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Veröffentlicht am 06.05.2020

Jugend ohne Erbarmen

Die wir liebten
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Edgar und sein älterer Bruder Roman erleben eine Jugend in den 1970er Jahren, die mir - nur wenige Jahre jünger als die beiden - in vielem vertraut vorkam: man interessierte sich für die Entwickungen in ...

Edgar und sein älterer Bruder Roman erleben eine Jugend in den 1970er Jahren, die mir - nur wenige Jahre jünger als die beiden - in vielem vertraut vorkam: man interessierte sich für die Entwickungen in der Musikszene und wenn man Glück hatte - wie die beiden Jungs - musste einem auch der diesbezügliche Geschmack der Eltern nicht allzu peinlich sein, Jungs gingen mit ihren Vätern (und IMMER ohne Mütter) zum Fußball und alle zusammen diskutierten die (sehr beschränkten Fernsehsendungen). Über die noch nicht lange zurückliegenden schweren Kriegs- und Nachkriegszeiten wurde meistensteils geschwiegen, ebenso wie über eigene Sorgen und Nöte. Dafür hatten die Kinder ziemlich viel Freiraum und konnten ihre Freizeit wirklich frei gestalten - was natürlich auch jede Menge Mist und Quatsch beinhaltete.

Und wenn es richtig hart kam, konnte es ganz schön aus dem Ruder laufen. So wie hier, als an einem lauen Maiabend der Vater auf dem Dorffest entdeckte, dass es sich in den Armen der (ledigen) Tierärztin sehr viel besser tanzen liess als in denen der eigenen Frau - Monaten seiner Abwesenheit folgte der Auszug, die Mutter war mit den Nerven am Ende, die Jungs waren auf sich allein gestellt. Das Resultat und damit die Entwicklungen im letzten Teil des Romans ließen mich völlig fassungslos werden.

Wenn Sie Familienromane lieben, bei denen es ins Detail geht und vor Überraschungen der extremsten Art nicht zurückschrecken, dann sind Sie hier an der richtigen Adresse. Ich für meinen Teil habe die einfühlsame Darstellung des Zeitgeistes sehr genossen, mir ging es aber dann doch zu sehr ins Detail, wodurch auch Längen entstanden. Auch war mir der letzte Teil dann - obwohl ich von ähnlichen Fällen gehört habe, dann doch etwas zu extrem.

Allerdings hat das der Handlung auch eine derartige Alleinstellung verliehen, die mich dieses Buch mit Sicherheit nie vergessen lassen wird. Wer einen Autor sucht, der wirklich seinen eigenen Stiefel fährt, der ist bei Willi Achten an der richtigen Adresse. Und wer dann noch niederrheinisches Lokalkolorit zu genießen versteht, der wird möglicherweise auch andere Werke des Autoren lesen wollen.

Veröffentlicht am 24.04.2020

Prall und sinnlich

Raffael - Das Lächeln der Madonna
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Wie man sich eben so das Leben im Zeitalter der Rennaissance so vorstellt - so ist auch diese Romanbiographie über den Künstler Raffael.

Es geht rund und zwar in jeder Hinsicht: sowohl Ränke ...

Wie man sich eben so das Leben im Zeitalter der Rennaissance so vorstellt - so ist auch diese Romanbiographie über den Künstler Raffael.

Es geht rund und zwar in jeder Hinsicht: sowohl Ränke und Intrigen als auch jede Menge Frauengeschichten spannen sich um den Maler und seine Zeitgenossen. Da machte es nichts, dass er zeitlebens inmitten des Klerus lebte und wirkte - Medici und Borghia sind nur zwei Namen, die deutlich werden lassen, dass Kirche und Enthaltsamkeit damals zwei verschiedene Paar Schuhe waren.

Wir lernen den Künstler Raffael hier als geselligen und lebensfreudigen Mann kennen, dem seine Mitmenschen am Herzen lagen - so oder ähnlich mag er wohl gewesen sein und ähnlich waren auch die Geschichten, die um ihn kreisten.

