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Veröffentlicht am 16.12.2019

Tödliche Delikatessen

Winteraustern
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Der dritte Teil der „Aquitaine-Krimireihe“, in der Commissaire Luc Verlain seine Ermittlungen in der Region seiner Jugend durchführt.
Nicht nur die Küste ist rau. An der Atlantikküste, am Bassin d’Arcachon, ...

Der dritte Teil der „Aquitaine-Krimireihe“, in der Commissaire Luc Verlain seine Ermittlungen in der Region seiner Jugend durchführt.
Nicht nur die Küste ist rau. An der Atlantikküste, am Bassin d’Arcachon, südlich von La Rochelle, auf der Höhe von Bordeaux gelegen leben die Austernzüchter karg und bescheiden.
Luc kennt diese Mühen von klein auf, hatte doch auch sein Vater eine kleine Cabane in der Gegend. Neben den kleinen Erzeugern, die wie damals auch Lucs Vater einen gewissen Ehrenkodex zur nachhaltigen Zucht einhalten und die jährlich wieder um ihre Existenz kämpfen, hat sich inzwischen ein großer Zuchtbetrieb etabliert, dessen Produkte aber unter den maximierten Gewinnsteigerungen massiv in der Qualität zurückliegen, der aber umgekehrt die lokalen Tradtitionsbetriebe in den Ruin treibt.
Doch diese Qualitätsmängel scheinen die Austerndiebe, die auf den Bänken des Platzhirsches ihr Unwesen treiben, nicht zu stören. Da die lokale Gendarmerie mit nur einem Boot nicht alle Zuchtplätze überprüfen kann (und auch nicht wirklich will), organisiert sich der betroffene Zuchtbetrieb selbst eine Überwachung.
Eines Tages, als Luc Verlain mit seinem Vater einmal die lokale Gendarmeriestreife begleitet, finden sie einen niedergeschlagenen Austernzüchter an einem der Bassins. Und gleich daneben dann zwei tote junge Austernzüchter.
Luc und seine Kollegin Anouk versuchen im hektischen Vorweihnachtsalltag, die kniffligen Fälle aufzuklären. War es derselbe Täter? Hängen die Fälle zusammen? Und wer ist der Sicherheitsmann des großen Züchters, der plötzlich wieder verschwunden ist?
Zudem ist Luc viel zu häufig durch private Fragen abgelenkt – will Anouk ihn verlassen und dem Ruf nach Paris folgen?
Atmosphärisch gelungene Fortsetzung der Aquitaine-Reihe, im pittoresk beschriebenen Südwesten Frankreichs, mit gewohnt spritzigen, launigen Dialogen. Bei einem Besuch in Paris bei Lucs alten Kollegen beweist Anouk, dass nicht nur Nagelfeile und Haarspray zu den Waffen einer Frau zu zählen sind.
Das Ende, in dem erneut Anouk in einem anonymen Schreiben vor Luc gewarnt wird, verspricht eine spannende Weiterführung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.10.2019

Schritt für Schritt

Laufen
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Die namenlose Protagonistin kämpft sich nach einem Trauma durch Laufen Schritt für Schritt ins Leben zurück.
Schritt für Schritt, so wie die Gedanken kommen und gehen, lässt sie den Leser teilhaben an ...

Die namenlose Protagonistin kämpft sich nach einem Trauma durch Laufen Schritt für Schritt ins Leben zurück.
Schritt für Schritt, so wie die Gedanken kommen und gehen, lässt sie den Leser teilhaben an ihren Gedanken, ihren Gefühlen, ihrem Schmerz.
Und wie die Läuferin erst nur wenige Minuten durchhält, dann länger, eine halbe Stunde, eine knappe Stunde, ein Volkslauf über 10 km, so erfährt der Leser, unterbrochen von Alltagsgedanken und Reflexionen über aktuelle Geschehnisse, nach und nach die ganze Geschichte.
Die äußerst geschickt formulierte, atemlose Sprache führt dazu, dass der Leser das Gefühl bekommt, selbst zu laufen, selbst außer Atem zu geraten, aus Trauer, Wut, sich selbst mit diesen inneren Monologen auseinanderzusetzen, immer wieder unterbrochen durch die Atmung – ein ein aus aus aus aus.
Ich fand das Buch fesselnd, traurig und schön zugleich, bewegend und berührend. Es hat mich im Herz getroffen, ich war in manchen Szenen nahe am Wasser, speziell, wenn die Protagonistin Freude erfährt, z. B. das Gefühl am Ende des Alsterlaufes, die Kinder ihrer Freundin, die ihr einfach nur einen Gutschein für immer trösten schenken. Und am Ende dann ein Name – schlicht, ergreifend, ein eindeutiger Abschluss.

