Profilbild von Zauberberggast

Zauberberggast

Lesejury Star
offline

Zauberberggast ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Zauberberggast über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.01.2020

Eindringlicher Spannungsroman

Das Gerücht
0

Über die unheilvolle Eigendynamik, die sich entwickelt, wenn Klatsch und Tratsch verbreitet werden und die mitunter fatalen Konsequenzen für alle Beteiligten - davon erzählt die Britin Lesley ...

Über die unheilvolle Eigendynamik, die sich entwickelt, wenn Klatsch und Tratsch verbreitet werden und die mitunter fatalen Konsequenzen für alle Beteiligten - davon erzählt die Britin Lesley Kara in ihrem Romandebüt “Das Gerücht”.

Durch die Augen der Ich-Erzählerin Joanna blicken wir auf die (fiktive) Kleinstadt Flinstead an der Atlantikküste, die jede englische Kleinstadt am Meer sein könnte. Sie ist mit ihrem sechsjährigen Sohn Alfie zurück an ihren Heimatort gezogen, nach vielen Jahren in der Metropole London. Hier ist ihre Mutter nach wie vor beheimatet, aber richtige Freunde hat sie im Ort noch keine, immerhin Bekannte und einen Job als Maklerin in Teilzeit. Mit Michael, dem Vater des Kindes, führt sie eine freundschaftliche Fernbeziehung, die manchmal eine “with benefits”-Komponente entwickelt. So weit, so gut. Wäre da nicht ein Gerücht, das Joanna an Archies Schule aufschnappt, verbreitet von einer der Mütter von Alfies Klassenkameraden. Die verurteilte Kindermörderin Sally McGowan, die als Zehnjährige einen fünfjährigen Jungen erstochen haben soll, soll unter neuer Identität in Flinstead leben. Joanna verbreitet das Gerücht und findet sich plötzlich in eine Rufmordkampagne verwickelt, die ihresgleichen sucht.

In "Das Gerücht" spielen Frauen - Mütter, Töchter, Nachbarinnen - die Hauptrolle. Die scheinbar so "weibliche" Neigung zu sozialer Interaktion und zum Verbreiten von Gerede ist ein Hauptmotiv dieses Romans.
Die Tatsache, dass Joanna als Maklerin arbeitet, ist clever konstruiert, denn so hat sie Zugang zu fremden Häusern und Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen, Einheimischen und Fremden. Auch dass ihr On-Off-Lebenspartner Michael Journalist ist, bietet sich geradezu als Movens für die Handlung an.

Es ist unheimlich, wie eine scheinbar so banale Sache wie ein Gerücht eine derartige Drohkulisse erzeugen kann. Das Gerücht bestimmt bald sämtliche soziale Interaktion in Flinstead. Es ist erschreckend, was Mobbing mit Tätern und Opfern machen kann, wie Missgunst und falsche Anschuldigungen ganze Leben zerstören können. In Zeiten des Internets ein sehr wichtiges Thema, das literarisch auch zum Glück immer öfter verarbeitet und damit angesprochen wird.

Manchmal wirkt Joannas Leben leicht "übererzählt", denn nicht alles hat unmittelbare Relevanz für die Story und trägt allenfalls zur Atmosphäre bei. Es hat mich aber nicht großartig gestört und der stets latent vorhandenen Spannung keinen Abbruch getan.

Der Twist am Ende des Buchs hat mich ebenfalls überrascht und somit ist “Das Gerücht” ein wirklich spannender, gut geschriebener “Soft-Thriller”. Gerne mehr von dieser Autorin!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.01.2020

3 Frauen "in der Bredouille"

Drei Wünsche
0

Laura Karasek (Jahrgang 1982) portraitiert 3 Frauen ihrer Generation, so, wie sie eben sein könnten. Die Mädchen der neunziger Jahre mit ihren Tamagotchis sind Thirtysomething-Frauen in der Rushhour des ...

Laura Karasek (Jahrgang 1982) portraitiert 3 Frauen ihrer Generation, so, wie sie eben sein könnten. Die Mädchen der neunziger Jahre mit ihren Tamagotchis sind Thirtysomething-Frauen in der Rushhour des Lebens geworden und schlagen sich mit den Themen und Problemen herum, die man in dieser Lebensphase eben hat: alternde und in diesem Fall sogar sterbende Eltern, eine eingefahrene Beziehung, Kinderwunsch, Schwangerschaft, die tickende biologische Uhr, Alltagssorgen, Affären, Karrieredruck und eben Steine, die einem dabei in den Weg gelegt werden, aus denen man aber leider nichts "Schönes bauen" kann, wie Goethe einst sagte (er war ja auch keine Frau um die 30).

