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Veröffentlicht am 15.11.2019

Tretet ein und lasst euch vom Nachtzirkus verzaubern!

Der Nachtzirkus
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Ein Zirkus übt auf seine Besucher stets eine besondere Wirkung aus. Man tritt ein in eine andere Welt, die voller Freude und Magie ist, die so völlig anders ist als das Normale und Gewöhnliche und die ...

Ein Zirkus übt auf seine Besucher stets eine besondere Wirkung aus. Man tritt ein in eine andere Welt, die voller Freude und Magie ist, die so völlig anders ist als das Normale und Gewöhnliche und die man am liebsten nie mehr verlassen möchte. Und so ist es auch mit diesem Buch. Es ist ein magisches Buch, ein stimmungsvolles Buch, ein atmosphärisches Buch, das nie enden sollte. Doch leider fliegen die Seiten nur so dahin und viel zu schnell hat man die letzte Seite umgeblättert, die letzte Zeile gelesen und muss den Nachtzirkus verlassen.

„Der Nachtzirkus“ lebt von seinen Artisten, Zauberern und Künstlern, dem Duft nach Popcorn und Zuckerwatte. Viele, viele Zelte, deren Planen allesamt schwarz-weiß gestreift sind, versammeln sich auf einer Wiese und hinter jedem Eingang verbirgt sich eine andere Attraktion, die ihre Besucher in Staunen versetzt, sie zum Lachen bringt oder gruseln lässt. Aber hinter der Fassade steckt noch viel mehr und das Maß an Fantasie, das Erin Morgenstern bewiesen hat, ist unfassbar und grenzenlos. Die Autorin erzählt eine noch nie dagewesene Geschichte und entführt ihre Leser damit in eine andere Welt, in der man alles um sich herum vergisst und sich nur noch nach dem Nachtzirkus sehnt. Von Anfang an gelingt es Erin Morgenstern, eine faszinierende Atmosphäre zu verbreiten, die sofort gefangen nimmt. Dazu sind die Charaktere so einmalig und lebendig, dass es als Leser so einfach fällt, einen Zugang zu ihnen zu finden. Im Handumdrehen gewinnen die Figuren die Sympathie des Lesers und es macht enorm viel Spaß, sie durch das Buch hindurch zu begleiten. Jede Figur ist anders, jeder Charakter überzeugt mit individuellen Eigenheiten, die liebenswert und einmalig, einfach besonders sind. Sie wirken allesamt lebendig und greifbar und es scheint fast so, als würde man sie schon ein Leben lang kennen. Es gibt in diesem Buch keine Hauptfigur. Vielmehr spielt jede von ihnen eine entscheidende Rolle und das Buch wäre nicht halb so schön, würde auch nur einer der Charaktere fehlen.

Über die Handlung des Buches lässt sich gar nicht mehr sagen, als der Klappentext bereits verrät. Man muss diesen Roman einfach selbst erleben und den Nachtzirkus betreten. In jedem Fall ist die Handlung hervorragend durchdacht, logisch und nachvollziehbar konstruiert und dabei doch überraschend. Es gibt eine Handvoll Handlungsstränge, die teilweise parallel verlaufen, sich aber an vielen Stellen berühren und verbinden. Es macht Spaß, zu rätseln, wie die Figuren und Handlungsstränge zusammenhängen könnten und dann zu erfahren, welche Lösung sich die Autorin ausgedacht hat. Sie schafft es, ihre Leser zu erstaunen und für den ein oder anderen Aha-Effekt zu sorgen. Allein das Ende passt nicht ganz zum Rest des Romans, da die Autorin hier zu viel Magie ins Spiel bringt und die Handlung etwas zu sehr auf die Spitze treibt. Nichtsdestotrotz war es ein großartiges Vergnügen, den Nachtzirkus zu betreten und ein Teil von ihm zu werden.

Verstärkt wird dieses Vergnügen dadurch, dass der Leser selbst mit in die Handlung einbezogen wird. Es gibt einige Zwischenkapitel, die sich direkt an den Leser wenden, ihn mit „Du“ ansprechen und ihn mitnehmen auf einen Rundgang durch den Zirkus. In diesen Zwischenkapiteln wird beschrieben, was den Leser erwartet, wenn er den Nachtzirkus betritt, welche Sehenswürdigkeiten und Attraktionen er bestaunen kann, was sein Auge alles wahrnehmen wird und welche Geräusche an sein Ohr dringen werden.

