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WinfriedStanzick

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.09.2018

Ein Buch über Aufbrüche und Trennungen, über das Ankommen und über das Verlorensein in der Welt und der eigenen Existenz angesichts einer Gesellschaft, die vor lauter Korruptheit und zum Himmel schreiender Armut nicht reformierbar scheint.

So enden wir
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Daniel Galera, So enden wir, Suhrkamp 2018, ISBN 978-3-518-42801-6

In seinem zweiten Roman, der wie „Flut“ (2013) wieder von Nicolai von Schweder-Schreiner ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt der brasilianische ...

Daniel Galera, So enden wir, Suhrkamp 2018, ISBN 978-3-518-42801-6

In seinem zweiten Roman, der wie „Flut“ (2013) wieder von Nicolai von Schweder-Schreiner ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt der brasilianische Schriftsteller Daniel Galera von einer Gruppe aus drei jungen Männern und einer Frau, die sich damals in der Frühphase des Internets in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für etwas ganz Besonderes hielten. Sie waren so etwas wie Protagonisten einer neuen Gegenkultur in Brasilien. Eine Kultur aus Punks, Künstlern und digitalen Bohemiens. Ihr großer Anführer war Duke, ein überaus talentiertes Schriftstellertalent, in seinem unnahbaren Wesen und Charakter genial.

Nun ist Duke Opfer eines tödlichen Raubüberfalls geworden. Daniel Galera führt seine Leser in das Jahr 2014, kurz vor der Fußball WM nach Porto Alegre, wo seit langem ein Streik das gesamte Leben lahmlegt. Heftige Auseinandersetzungen und Konflikte spalten die brasilianische Gesellschaft schon seit langem. Nun aber scheint alles zu explodieren.

Sie haben sich lange nicht mehr gesehen, die ehemaligen Mitstreiter Dukes, die sich nun an seinem Grab versammeln, sich selbst und einander fremd geworden nach einem langen vergeblichen Kampf. Aurora, Antero und Emiliano blicken angesichts des Todes zurück auf ihr eigenes Leben, auf ihr gemeinsames Engagement in einer hoffnungsvollen und ambitionierten Gegenkultur.
Wie war das früher, so fragen sie sich immer wieder und was ist aus ihnen geworden? Was ist mit den Idealen, den Lebensplänen und Hoffnungen geschehen? Und vor allen Dingen kommen sie im Verlauf des Buches einer Frage immer näher, die sie quält: Wer war dieser Duke wirklich? War er wirklich ihr Freund? Oder hat er sie nicht doch bloß für seine Zwecke benutzt? Die immer verzweifeltere Suche nach einer Antwort führt die drei zu einer Hinterlassenschaft, die so berührend wie erschütternd ist.
Der in Teilen sehr bewegende, in anderen hilflos bleibende Roman Galeras ist ein Buch über Aufbrüche und Trennungen, über das Ankommen und über das Verlorensein in der Welt und der eigenen Existenz angesichts einer Gesellschaft, die vor lauter Korruptheit und zum Himmel schreiender Armut nicht reformierbar scheint.

Und es ist ein Buch mit immer wieder leisen Annäherungen an das Geheimnis menschlicher Nähe und Freundschaft.


Veröffentlicht am 03.09.2018

Der Roman wird getragen durch Dialoge und Reflexionen, die Handlung tritt dagegen zurück. Er ist eine eindringliche Botschaft einer Jugend, die ohne Gott auszukommen sucht

Stadt ohne Gott
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Rainer Merkel, Stadt ohne Gott, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10397348-8

Rainer Merkels letzter großer Roman „Bo“, die Geschichte über eine Jungen, der in Liberia seinen bei der GTZ arbeitenden Vater sucht ...

Rainer Merkel, Stadt ohne Gott, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10397348-8

Rainer Merkels letzter großer Roman „Bo“, die Geschichte über eine Jungen, der in Liberia seinen bei der GTZ arbeitenden Vater sucht und dabei mit einem amerikanischen Mädchen namens Brilliant so manches Abenteuer erlebt, war das literarische Produkt eines langen Aufenthaltes des Autors in Liberia. Rainer Merkel war als embedded journalist nicht nur in Liberia, sondern auch im Kosovo und in Afghanistan. Er hat über diese Aufenthalte und die Erfahrungen die er dort gemacht, viele Essays und andere Texte geschrieben.

Nun legt er einen neuen Roman über die Stadt Beirut, oft als „Paris des Ostens“ bezeichnet, vor. Der Roman erzählt von einer Dreiecksbeziehung zwischen der Deutschen Rosie, die in der Hoffnung auf ein neues Leben nach Beirut gereist ist, dem libanesischen Modemacher Rafik, der Schiit ist, dem syrischen Christen Daoud und dem Soldaten Thierry.