Die metaphorischen Steine scheinen für Helena, Rebecca und Maxie eher das Format von Findlingen zu haben, so schwer tun sich die drei in der im Roman erzählten Gegenwart mit ihrem Leben, so sehr hadern sie mit ihrem Schicksal, so sehr eingesperrt sind sie im Gefängnis der gesellschaftlichen Erwartungen, obwohl es ihnen ja eigentlich gut geht in dieser "satten", bequemen Welt.

Helena ist die Verlagsangestellte mit dem kürzlich an Krebs gestorbenen Vater, die ganz normal von ihrem Mann schwanger wird und mit dem Zwiespalt zwischen Trauer und Freude zu kämpfen hat.
Maxie ist die erfolgreiche PR-Frau, die mit ihrem Kardiologen-Ehemann ein scheinbar perfektes Leben führt - bis ihre Affäre mit dem älteren, ebenfalls verheirateten Geschäftsmann Bobby verhängnisvoll wird.
Rebecca, ebenfalls irgendein perfekter Bürojob und ein perfekter Ehemann, ist schließlich die, die an ihrem überfüllten Kinderwunsch zu verzweifeln droht.

Karasek spricht Themen an, die Frauen, die mitten im Leben stehen, beschäftigen. Zum Beispiel die immer lauernde Gefahr, sich mit anderen zu vergleichen. Nicht zuletzt befeuert durch die Transparenz und Scheinwelt der sozialen Medien. Dann das latente oder auch direkte Mobbing im Job, das Frau im gewissen Alter erfährt, wenn sie sich nicht in die Rolle der “Allzeitbereiten” oder der “Mutter in spe” pressen lässt, wenn sie wirklich einfach nur Karriere machen möchte - ohne Besetzungscouch und Mutterschutz.

Wenn ich Kritik hätte an diesem Buch dann wäre es die, dass die Protagonistinnen sich zu sehr gleichen. Sie sind alle derselbe Typ, weiß, hetero, gutaussehende, schick gekleidete Karrierefrauen mit Make-up, die alle vor dem Problem des baldigen Alterns (damit einhergehend mit der Unfruchtbarkeit und der Finalität des Lebens) stehen. Ein bisschen mehr Diversität hätte dem Buch sicher gut getan und nochmal einen anderen Blickwinkel präsentiert.

Nichtsdestotrotz: Sprachlich hat mich das Buch beeindruckt. Karasek spricht die Sprache ihrer Generation, ohne dass es auf mich gekünstelt wirkt. Die häufige Verwendung der Accumulatio als Stilmittel feiere ich, denn sie spiegelt die endlosen Möglichkeiten wieder, die die Generation Y zu haben scheint und auch deren Beliebigkeit. Auch Karaseks Protagonistinnen und deren männliche Counterparts sind gefangen im Dilemma bzw. der Bredouille schier endloser Potentialität und Konjunktivität: "hätte", "wäre", "könnte" sind ihre Parolen.

Fazit:

Laura Karaseks Buch ist großartig, weil es einen mitnimmt in die Gefühls- und Gedankenwelt der Thirtysomething-Frauen der Generation Y und weil es sprachlich wagt, an die Grenzen der Erwartbarkeit und gesellschaftlichen Schicklichkeit zu gehen. Einzig die Unterscheidbarkeit und Individualität der Protagonistinnen hätte distinkter sein können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.01.2020

Emanzipierte Frau mit Witz und Verstand geht ihren Weg

Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück
0

Wieder mal ein Buch bzw. eine Reihe, die mir ohne den Insel-Verlag und seine Ausgabe entgangen wäre. Die Rede ist von den historischen Krimis rund um Constance Kopp und ihre Schwestern, aus der Feder von ...