Der Stil von Erin Morgenstern ist direkt und recht schnörkellos, aber von Anfang an einnehmend und begeisternd. Das Buch liest sich praktisch von selbst und dabei läuft ein so bildreicher Film vor dem geistigen Auge des Lesers, dass es eine wahre Freude ist.

Veröffentlicht am 15.11.2019

Ein Ausflug in eine virtuelle Welt

Ready Player One
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Das Leben im Jahr 2044 ist kein schönes Leben mehr. Armut und Hungersnöte bedrohen die Menschheit, Missgunst, Neid und der Konsum von harten und weichen Drogen bestimmen den Alltag. Die Menschen leben ...

Das Leben im Jahr 2044 ist kein schönes Leben mehr. Armut und Hungersnöte bedrohen die Menschheit, Missgunst, Neid und der Konsum von harten und weichen Drogen bestimmen den Alltag. Die Menschen leben in Trailer-Parks, in dem die Wohnwagen übereinander gestapelt sind, weil einfach nicht mehr freier Platz auf dem Boden vorhanden ist. Da ist es kein Wunder, dass sich die meisten Menschen in die virtuelle Welt flüchten. Denn was die Technik betrifft, ist die Entwicklung vorangeschritten. 3-D-Brillen, haptische Anzüge und Handschuhe, eine winzige Konsole – mehr braucht es nicht, um völlig in die OASIS, eine virtuelle Welt, abzutauchen. Hier trifft man Freunde, geht einkaufen oder zur Schule – die OASIS ist grenzenlos, man kann sogar fremde Galaxien und Planeten besuchen, wenn man über das entsprechende virtuelle Transportmittel und das nötige Kleingeld verfügt.

Der Schöpfer der OASIS, James Halliday, hat kurz vor seinem Ableben in seinem Testament verfügt, dass sein gesamtes Vermögen im Umfang von mehreren hunderten Milliarden an denjenigen übergehen soll, der in der Lage ist, drei Schlüssel zu finden und damit drei Tore zu öffnen, um schließlich das goldene Ei – das EasterEgg - zu finden. Diese drei Schlüssel sind irgendwo in der OASIS versteckt und mit dem Lösen von Rätseln verknüpft. Dem besten Spieler allein gebührt die Ehre, das Vermögen von Halliday zu erben.

Natürlich stürzt sich die halbe Menschheit auf diese Aufgabe, die OASIS wird Stück für Stück durchsucht und doch soll es fünf Jahre dauern, bis der erste Hinweis entdeckt, das erste Rätsel gelöst, der erste Schlüssel gefunden wird. Wade Watts, ein Teenager, der nicht mehr viel vom Leben zu erwarten hat, verbringt jede Minute seiner Freizeit – und teilweise auch die seiner Schulzeit – damit, nach Hinweisen zu suchen. Dabei orientiert er sich vor allem an der Lebensgeschichte von Halliday, die viel über seine Lieblingsfilme, -serien, -lieder und –spiele verrät. Geschickt kombiniert Wade Hinweise und Andeutungen und gelangt so schließlich in den Besitz des ersten Schlüssels. In einer Rangliste, die den Fortschritt eines jeden Spielers auf der Suche nach dem Goldenen Ei aufzeichnet, erscheint Wades Name plötzlich auf dem ersten Platz und nun weiß die ganze Welt, dass der erste Schlüssel gefunden wurde und von wem. Es dauert nicht lange, und schon wird Wade von anderen Spielern verfolgt. Und das nicht nur in der virtuellen Welt. Es drohen auch Gefahren im echten Leben und die Konkurrenz schreckt vor nichts zurück. Wade lebt in ständiger Bedrohung und kennt doch nur ein Ziel: Auch noch die anderen beiden Schlüssel so schnell wie möglich zu finden.

