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Veröffentlicht am 14.05.2019

Mehr Gesellschaftskritik als bahnbrechende Depressionsforschung

Der Welt nicht mehr verbunden
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Dies ist ein gutes Buch, das viele Kritiken an den heutigen, kapitalistisch geprägten Gesellschaften der westlichen Welt zusammenfasst und aufzeigt, wie diese Lebensweisen dazu führen, dass so viele Menschen ...

Dies ist ein gutes Buch, das viele Kritiken an den heutigen, kapitalistisch geprägten Gesellschaften der westlichen Welt zusammenfasst und aufzeigt, wie diese Lebensweisen dazu führen, dass so viele Menschen dabei "auf der Strecke" bleiben - nicht nur im materialistischen/sozialen, sondern auch im gesundheitlichen Sinn. Depressionen, so der Autor, werden nämlich durch viel mehr ausgelöst als "nur" Leitungsstörungen im Gehirn - und das sei auch der Grund, warum die medizinische Behandlung in Form von Antidepressiva so gut wie nie helfe. Um Depressionen gezielt und dauerhaft zu bekämpfen, müssten neben den biologischen auch die sozialen Faktoren (stärker) mit einbezogen werden. Pillen einzuwerfen allein sei in den meisten Fällen nicht mehr als ein Ratespiel - krank sind nicht die Menschen, die sie nehmen, sondern die Welt um sie herum. Soweit, ganz grob geschildert, die Grundidee dieses Buchs.

Das Fehlen des gemeinschaftlichen Zusammenhalts, der materielle Egoismus, das ständige Streben nach höher, schneller, weiter, mehr - all dieses sind Faktoren, die viele Menschen psychisch krank machen. So weit, so gut - ich stimme dem Autor in allen diesen Punkten zu. Die Beispiele für eine "bessere Welt", die er im zweiten Teil des Buches reportagenartig vorstellt, fand ich alle anschaulich und interessant: Ob das Berliner Multikulti-Viertel, das sich aufgrund drohender Gentrifizierung von anonymer Nachbarschaft zu einer rührigen Kommune mit Protestcharakter gewandelt hat, oder das Geschäftsmodell eines Fahrradmechanikers, der sein Geschäft in Form einer Genossenschaft aufgezogen hat: Die Menschen, die in diesen Modellen leben oder arbeiten, sind größtenteils glücklicher, zufriedener und weniger krank. Ihr Leben hat einen Sinn, hinter dem sie stehen, mit Leidenschaft und Herz. Sie sind Menschen, die wir uns alle als Beispiele für eine alternative Wohn- oder Lebensweise nehmen könnten. So hat das Buch gut für mich funktioniert: Als Anregung für eine bessere Welt. Von der kleinen Achtsamkeitsübung bis zur ganz großen Kapitalismuskritik.

Was für mich nicht gut funktioniert hat, war der Zusammenhang zu den "wahren Ursachen" und "unerwarteten Lösungen" von und für Depressionen, die der Untertitel suggeriert. Was das angeht, habe ich hier nicht viel Neues erfahren. Der Teil des Buches wäre besser geeignet als Historie über die medizinische Betrachtung der Depression im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ("Was bisher geschah").

Für mich (als Angehörige depressiver Menschen mit Therapie- und Behandlungserfahrung) stand es schon vorher völlig außer Frage, dass auch soziale Faktoren Ursachen einer Depression sind. In einem der ersten Kapitel bemängelt der Autor, dass er in mehr als 30 (!) Jahren Behandlung mit Antidepressiva nicht ein einziges Mal von seinem Arzt gefragt wurde, warum er traurig sei, ob ihn etwas belaste usw. Tut mir leid, aber das kann ich nicht glauben, und da hat der Autor gleich zu Beginn sehr viel Skepsis bei mir gesät. Sind also meine eigenen Erfahrungen mit Psychiatern, Psychotherapeuten, Hausärzten und Therapieeinrichtungen so außergewöhnlich gut, dass ich (und meine betroffenen Angehörigen) zumindest in dieser Hinsicht zu absoluten Glückskindern gehören? Hmmmm...