Wieder mal ein Buch bzw. eine Reihe, die mir ohne den Insel-Verlag und seine Ausgabe entgangen wäre. Die Rede ist von den historischen Krimis rund um Constance Kopp und ihre Schwestern, aus der Feder von Amy Stewart. Der erste Band der Reihe ist in den USA 2015 erschienen, bis dato liegen 4 Bücher im amerikanischen Original vor.
"Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück" ist also der zweite Band und ich habe den ersten nicht gelesen. Um ein Verständnis für die Ausgangssituation zu bekommen, schadet dies aber sicher nicht. Ich habe mich am Anfang etwas schwer getan, alle Personen und Umstände einzuordnen und konnte erst nach und nach herausdestillieren, dass die Hauptfigur Constance wohl Deputy Sheriff ist bzw. aufgrund einer Gesetzesänderung, die es Frauen nicht mehr erlaubt, war und nunmehr Gefängnisaufseherin in Hackensack, New Jersey. Allerdings strebt sie den “Deputy”-Status weiterhin an bzw. Ihr Cheff, Sheriff Heath, hat ihr diesen in Aussicht gestellt. Aus ihrer Ich-Perspektive wird die Handlung durchgehend erzählt und somit subjektiv gefiltert. Sie ist ledig, 36 Jahre alt und lebt mit ihren zwei Schwestern auf einer Farm zusammen.
Die Geschichte spielt um 1915, der erste Weltkrieg ist in Europa also bereits im Gange, was im Buch auch Thema wird da u.a. Deutschen gegenüber Ressentiments herrschen. Ein Deutscher ist es auch, der die Hauptrolle in der Krimihandlung dieses Bandes spielt: Dr. Hermann Albert von Matthesius. Der Arzt sitzt im Knast, weil er ein dubioses Sanatorium betrieben hat, das ein Fall für die Justiz wurde. Constance ist verantwortlich für seine Flucht und bevor ihr Chef, Sheriff Heath, deswegen im Gefängnis landet, nimmt sie die Sache ganz emanzipiert selbst in die Hand.
Stewart erzählt die Zeit um 1915 detailreich und atmosphärisch. Die prekären Umstände, in denen die ärmeren Menschen am Rande der Gesellschaft in den Staaten New York und New Jersey lebten, gehen durchaus an die Nieren.
Die Idee basiert auf einer wahren Begebenheit, denn die “Kopp-Schwestern” gab es tatsächlich und ebenfalls einen Dr. von Matthesius, an dessen Verhaftung Constance Kopp beteiligt war, wie wir im Nachwort der Autorin erfahren.
Anfang des 20. Jahrhunderts steckte die Frauenbewegung noch in ihren Kinderschuhen und dass eine Frau eine Feuerwaffe bedienen konnte, war unerhört. Ich finde es toll, dass hier eine Frau in dieser Zeit portraitiert wird, die Verhaftungen durchführt und den Männern ganz selbstverständlich auch körperlich Paroli bietet (auf ihre überdurchschnittliche Größe und Körperkraft weist sie als Ich-Erzählerin immer wieder hin).
Überhaupt liegt die Stärke des Buches neben der Darstellung der Zeitumstände in der Charakterzeichnung. Miss Kopp und auch ihre Schwestern sind toughe weibliche Individuen, die ihren Weg gehen. Auch Sheriff Heath ist als Person interessant und uneindeutig.
Der Plot dieses Bandes ist an manchen Stellen etwas schwach und mitunter fehlt es leicht an Spannung. Dennoch ist das Buch als etwas “andere Geschichte” durchaus lesenswert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.01.2020

Wisting und seine Tochter lösen das Puzzle erneut

Wisting und der fensterlose Raum
0

Dies ist bereits der zweite Fall aus der “Cold-Cases-Reihe” rund um Kommissar Wisting vom norwegischen Autor und ehemaligen Kriminalpolizisten Jørn Lier Horst. Der erste Fall, “Wisting und der Tag der ...

