Profilbild von walli007

walli007

Lesejury Star
offline

walli007 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit walli007 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.11.2019

Homefront

Der Frauenchor von Chilbury
0

England ist eine Insel. Trotzdem hat der zweite Weltkrieg sie und auch das Dörfchen Chilbury erreicht. Viele Söhne des Ortes sind in der Armee und einige sind auch schon gefallen. Im Jahr 1940 soll der ...

England ist eine Insel. Trotzdem hat der zweite Weltkrieg sie und auch das Dörfchen Chilbury erreicht. Viele Söhne des Ortes sind in der Armee und einige sind auch schon gefallen. Im Jahr 1940 soll der Chor von Chilbury geschlossen werden, weil es nicht mehr genügend männliche Stimmen gibt. Warum eigentlich? Die Frauen beschließen alleine weiter zu machen. Die regelmäßigen Chorproben geben ihnen Halt und die gelegentlichen Auftritte erfreuen die Gemeinde und machen Mut in einer schweren Zeit. Auch ohne den Krieg hätten die Bewohner des Dorfes genug Probleme. Halt hergebrachte Traditionen brechen auf und nicht jeder ist davon begeistert.

Dieser Roman besteht aus einer Sammlung von Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Zeitungsausschnitten. Aus Sicht der sehr unterschiedlichen Schreiberinnen und selten auch Schreiber kann er Leser sehr nah teilhaben am dörflichen Leben in den schweren Kriegstagen. Der Krieg ist allgegenwärtig. Besonders im Fehlen der Lieben, die Kriegsdienste leisten. Doch auch die Daheimgebliebenen sind gefordert, Lücken zu füllen und ihren Teil zu leisten. Dabei geht es nicht ohne die alltäglichen Sorgen und Nöte ab. Die Liebe lässt sich vom Krieg nicht aufhalten, den Kummer hat sie manchmal mit im Gepäck. Strukturen verändern sich mitunter und bleiben manchmal auch erhalten. Und der Chor übersteht den Wandel.

Sehr warmherzig und doch authentisch wird die schwere Zeit geschildert. Man spürt die immerwährende Sorge um die Lieben. Und auch die Grausamkeit eines plötzlichen Bombenangriffs wird eindringlich vergegenwärtigt. Dass auch während eines Krieges eine Art normales Leben weitergeht, macht einen großen Teil des Romans aus. Da gibt es die große Liebe, Leidenschaft, Intrigen, Lügen und auch eine kleine Liebe. Der Chor ist es, der alles auf wunderbare Weise zusammenhält. Am Ende des Sommers 1940 hat sich viel verändert in Chilbury. Ein schwerer Sommer, der einige Dorfbewohner hat wachsen lassen. Klug, gefühlvoll und doch auf eine Art geschrieben, dass man sich vorstellt, so könnte es gewesen sein.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Totengesang

Miroloi
0

Die junge Frau hat keinen Namen, keine Eltern, keinen Besitz. Als Baby wurde sie im schönsten Dorf der Insel ausgesetzt. Ihr Finder, der Bethaus-Vater, und Mariah aus dem Ort sind ihr fast wie Eltern. ...

Die junge Frau hat keinen Namen, keine Eltern, keinen Besitz. Als Baby wurde sie im schönsten Dorf der Insel ausgesetzt. Ihr Finder, der Bethaus-Vater, und Mariah aus dem Ort sind ihr fast wie Eltern. Doch weil sie keinen Stammnamen hat und keinen Rufnamen, muss sie Außenseiterin bleiben im Dorf. Die alten Frauen hänseln sie ebenso wie die jungen Mädchen und ohne Namen wird es ihr auch nicht vergönnt sein, zu heiraten. Muss dass denn so sein? Wieso akzeptieren die Menschen auf der Insel ihre Lebensweise? Sie bekommen regelmäßig Nachrichten von Drüben, wenn das Schiff kommt. Und doch verweigern sie sich den Veränderungen.

Eine eigenartige und rückständige Inselwelt ist es, mit der uns die Autorin bekannt macht. Da mag es eine schöne Insel sein und ein schönes Dorf, doch wie das Leben geregelt ist, mutet sehr gewöhnungsbedürftig an. Es beginnt schon damit, dass die es auf der Insel keinen Strom gibt und damit eine ganze Menge nützliche Dinge per Hand erledigt werden müssen. Die junge Frau ohne Namen ist eine der wenigen, die sich Gedanken macht, ob dieses System wirklich so erstrebenswert ist. Obwohl sie so eingeschränkt in ihren Rechten ist, hat sie dadurch sogar eher mehr Freiheiten, weil kaum jemand sie beachtet.