Ernest Cline hat mit „Ready Player One“ ein Buch geschaffen, das an Ideenreichtum kaum noch zu überbieten ist. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Rätsel er sich ausgedacht hat und um wie viele Ecken gedacht und wie viele Verbindungen hergestellt werden müssen, um sie zu lösen. Als Leser macht es unheimlichen Spaß, zusammen mit dem Hauptcharakter Wade auf eine Reise durch die OASIS zu gehen und dem EasterEgg dabei immer näher zu kommen. Die Handlung ist einfach großartig konstruiert und es macht enormen Spaß, das Buch zu lesen. Manchmal hat man zwar den Eindruck, dass es Wade stellenweise zu leicht gelingt, Rätsel zu lösen und Aufgaben zu erfüllen. Aber es sei ihm vergönnt.

Auch wenn man selbst nicht so viel von den Achtzigern mitbekommen hat, bereitet es doch großes Vergnügen, in die Zeiten von „Star Wars“ und der Atari-Konsole abzutauchen. Im Buch werden viele TV-Serien, Bands, Filme und Spiele erwähnt. Es macht aber überhaupt nichts, wenn man sie persönlich nicht kennt. Die wichtigsten Informationen werden dem Leser vom Autor an die Hand gegeben und so kann man der Handlung trotzdem problemlos folgen. Leser, die sich mit der Popkultur der 80er Jahre auskennen, werden natürlich zusätzlichen Spaß haben, auf bekannte Titel von Filmen oder Spielen zu stoßen. Das sorgt für zusätzliches Lesevergnügen – aber wie gesagt: Das Buch lässt sich auch problemlos lesen und verstehen, wenn man mit Spielen wie „Dungeons & Dragons“, Filmen wie „Der Tag des Falken“ oder Liedern wie „Schoolhouse Rock“ nicht viel anfangen kann.

Da das Buch ungefähr 30 Jahre in der Zukunft spielt, enthält es auch einige Fachbegriffe, die mit Computern oder Technik zu tun haben. Aber auch hier wird der Leser nicht überfordert, sondern wichtige Begriffe werden erklärt und so fällt es überhaupt nicht schwer, der Handlung zu folgen und die Zusammenhänge zu verstehen.

Schön ist, dass sich das Buch nicht allein mit Computerspielen und der Suche nach dem Goldenen Ei beschäftigt. Es ist auch ein kritisches Buch, dass sich mit den Nachteilen einer virtuellen Realität beschäftigt. Unter anderem wird dies wieder durch die Hauptfigur Wade dargestellt, der im realen Leben keine Freunde hat, dem es im Gegensatz dazu aber leicht fällt, in der virtuellen Welt Freunde zu finden. Hier ist er total entspannt und locker und versteckt sich hinter seinem Avatar, der seiner menschlichen Gestalt nur entfernt entspricht. Auf zwischenmenschliche Beziehungen wird sehr ausführlich eingegangen und es macht Spaß zu beobachten, wie sich das Verhältnis zwischen Wade und seinen „Freunden“ entwickelt. Die Figuren sind allesamt sehr detailliert beschrieben und werden dem Leser schnell sympathisch.

Ernest Cline gibt sich sehr viel Mühe damit, die Handlungsumgebung und das Verhalten der Figuren zu beschreiben. Teilweise vergisst man als Leser sogar, dass man sich in einer virtuellen Welt befindet, so realistisch sind die Beschreibungen des Autors. Teilweise waren sie allerdings auch etwas zu ausführlich und stellenweise wird der Leser mit Informationen etwas überschlagen.

Das Buch endet mit einem großen Showdown, bei dem die Seiten nur so dahinfliegen. Das Buch ist in sich abgeschlossen, bietet aber durchaus Potential für eine Fortsetzung.

Mein Fazit:

Ein unterhaltsames und spannendes Buch, das den Leser nicht nur in eine virtuelle Welt, sondern gleichzeitig in die Welt der 80er Jahre entführt.

Veröffentlicht am 08.11.2019

Ein wahrer Lesegenuss

Die Tänzerin im Schnee
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Als Liebhaberin des Balletts bin ich beim Lesen des Buches voll auf meine Kosten gekommen. Der Alltag einer Prima-Ballerina, die Aufführungen, die Aufregung, das Training, die Schmerzen, die Disziplin ...

