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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.03.2020

Der Blick zurück

Rosie
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„Erst jetzt, wo ich älter bin, sehe ich, wie schnell das Leben an einem vorüberzieht und wie leicht es passieren kann, dass man seine Zeit leichtfertig verschwendet“ stellt Rose Tremain in einem Interview ...

„Erst jetzt, wo ich älter bin, sehe ich, wie schnell das Leben an einem vorüberzieht und wie leicht es passieren kann, dass man seine Zeit leichtfertig verschwendet“ stellt Rose Tremain in einem Interview fest. Dafür, dass sie die Zeit keineswegs verschwendet hat, zeugen ihre zahlreichen Romane, die ihr etliche Literaturpreise beschert haben.
In der vorliegenden Autobiografie erzählt sie in ihrer leichten, beschwingten Schreibweise, wie sich das Kind Rosie zu der jungen Frau Rose entwickelt hat. Tremains Kindheit war sicher geprägt von Wohlstand auf der einen Seite, jedoch fehlten ihr Geborgenheit und Liebe auf der anderen. Dennoch spürt man in ihren Erinnerungen keine Bitterkeit, im Gegenteil: in d
er Rückschau versucht sie, das Verhalten ihrer Eltern zu verstehen. Bisweilen verweist die Autorin auch auf eigene ausgewählte Romane, in denen sie einige der Erlebnisse oder Personen aus ihrem Umkreis „verarbeitet“ hat. Ihre wunderbaren, aber oft auch schmerzhaften bildreichen Schilderungen machen Roses Erzählungen lebendig. Wie eindrucksvolle Szenen aus einem Film lassen sie den Leser ihre Kinder- und Jugendjahre nachempfinden. Ein schönes Plus: etliche in den Text eingefügte Fotografien dokumentieren zusätzlich das Leben von Rose und ihrer Familie.

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Veröffentlicht am 09.03.2020

Intensives Leseerlebnis

Dankbarkeiten
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Es passiert ohne Ankündigung. Michèle Seld, eine „alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens“, kann nicht mehr selbständig in ihrer Wohnung leben und bezieht ein Zimmer im Altenheim. Zum Glück ist ...

Es passiert ohne Ankündigung. Michèle Seld, eine „alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens“, kann nicht mehr selbständig in ihrer Wohnung leben und bezieht ein Zimmer im Altenheim. Zum Glück ist da Marie, die ihr zur Seite steht und sie regelmäßig besucht. Doch Michka wird immer unsicherer, es fällt ihr zunehmend schwerer, sich auszudrücken, die Wörter „flüchten“, sie werden verwechselt oder fehlen ganz. Von den Übungen des engagierten Logopäden Jérôme, die ihre Aphasie so lange wie möglich aufhalten sollen, ist Michka nicht immer angetan, doch sie fasst Vertrauen zu dem jungen Mann und verrät ihm ihren Herzenswunsch: sie möchte das junge Ehepaar, das sie als Kind vor Verfolgung gerettet hat, finden und ihm dafür danken, wozu sie bis jetzt keine Gelegenheit hatte. Und Jérôme hat eine Idee…
Sehr ruhig und behutsam erzählt Delphine de Vigan die Geschichte eines langsamen, aber unaufhaltsamen Abschiednehmens. Voll Empathie schildert sie die Beziehungen, die zwischen Michka und den jungen Leuten Marie und Jérôme entstanden sind. Viel Verständnis und warmherziges Zugewandtsein bestimmt ihr Verhältnis - dabei spielt nicht nur Maries Dankbarkeit Michka gegenüber eine Rolle, die ihr während ihrer problematischen Kindheit die Liebe und Fürsorge hat zukommen lassen, die sie brauchte. Das Thema, Michkas Lebensretter Nicole und Henri endlich zu finden und ihnen für ihre Selbstlosigkeit danken zu können, ehe es für sie zu spät ist, zieht sich durch den ganzen Roman.
„Dankbarkeiten“ ist ein Roman der leisen Töne, dennoch ausdrucksstark und intensiv, der lange nachklingt.