Was in diesem Buch über die Ideologie der Struktur zu erfahren ist, kann man teilweise nur mühsam einordnen. Vielleicht soll man das auch garnicht. Wie sich die junge Frau, die von ihrem Finder „Mein Mädchen“ genannt wird, jedoch mit dem System auseinander setzt und es für schlecht befindet, ist packend erzählt. Bis zu einem gewissen Punkt strahlt der Roman eine Leichtigkeit und Gradlinigkeit aus, von der man meint, sie könne nur ins Happyend führen. Wie auch im richtigen Leben geht nicht alles glatt, doch das Mädchen emanzipiert sich. Ihre große Kraft und ihr Durchblick machen Mut und wecken die Hoffnung, dass es doch welche gibt, die nicht der Masse hinterher rennen und ihr Unglück auch noch klasse finden, nur weil es irgendwo steht oder es irgendwer sagt. Das Mädchen sagt selbst was. Wieso dieser Roman teilweise recht kontrovers diskutiert wird, erschließt sich nicht. Die junge Frau, um die es hauptsächlich geht, überzeugt mit ihrer Art, ihrer Intelligenz und dem ruhigen Widerspruchsgeist, den sie allem und allen entgegenbringt, die es sich allzu leicht machen, in ihrem Glauben an die drei Götter und das Geschwafel der vermeintlich Herrschenden.

Veröffentlicht am 31.10.2019

Seele für Seele

Die Stille des Todes
0

Vor vielen Jahren wurde Tasio de Ortiz für schuldig befunden, mehrere Morde begangen zu haben. Bald kann er einen Hafturlaub antreten. Fast zur gleichen Zeit werden bei der Kathedrale in Vitoria zwei Tote ...

Vor vielen Jahren wurde Tasio de Ortiz für schuldig befunden, mehrere Morde begangen zu haben. Bald kann er einen Hafturlaub antreten. Fast zur gleichen Zeit werden bei der Kathedrale in Vitoria zwei Tote gefunden. Die Art wie sie am Fundort abgelegt wurden, erinnert an die alten Todesfälle. Die Kommissare López und Ruiz nehmen die Ermittlungen auf. Sie stehen zunächst vor einem Rätsel, schließlich sitzt ein verurteilter Täter hinter Gittern. Dann beginnt Tasio, Nachrichten an Unai López zu übermitteln. Tasio fürchtet, dass die Meute auf ihn losgehen wird, wenn er das Gefängnis verlässt. Deshalb will er die Polizei bei ihren Untersuchungen unterstützen.

Mit „Die Stille des Todes“ startet eine neue Reihe von Kriminalromanen um Kommissar Unai und sein Team. Zwar ist es zunächst etwas schwierig, die spanischen Namen, die manchmal unterschiedlich gekürzt werden, den Personen zuzuordnen. Doch hat man sich daran gewöhnt, entspinnt sich ein interessanter Krimi um Morde, deren Ursache in der Vergangenheit zu vermuten ist. Schließlich sind Tötungsdelikte zu untersuchen, die den Morden von vor zwanzig Jahren sehr ähnlich sind. Doch wenn der Täter einsitzt, wieso kann es zu weiteren Taten kommen? Tasio bestellt Unai zu sich. Warum geht der Polizist zum vermeintlichen Täter? Unai greift nach jedem Strohhalm, der ihm helfen könnte, weitere Todesfälle zu vermeiden.

Mehrere Handlungsstränge werden hier geschickt verknüpft. Zwar dauert es einen Moment bis man das beim Hören des Audiobuches entschlüsselt hat, doch hat man Namen und Handlungsstränge erstmal sortiert, entspinnt sich eine spannende Geschichte. Fieberhaft versucht Unai die Zusammenhänge zu klären. Unbedingt will er verhindern, dass es zu weiteren Morden kommt. Gefesselt fragt man sich, ob es ihm gelingen wird. Zu verzwickt scheint der Fall zunächst, so dass es fast aussichtslos erscheint, den Fall zu lösen. Auch wenn im weiteren Verlauf wegen der Konstruktion des Romans nicht alles geklärt werden kann, bleibt man doch gepackt von diesem vielschichtigen Kriminalroman, der in menschliche Abgründe blicken lässt. Gute Absichten bringen leider nicht immer nur Gutes hervor. Eine Sache, an der wohlmöglich auch der Kommissar zu knacken hat.

Das zweite Buch aus der Reihe ist im Übrigen gerade erschienen. Die Neugier hierauf hat der erste Band sicher geweckt.

Veröffentlicht am 26.10.2019

Besessen

Der Revolver
0

Der Student Nishikawa entdeckt eines Abends einen Toten, neben dem ein Revolver liegt. Fasziniert steckt er die Waffe ein, kümmert sich jedoch nicht um den Verstorbenen. Ein paar Tage später wird auch ...

Der Student Nishikawa entdeckt eines Abends einen Toten, neben dem ein Revolver liegt. Fasziniert steckt er die Waffe ein, kümmert sich jedoch nicht um den Verstorbenen. Ein paar Tage später wird auch in der Tageszeitung von dem Toten berichtet. Nishikawa verändert sich nach dem Auffinden der Waffe. Er tritt selbstbewusster, aber auch rücksichtsloser auf. Einzig und allein der Revolver ist es, um den er sich fast zärtlich kümmert. Mehr und mehr durchdringt das seelenlose Ding seine Gedanken. Kaum noch etwas anderes ist wichtig.

