Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
online

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.02.2020

Neue Perspektiven - und neue Sorgen!

Die Frauen vom Alexanderplatz
0

Das ist es, was die Menschen nicht nur in Deutschland am Ende des Jahres 1918, nach dem großen Krieg, den wir heute als Ersten Weltkrieg kennen, erwartet - ihre Welt, also Europa, liegt in Trümmern. ...

Das ist es, was die Menschen nicht nur in Deutschland am Ende des Jahres 1918, nach dem großen Krieg, den wir heute als Ersten Weltkrieg kennen, erwartet - ihre Welt, also Europa, liegt in Trümmern. Und das ist vor allem im übertragenen Sinne zu verstehen, denn es wurde zwar viel zerstört, aber nichts ist damit zu vergleichen, dass in vielen, vielen Ländern sich das ganze politische Konstrukt völlig neu definieren muss.

In Deutschland folgte dem Zusammenbruch des Kaiserreiches das totale Chaos. Verschiedene - oft extreme - politische Strömungen trafen auf einander und kämpften nicht weniger erbittert gegeneinander als zuvor im Krieg.

Autorin Elke Schneefuß nimmt uns gerade mal einen guten Monat nach dem Ende des Krieges, an Weihnachten 2018, mit nach Berlin, wo es besonders hoch her geht.

Hier trifft der Leser auf drei Frauen: Auf Hanna, Tochter aus besserem Hause, die im Krieg als Krankenschwester an der Front war und sich nun gegen den Willen ihrer Eltern durchsetzen muss, die sie gut verheiratet sehen wollen. Was für Hanna keine Option ist, denn sie hat ihren Lebensmenschen schon kennengelernt. Im Krieg und zwar im Lazarett: Cora nämlich, die dort ebenfalls arbeitete, aber dass sie eine Frau liebt, das kann Hanna zu Hause nicht erzählen.

Dann Vera, die im Krieg nicht ihrem erlernten Beruf als Schneiderin nachgehen konnte, weil die Werkstatt ihres Vaters irgendwann pleite ging. Nun, nach seinem Tod, möchte sie dort gerne wieder was aufbauen, muss sich aber um ihre Mutter kümmern, die chronisch krank ist. Oder behauptet sie das nur? Vera hat gar keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sie trifft auf Benno, der sich in der ehemaligen Werkstatt verstecken will - er war Matrose im Krieg und ist in der Hoffnung auf einen neuen Start nach Berlin gekommen. Wenig später erscheint auch noch Veras Bruder Georg, der ganz andere Vorstellungen von der Zukunft und auch vom Umgang mit dem väterlichen Erbe hat als sie.

Zuletzt gibt es noch die ledige Mutter Fritzi, die es aus Deutschlands Norden in die Stadt verschlägt. Sie sucht nach dem Vater ihres Kindes, von dem sie seit Jahren nichts gehört hat.

Drei Frauen - drei Schicksale, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, die sich aber dennoch überlappen. Elke Schneefuß zeichnet ein spannendes und eindringliches Bild von der Hauptstadt eines Landes, das in Scherben liegt.

Auffällig ist, dass alle drei ein schlechtes bzw. gar kein Verhältnis zur Mutter haben, die Väter kommen hier besser weg. Zwischen den Frauen der unterschiedlichen Generationen klafft eine Riesenlücke in Bezug auf die Wertvorstellungen und die Weltsicht. Auch dies ein Aspekt, der verdeutlicht, wie sich die Zeiten geändert haben!

Die drei jungen Frauen kommen weitgehend besser weg als die jungen Männer, die natürlich auch durch die Geschichte spazieren. Gut gefällt mir, dass einige Figuren richtig "durchwachsen" gezeichnet sind - ganz wie im richtigen Leben! Mir gefällt dieser Fokus auf die Frauen, auf ihre Schicksale nach dem Krieg, wirklich sehr gut.