Veröffentlicht am 16.10.2019

What a difference a day makes

Der Sprung
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Das Buch beginnt mit dem Sprung. Es ist offenbar eine Frau, die hier springt – doch wer ist sie?
Tags vor dem „Sprung“ erleben wir Momenteinblicke an einer Ecke irgendwo im Nirgendwo: da ist Felix, der ...

Das Buch beginnt mit dem Sprung. Es ist offenbar eine Frau, die hier springt – doch wer ist sie?
Tags vor dem „Sprung“ erleben wir Momenteinblicke an einer Ecke irgendwo im Nirgendwo: da ist Felix, der Polizist, den ein düsteres Geheimnis zur Unrast zwingt und der seine Freundin Monika, von ihm schwanger, damit im höchsten Grad verunsichert. Roswitha, die Kaffeehausbesitzerin mit ihrem Kaffee am Platz, wo alle irgendwie zusammenkommen. Egon, ein ehemaliger Hutmacher, in dessen Geschäft nun ein Smartphoneladen eingezogen ist und der jetzt im Schlachthaus arbeitet. Finn, der Fahrradkurier, der, seit er die geheimnisvolle Pflanzenversteherin Manu kennt, nicht mehr sicher ist, ob er wirklich mit dem Fahrrad auf Welttour gehen will – oder eher bei Manu bleiben sollte. Maren, die Schneiderin, die damit zu kämpfen hat, dass ihr vormals gemütlicher, genussorientierter Hannes seit seinem 40. Geburtstag nur mehr an Sport und seinen Körper denkt. Und Theres und Hannes mit ihrem Tante-Emma-Laden, den keiner mehr braucht.
Doch als Manu plötzlich am Dach eines Hauses steht, eine aufmerksame Passantin darin einen Suizidversucht sieht und sofort Polizei und Feuerwehr einschaltet, finden diese ganzen losen Geschichten zusammen, es entsteht ein Gesellschaftsbild, Schicksale werden offenbart, Freundschaften geschmiedet und zerstört, lange zurückliegende Traumata kommen ans Tageslicht, ein Leben geht zu Ende.
Was ein Tag, eine unbewusste Geste, ein falscher Blick, ein richtiges Wort, alles zu ändern vermag. Mitten aus dem Leben schreibt Simone Lappert mitreißend über ganz normale Menschen wie Du und ich. Beeindruckend.

Veröffentlicht am 14.04.2019

Magische Jahre einer immer jungen Stadt

An den Ufern der Seine
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Paris hat immer schon einen ganz eigenen Reiz verströmt – ob in den 20er Jahren, wo sich Hemingway, Fitzgeralds, Cocteau, Dali und Josephine Baker in der Stadt trafen, in der Belle Epoque, wo Gauguin, ...

Paris hat immer schon einen ganz eigenen Reiz verströmt – ob in den 20er Jahren, wo sich Hemingway, Fitzgeralds, Cocteau, Dali und Josephine Baker in der Stadt trafen, in der Belle Epoque, wo Gauguin, Tolouse Lautrec und Degas sich begegneten oder auch in der Renaissance.
Nun also die magischen Jahre 1940-1950: Name-Dropping wird in Paris immer leicht gemacht – in diesen Jahren sind es immer noch Picasso (der bereits in den 20er Jahren in Woody Allans Film Midnight in Paris zu den Influencern gehörte), de Beauvoir, Sartre, Giacometti und Beckett, die nun als radikale Denker der Zeit gefeiert werden. Eine Zeit, die alleine schon aufgrund des Krieges sicherlich sehr entscheidend für die folgenden Jahre war.
Agnes Poirier schildert diese bedeutenden Epoche des Rive Gauche mit seinen bekannten Vertretern und seine Auswirkungen bis heute äußerst präzise und sehr detailgetreu. Viele der erzählten Anekdoten würden zum Romanstoff taugen, das vorliegende Werk ist aber eindeutig – nicht zuletzt aufgrund der exakten Recherche – als Sachbuch deklariert. Interessante Zeitgeschichte.