Die sich anbahnenden, durchkreuzten und neu verhandelten Liebesbeziehungen im Roman spielen sich vor der Kulisse des Bürgerkriegs ab. Ein Scharfschütze verwundet junge Menschen, die in Untergrundkrankenhäusern behandelt werden müssen, die Männer fahnden nach dem Nutzen der Schuld, Rosie fragt nach dem Religiösen in der Natur, sucht nach der Liebe in einer Stadt ohne Gott - und verschwindet dann auf einmal in den Ruinen von Baalbek. Der Roman wird getragen durch Dialoge und Reflexionen, die Handlung tritt dagegen zurück. Er ist eine eindringliche Botschaft einer Jugend, die ohne Gott auszukommen sucht.


Veröffentlicht am 29.08.2018

Ein Buch mit zahlreichen Anregungen und Vorschlägen, das zum Nachdenken über die eigene Lebenspraxis anregt. Umso erstaunlicher, dass mit keinem Wort auf die modernen Zeitfresser der Smartphones et.al. eingegangen wird.

Mäßigung
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Thomas Vogel, Mäßigung. Was wir von einer alten Tugend lernen können, Oekom 2018, ISBN 978-3-962380-65-6

Mäßigung war schon für die alten griechischen Philosophen und später auch bei den christlichen ...

Thomas Vogel, Mäßigung. Was wir von einer alten Tugend lernen können, Oekom 2018, ISBN 978-3-962380-65-6

Mäßigung war schon für die alten griechischen Philosophen und später auch bei den christlichen Theologen der Frühzeit eine unverzichtbare Tugend, die es zu befolgen galt, wollte der Mensch ein zufriedenes und glückliches Leben führen.

Mittlerweile leben wir in einer Welt, in der schon das Wort allein als Spaßbremse verstanden wird. Eine Welt, die es seit langer Zeit vergessen hat, sich zu mäßigen und die so in immer schnellerem Tempo in den ökologischen Ruin gerät.

Thomas Vogel, Pädagogikprofessor in Heidelberg, will, sich auf die alten griechischen Philosophen berufend, jene Tugend wiederbeleben und schlägt ein paar Synonyme vor, etwa Gelassenheit und Besonnenheit. Doch Mäßigung, so sagt er, im wörtlichen Sinne muss dazu kommen, denn sonst sind wir in unseren postindustriellen Gesellschaften nicht mehr zu retten.

Die Frage, die in der letzten Zeit viel diskutiert wird in den Medien ist, warum es dem Menschen in den Industrieländern nicht gelingt, sich zu beschränken. Kann der Einzelne zum Erhalt diese Welt wirklich etwas beitragen ?

Vogel beruft sich auf die antiken Stoiker, aber auch auf Sokrates und vor allem Platon mit der Lehre von den vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Klugheit, Mut und eben die Mäßigung.

Jeder, so Vogel in seinem Buch, das eine Vorlesungsreihe in Heidelberg wiedergibt, muss stets neu für sich herausfinden, was Maß und Mitte für ihn bedeuten. Für Vogel jedenfalls bilden sie allein das Fundament für das Glück.

Ein Buch mit zahlreichen Anregungen und Vorschlägen, das zum Nachdenken über die eigene Lebenspraxis anregt. Umso erstaunlicher, dass mit keinem Wort auf die modernen Zeitfresser der Smartphones et.al. eingegangen wird.

Veröffentlicht am 04.01.2018

Lieber farbig

Ice is Black
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Laurent Baheux, Ice is black, te Neues 2017, ISBN 978-3-9617-048-5

Dieser Bildband des eigentlich als Sportfotograf arbeitenden Laurent Baheux will eine umfassende Bestandsaufnahme arktischer Landschaften ...

Laurent Baheux, Ice is black, te Neues 2017, ISBN 978-3-9617-048-5

Dieser Bildband des eigentlich als Sportfotograf arbeitenden Laurent Baheux will eine umfassende Bestandsaufnahme arktischer Landschaften und Tierwelten sein, ihre massive Bedrohung darstellen und zum aktiven Schutz dieser Natur aufrufen.

Selbst ein großer Liebhaber der schwarz-weiß. Fotografie, hat Laurent Baheux diese Eislandschaften unter dem Titel „Ice is black“ festgehalten.

Eindrucksvolle Bilder sind so entstanden, durchaus, aber mich haben sie nicht wirklich angesprochen. Sie können die gefährdete Schönheit der arktischen Landschaften und ihrer Tierwelt nicht abbilden, wie das farbige Bilder tun.