Auch die Kritik, dass soziale Faktoren keine oder viel zu wenig Berücksichtigung finden, kann ich so nicht bestätigen. Berufswechsel aufgrund akuter Depressionen (die wiederum aufgrund des Berufes ausgelöst und auch so diagnostiziert wurden) mit anschließender bezuschusster Reha/Umschulung - wieder nur ein glücklicher Einzelfall? Jahrelange (akute) therapeutische Behandlung mit Entspannungsübungen und den verschiedensten Kommunikationsformen - ich selbst war Teil einer Therapiesitzung für Angehörige, in der genau jene Fragen (nach den sozialen Faktoren, eventuellen Traumata, Gefühlen von- und zueinander) behandelt wurden - wieder nur ein glücklicher Einzelfall? Ich verstehe das nicht, ganz ehrlich. Und man kann nicht einmal die "vielleicht sind das die Zustände in den USA"-Karte ziehen, denn der Autor benennt mehrfach ausdrücklich die aktuelle Lage in Deutschland und hat hier auch viel recherchiert. Ich bin wirklich ratlos, was diese Passagen des Buches angeht.

Natürlich hat das System jede Menge Lücken und viel Verbesserungspotenzial nach oben, keine Frage. Die Plätze für stationäre Therapie sind zu knapp, die Wartezeiten zu lang, die Dauer oft zu kurz, die Behandlungen nicht immer "treffsicher". Auch die Antidepressiva sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss - allein schon die langwierige Suche nach dem passenden Präparat gibt zu denken. Und dennoch: Alles im Körper beruht nun mal auf chemischen Prozessen, auch im Gehirn. Und der Autor gesteht Betroffenen ja auch durchaus zu, dass (zumindest bei einigen von ihnen) Antidepressiva helfen.

Aber zu sagen, Therapie bestehe im Regelfall nur aus Tablettenlotterie und keiner fragt nach mehr? Und die Idee, auch mal nach anderen Faktoren zu schauen, als bahnbrechende Neuerung zu verkaufen? Das kam bei mir nicht gut an. Und was wäre die Alternative? Nicht jeder Mensch hat die Möglichkeit, sein Leben einfach mal neu in einer Kommune durchzustarten. Da steht dann wieder das System im Weg, das finanzielle oder mobile Hindernisse aufbaut. Teufelskreis. Auch der grundsätzliche Gedanke "Depression ist keine Krankheit, sondern ein Symptom einer kranken Gesellschaft" - stieß mir sauer auf. Kämpfen die Betroffenen nicht schon viel zu lange dafür, dass die Gesellschaft Depression (und andere psychische Beeinträchtigungen) als Krankheit anerkennt? Dass es eben kein "Jetzt stellt dich nicht so an"-Ding ist, an der die "böse Welt da draußen" Schuld ist? Der Autor geht selbst (kurz) darauf ein, aber mir hat das nicht gereicht. Ich glaube, da tut man der Community auf lange Sicht keinen wirklichen Gefallen mit.

Zu guter Letzt noch eine stilistische Anmerkung: Mit waren zu viele "Cliffhanger" bzw. zu gewollte Überleitungen in dem Buch. Fast jedes Kapitel lief auf eine Formulierung à la "Aber da wusste ich noch nicht, dass ich bald einen Mann treffen sollte, der noch viel beeindruckendere Dinge herausgefunden hatte" heraus. Das hat schnell genervt.

Alles in allem ein gutes gesellschaftskritisches Buch mit unterhaltsamen Reportagen alternativen Lebensweisen. Als bahnbrechendes Werk über Depressionen hat es mir nicht gefallen.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Nicht so gut wie erhofft

Zufälle im Museum
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Ach schade, da hatte ich mir weit mehr von versprochen! Die bildlich dargestellten Zufälle sind teilweise doch sehr, nun ja, großzügig interpretiert und an einigen Stellen wirklich nur mit viel Fantasie ...

Ach schade, da hatte ich mir weit mehr von versprochen! Die bildlich dargestellten Zufälle sind teilweise doch sehr, nun ja, großzügig interpretiert und an einigen Stellen wirklich nur mit viel Fantasie erkennbar. So richtige Kracher sind eher in der Minderheit, das wirklich gelungene Coverbild gehörte für mich schon zu den Top 3. Am besten sind die Bilder, die Ähnlichkeiten in Mustern von Bild und Betrachtendem gegenüberstellen (auch hierfür ist das Cover ja ein Beispiel), aber davon gibt es eben eher weniger. Alles in allem reicht es also leider nur für eine "okay"-Bewertung.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Gut gemacht, aber nicht für mich

Flexen in Miami
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Hier haben wir es leider mal wieder mit einem "mismatch" zu tun - dieses Buch und ich, das passt einfach nicht. Und dabei erkenne ich durchaus an, was Joshua Groß auf- und durchzieht - aber das war nicht ...

