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Veröffentlicht am 04.09.2020

Okay, aber auch etwas anstrengend

Der 13. Brief
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Joa, ach, das war so ganz nett und okay, aber irgendwie auch ein bisschen anstrengend. Ich mag aber auch nicht ausschließen, dass meine eher unbegeisterte Reaktion was mit meiner aktuellen Krimiunlust ...

Joa, ach, das war so ganz nett und okay, aber irgendwie auch ein bisschen anstrengend. Ich mag aber auch nicht ausschließen, dass meine eher unbegeisterte Reaktion was mit meiner aktuellen Krimiunlust zu tun hat. Ist ja doch ein Genre, zu dem ich eher selten greife, und wenn es dann nichts Besonderes zu bieten hat, haut es mich auch nicht vom Hocker.

Hier ist die Grundidee eigentlich ganz nett: Lila "flieht" aus der ihr elterlich vorbestimmten Karriere als Jurastudentin und heuert stattdessen bei einem ihr bislang unbekanntem Privatedetektiv an. Schon bald schleicht sie sich immer mehr sowohl in sein Privat- als auch Berufsleben... Wow, sogar meine Zusammenfassung hört sich uninspiriert an ;)

Die Grundidee bzw. "der Fall": Nach dem (vermeintlichen?) Selbstmord einer Teenagerin schleust sich die jugendlich aussehende Lila zu Undercoverermittlungen in deren Schule ein. Ach ja, hallo schöne 21, Jump Street-Nostalgie (die Serie! Aus den frühen 90ern!). Das Ganze hat hier und dort durchaus Charme und Pep, der Kriminalfall erweist sich als sensibel konstruiert und auch die angedeutete Backstory von Lila scheint tief zu gehen und ausreichend Entfaltungspotenzial zu haben (die Bücher waren wohl von Beginn als [mittlerweile abgeschlossene neunteilige] Reihe angelegt).

Zum Aber: Mir war, trotz dieser eher "ruhigen" Nuancen, zu viel Gepolter "im Vordergrund". Zunächst geht alles viel zu schnell. Lila krempelt spontan ihr Leben um, lernt zufällig den bis dato eher misanthropisch agierenden Detektiv Danner kennen, der sie spontan aufnimmt und quasi einstellt, sie lernt seine wichtigsten Bezugspersonen kennen und wird sofort von allen angenommen und akzepiert, inkl. ihrer neuen Fake!Freundinnen in der Schule. Auch schrammt Lila, trotz der weiter oben erwähnten (noch) halb versteckten Tiefe, oft nur haarscharf am Klischee vorbei.

Aber vielleicht wurde das in späteren Bänden nachjustiert - ebenso wie die teils echt nervende Sprache, etwas wenn eine bestimmte Person (hier: die auserkorene Antiheldin) durchweg von allen anderen Charakteren als "Schlampe" tituliert wird. Das ging mir ziemlich schnell ziemlich stark auf die Nerven - nicht mal so sehr wegen der Frage, ob eine derartige Bezeichnung in irgendeiner Art gerechtfertigt sein möge oder nicht. Es war vielmehr die penetrante Wiederholung und lieblose Objektifizierung, die den Charakter wie ein flaches, billiges Abziehbild hat dastehen lassen. Auch mit bösen und/oder unangenehmen Charakteren kann man sich doch etwas mehr Mühe geben.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Schock nur um des Schockens willen

Das wirkliche Leben
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Teenie-Mädchen will ihren Bruder davor bewahren, so wie ihr gewalttätiger Vater zu werden und entdeckt dabei ihre eigene Stärke - mehr muss man inhaltlich zu diesem Buch eigentlich nicht wissen. Und ja, ...

Teenie-Mädchen will ihren Bruder davor bewahren, so wie ihr gewalttätiger Vater zu werden und entdeckt dabei ihre eigene Stärke - mehr muss man inhaltlich zu diesem Buch eigentlich nicht wissen. Und ja, das Buch ist sehr explizit, was Gewalt angeht - gegen Menschen und Tiere. Trotzdem (oder dennoch?) fand ich es über weite Strecken einfach ziemlich... langweilig. Dabei hat es richtig stark begonnen, die ersten paar Kapitel schaffen gleich eine unangenehme Unwohlfühlatmosphäre - ein Buch, das packt. Dachte ich. Leider entwickelt sich der Plot nach dem schon früh eintretenden tragischem Ereignis nur sehr langsam weiter - zu langsam für ein Buch, das mit einer solchen Wucht begonnen hat.