Veröffentlicht am 14.04.2019

Pflichtlektüre

Die große Heuchelei
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Jürgen Todenhöfer hat die schlimmsten Krisenregionen bereist und schildert in dem Buch seine Erfahrungen – und seine Überzeugung, wieso der Westen nicht zur Befreiung ausrückt, sondern um seine Interessen ...

Jürgen Todenhöfer hat die schlimmsten Krisenregionen bereist und schildert in dem Buch seine Erfahrungen – und seine Überzeugung, wieso der Westen nicht zur Befreiung ausrückt, sondern um seine Interessen in den ärmsten Regionen der Welt durchzusetzen.
Die Kapitelüberschriften lesen sich wie Zeitungsschlagzeilen des letzten Jahrzehnts: Mossul, Aleppo, Afghanistan, Syrien, Myanmar (die Vertreibung der Rohingya). Todenhöfer entblößt schonungslos die Machtansprüche, die die Politik mit als Befreiungsaktionen getarnten Militärinterventionen durchsetzt. Auf den Rücken der Zivilbevölkerung, die noch jahrzehntelang die Trauma dieser Befreiungsaktionen durchleben wird. Und die keine Chance mehr auf ein selbstbestimmtes Leben haben wird, viele Bewohner sind geflüchtet, die Familien, die überlebt haben, sind über den Globus verstreut, auf der Suche nach einem Leben im Frieden. Todenhöfer will mit seinem Buch aufrütteln und zum Umdenken anregen – nur wenn es gelingt, die Menschenrechte wirklich weltweit nicht nur zu propagieren, sondern auch zu leben, als Maxime für alle zu betrachten, haben die Menschen in diesen Regionen eine Chance.
Irak, Afghanistan, Syrien, Jemen, Libyen. Nur Namen, die symbolisch für Millionen Betroffener stehen.
Todenhöfer unterlegt seine Reportage mit Bildern von sich und seinem Sohn Frederic – vor den Ruinen in Mossul, eine Stadt, deren Zerstörung man sich nicht vorstellen kann, vor dem Grenzzaun in Myanmar, von den Leichen in den Ruinen, die einfach liegenbleiben. Trockene, erschütternde Fakten werden mit Schilderungen von Einzelschicksalen lebendig dargestellt.
Ich kenne inzwischen einige ehemalige Asylwerber aus diesen Krisenregionen: Der KFZ-Lehrling, aus dem Irak vertrieben, der hier jeden Cent zweimal umdreht, um sich die halsabschneiderische Miete für sein Kellerzimmer leisten zu können, trotzdem voller Hoffnung, es hier „zu schaffen“. Ohne die Militärinterventionen wäre er immer noch im Irak, wahrscheinlich inzwischen schon Vater und Besitzer einer eigenen Werkstatt. Der Hausmeister, aus dem Sudan geflohen und jetzt, nach dem Sturz von al Bashir voller Hoffnung, seine Familie vielleicht doch wiedersehen zu können – eines Tages. Der Universitätslehrer aus Afghanistan, der als Dolmetscher für die US-Soldaten gearbeitet hat und nun froh ist, einen Hilfsarbeiterjob zu bekommen und eine Wohngelegenheit in einem Heim.
Für alle gilt: ich bewundere sie zutiefst für ihren Mut, ihren Frohsinn, ihren Lebenswillen – nach all dem, was sie erfahren haben, keine Selbstverständlichkeit. Und wir sollten ihnen helfen, die unfassbaren Traumata, die sie erlebt haben, zu verarbeiten – und sie nicht erneut schikanieren.
Todenhöfers Buch sollte eine Pflichtlektüre werden. Ich kann dieses Buch nur allen, die nicht weiter wegsehen wollen, empfehlen.