Hier haben wir es leider mal wieder mit einem "mismatch" zu tun - dieses Buch und ich, das passt einfach nicht. Und dabei erkenne ich durchaus an, was Joshua Groß auf- und durchzieht - aber das war nicht meins. Ich habe mich beim Lesen tatsächlich hier und da schlicht zu alt für dieses Buch gefühlt - und ne, das war nicht so schön.

Kurz mal zum Inhalt: Es geht hier um Joshua (aha!), einen typischen Vertreter der Millennial-Generation. Er erhält, aus unbekannten und unerklärlichen Gründen ein Stipendium für eine Stelle in Miami, inklusive coolem Appartement. Die dahinter steckende Firma bleibt genau so ein Mysterium wie die Frage, was Joshua eigentlich machen soll. Versorgt wird er per Drohne, mit allem, was wichtig ist: Geld, Essen (in Form von Astronautennahrung) und jeder Menge Weed. Life's a beach?

Nicht so ganz, denn die Langeweile und Unwissenheit treibt den Protagonisten zur Recherche, dessen Ergebnis ein mehr als nur einnehmendes Computerspiel ist. Dort verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Realität - und nur dort? Durch Zufall lernt Joshua dann Claire kennen, doch die Beziehung der beiden ist und bleibt unschlüssig und unstet. Den Reigen verschwommener Charaktere ergänzen Jellyfish P. und Hajo, ersterer ein berühmter Rapper und Ex von Claire, letzterer seine fürsorgliche rechte Hand. Joshua und Jellyfish freunden sich an und gehen auf Reisen auf "gewöhnliche", sprituelle und schließlich virtuelle Art. Wo geht's zum echten Leben zurück? I lost track...

Die ganze Welt hier ist weird und strange und nun ja - ich bin von Anfang an nicht wirklich gut reingekommen, und es wurde leider auch nicht besser. Die Sprache ist sehr überdehnt, wobei: Teilweise waren ein paar wirklich schöne Sätze, Formulierungen und Gedanken dabei. Leider gingen die meist in diesem omnipräsenten Grundrauschen der hippen, coolen Welt unter oder wurden von ihr überlagert. Respekt, das so durchzuziehen, mir war es zu viel.

Dabei liegen Vergleiche natürlich auf der Hand (letztlich sogar mehr, als mir lieb war). Ich fand Allegro Pastell von Leif Randt ja wirklich toll, und auch hier lebten die Ich-bezogenen Millenials (Tanja und Jerome, ich werd euch nie vergessen!) in ihrer eigenen, ätzenden Nerv-Blase. Aber trotz allem war mir das weitaus "angenehmer", es hat mir mehr Spaß gemacht. Hauptgrund hierfür ist vermutlich die Realität, die in "Allegro" doch deutlich präsenter ist. Joshua und Claire (und ihre merkwürdige Welt) haben mich weit weniger erreicht. "Miami" liest sich sich in einigen Belange ähnlich, aber weitaus weniger unterhaltsam, eher nerviger.

Außerdem kamen mir beim Lesen immer wieder andere Vergleiche in den Kopf, die mich abgelenkt haben. Beim allumfassenden Computerspiel, das sich auch in der Realität auswirkt, habe ich an Erebos gedacht, bei jedem Drohnen-Cameo und natürlich dem Kühlschrank jedes Mal an QualityLand. Auch hier wieder: Kann das Buch nichts für, hat ihm aber auch nicht dabei geholfen, in meiner Gunst zu steigen. Außerdem bin ich kein großer Fan von Quallen, die hier quasi das verbindende Element darstellen ;) Da kann man sicher viel drüber sprechen und spekulieren, ebenso wie über die Auflösung zwischen Realität und virtueller Welt, über Überwachung und Verfolgung, über Klarheit und Verblendung - wem's Spaß macht, nur zu, aber ich bin raus.