Zudem hat die Autorin umfassend recherchiert und versteht es, diese Informationen - beispielsweise die Durchsetzung des Wahlrechts für Frauen - in eine atmosphärische Handlung einzubauen. Ein sehr fokussierter Roman, der sich auf eine recht kurze Zeitspanne konzentriert und diese dem Leser sehr nahe bringt. Manchmal waren mir die Schilderungen ein wenig zu kleinteilig. Doch fühlte ich mich während der Lektüre gut unterhalten, so dass ich diesen Roman geschichtsinteressierten Lesern und Leserinnen - diesen vor allem - gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 20.01.2020

Nicht im Regen stehen, sondern schwimmen

Die Gewitterschwimmerin
0

Das will Tamara Hirsch immer wieder, aber nur, wenn es dazu gewittert. Denn dann ist man erstens allein und zweitens möglicherweise bald nicht mehr am Leben - beides Tatsachen, die Tamara herbeisehnt. ...

Das will Tamara Hirsch immer wieder, aber nur, wenn es dazu gewittert. Denn dann ist man erstens allein und zweitens möglicherweise bald nicht mehr am Leben - beides Tatsachen, die Tamara herbeisehnt. Jedenfalls manchmal. Tamara hat ihren eigenen Kopf und ist gegen den anfänglichen Widerstand ihrer Familie Puppenspielerin geworden - und zwar nicht irgendeine, sondern mit Ausbildung und Studium von der Pike auf. Auch sonst ist sie aufmüpfig und nicht gerade pflegeleicht - am wenigsten für sich selbst.

Ihr Universum - das ist das Ostberlin der sechziger, siebziger, achtziger Jahre. Wobei sie das Privileg hat, durchaus auch mal über die Grenzen zu dringen und zwar nicht nur ost-, sondern auch westwärts - so sieht sie das Paris der wilden 1960er.

Denn sie entstammt einer Familie von Privilegierten: Ihr Vater, Opa und Onkel waren tapfere Männer, die in der Zeit des Nationalsozialsmus für ihre politischen Überzeugungen - sozialdemokratische bzw. kommunistische - eingestanden und gekämpft haben, zudem wurden sie wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt. Aber auch mit anderen, vor allem mit Frauen, gingen sie nicht gerade zimperlich um. Ihre eigenen Frauen hatten stets mit Konkurrentinnen zu rechnen und wurden bei Bedarf auch gerne ausgetauscht. Aus einem Umfeld des Bildungsbürgertums hervorgegangen, spielt Wissen und Kultur im Leben aller Generationen eine Rolle. Die Figuren sind komplex und haben in ihrer Konstruktion eine große Nähe zu Franziska Hausers eigener Familiengeschichte.

Nach Aussage der Autorin haben alle Figuren in diesem Buch mit Ausnahme des leiblichen Vaters von Henriette - ihrem eigenen Alter Ego in dem Buch - ein reales Vorbild. Ich wünsche ihr und vor allem ihrer Mutter, dass nicht alle Details dieses Romans, in denen auch Mißbrauch in verschiedenen Zusammenhängen und Ebenen zur Sprache kommt, auf wahren Begebenheiten fußen, das wäre wirklich überaus traumatisch und fatal. Allerdings befürchte ich, dass die Autorin sich in allen Aspekten ziemlich eng an der Realität orientiert hat.

Todessehnsucht ist ein Begriff, der vor allem in der Generation von Tamara Hauser, also derjenigen, die in der DDR aufwuchs und sich sozialisierte und bei deren Auflösung bereits im mittleren Alter war, immer wieder ein Thema ist. Diejenigen, die sich gegen den Nationalsozialismus durchgekämpft haben, sind anders, wenn auch nicht lebensfroh. Nein, das nicht - aber das Überleben als solches, das Durchstehen hat einen ganz anderen Wert. Zumal Tamaras Vater im Gegensatz zu ihrem Opa vollends von der DDR überzeugt ist, bis zu seinem Ende.

Doch auf ihre Art kämpfen sich alle Generationen durchs Leben. Es sind allesamt sperrige Charaktere, jeder auf seine eigene Art und so ist dieser (Über)Lebenskampf in einigen Fällen eher ein Kampf gegen das Leben. So bei Tamara, der Hauptfigur, um die sich alles rankt - auch die ausführlichen Episoden aus dem Leben des Vaters, Großvaters und Onkels, die sich vor ihrer Geburt ereignet haben, hängen letztendlich damit zusammen. Für ihre beiden Töchter ist sie keine einfache und vor allem keine sehr präsente Mutter. Und eine kapriziöse Frau, die die Existenz der DDR zum Leidwesen von Vater Alfred permanent in Frage stellt.