Ab und zu war es mir dann doch ein wenig zu üppig und zu viel: auch wenn der Autor Noah Martin dem Werk eine akribisch geführte Liste aller Handelnden vorangestellt hat, war es mir im Endeffekt dann doch ein wenig zu kleinteilig, zu langatmig und insgesamt ein bisschen des Guten zu viel. Auch wenn ich ihn insgesamt sehr gerne gelesen habe, den Roman um Raffael und seine Zeit!

Veröffentlicht am 20.04.2020

Roman eines sperrigen Lebens

Die Kartographie der Hölle
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Und damit als Buch allein schon gewissermaßen sperrig. Wobei man aus meiner Sicht getrost auch sagen kann: ausgesprochen sperrig.

Denn dies ist alles andere als ein Roman für jedermann. Dieser Roman, ...

Und damit als Buch allein schon gewissermaßen sperrig. Wobei man aus meiner Sicht getrost auch sagen kann: ausgesprochen sperrig.

Denn dies ist alles andere als ein Roman für jedermann. Dieser Roman, der gleich zwei Schicksale darlegt, nämlich das von Knud - sozusagen dem Alter Ego des Autors das jenige von dessen Gefährten M., macht es sich mit keinem von beidem einfach. Ebenso wenig damit, wie der Zuschauer dies auffassen soll. Denn es wird - zumindest aus meiner Sicht - an keiner Stelle deutlich, was denn dieser M. für ein Geselle ist: ist er erfunden, ganz oder nur teilweise oder war oder ist er in irgendeiner Form dann doch existent`?

Alles irgendwie geheimnisvoll, ebenso wie die Motivation Knuds zum Leben - uns Lesern wir bald klar, dass er zwischen seinen beiden Identitäten - der deutschen und der dänischen - gewissermaßen hadert und vor allem mit letzterer nicht so recht klar kommt .Andererseits jedoch davon auch nicht lassen will Und einen Traum hat er - mal was beim InselVerlag zu wuppen!

Parallal wird von M., dem Sohn des Botschafters erzählt, der ein sehr farbiges, doch ebenfalls nicht einfaches Leben hat.

Ein ausgesprochen sperriges Buch, das mich jedoch an keiner Stelle gelangweilt hat. Dennoch; man muss dazu bereit sein und auch jedesmal entsprechend in sich hineinhorchen, sonst bringt das nichts!

Veröffentlicht am 20.02.2020

Botschaft statt Handlung

Milchmann
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Ja, diese Iren: offenbar gehört es zu ihrer Eigenart, in Romanen viel mitzuteilen, ohne dass sonderlich viel gehandelt wird. Ich denke da an Joyce's 1922 erschienen großen Roman "Ulysses", in dem ein Tag ...

Ja, diese Iren: offenbar gehört es zu ihrer Eigenart, in Romanen viel mitzuteilen, ohne dass sonderlich viel gehandelt wird. Ich denke da an Joyce's 1922 erschienen großen Roman "Ulysses", in dem ein Tag im Leben des Protagonisten auf rund Tausend Seiten erzählt wird.

Im fast hundert Jahre später erschienen Roman "Milchmann" von Anna Burns offenbart sich dem Leser das Innenleben einer jungen Frau. Einer sehr jungen, nämlich achtzehn Jahre alten Frau, die nach dem Willen ihrer Mutter gleichwohl schon längst hätte verheiratet sein müssen.

Sie selbst ist nicht dieser Ansicht, weiß sie doch selbst noch gar nicht so genau, wer sie ist und was sie will. Sie spürt nur, dass sie zu so einigem gedrängt wird, das sie gar nicht will. Vor allem durch den Milchmann, einen um einiges älteren Mann, der ihr immer wieder auflauert. Ein Stalker, würden wir sagen. Und nur einer der Faktoren, die die junge Frau daran hindern, ihr eigenes Leben zu leben.

Auch wenn es keine Namen gibt in diesem Roman - weder für Menschen noch für Orte - wird bald deutlich, dass die Handlung in Nordirland, allem Anschein nach in Belfast stattfindet. Auch auf England wird immer wieder Bezug genommen, gleichsam aus einer sehr großen Distanz heraus.