Die Gewaltdarstellungen - ja, das sind einige und auch recht explizit. Aber das ist nichts, womit ich grundsätzlich ein Problem habe, wenn z.B. die Gewalt die Story vorantreibt oder für die Charakterzeichnung nötig ist. Hier war es mir aber oft zu willkürlich eingesetzt, und Schock nur um des Schockens willen brauche ich nicht (da fangen meine LeserIinnenmanipulationssirenen leise an zu heulen). Dabei hat das Buch durchaus einige interessante Ansätze und Gedankengänge. Vor allem die verschiedenen Ebenen, auf denen die Protagonstin versucht, sich selbst zu ermächtigen - sei es durch Bildung, sei es durch den Umgang mit ihrem pubertierenden Körper - fand ich spannend und erforschenswert. Leider blieben mir da am Ende zu viele Fragen offen. Das alles hat letztlich dazu geführt, dass ich das Buch ohne übermäßigen Enthusiasmus gelesen habe. Auch die Sprache konnte da nicht mehr viel rausholen. Nicht, dass ich zwingend literarische Finesse brauche, gerade so ein Werk lebt ja eher von direktem, "in your face"-Sprech. Doch das hat es nicht (nur), hier und da sind Metaphern eingestreut, deren Verwendung recht, nun ja, kreativ sind. Ich war mir nicht immer sicher, ob das zur jungen Erzählerin und/oder zur hier und da durchschimmernden fantastischen bzw. Märchenthematik passen sollte. Letzlich war es mir aber auch recht egal, und diese Haltung spiegelt sich dann ja auch in meiner Bewertung wider: Joa, war okay.

Querverweisliche Randnotiz: Ich habe dieses Buch und Das Holländerhaus direkt hintereinander gelesen. Beide Bücher haben ein überraschend ähnliches Grundgerüst: Geschwister, die leiden; große Schwester, kleiner Bruder; sie beschützt ihn (und sich) gegen alles Böse; Märchenmotive en masse. Wenn euch so eine Grundlage interessiert, könnt ihr es in diesen Büchern also völlig unterschiedlich umgesetzt erlesen: Entweder als episches Familiendrama (Das Holländerhaus) oder als Coming-of-Age-Pulp (Das wirkliche Leben).

Veröffentlicht am 04.09.2020

Die Geschichte des Terrors und seiner Folgen

Der Fetzen
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Philippe Lançon ist Journalist und Überlebender des Attentats auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015. In diesem Buch verarbeitet er seine lange, mühsame Leidengeschichte, ...

Philippe Lançon ist Journalist und Überlebender des Attentats auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar 2015. In diesem Buch verarbeitet er seine lange, mühsame Leidengeschichte, unterteilt sein Leben in das "Davor" und "Danach", schildert den Anschlag, die ersten Momente danach, die zahlreichen Operationen und Krankenhausaufenthalte, das Entschwinden aus der "aktiven" Gesellschaft und schließlich den beschwerlichen Weg zurück ins (neue) Leben.

Man mag sich so eine Qual, physischer und psychischer Natur, überhaupt nicht vorstellen - und man kann es auch nicht. So war es sicher auch ein Hauch Voyeurismus, gepaart mit der Neugier auf Verarbeitungsstrategien des Traumas, die mich zu diesem Werk greifen ließen. Stichwort: "Wie gehe ich mit dem Überleben um, wenn so viele andere gestorben sind - warum ich?" oder auch "Wie kann ich Außenstehenden auch nur im Ansatz begreifbar machen, was passiert ist - und wie ich (nicht) damit umgehen kann?"

Zunächst: Applaus für Philippe Lançon, nicht nur fürs "bloße Überleben", sondern fürs Kämpfen und Abrackern und Festhalten all dieser Umstände - der Autor geht mit allen, sich selbst eingeschlossen, offen und ehrlich um. So gesehen ist dieses Buch sicher eine Art Befreiungsschlag für ihn - es ist schon teils recht schonungslos, wie er Unzulänglichkeiten (eigene, die anderer, des Gesundheitssystems) aufdeckt und beschreibt. Ich fragte mich dann aber irgendwann: Ist das noch Buch oder schon Therapie - und ist das auch wirklich alles für mich und meine Ohren (bzw. Augen) bestimmt? Es ist schon eine besondere Intimität, die der Autor hier zulässt, und die auf die lesende Person überspringt. Das muss man mögen - ist aber natürlich bei der Thematik erwartbar, da sollte eigentlich man schon so halbwegs wissen, worauf man sich einlässt.

