Der Attentäter ist ein Buch, das Geschichte wieder lebendig werden lässt
Der AttentäterWir schreiben das Jahr 1914, ein heißer Sommer hat begonnen. Aber die Situation ist nicht nur klimatisch heiß. An vielen Ecken in Europa brodelt es, versteckt oder auch offen. Und rein in diese geschichtliche ...
Wir schreiben das Jahr 1914, ein heißer Sommer hat begonnen. Aber die Situation ist nicht nur klimatisch heiß. An vielen Ecken in Europa brodelt es, versteckt oder auch offen. Und rein in diese geschichtliche Situation geschieht etwas, das den Sommer nicht nur heißer werden lässt, sondern auch das Zünglein an der Waffe ist, die das Pulverfass Europa explodieren endgültig lässt. Dies ist der große Rahmen, in den Ulf Schiewe seinen historischen Roman "Der Attentäter" platziert. In diesem Buch beschreibt er die letzten Tage bis die sprichwörtliche Lunte mit dem Tod des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand von Habsburg angezündet wurde.
Der Autor beschreibt die letzte Woche vor dem dramatischen Ereignis aus mehreren Perspektiven.
Zunächst sind da die jungen Attentäter. Sie haben aufgrund ihrer sozialen Stellung und gesundheitlicher Probleme (Schwindsucht / Tuberkulose) ihrer Meinung nach nichts zu verlieren, und wollen ihrem geliebten Land mit der Ermordung Franz Ferdinands einen historischen Dienst erweisen. Doch 100%-ig sicher sind sie sich trotz ihrer Reise nach Sarajevo nicht. Gerade der eigentliche Attentäter Gavrilo Prinzip, der es ob seiner etwas besseren Ausbildung, auch besser wissen müsste, ist in seiner Gedankenwelt nicht so gefestigt, wie er nach außen hin erscheinen lässt. Endgültig ins Schwanken gerät die Ausführung des Attentats als er einer Jugendliebe begegnet, die ihn trotz erster Avancen am Vorabend des Attentates doch abblitzen lässt. Oder Trifko, der aufgrund seiner psychischen Labilität, das Ganze fast noch zu Fall bringt, bevor es richtig angefangen hat.
Dann sind es die Offiziellen, die zu überheblich sind, um den Völkern Bosniens und Herzegowinas, in Besonderem den Serben, mehr Fingerspitzengefühl entgegenzubringen. Anstatt diesen am Vidovdan (Schlacht auf dem Amselfeld gegen die Türken einige 100 Jahre davor) entgegen zu kommen, ihnen z.B. Feierlichkeiten dazu zuzugestehen oder auszustatten, brüskiert man sie mit Militärmanövern nahe Sarajevo. Weiters schlägt man alle Sicherheitsvorkehrungen für den Thronfolger in den Wind und will nicht wahrhaben, dass es nicht nur Jubelrufe für die Monarchie gibt.
Weiters ist da noch das Thronfolgerpaar, welches wir in diesem Buch ebenso näherkommen und. Fast wirkt es mit seinen Problemen, Ängsten, Gedankenspielen, Herzlichkeiten und gegenseitigen Neckungen wie ein ganz normales Ehepaar aus zwar besserer Klasse, aber eben nicht unbedingt wie ein "behütetes" & abgehobenes Thronfolgerpaar.
Schlussendlich dann noch die fiktiven Charaktere des Geheimdienstes und deren Zuarbeiter. Svjetlana, einer Bordellbesitzerin, Rudolf Markovic, Leiter der Geheimdienstabteilung in Sarajevo und seines Mitarbeiters Simon. Markovic und Simon erhalten schnell Wind von der Sache und versuchen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, wozu auch Prügelfolter zählt, den Attentätern habhaft zu werden. Diese Protagonisten verbinden die ganze Geschichte zu einem schlüssigen Ganzen.
Ulf Schiewe verbindet alle diese Personen, Sichtweisen, Orte und Zeiten zu einem wunderbaren Ganzen, bei dem man hin und hergerissen wird zwischen Hoffen, dass der Anschlag missling aber auch, dass er doch gelingt. Abgesehen von den obersten Offiziellen, z.B. Oskar Potiorek, wirkt keiner der dargestellten Protagonisten tatsächlich unsympathisch oder ist nur der Böse. Dem Autor gelingt es allen Protagonisten ein menschliches Antlitz zu geben und deren Handlungen und Beweggründe nachvollziehbar zu machen. Er spickt die Erzählhandlung mit historischen Berichten und Fakten und webt diese so geschickt in den Handlungsfaden ein, dass man meinen könnte, genau so hätte es sich zugetragen. Kleine Episoden der Ruhe nehmen kurzzeitig passend fahrt aus der Geschichte um den Leserinnen und Lesern eine kleine Verschnaufpause zu geben, aber auch um diesen einige weitere Details aus dieser Zeit an die Hand zu geben bzw. ins Gedächtnis zu rufen. Dadurch kann man regelrecht wieder eintauchen in eine nicht allzu ferne Vergangenheit.
Alles in allem ein großartiges Buch, dass Geschichte wieder lebendig werden lässt.