Kurzum also: Gut gemacht, aber nicht für mich. Sprachlich ist es mir zu drüber, inhaltlich war es mir zu konfus. Ich habe mich in diesem Buch nicht wirklich gut zurecht gefunden (ich sag ja, zu alt...) und glaube nicht, dass auf Dauer viel hängen bleibt.

Veröffentlicht am 26.02.2020

Nicht für mich...

Power
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Ach ne, das war mal überhaupt kein Buch für mich. Um fair zu sein: Ich hätte es ahnen können. Eine Geschichte über Kinder, mit ein bisschen Märchenflair, hieß es - das passt jetzt nicht wirklich in mein ...

Ach ne, das war mal überhaupt kein Buch für mich. Um fair zu sein: Ich hätte es ahnen können. Eine Geschichte über Kinder, mit ein bisschen Märchenflair, hieß es - das passt jetzt nicht wirklich in mein übliches Beuteschema. Aber hey, ein frischer Roman, der direkt für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wird, der spannende, aktuelle Themen verarbeitet - das hat mich dann schon neugierig gemacht.

Und was soll ich sagen? Mein Instinkt hatte Recht. Kinderprotagonist*innen sind für mich immer ein Risiko. Was andere vielleicht als niedlich oder pfiffig empfinden, geht mir rasch auf den Zeiger. Hier war es ähnlich: Kerze, die elfjährige Hauptdarstellerin des Romans, wird im Klappentext als "selbstbewusst" beschrieben. Ich habe sie als klugscheißerisch und ätzend empfunden. Ein Kind, das zu anderen einfach nur sch... ist. Das war also schon mal der erste große Nervfaktor.

Der zweite: Die Handlung - nach der ich so lange vergebens gesucht habe. Also ja, da verschwindet Power, der Hund einer alten Nachbarin Hitschke. Kerze nimmt "den Auftrag an", den Hund zu finden. Immer mehr Kinder schließen sich ihr an - bis die Kinder irgendwann alle als quasi Rudel im Wald leben. Und dort machen, was Kinder eben so machen, die Hund spielen: auf allen Vieren laufen, sich die Gesichter ablecken, sich gegenseitig am Po riechen... aha, nun ja. Das hat mir einfach nicht gereicht. Ab dem zweiten Drittel schwenkt der Blick ab und an mal häufiger auf die Erwachsenen, z.B. den Sohn des obersten Dorfbauerns und der alten Nachbarin, und es sind, zumindest ansatzweise, quasi schemenhaft, interessante Szenen und Charakerbeschreibungen zu erkennen. Mir kam das leider zu spät und war auch zu wenig, um meinen gelangweilten Gesamteindruck noch irgendwie zu verbessern.

Punkt drei: Die Sprache. Sehr repetitiv, sehr "mein schönstes Ferienerlebnis", sehr ermüdend.

Punkt vier: Die Botschaft. Wo war sie? Was war sie? Landflucht, Alt vs. Jung, Radikalisierung, Gruppenzwang, Ausgrenzung, Umgang mit Alten, Umgang mit Kindern, Vereinsamung, Sündenböcke undwasweißichnoch - das alles sind Punkte, die im Buch irgendwie angeschnitten, gewissermaßen thematisiert werden. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn kein Thema wird so richtig greifbar, weitergedacht oder gar ausformuliert. Ich wusste also weder während des Lesens, noch nach dem Beenden, was dieses Buch mir sagen wollte. Es bietet viel Projektionsfläche für zahlreiche Themen, das ist ja nichts grundsätzlich Schlechtes. Aber hier gibt es halt nur die leere Projektionsfläche - und keinen Hinweis, was denn nun genau gesagt werden soll. Das ist mir zu wenig, da hätte ich mir schon mehr Positionierung gewünscht.

Abschließend muss ich leider sagen, dass auch die Hörbuchversion, gelesen von der Autorin selbst, mich nicht vom Hocker gehauen hat. So bleibt für mich unterm Strich nur eine sinnentleerte, größtenteils langweilige Geschichte, die mich mehr und mehr genervt hat. Ich sag ja: So gar nicht mein Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.02.2020

Enttäuschend

Die Brandstifter
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Der Auszug klang spannend, der Anfang war recht vielversprechend, aber dann hat mich das Buch ziemlich schnell verloren. Hauptgründe: Es hat nicht gehalten, was ich mir versprochen hatte, die Sprache war ...

Der Auszug klang spannend, der Anfang war recht vielversprechend, aber dann hat mich das Buch ziemlich schnell verloren. Hauptgründe: Es hat nicht gehalten, was ich mir versprochen hatte, die Sprache war viel zu blumig und irgendwann wurde alles nur noch belanglos und... langweilig.

Drei Charaktere stehen im Mittelpunkt des Geschehens: Will, ein Student der sich in seinem neuen Leben als Nichtgläubiger erst noch zurechtfinden muss; Phoebe, die Frau in die er sich verliebt; und John Leal, ein charismatischer und enigmatischer Kultanführer.

Will und Phoebe haben beide etwas verloren, das sie selbst ausgemacht hat (Will: seinen Glauben, Phoebe: ihr Klavierspiel) und tun sich schwer damit, diese Lücke zu füllen. Beide leiden an Familiendrama, beide haben sich von ihrem Vater entfremdet. John Leal ist vielleicht ein Opfer, vielleicht ein Übeltäter, vielleicht beides. Wir können es nicht genau sagen, denn er hat keine eigene Stimme.

Denn: Auch wenn die Kapitel scheinbar im Wechsel erzählt werden, ist dem in Wirklichkeit gar nicht so. Alles wird aus der Sicht von Will erzählt - was er glaubt, was Phoebe und John Leal vielleicht erzählt hätten, hätte man sie nach ihrer Sicht der Dinge gefragt. Gut, Will hat Notizen und Erinnerungen, an denen er sich für seinen "Report" orientiert, aber wie verlässlich sind diese Quellen?

Wir haben es hier also mit einem sehr unzuverlässigen Erzähler zu tun, dem das durchaus bewusst ist, aber aus den falschen Gründen: Er sagt, dass er sich vielleicht nicht an jedes Detail richtig erinnern kann und vielleicht Dinge durcheinander bringt, aber als Lesende wissen wir es besser: Wenn du eine Geschichte aus "verschiedenen Blickwinkel" selbst erzählen könntest, würdest du der Versuchung widerstehen, deine eigene Rolle etwas mehr auszuschmücken? Deine Fehler etwas runterzuspielen? Dich liebenswerter und weniger schuldig dastehen zu lassen? Und die anklagen, die du nicht magst? Wer weiß das schon, was wäre, wenn...

Das alles klingt nach einem spannenden Ansatz, den ich zunächst auch sehr interessant fand. Aber es wurde schnell zum Hindernis und ich verlor mich mehr und mehr in Wills Gedanken.

Was mir auch nicht für mich funktioniert hat: Zunäst hatte ich völlig andere Erwartungen an das Buch. Der Klappentext stellt den Inhalt anders da - okay, für falsches Marketing kann das Buch nix. Aber, wie bereits erwähnt, ist das Buch mehr oder weniger eine Darstellung der Dinge aus Wills Sicht/Vorstellung, inklusive seiner Obsession mit Phoebe, die zum traurigen Twist der Erzählung führt. Abgesehen davon habe ich nur wenig Plot gefunden - die Story war einfach langweilig.

Die Langeweile setzt nach rund einem Drittel ein, weil nicht passiert, das die Erzählung irgendwie vorwärts gebracht hätte. Das war doch sehr enttäuschen. Und hey, ich mag Geschichten, in denen die Charaktere die Richtung vorgeben. Aber hier gab es nur einen Charakter, der irgendwas in die von ihm bevorzugte Richtung steuerte, und das war nicht die Route, die ich gewählt hätte. Ich hätte z.B. gerne mehr von Phoebe erfahren, ihre echte Stimme, ihre echten Gefühle und Gedanken. Stattdessen war ich in Wills Version von ihr gefangen.

Zu guter Letzt: die Sprache. Geschmacksfrage, klar. Für mich war es zu blumig, zu poetisch, zu umständlich. Jeder Objekt hatte aktiv Dinge zu tun, jedes Gefühl war eine Metapher. Zig Beschreibungen, Details, Vergleiche, die für mich wenig bis keinen Sinn ergaben. Archaische Verzierungen, die mich zusätzlich abgelenkt haben. Es wurde sehr schnell zu viel und irgendwann musste ich mich richtig durchbeißen, um zum Ende zu kommen.