Kann man sich vorstellen, wie es ist, eine Waffe neben einem Toten zu finden und nicht die Polizei zu informieren? Schwer. Umso interessanter, aber auch befremdlicher ist das Gedankenspiel dieses im Original bereits im Jahr 2002 erschienene Roman. Nishikawa erscheint als eigenartiger Charakter, dem man wenig Verständnis entgegen bringen kann. Seine Fixierung auf die Waffe, seine Abgewandtheit von seinen Freunden, Mitstudenten und Nachbarn. Er selbst hatte keine ganz leichte Kindheit, was vielleicht seine Distanziertheit erklären könnte. Doch kann ein Revolver die Rolle von Freunden und Familie übernehmen. Und was ist mit dem Reiz, der von der Waffe ausgeht, sie auch abzufeuern? Sollte man diesem tatsächlich nachgeben oder wäre es vielleicht doch besser, das Corpus Delicti abzugeben?

Eine ähnliche Faszination wie die Waffe auf Nishikawa übt dieses Buch auf den Leser aus. In Teilen möchte man nicht weiterlesen, weil man einfach Schlimmes erwartet. In Teilen rauben einem die Schilderungen den Atem, entweder weil sie so krass sind oder an Spannung kaum überboten werden können. Nishikawa kann trotz seines schwierigen Hintergrundes nicht sympathisch wirken, aber seine eigenartige Beziehung zu dem Revolver fesselt und löst Gedanken aus. Könnte man einem Objekt ebenso verfallen? Wie würde man in einer ähnlichen Situation handeln? Hätte Nishikawa es verhindern können, so von der Schusswaffe eingenommen zu werden? Eine etwas böse Geschichte, deren Lektüre einen gleichzeitig abstößt und in den Bann zieht. Gewiss ungewöhnlich und schauerlich.

Veröffentlicht am 13.10.2019

Der Ausflug

Wisting und der Tag der Vermissten
0

Immer wieder besucht er ihn, seit 24 Jahren, seit Katharina Haugen verschwunden ist. Kommissar William Wisting nimmt den Tag des Verschwindens zum Anlass, den Ehemann Martin Haugen aufzusuchen. Wieder ...

Immer wieder besucht er ihn, seit 24 Jahren, seit Katharina Haugen verschwunden ist. Kommissar William Wisting nimmt den Tag des Verschwindens zum Anlass, den Ehemann Martin Haugen aufzusuchen. Wieder und wieder geht Wisting zur Vorbereitung die Akte durch. Obwohl er und Katharinas Mann über die Jahre fast so etwas wie ein Vertrauensverhältnis entwickelt haben, hat der Kommissar den Eindruck, dass Haugen etwas verbirgt. Womit kaum noch zu rechnen war, in diesem Jahr gibt es Neuigkeiten in dem Fall. Adrian Stiller, der in Cold Cases ermittelt, kann mit neuen Ergebnissen aufwarten. Und zum ersten Mal ist Haugen am Tag des Treffens nicht daheim.

Mit diesem Buch beginnt eine weitere oder auch neue Reihe um Kommissar William Wisting. Seine Tochter Line ist aus diesem Universum nicht wegzudenken. Sie hat ihre journalistische Arbeit wieder aufgenommen und trägt mit ihren klugen Ansätzen durchaus zu der Ermittlung bei. Neu im Team oder auch nicht im Team ist Adrian Stiller, der in der Abteilung für Cold Cases tätig ist. An ihm muss sich Wisting erst gewöhnen, doch Stillers Fähigkeiten sind nicht zu bestreiten. Er versteht es, einer Ermittlung eine neue Richtung zu geben. Der Autor ist selbst vom Fach und das merkt man seinen Büchern auch an. Spannende Fälle, akribische Ermittler, die im Privaten durchaus ihre Probleme haben, zum Glück aber im normalen Bereich.

Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen geht es um Personen, die seit Jahren verschwunden sind. Kaum kann noch Hoffnung bestehen, eine Aufklärung zu erreichen. Doch für die Opfer, die Hinterbliebenen, Wisting und die Cold Cases - sie lassen nicht locker. Versucht man sich in die Situation von Familienmitgliedern hineinzuversetzen, die nach einem lieben Menschen suchen, so könnte es ein Trost sein, dass die Vermissten auch von der Polizei nicht vergessen werden, das die Suche nicht aufgegeben wird. Wisting wäre nicht Wisting, wenn er nicht auch kleinsten Hinweisen nachginge, das mag manchmal etwas viel Zeit in Anspruch nehmen, es trägt aber zur Authentizität des Falles bei. Nach und nach wird man immer mehr von dem, was passiert, gefangen genommen. Wisting und die Cold Cases, da sollte man am Ball bleiben.