Als Liebhaberin des Balletts bin ich beim Lesen des Buches voll auf meine Kosten gekommen. Der Alltag einer Prima-Ballerina, die Aufführungen, die Aufregung, das Training, die Schmerzen, die Disziplin - all das beschreibt die Autorin so anschaulich und detailliert, als hätte sie selbst Ballett getanzt. Und vor allem die Schönheit des Tanzes - die wird wirklich greifbar. Ich habe richtig Lust bekommen, mir auch mal eine Aufführung von "Schwanensee" anzusehen.

Gleichzeitig ist das Buch aber auch ein sehr politisches. Es gibt einige erschreckende Szenen. Das Leben im Russland der 50er und 60er Jahre wird sehr realistisch beschrieben. Sogar Stalin taucht auf und spielt seine eigene kleine Rolle. Es ist schon schlimm, wie stark Künstler unter ständiger Kontrolle und Auslegung ihrer Gedichte oder Bilder oder Musik zu leiden hatten.

Gleichzeitig beinhaltet der Roman eine Familiengeschichte, über deren Auflösung ich sehr überrascht war.

Das Buch berichtet von Freundschaften, Liebschaften, Angst, Schmerz, Unterdrückung. Es ist ein sehr vielschichtiger Roman. Gleichzeitig ist er recht anspruchsvoll geschrieben und verlangt die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Er liest sich nicht eben mal nebenbei, dafür ist der Stil der Autorin zu intelligent. Man muss stellenweise auch zwischen den Zeilen lesen, vor allem, um die politischen Anspielungen zu verstehen.

Dennoch war es für mich ein wahrer Genuss, dieses Buch zu lesen. Lediglich für kleinere Längen zwischendurch ziehe ich einen halben Stern ab.

Veröffentlicht am 08.11.2019

Bildgewaltiges Märchen

Die Mechanik des Herzens
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Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die Mathias Malzieu seinen Lesern erzählt. Eine Geschichte von einem Jungen, dessen Herz am kältesten Tag der Welt zu Eis gefriert. Ein Junge, dessen Leben jedoch ...

Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die Mathias Malzieu seinen Lesern erzählt. Eine Geschichte von einem Jungen, dessen Herz am kältesten Tag der Welt zu Eis gefriert. Ein Junge, dessen Leben jedoch in letzter Sekunde gerettet werden kann – indem sein Herz mit einer Kuckucksuhr verbunden wird, die sein Herz weiter schlagen lässt. Ein Junge, dessen Herz nicht in Aufruhr geraten darf, weil das sensible Uhrwerk den daraus folgenden Belastungen nicht standhalten würde. Ein Junge, der sich hoffnungslos verliebt. Und dessen Uhrwerk dadurch hoffnungslos aus dem Takt gerät.

Man muss als Leser ein gewisses Maß an Fantasie mitbringen, um sich richtig auf die Geschichte einlassen zu können. Die Hebamme Madeleine hat nicht nur Kleinkinder, sondern auch erwachsene Menschen repariert, hat ihnen künstliche Ersatzteile wie Augen oder Beine ein- oder angebaut. Dass sie deshalb Ende des 19. Jahrhunderts als Hexe verschrien ist, verwundert nicht. Dass Jack ausgerechnet eine Kuckucksuhr verpflanzt bekommt, die sein Herz am Schlagen hält, ist eine äußerst ungewöhnliche Tatsache, die man als Leser erst einmal verkraften muss. Es klingt absurd und völlig skurril, ist aber gleichzeitig absolut genial und erfinderisch.

Der Roman beginnt sehr ruhig. Mathias Malzieu nimmt sich viel Zeit für die Beschreibung seiner Charaktere und die Darstellung der Handlungsumgebung. Dabei entstehen vor dem geistigen Auge des Lesers farbenprächtige Bilder und alles wird greifbar: Bäume, Häuser, der Schnee, Jack und Madeleine. Als Leser fühlt man sich mitten in das Geschehen hineinversetzt, so lebendig beschreibt der Autor alles und jeden. Im Verlauf des Buches nimmt die Handlung nach und nach mehr an Fahrt auf: Jack verliebt sich auf den ersten Blick unsterblich in die schöne Acacia. Er setzt alles daran, sie wiederzusehen, doch sie ist von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwunden. Schweren Herzens verlässt er Madeleine, die ihm eine Mutter geworden ist, um sich auf die Suche nach der jungen Sängerin Acacia zu machen. Er macht sich auf die Reise quer durch Europa, um sie schließlich in Andalusien wiederzutreffen. Jack erlebt viele Abenteuer – manche davon sind vielleicht etwas zu abenteuerlich - und gibt sich viel Mühe dabei, Acacia zu finden, nimmt vieles in Kauf. Doch wird es ihm gelingen, Acacias Herz zu erobern? Erwidert sie seine Gefühle? Und wie wird sein kleines Uhrwerk-Herz auf diese überschwänglichen Emotionen reagieren?

„Die Mechanik des Herzens“ ist ein sehr gefühlvolles Buch. Es bietet viel Platz für Interpretationsmöglichkeiten, überrascht an einigen Stellen mit unerwarteten Wendungen und vermittelt tiefsinnige Botschaften. Jack durchlebt im Verlauf des Buches eine Achterbahn der Gefühle, die sich auch auf den Leser überträgt. Die Stimmung des Romans ist sehr wechselhaft – sie schwankt wortwörtlich zwischen himmelhochjauchzend und zutodebetrübt. Dazwischen liegen Melancholie, Angst, Überraschung, Schmerz.

So besonders die Geschichte ist, die der Autor erzählt, so einzigartig ist auch sein Erzählstil. Die Worte des Ich-Erzählers Jack sind von der ersten Seite an so eindringlich, dass sie den Leser sofort gefangennehmen. „Die Mechanik des Herzens“ ist ein sehr atmosphärischer Roman. Es sind stellenweise schon fast poetische Szenen, die den Leser erwarten. Das Buch schafft es, zu berühren und zu bewegen. Vor allem am Ende, als offene Fragen beantwortet werden und alles einen Sinn ergibt, bleibt eine gewisse Schwermut nicht aus. Denn obwohl „Die Mechanik des Herzens“ ein Märchen ist, lebten letztlich nicht alle glücklich bis ans Ende ihrer Tage...

Mein Fazit:

„Die Mechanik des Herzens“ ist ein bildgewaltiges Märchen, dessen Inhalt sehr tiefgründig ist und bei dem man stellenweise zwischen den Zeilen lesen muss, weil hinter den Worten des Autors viel mehr steckt, als man auf den ersten Blick erahnen kann.

Veröffentlicht am 08.11.2019

Genau das Richtige für einen verregneten Sonntagnachmittag

Die Shakespeare-Schwestern
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Sie können nicht ohne einander: Sobald sie voneinander getrennt sind, vermissen sie sich und hören in ihrem Inneren die Stimmen der anderen, die ihnen Ratschläge erteilen und sie vor Fehlern bewahren. ...

Sie können nicht ohne einander: Sobald sie voneinander getrennt sind, vermissen sie sich und hören in ihrem Inneren die Stimmen der anderen, die ihnen Ratschläge erteilen und sie vor Fehlern bewahren. Aber genauso wenig können sie miteinander: Sobald sie sich im selben Zimmer befinden, werden ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten spürbar und es kommt zu Streitereien. Cordy, Rose und Bean, die drei Shakespeare-Schwestern, könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch halten sie zusammen, wenn es hart auf hart kommt.

Jede der Schwestern ist ausführlich und eindringlich beschrieben, obwohl sie sich mehr durch ihr Verhalten charakterisieren als durch die Darstellung der Autorin. Ich hatte sehr schnell meine Lieblingsfigur gefunden, doch auch Rose und Bean haben meine Sympathie gewonnen. Jede der drei Frauen hat ihre Ecken und Kanten, die sehr deutlich zum Tragen kommen – aber jede hat auch ihre liebenswerten Seiten. Und je weiter die Handlung voranschreitet, umso deutlicher wird, warum die Frauen so sind wie sie sind. Da verzeiht man als Leser schon mal Fehler oder nimmt ein ursprünglich verständnisloses Kopfschütteln zurück. Denn das Leben hat die drei Schwestern geprägt und ihre unterschiedlichen Charaktere geschaffen und geformt. Die unterschiedlichen Eigenschaften wurden von der Autorin sehr deutlich herausgearbeitet und es kommt im Verlauf des Buches des Öfteren zu Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten.