Eine Familie, die für ihre Überzeugungen und teilweise gegeneinander kämpft. So hat auch die Lektüre dieses Romans teilweise etwas von einem Kampf. Verstehen Sie mich nicht falsch, er ist eindringlich und gleichzeitig unterhaltsam, doch hat der Kampf zahlreicher Charaktere mich teilweise richtig zermürbt, so dass ich einfach nicht weiterlesen konnte. Auch hatte ich wieder und wieder Mitgefühl mit der Autorin, die es in dieser Familie nicht leicht hatte, auch wenn sie als Tamaras Tochter Henriette eher eine kleinere Rolle einnimmt.

Ein faszinierender, aber mehr noch beklemmender Roman, der mich sehr beschäftigt und dessen Wirkung wohl auch noch lange in mir nachhallen wird. Ein wenig sehe ich Parallelen zum Familienroman "Ab jetzt ist Ruhe" von Marion Brasch. Aber nur von der Thematik her - stilistisch und auch von der Darstellung der Inhalte her hat die Autorin ein ganz eigenes Werk geschaffen, das nicht nur aufgrund ihres persönlichen Hintergrundes dem Leser - mir zumindest - an die Nieren geht.

Ich muss sagen, ich habe viele Passagen in dem Roman, vor allem wenn es um Sexuelles, um die Mann-Frau-Beziehung ging, in ihrer Direktheit absolut nicht gerne gelesen. Aber insgesamt empfinde ich die Lektüre dieses Romans als großen Gewinn. Wer gerne Romane liest, in denen die deutschen Entwicklungen im 20. Jahrhundert zur Sprache kommen, auch gerne zu Anspruchsvollem greift und keine Angst davor hat, mit Aufwühlendem konfrontiert zu werden und zwar (fast) durchgehend, dem empfehle ich dieses Buch. Aber Vorsicht: Ich habe Sie gewarnt. Und das nicht nur einmal.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.01.2020

Ein ganz besonderer Ansatz

Kräuter Yoga
0

zur Heilung von Beschwerden wie Zähneknirschen und Schlaflosigkeit und auch von handfesten Krankheiten wie Bluthochdruck und chronischen Magenbeschwerden wird in diesem Buch verfolgt: nämlich die Verwendung ...

zur Heilung von Beschwerden wie Zähneknirschen und Schlaflosigkeit und auch von handfesten Krankheiten wie Bluthochdruck und chronischen Magenbeschwerden wird in diesem Buch verfolgt: nämlich die Verwendung bestimmter Heilkräuter in Verbindung mit Yogaübungen.

Nun bin ich alles andere als gelenkig und daher nicht yogatauglich, aber ich betreibe regelmäßig Qi Gong, das gewisse Parallelen sowohl in den Bewegungsabläufen als auch vor allem in Bezug auf den meditativen und entspannenden Aspekt aufweist. Beim näheren Betrachten des Buches erweisen sich manche der Übungen als durchaus geeignet auch für unsportliche oder alters- und krankheitsbedingt in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkte Personen. Bspw. einige der Übungen gegen Kopfschmerz.

Den Kräuterteil finde ich besonders interessant, habe ich dadurch doch mir bisher völlig unbekannte Kräuter wie Bertram kennenlernen dürfen. Allerdings bleibt hier vieles - wie auch bei dem Yogateil - doch stark an der Oberfläche. Doch auch die Impulse, die man durch dieses Buch gewinnen kann, sind definitiv nicht zu unterschätzen. Allerdings nicht zur alleinigen Heilung von Krankheiten, sondern vielmehr als Ergänzung zu dem, was man beim Arzt und in der Therapie an die Hand bekommt.

Ein Buch also, das nach einem zweiten Teil schreit, das jedoch bereits durch seinen Ansatz viel bewirken kann

Veröffentlicht am 17.01.2020

Cymbeline und seine Mutter

Freischwimmen
0

Cymbeline hat nur seine Mutter, denn sein Vater starb an seinem ersten Geburtstag. Das ist alles, was er weiß und wenn er anfängt zu fragen, dann fallen seiner Mutter tausend andere Themen ein, ...

Cymbeline hat nur seine Mutter, denn sein Vater starb an seinem ersten Geburtstag. Das ist alles, was er weiß und wenn er anfängt zu fragen, dann fallen seiner Mutter tausend andere Themen ein, die man ansprechen, hunderte anderer Dinge, die man erledigen sollte.