Dies ist bereits der zweite Fall aus der “Cold-Cases-Reihe” rund um Kommissar Wisting vom norwegischen Autor und ehemaligen Kriminalpolizisten Jørn Lier Horst. Der erste Fall, “Wisting und der Tag der Vermissten”, hat mich total begeistert und dementsprechend hatte ich hohe Erwartungen an die Fortsetzung, der auch noch ein dritter Teil folgen wird.
Diesmal geht es wieder um ein Verbrechen aus der Vergangenheit, das zunächst mal nicht als Verbrechen daherkommt. In einer Blockhütte des kürzlich an Herzinfarkt verstorbenen sozialdemokratischen Politikers Bernhard Clausen werden mehrere Millionen in unterschiedlichen Währungen gefunden. Kommissar Wisting soll der Frage nachgehen, woher das Geld stammt und warum der ehemalige Minister es in seiner Blockhütte gebunkert hat.
Wie schon im ersten Teil der Reihe bezieht Wisting seine Tochter, die Journalistin Line, mit ein, die als alleinerziehende Mutter mittlerweile freiberuflich tätig ist. Diese gemeinsame “familiäre” Ermittlertätigkeit fand ich bereits im ersten Teil sehr angenehm und erfrischend anders. Wisting und seine Tochter arbeiten parallel und doch zusammen, so dass sie am Ende erfolgreich das Puzzle lösen können. Hier ist Line mit ihren Recherchen sogar noch etwas mehr im Vordergrund. Während Wisting den Weg der polizeilichen Routine geht, arbeitet seine Tochter “undercover”. Durch Wistings Enkeltochter Amalie kommt noch ein sehr realitätsnaher Aspekt mit hinein, denn das Kind muss schließlich betreut werden - dringender Fall hin oder her.
Wisting und Line durchforsten die Vergangenheit des hochrangigen Politikers und stoßen schließlich auf einen ungelösten Vermisstenfall, der sich in der Nähe der Hütte abgespielt hat.
Dass hier auch wieder eine vermisste Person eine Rolle spielt, fand ich gut, auch wenn das das Hauptthema von Teil 1 war. So wird der “Cold Case” des Millionenfundes um einen zusätzlichen Aspekt erweitert und um die Frage: Was passierte mit Simon Meier?
Die Kapitel sind wieder angenehm kurz, der Fall ist schön verschachtelt und die Auflösung auch für den Leser von “Nicht-Cold-Case-Krimis” zufriedenstellend. Die Tatsache, dass es zwischendrin ein wenig mehr “Längen” gibt (auch wenn sie mancher vielleicht nicht als solche empfinden wird) als noch im ersten Teil, lässt mich nicht die volle, aber doch eine sehr gute Punktzahl geben.
Ich bleibe Jørn Lier Horst weiter treu, kann seine Werke uneingeschränkt empfehlen und freue mich auf einen neuen Fall von Line und Wisting.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.12.2019

Magischer Realismus

Der magische Adventskalender
0

Die Idee, eine Adventskalender-Geschichte mit 24 Kapiteln zu schreiben mag vielleicht nicht neu sein (ich habe nicht recherchiert, ob es ähnliche Stories gibt), Jan Brandt hat sie aber zusammen mit den ...

Die Idee, eine Adventskalender-Geschichte mit 24 Kapiteln zu schreiben mag vielleicht nicht neu sein (ich habe nicht recherchiert, ob es ähnliche Stories gibt), Jan Brandt hat sie aber zusammen mit den Illustrator Daniel Faller auf einzigartige und sehr lesenswerte Weise umgesetzt. Die Geschichte des Halbwaisen Jonas Klaasen, der mit seiner Schwester Sonja und seinem Vater im (fiktiven) Kleinstädtchen Ravenhagen wohnt, steckt voller Wärme und Phantasie und geht in jedem Fall ans Herz.
An einem 1. Dezember findet Jonas einen Holzkasten vor seiner Haustür. Schnell stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Adventskalender handelt. Auf den einzelnen Türchen sind Symbole abgebildet, die Jonas auf eine magische Schnitzeljagd durch Ravenhagen führen, bei der er die Bewohner seiner Stadt besser kennenlernen wird - und irgendwie auch sich selbst…
Dieses Buch ist am ehesten der Strömung "Magischer Realismus" zuzuordnen, denn hier existieren die Welten des Alltäglichen und Phantastischen nebeneinander. Ich mag die Symbolkraft und das Geheimnisvolle an diesem kleinen Büchlein. Es geht in erster Linie ums Teilen und damit um Menschlichkeit, die wir alle in diesen "modernen" Zeiten umso nötiger haben.
Allzu viel möchte ich aber nicht verraten über das Buch, das sich am besten jeder - ob jung oder alt - selbst erschließen sollte. Meine Adventszeit hat es jedenfalls ein bisschen magischer gemacht!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere