüffelmesse ein Thema.

Wie schon im Vorgängerroman wird auch in "Der Geschmack unseres Lebens" aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dazwischen gibt es kurze Rückblenden in die Vergangenheit. Man erfährt mehr über Ellas Mutter und ihr Leben mit Depression, über Salvatores große Liebe Gianna und ihr gemeinsamer Kampf als Mitglied bei den Partisanen während des Zweiten Weltkrieges, man bekommt ebenso Einsichten in Danilos Kämpfe im Irak und in Afghanistan und sein Leben in der Abgeschiedenheit des Mairatales. Ein weiterer Rückblick in Form von Briefen geht zurück ins 18. Jahrhundert zur Zeit der Besetzung durch die Franzosen. Diese sind in kursiver Schrift geschrieben, um sich vom Rest anzuheben. All diese Informationen geben interessante Einblicke und führen schlussendlich zur Lösung des Familiengeheimnisses.
Ein Thema ist im Roman allerdings allgegenwärtig und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht: Die Geschichte vom Zauberer von Oz.

Schreibstil:
Julia Fischers Schreibstil ist einnehmend, gefühlvoll und atmosphärisch, die Geschichte vielschichtig undvoller Tiefgang.
Die Charaktere sind sehr lebendig, warmherzig und facettenreich. Die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren wird sehr anschaulich dargestellt und man fiebert und lebt mit ihnen mit.
Die 43 eher kurzen Kapitel verführen zum "ein Kapitel geht noch" lesen ;)
Im Inneren der Klappbroschur findet man das Rezept für Haselnusstrüffel La Cuggana.

Fazit:
Ein Roman der leisen Töne, der die Sinne anspricht und einiges italienisches Flair verbreitet. Intensiv, vielschichtig, melancholisch, aber auch hoffnungsvoll und tiefgründig. Dieser Roman hat einfach alles, was man sich wünschen kann. Julia Fischers bisher persönlichstes und bestes Buch - ich empfehle es gern weiter!

Veröffentlicht am 08.09.2019

Wunderschöne Naturstudien - ein gelungener Debütroman

Der Gesang der Flusskrebse
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Der Debütroman der 70jährigen Delia Owens ist momentan in aller Munde. Selbst Reese Witherspoon hat bereits die Filmrechte für sich beansprucht, nachdem sie den Roman selbst gelesen hat. Und ich muss sagen, ...

Der Debütroman der 70jährigen Delia Owens ist momentan in aller Munde. Selbst Reese Witherspoon hat bereits die Filmrechte für sich beansprucht, nachdem sie den Roman selbst gelesen hat. Und ich muss sagen, eine Verfilmung würde zu diesem atmosphärischen Buch wirklich hervorragend passen.

Im Prolog, der im Jahre 1969 spielt, wird Chase Andrews, beliebter Quarterback und Frauenheld, der die Autowerkstätte seinen Vaters übernommen hat, tot aufgefunden. Die Einwohner von Barkley Cove sind entsetzt. Aufgrund fehlender Spuren geht der Sheriff von Mord aus. Der Verdacht fällt sehr schnell auf das eigenartige Marschmädchen, zu dem Chase einige Zeit in die Salzwiesen und Sandbänke vor Ort rausgefahren ist. Die Vorverurteilung greift rasch um sich....