Und dann geht es ins Schwimmbad - von der Schule aus soll nun, in der vierten Klasse jeden Montag Morgen Schwimmunterricht erfolgen. Aber: Cymbeline war noch nie am, geschweige denn im Wasser. Und wenn es um dieses Thema geht, dann fallen der Mutter noch viel mehr Themen und Dinge ein, an die man sich unverzüglich heranwagen sollte.

Also erzählt Cym - so wird er genannt - ihr gar nicht davon und organisiert sich selbst. Dass das bei einem Viertklässler ganz schön in die Hose gehen kann, das kann man sich denken, das, was aber wirklich passiert, ist so heftig, dass seine Mutter angerufen wird, um ihn abzuholen.

Und danach zusammenklappt. In ihrem Schlafzimmer. Am nächsten Morgen ist sie nicht mehr da, sondern Onkel Bill, der sich nun um Cym kümmert. Im Wechsel mit der ziemlich exzentrischen Tante Mill, bei der Cym bald unterkommt und sich ganz verloren fühlt.

Bis er merkt, dass er Freunde hat. Und zwar auch solche, mit denen er gar nicht rechnet. Wie Veronique, das schönste und klügst Mädchen der ganzen Klasse.

Ab und zu geht es ein bisschen wirr zu, muss ich sagen. So wirr, wie Cyms Leben eben gerade ist. Und manches ist dann doch ein bisschen überzogen.

Insgesamt ist dies jedoch ein wirklich rührender und berührender moderner Familienroman für alle Generationen - weswegen es wirklich lohnend ist, sich pro Familie ein Exemplar zuzulegen. Dann kann es von jedem gelesen werden. Oder am besten von allen zusammen. Denn dann taucht man gleich in einige Themen ein, die in den Familien stimmen sollten. Wie zum Beispiel das Unterlassen überzogener Geheimniskrämerei. Ich kenne das nur zu gut, denn auch bei uns zu Hause gab es einige Tabuthemen, die sich - ich bin um einige Jahrzehnte älter als Cym - direkt oder indirekt auf den Krieg bezogen. Da wurde sehr, sehr vieles ausgespart. Und andere Themen - wie Familienzwist, den es auch bei Cym gab - ebenfalls.

Autor Adam Baron erzählt locker-flockig, aber niemals oberflächlich. Nein, dies ist eine auf ganz besondere Art einfühlsame Geschichte, die tragisch und warmherzig zugleich ist.

Veröffentlicht am 11.01.2020

Besonderes an 100 deutschen Orten

Eine Reise durch Deutschland in 100 ungewöhnlichen Bildern und Geschichten
0

Kann man noch etwas Besonderes im Kölner Dom erleben, betrachten oder kennenlernen? Etwas, das noch nicht völlig ausgelutscht ist?

Ja, man kann, wenn man ein bisschen offen an die Sache herangeht - und ...

Kann man noch etwas Besonderes im Kölner Dom erleben, betrachten oder kennenlernen? Etwas, das noch nicht völlig ausgelutscht ist?

Ja, man kann, wenn man ein bisschen offen an die Sache herangeht - und dieses Buch zur Hand hat. Dann nämlich erfährt man, was es mit dem Richter-Fenster, der neuesten Zutat des Domes auf sich hat und wie sich die damalige Dombaumeisterin auf die Hinterbeine stellen musste, um das Projekt durchzubekommen.

Aber das ist nicht das einzige Detail am Dom, auf das eingegangen wird.

So werden viele Orte vorgestellt: Unbekanntes oder Besonderes im Bekannten wird vorgestellt, dazu immer auch Hotels und Restaurants - das wird allerdings sehr knapp gehalten. Und zudem ist das Vorgestellte jetzt auch nicht immer sooo besonders - in Heidelberg ist es der Philosphenweg (das Einzige, das mir in der Stadt seit Jahrzehnten vertraut ist), Ulm wird wie viele Orte insgesamt nur ganz knapp abgehandelt.

Ein Buch, das man haben muss? Finde ich nicht, aber man kann. Ich habe von jeher solche Überblickswerke zum Durchblättern geliebt, schon als Grundschulkind habe ich mich auf solche Bücher gestürzt. Jede Woche von Neuem. Und jedesmal Neues darin entdeckt. Genau das ist der Reiz, der Zauber dieses Buches. Wenn man so etwas mag.