Gemeinsam ist den drei Frauen aber ihre Leidenschaft zu Büchern, die in diesem Roman auch auf wundervolle Weise thematisiert wird. Lesemacken und Leserituale werden beschrieben, genauso wie Leseorte oder Leseerinnerungen. In ihrer größten Verzweiflung greift jedes Familienmitglied immer wieder zum Buch, um Zuflucht zu suchen und zu finden. Es sind sehr schöne Szenen, die wohl jedes Leserherz höher schlagen lassen und auch an so mancher Stelle für einen Schmunzler sorgen. So wird zum Beispiel geklärt, wie man es schafft, circa 100 Bücher im Jahr zu lesen oder ganz und gar ohne Fernseher auszukommen. :wink: Ein Teil der Handlung spielt übrigens in einer kleinen Bibliothek und die entsprechenden Szenen lesen sich auch sehr schön.

Nicht unwichtig für die Themen „Lesen“ und „Büchern“ sind dabei natürlich auch die Shakespeare-Zitate, die immer wieder auftauchen, wenn man mal nicht weiß, was man sagen soll. Dann greift vor allem der Vater der Schwestern immer wieder zu Aussagen des bärtigen Schriftstellers von der Insel, um dadurch Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen und sie schnell zu beenden. Er versteckt sich hinter Shakespeares Zitaten, um sich keine eigene Meinung bilden zu müssen. Ich muss zugeben, dass mich diese immer wiederkehrenden Zitate im Verlauf des Buches doch etwas gestört haben. Man weiß sehr oft auch einfach nicht, was der Vater ausdrücken will und daher stehen die Zitate etwas zusammenhanglos im Raum. Aber insgesamt sind sie doch ein interessantes Extra, das dem Buch das gewisse Etwas gibt und natürlich insgesamt auch einfach zum Titel und der Tatsache, dass die drei Schwestern nach Shakespeare-Figuren benannt sind, passt.

Es ist ein trauriger Anlass, der die drei Schwestern dazu bringt, nach Hause zurückzukehren. Sie sind alle in den Dreißigern, führen alle ein eigenständiges Leben, sind alle mehr oder weniger zufrieden damit. Doch als ihre Mutter schwer erkrankt, lassen sie alles stehen und liegen und reisen zurück in ihre Heimat, zu ihren Eltern, zu sich selbst. Jede der Schwestern trägt Probleme und Geheimnisse mit sich herum, die sie versucht, vor den anderen zu verbergen. Doch im Laufe des Buches werden die meisten davon aufgedeckt und rufen die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Die Handlung des Romans ist dadurch sehr abwechslungsreich und schafft es immer wieder, zu überraschen.

Das Buch ist fesselnd, ohne spannend im eigentlichen Sinne zu sein. Es sind einfach die Einzelschicksale, die es schaffen, zu begeistern, und für die man sich als Leser so schnell interessiert. Es passieren keine aufsehenerregenden Sachen, aber dennoch sind die Leben von Rose, Bean und Cordy sowie von ihren Eltern ständig in Bewegung und schaffen es mühelos, das Interesse des Lesers aufrechtzuerhalten.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr warm, sehr gefühlvoll und sehr intelligent. Stellenweise muss man zwischen den Zeilen lesen, vor allem wenn es um die Shakespeare-Zitate geht. Und die besondere Erzählperpektive sorgt für ein zusätzliches Lesevergnügen. Der Leser wird dadurch ein Teil der Geschichte, man fühlt sich direkt angesprochen und in die Erinnerungen der Schwestern einbezogen. Diese Erzählperspektive ist mir bislang noch in keinem anderen Buch begegnet, aber ich würde mir mehr Bücher wünschen, die aus dieser Perspektive geschrieben sind.

Mein Fazit:

Eleanor Brown hat mit ihren „Shakespeare-Schwestern“ einen wundervollen Familienroman geschaffen, der sehr gut unterhält und genau das Richtige für einen verregneten Sonntagnachmittag ist.