Nun zum großen Aber: Auch Lançons Stil muss man mögen, und da musste ich dann doch ziemlich mit kämpfen. Die Sprache ist sehr literarisch, blumig und extrem von Exkursen zu verschiedensten "schönen Künsten" (Literatur, bildende Kunst, Jazz, Philosophie...) geprägt. Augenscheinlich erzählt Lançon seine Geschichte chronologisch - doch das häufige Bewusstseinsstrom-artige Schwadronieren über Hochkultur hat mich immer wieder rausgerissen und dann auch sehr schnell gelangweilt. Ich konnte die vielen derartigen Ausflüge nicht oder nur kaum in Bezug zur eigentlichen Geschichte setzen, so wie es wohl gedacht war.

Und wie immer ist auch hier meine Bewertung daher eine ganz persönliche Sache: So sehr mich die Thematik auch interessierte und so sehr ich auch Lançons Offenheit schätze, um so enttäuschter war ich größtenteils mit der Umsetzung.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Viel versprechender Beginn, dann verliert es sich

Herzklappen von Johnson & Johnson
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Ach schade, das war nicht wirklich ein Buch für mich. Dabei hat es durchaus ansprechend angefangen und ist auch grundsätzlich recht schön, im Sinne von fast poetisch geschrieben - das hat mich dann aber ...

Ach schade, das war nicht wirklich ein Buch für mich. Dabei hat es durchaus ansprechend angefangen und ist auch grundsätzlich recht schön, im Sinne von fast poetisch geschrieben - das hat mich dann aber letztlich doch eher unbefriedigt zurückgelassen, mehr dazu gleich.

Zunächst einmal dies: Das Buch ist leider ein klarer Fall von fehl geleitetem Marketing. Der Klappentext spiegelt die hauptsächliche Thematik eher unzureichend wieder und führt diejenigen, die an dem dort im Mittelpunkt stehenden Thema interessiert sind, in eine frustrierende Irre. Für mich fließt das nicht direkt in meine Bewertung ein, da ich keine besondere Erwartung hatte, Klappentext hin oder her - zumal die Autorin nichts dafür kann. Dennoch hat es meine mit jeder Seite wachsende Verwirrung nicht wirklich reduziert.

Beherrschendes Thema ist der Umgang und das Leben mit Schuld. Im Mittelpunkt stehen Alma, ihre Lebensgeschichte (vom Kindesalter bis zur Mutterschaft) und Beziehungen. Wir erfahren einiges über ihre Kindheit, etwas über ihre Eltern, am meisten aber über ihre Großeltern. Abwechselnd werden Opa und Oma, deren persönliche Schicksale und die wechselnde bzw. wachsende Beziehung zu Alma beleuchtet.

Der Opa, der als junger Mann im Zweiten Weltkrieg kämpfte, dabei viel Schuld auf sich lud, in Kriegsgefangenschaft geriet und als Mann heimkehrte, dessen "Nachher" von eben jenen Faktoren und Erlebnissen geprägt wurde. Die Oma als seine Konstante, die die "Vorher"-Version ihres Mannes nie kennengelernt hat. Valerie Fritsch beschreibt die Gräuel des Krieges und ihre (Spät)folgen. Dieser Teil - gerade die Kontraste der kleinen Alma, die aus dem schweigsamen Opa nicht schlau wird, mit der großen Alma, die sich den Großeltern mit Wissen und Verständnis neu annähert, hat mir gefallen. Geschickt spielt Valerie Fritsch mit Selbst- und Fremdbild und wie sich diese durch Erfahrungen ändern - garniert mit wirklich tollen Sätzen wir zum Beispiel: "Wie alle wollten sie [die Eltern] anders sein als die eigenen Eltern, aber später Kinder haben, die waren wie sie.". So gut, so wahr.

Spätestens, als die Erzählung mehr in die Gegenwart schwenkte und die stets von der Vergangenheit der Geschichte geprägten Großelterngefilde verlässt, fing irgendetwas an, mich zu stören. Alma lernt ihren späteren Mann kennen, sie bekommen einen Sohn (jenen schmerzunempfindlichen Emil)... und dann fiel es mir auf: Hier passte die Erzählung für mich nicht (mehr). Das gesamte Buch kommt komplett ohne Dialoge aus, es findet sich keine einzige direkte und auch kaum indirekte Rede. Alles wird beschrieben, bis ins kleinste Detail, doch mir fehlte die direkte Interaktion, die Kommunikation zwischen den Figuren. Die "neuen" Verbindungen blieben für mich kalt, blass, unnahbar. Was bei den wie Rückblenden wirkenden Passagen gut funktioniert hatte, ja, mir dort nicht mal auffiel, störe mich umso mehr im späteren Teil.