Danach sind wir im Jahre 1952 und lernen die erst fünfjährige Catherine Danielle Clark, genannt "Kya", kennen. Ihre Mutter hat eben erst die Familie verlassen. Bald folgen ihr Kyas wesentlich älteren Geschwister. Das kleine Mädchen bleibt mit ihrem Vater in ihrem kargen Zuhause ohne Strom und fließend Wasser im Marschland von South Carolina zurück. Der Trinker und gewalttätige Mann kümmert sich weder um seine Tochter, noch um Vorräte, damit Kya etwas zu Essen hat. Als sie schulpflichtig wird, holt sie die Schuldirektorin ab, doch der erste Schultag wird zum Desaster und das Marschmädchen, wie die Einwohner der kleinen Stadt Kya nennen, wird noch mehr zur Außenseiterin. Nur umgeben von Marschland, ohne Geld, versucht sie zu überleben. Trost sind ihr die Vögel und die Natur, die sie umgibt. Sie sammelt Federn und Muscheln, lebt mit der Natur im Einklang und legt eine kleine Sammlung ihrer Errungenschaten in der Hütte an.
Das Motorboot ihres Vaters dient ihr schlussendlich zur Fortbewegegung. Bis sie es lernt zu steuern dauert es etwas, doch dabei stößt sie auf Tate, der in den Sümpfen angelt. Früher, als ihre Mutter noch zuhause wohnte, war Tate öfters zu Besuch und spielte mit Kya. Im Laufe der Zeit versucht er ihr zu helfen und lernt Kya lesen und schreiben. Um Nahrung zu bekommen verkauft sie Muscheln an den afroamerikanischen Ladenbesitzer Jumpin'. Er wird gemeinsam mit seiner Frau Mabel zu ihrer einzigen Bezugsperson neben Tate werden, vorallem nachdem dieser zum Studium in die nächste größerer Stadt aufbricht. Kya wird wiederum verlassen, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünscht als Freundschaft und Liebe. Sie möchte keine Außenseiterin mehr sein.

In zwei Zeitebenen, die sich nach und nach annähern, lesen wir zuerst von Kya als Kind und später als erwachsene Frau, wobei es immer wieder Rückblenden in die Vergangenheit gibt. Kya wächst isoliert, nur umgeben von der Natur auf. Sie zieht sich immer mehr von den Menschen zurück, die nur selten ins Marschland kommen und diese verabscheuen. Die Ausgrenzung, der Kya ausgesetzt ist, tat mir beim Lesen richtig weh. Doch Kya ist nicht die Einzige, denn in den 1960iger Jahren in den USA ist die Zweiklassengesellschaft zwischen Weißen und Schwarzen noch sehr ausgeprägt.

Die Entwicklung von Kya zur Frau wird sehr gefühlvoll und einfühlsam beschrieben. Delia Owens versteht es das Marschland bildhaft und eindringlich darzustellen. Man hat das Gefühl gemeinsam mit Kya anwesend zu sein. Die einzigartigen Naturschilderungen, Flora und Fauna, spielen im gesamten Roman eine große Rolle. Später kommen noch kriminalistische Elemente und eine Gerichtsverhandlung hinzu. Der Roman hat einen Sog, den man sich kaum entziehen kann und der sich von der Masse abhebt. Man könnte noch so viel zu dieser Geschichte sagen, aber dann würde diese Rezension noch länger werden.

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich aber trotzdem. Obwohl ich offene Enden nicht mag, wäre für mich der Roman kurz nach der Gerichtsverhandlung zu Ende gewesen. Doch die Autorin erzählt im Schnellverlauf das weitere Geschehen bis hin zum Tod der Protaginistin. Das wäre für mich nicht notwendig gewesen und zerstörte etwas die Atmosphäre.

Schreibstil:
Die Charakter- und Naturstudien wurden von der Autorin in ihrem Debütroman einfach einzigartig dargestellt. Der wunderbare poetische Schreibstil lässt einem in der Handlung versinken. Die Geschichte fesselt ungemein. Aber auch die Entwicklung von Kaya vom Kind zur Frau, ihre Gefühle und Beobachtungen, sowie der Wunsch dazuzugehören, sind immer gegenwärtig und spürbar.
Dazwischen gibt es auch Zitate und Gedichte, die in die Handlung miteingebracht wurden.
Am Anfang findet man eine Karte der Region zur besseren Übersicht.

Fazit:
Ein Roman, der sich aus der Masse abhebt, dessen Inhalt nachdenklich stimmt und in Erinnerung bleibt.
Wunderschöne Naturstudien und ein malerisch poetischer Schreibstil machen diesen Debütroman (!) zu etwas ganz Besonderem. Auch wenn ich das Ende nicht ganz gelungen fand, vergebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 05.09.2019

Noch bedrückender, aber tolle Gesellschaftskritik

Wir gegen euch
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Fredrik Backman´s Bücher sind meiner Meinung sehr unterschiedlich ausgefallen. "Ein Mann namens Ove" und "Britt-Marie war hier" sind amüsante Romane mit schrulligen Protagonisten und haben mir gefallen. ...