Ich würde deshalb aus dem Angebot der Bildbände über die arktische Welt lieber zu einem farbig gestalteten greifen.

Veröffentlicht am 22.10.2019

Dennoch: seine beiden ersten Bücher haben mir besser gefallen. Den für die Lektüre des neuen Buches nötigen Sinn für Esoterik besitze ich nicht.

Der Wanderer
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Luca D` Àndrea, Der Wanderer, Penguin 2019, ISBN 978-3-328-60025-1

Mit dem neuen Thriller des Südtiroler Erfolgsautors Luca D`Andrea habe ich mich schwer getan. Zu verworren scheint zunächst die Handlung, ...

Luca D` Àndrea, Der Wanderer, Penguin 2019, ISBN 978-3-328-60025-1

Mit dem neuen Thriller des Südtiroler Erfolgsautors Luca D`Andrea habe ich mich schwer getan. Zu verworren scheint zunächst die Handlung, zu unklar die ab der Mitte des Buches eingeführte geheimnisvolle Figur des „Wanderers“, die dem Buch seinen Titel gab.

Das Buch spielt in Kreuzwirt, einem auf den ersten Blick beschaulichen kleinen Örtchen in Südtirol, an dem der Tourismus vor langer Zeit schon vorbeigegangen ist. Kreuzwirt entpuppt sich als ein Ort voller Geheimnisse und vielfältiger Seilschaften, in die der zunächst von der Handlung etwas verwirrte Leser im Laufe des Buches einen düsteren Einblick erhält.

Als die junge, motorradbegeisterte Sybille eines Tages einen Brief ohne Absender erhält, befindet sich in ihm ein Bild ihrer toten Mutter. Vor über zwanzig Jahren war sie bei einem mysteriösen Unfall am See ums Leben gekommen, ein Unfall, der damals schnell als Selbstmord zu den Akten gelegt wurde.

Irgendwer will Sybille mit diesem Hinweis zeigen, dass sich ihre Mutter damals eben nicht umgebracht hat, sondern dass sie ermordet wurde. Zusammen mit dem Schriftsteller Tony, der damals als junger Lokaljournalist über das Geschehen berichtete und der mit seinem riesigen Bernhardiner allein lebt, begibt sie sich auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. Was ist da vor zwanzig Jahren wirklich geschehen, als man „die narrische Erika“, die anderen Menschen aus Tarotkarten die Zukunft gelesen hat und in Kreuzwirt keineswegs beliebt war, tot an dem abgelegenen Bergsee gefunden hat? Was hat es mit dem seltsamen Tarotzeichen auf sich, das vom Bösen kündet?

Die beiden, die im Laufe der Handlung durchaus Gefühle füreinander entwickeln, stoßen sehr schnell auf ein Geflecht aus Lügen, Eifersucht und Verrat. Da spielen Drogen eine Rolle, Okkultismus und immer wieder auch ein große Portion Wahnsinn, die der Leser erst einmal mehr oder weniger erfolgreich entwirren muss.

Es stellt sich bald heraus, dass das Sonderbare und abgrundtief Geheimnisvolle an der ganzen Geschichte, die der Autor da entwickelt, auf eine schwer zu entschlüsselnde Weise mit der Geschichte der ganzen Dorfgemeinschaft selbst zusammenhängt. Die blockt alle Aufklärungsversuche rigoros ab und beginnt die beiden „Ermittler“ sogar zu bekämpfen.

Der Autor lässt den Leser auf weiten Strecken im Unklaren, wer da auf welcher Seite steht. Teils verworrene Handlungsstränge und Gedanken hängen miteinander zusammen, oder etwa doch nicht?

Mir ist es so gegangen, dass ich besonders nach langen Leseabschnitten stellenweise dachte, einen Faden der Lösung gefunden zu haben, nur um ihn bald nach einer längeren Lesepause wieder zu verlieren.

Dennoch gelingt es dem Autor, seinen Leser bei der Stange zu halten, der unbedingt wissen will, was sich nun genau hinter all den Geheimnissen des Ortes verbirgt und vor allem, wie die bald eingeführte Figur des „Wanderers“ zu interpretieren ist.

Die Lösung soll hier natürlich offen bleiben. Doch wenn man trotz der erwähnte Wirrungen tapfer am Buch bleibt, stellt sich ein ungewöhnlicher Leseeffekt ein, der den Leser nicht mehr loslassen will und der sehr viel mit der Sprache und dem Gesamtarrangement des Autors zu tun hat.

Dennoch: seine beiden ersten Bücher haben mir besser gefallen. Den für die Lektüre des neuen Buches nötigen Sinn für Esoterik besitze ich nicht.