Hinzu kam, dass die Geschichte ca. ab der Hälfte einen Bruch vollzieht und die zweite Hälfte - in der Alma mit ihrer Familie nach Kasachstan reist, um der Vergangenheit des Opas (der einst dort im Einsatz und in Kriegsgefangenschaft war) zu folgen, sich sehr gezogen hat. Da stimme die Gewichtung der Erzählstränge für mich überhaupt nicht mehr. Alma hält die Geschichte(n) zusammen, gleichzeitig fungiert ihr Sohn, der keinen Schmerz empfinden kann, als eine Art Klammer bzw. Spiegelung der "Stumpfheit" des Großvaters. Auch das ging alles nicht so richtig für mich auf. Das Thema postnatale Depression wurde auch noch für ein paar Seiten eingestreut - nun ist das Buch allgemein nicht wirklich lang, aber weniger wäre hier und da vielleicht (noch) mehr gewesen.

Allgemein hinterließ das alles einen sehr unausgegorenen Eindruck bei mir, schade und enttäuschend nach dem viel versprechenden Beginn.

Veröffentlicht am 12.02.2020

Streckenweise langweilig

Unorthodox
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Ein an sich sehr bewegendes Schicksal über eine Frau in/aus einer Kultur, von der mir nur wenig bekannt ist. Leider fand ich das Buch streckenweise langweilig und teilweise fast schon... unsympathisch, ...

Ein an sich sehr bewegendes Schicksal über eine Frau in/aus einer Kultur, von der mir nur wenig bekannt ist. Leider fand ich das Buch streckenweise langweilig und teilweise fast schon... unsympathisch, was allerdings auch am gewählten Format (Audiobuch) gelegen haben mag.

Deborah Feldman erzählt ihre Geschichte vom Aufwachsen und geprägt werden in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde, der Satmarer in Williamsburg (New York). Das Mädchen wächst in einer streng konservativen Gemeinde auf. Die Satmarer führen ein stark abgeschiedenes Leben, unter anderem weil sie den Holocaust als Strafe für die Assimilation vieler Juden ansehen. Das führt dazu, dass vor allem Mädchen und Frauen strengen Reglements unterworfen sind, die denen in anderen streng konservativen Strömungen und Religionen ähneln. Das ist zweifelsohne meist unfair, teils schockierend zu erfahren.

Den Prozess, wie ein Mädchen, das unter dieser Art der Weltanschauung aufwächst, zu einer freiheitsliebenden, emanzipierten Frau wird, die dieser Welt schließlich den Rücken kehrt, wollte ich gerne erkunden. Leider wurde dieser nicht so mitreißend geschildert wie erhofft. Denn die Deborah aus dem Buch hat mir von Anfang an das Gefühl gebeben, dass sie weiß, dass sie etwas besonderes ist, dass sie irgendwie zu etwas anderem bestimmt ist. Und dies zog sich für mich durch das ganze Werk: Dieses immer leicht überhebliche, stets neunmalkluge Besserwisser- und -fühlerei und die vorausschauende Weisheit des Zukünftigen. Die Lesestimme von Anita Hopt hat diesen Effekt für mich leider zusätzlich verstärkt - ich konnte es quasi nicht mehr nicht hören.

Und ich fand das schade, weil überflüssig und unerwartet. Ich hatte im Vorfeld und auch beim Lesen einige Interviews mit Deborah Feldman gesehen, und sie wirkte auf mich sympathisch und nahbar. In ihrem Memoir kommt das leider weniger vorteilhaft rüber. Und es hätte das doch auch gar nicht gebraucht: Das Schicksal der kleinen Deborah ist schlimm genug, ich hätte intensiveren Anteil daran gehabt, wenn sie mich nicht immer mal wieder an ihre Überlegenheit erinnert hätte.

Hinzu kommt, dass ich das Buch über weite Strecken auch ziemlich langweilig fand. Ziemlich lange ist ziemlich wenig passiert. Dazu beigetragen hat zum Teil auch, dass viele Rituale, Regeln und Gebräuche der Satmarer Chassiden wenig oder gar nicht erklärt wurden. Hier hätte ich mir mehr Hintergrund und Einblicke gewünscht, die an der ein oder anderen Stelle sicher zu etwas vielschichtigerem Verständnis beigetragen hätte.

Letztlich kam mir der eigentliche Ausstieg auch ein wenig zu kurz. Da sind viele Fragen offen geblieben, die Frau Feldman vermutlich in ihrem zweiten Memoir Überbitten beantwortet. Das vorliegende Buch war ["nur"] ihr "Ticket nach draußen", und das merkt man dem Werk an einigen Stellen leider auch an. Nichtsdestotrotz bleibt es eine interessante Leseerfahrung mit einer schönen versöhnenden Botschaft. War unterm Strich also durchaus "okay".