Nicht nur die junge Protagonistin lebt unter einem großen Druck, insgesamt ist die Situation der Menschen im Roman keine freie. Männer haben wesentlich mehr zu sagen als Frauen, aber auch sie können nicht immer, wie sie wollen. Und vieles wird durch Klatsch festgelegt - aus Dahergesagtem wird plötzlich eine Wahrheit, die auszumerzen fast nicht möglich ist.

Ein Roman, der nicht nur düster daherkommt, doch muss man den zweifellos ungewöhnlichen Humor der Autorin zu nehmen wissen. Und insgesamt einiges an Geduld aufbringen für die Lektüre. Denn immer wieder entstehen gleiche oder ähnliche Situationen, in denen gleiches oder ähnliches gesagt, gleich oder ähnlich gehandelt wird. Keine leichte Kost. Aber wenn man sich darauf einlässt, wird man mit der Bekanntschaft mit solch ebenso bezaubernden wie ungewöhnlichen Charakteren wie den kleinen Schwestern der Protagonistin belohnt. Und mit einer ungewöhnlichen, kraftvollen Sprache. Für diese Lektüre braucht man Mut, denn man lernt nicht nur einen neuen Roman kennen, sondern auch seine eigene Ausdauer!

Veröffentlicht am 30.01.2020

Verwandtschaft in (fast) allen Herrscherhäusern Europas

In der Stille die Freiheit Band 1 - Das bewegte Leben der Prinzessin Alice von Griechenland, Prinzessin von Battenberg, Mutter von Prinz Philip, Duke von Edinburgh, 1885-1969 - Geburt, Kindheit, Jugend und die Jahre bis 1922
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hatte die von Battenbergs auf deren Darmstädter Sitz Alice von Battenberg heranwuchs: ihre Mutter war eine Enkelin der britischen Königin Victoria, ihre Tante die letzte russische Zarin, ihr Bruder der ...

hatte die von Battenbergs auf deren Darmstädter Sitz Alice von Battenberg heranwuchs: ihre Mutter war eine Enkelin der britischen Königin Victoria, ihre Tante die letzte russische Zarin, ihr Bruder der letzte indische Vizekönig und britische Lebemann Louis (Dickie) von Mountbatten. Aber niemand ist uns so wohlbekannt wie Alices jüngstes Kind, Prince Philip, der auch im hohen Alter nicht unanstrengende Gatte der englischen Königin Elisabeth.

Historikerin und Autorin Silke Ellerbeck hat über diese spannende historische Gestalt eine zweiteilige Romanbiographie verfasst, in der Alice von Battenberg selbst das Wort hat: sie erzählt ihre Geschichte selbst, was der Autorin gestattet, einen subjektiven Blickwinkel einzunehmen.
In diesem ersten Teil schildert sie Kindheit und die ersten ca. 20 Ehejahre der jungen Frau, die sehr früh heiratete - schicksalvolle Jahre, weil sie auch den ersten Weltkrieg umfassen, der für alle eine komplette Umstellung nach sich zog, vor allem aber gerade auch für den Adel.

Es ist höchst unterhaltsam und brillant recherchiert, aber mir schwirrte der Kopf vor lauter Onkel Berties, Onkels Willis und Onkel Nickys (allesamt große Herrscher ihrer Zeit), Viktorias, Alexandras usw.

Dadurch, dass die Autorin ihre Protagonistin die Menschen im Familienjargon benennen lässt, war ich oft ziemlich verwirrt - ich hätte mich einiges an Grundlegendem im Anhang gewünscht: eine Aufführung aller vorkommenden Figuren, einen Stammbaum und auch ein Glossar der im Buch verwendeten Namen.

Ich kenne mich so einigermaßen in der europäischen Geschichte der damaligen Zeit aus, und kam leidlich damit zurecht, ich kann mir aber auch vorstellen, dass das für manch einen Leser ein Grund ist, das Buch frustriert beiseite zu legen, weil er so gar nicht mehr durchblickt. Und das ist schade bei einem so dichten und eigentlich auch unterhaltsamen Stoff!