Fredrik Backman´s Bücher sind meiner Meinung sehr unterschiedlich ausgefallen. "Ein Mann namens Ove" und "Britt-Marie war hier" sind amüsante Romane mit schrulligen Protagonisten und haben mir gefallen. "Oma lässt grüßen und sagt es tut ihr leid" mochte ich hingegen gar nicht. "Kleine Stadt der großen Träume", Teil 1 der "Beartown-Reihe", war bereits anders und hat von mir die volle 5 Sterne-Anzahl bekommen. Die Geschichte war gesellschaftskritisch und bot vorallem eine unvergleichliche Atmosphäre. Zusätzlich hat mir Backman noch das Eishockey näher gebracht.
Kaum hatte ich die ersten des neuen Buches Seiten gelesen, fühlte ich mich wieder in Björnstadt angekommen. Wer Teil Eins nicht kennt, sollte keinerlei Schwierigkeiten haben in den Roman zu finden, denn der Autor geht auf die wichtigsten Ereignisse nochmals ein. Und wer tatsächlich einiges vergessen hat, der wird sich sehr bald wieder an viele Begebenheiten zurückerinnern....

In der Fortsetzung wird es um einiges bedrückender. Nach den schrecklichen Zwischenfällen im ersten Band wollen die Menschen in Björnstadt wieder zusammenfinden, doch dann soll der Eishockey-Club geschlossen werden. Eine Katastrophe, wo doch der Eishockeysport für die Menschen in der kleinen Stadt das Lebensexelir ist. Obwohl ich noch immer kein Eishockeyfan bin, fand ich das Thema, welches sich wieder wie der rote Faden durch die Geschichte zieht, auch diesmal wieder spannend erzählt. Denn eigentlich bewirkt der Autor mit seinem Roman etwas ganz anderes: Es geht es um das Zwischenmenschliche. Obwohl Backman die Handlungen aus großer Distanz beleuchtet, sind es keine aufeinanderfolgenden Geschehnisse, sondern man lebt mit allen Figuren mit. Man verspürt genauso Wut, Trauer, Hass, Verzweiflung, Vergebung, Mut und Liebe. Und genau das kann Fredrik Backman so lebendig und gefühlvoll beschreiben, dass man sich nicht als Beobachter fühlt, sondern einfach mit den Figuren alles durchlebt, was in der Kleinstadt passiert. Da wird gemobbt, gekämpft, geschmiert und getrauert.

Die komplexe Handlung ist keine leichte Kost und die tragischen Augenblicke überlagern den Roman. Trotzdem konnte mich die Geschichte wieder emotional packen. Die schnellen Perspektivwechsel und einige Cliffhanger lassen einem das Buch kaum aus der Hand legen.
Trotz der vielen Charaktere hat man keine Probleme diese auseinander zu halten oder das Gefühl zu haben, man wäre auf zu vielen "Baustellen". Viele Figuren kennt man bereits aus dem ersten Band, wie Maya, Peter, Ana, Bobo, Amat oder Benji. Zwei sehr facettenreiche Neuzugänge sind Elisabeth Zackell, die neue Trainerin und der schmierige Politiker Richard Theo. Konfliktsituationen sind somit vorprogrammiert.

Hass und Gewalt dominieren in vielen Teilen und verbreiten manchmal auch eine Hoffnungslosigkeit, die die Stimmung öfters regelrecht drückt. Trotzdem gelingt es Backman immer wieder mit einer Prise Hoffnung oder witzigen Szenen, wie z. Bsp. in Ramonas Lokal "Bärenpelz", diese auszugleichen.
Regelrecht gefangen nahmen mich die tiefgründigen Zitate und Metaphern, die diesen Roman einfach unvergleichlich machen.
Mit einem hoffnungsvollen Ende versöhnt der Autor sich mit dem Leser, den er auf diesen 544 Seiten durch eine Achterbahn der Gefühle geschickt hat. Grandios!

Fazit:
Fredrik Backmann erzählt nicht nur die Geschehnisse, er beleuchtet sie aus großer Distanz, philosophiert und schildert seine Gedanken und Eindrücke auf hohem Niveau. Der Schreibstil ist einzigartig und man würde am liebsten den Bleistift zücken und alle tiefsinnigen Zitate niederschreiben. Ich bin auch von Teil zwei von "Beartown" begeistert und gebe eine Leseempfehlung!