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Veröffentlicht am 30.01.2020

Ein "E-Mail-Roman"

An Nachteule von Sternhai
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Hier ist ein Jugendbuch, das ganz dem Trend unserer Zeit angepasst ist: ausschließlich in Form von E-Mails, SMS bzw. auch herkömmlichen Briefen erzählen zwei Autorinnen die Geschichte von der Entstehung ...

Hier ist ein Jugendbuch, das ganz dem Trend unserer Zeit angepasst ist: ausschließlich in Form von E-Mails, SMS bzw. auch herkömmlichen Briefen erzählen zwei Autorinnen die Geschichte von der Entstehung einer tiefen Freundschaft. Avery Bloom und Bett Devlin leben Tausende von Kilometern voneinander entfernt - die eine in New York, die andere in Kalifornien - und sind zufrieden mit ihren alleinerziehenden Vätern und ihrem Leben, so wie es ist. Doch als sich ihre Väter eines Tages begegnen und beschließen, ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten, wollen ihre Töchter das nicht akzeptieren. Um ihre Heiratspläne zu verhindern, treten sie in einen intensiven E-Mail-Kontakt und treffen sich sogar in einem Feriencamp. Nach und nach bröckelt die Distanziertheit der Mädchen, ihr Vertrauen zueinander wächst. Doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes…
Neben den Themen Freundschaft und Zusammenhalt stellen die Autorinnen Meg Wolitzer und Holly Goldberg Sloan vor allem den Aspekt von Toleranz und Gleichberechtigung in den Mittelpunkt ihres Romans; Rassengleichheit und Homosexualität sind als ganz selbstverständliche Aspekte der Gesellschaft in die Geschichte integriert. Mit der Form des Briefromans oder besser gesagt „E-Mail-Romans“ und ihrem der jugendlichen Ausdrucksweise entsprechenden Schreibstil wecken sie gezielt das Interesse junger Menschen, für die digitale Textnachrichten selbstverständlich sind. Jeder Charakter kann so seine Perspektive verständlich machen. Flott geschrieben, mit etlichen unerwarteten Wendungen im Geschehen, sorgt die Geschichte für sehr unterhaltsame Lesestunden.

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Veröffentlicht am 26.01.2020

Wer wehret dem, der seine Verbrechen mit Stärke verbindet …

1794
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… wird Isak Reinhold Blom zitiert, der in Natt och Dags Roman Polizeisekretär und Freizeitdichter in einer Person darstellt. Intrigen, Macht und Geld sind tatsächlich Hauptthemen des Buches, in dem der ...

… wird Isak Reinhold Blom zitiert, der in Natt och Dags Roman Polizeisekretär und Freizeitdichter in einer Person darstellt. Intrigen, Macht und Geld sind tatsächlich Hauptthemen des Buches, in dem der Kriegsveteran und Häscher Jean Michael Cardell (wie schon im Vorgängerroman "1793") eine Hauptrolle spielt. Auch einigen anderen „alten Bekannten“ aus Natt och Dags erstem Kriminalroman begegnen wir wieder. Vor dem Hintergrund der düsteren Realität eines Stockholm gegen Ende des 18. Jahrhunderts konstruiert Natt och Dag äußerst plastisch eine teuflische Intrige, deren Opfer Erik, ein sehr junger, unerfahrener Mann ist. Der Autor konfrontiert den Leser ungeschönt mit den sozialen Missständen und brutalen Methoden jener Zeit und schildert den Verlauf der Geschichte aus der jeweiligen Sicht seiner Hauptcharaktere. So erfahren wir auch einiges aus dunklen Zeiten der tropischen Insel St. Barthelemi, einer schwedischen Kolonie, die ihren Wohlstand in erster Linie dem Sklavenhandel verdankt. Überhaupt flicht der Autor immer wieder diverse Details aus der schwedischen Historie ein, überaus bildstark, jedoch ganz nebenbei, ohne dass der Leser das Gefühl hat, belehrt zu werden.
Packend geschrieben, atmosphärisch echt, spricht "1794" vor allem die etwas härter gesottenen Krimifans an. Zwar ist die Geschichte ohne weiteres zu verstehen, auch ohne den Vorgängerroman zu kennen - doch wer bereits "1793" kennt, ist, was etliche Feinheiten betrifft, deutlich im Vorteil.

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Veröffentlicht am 14.01.2020

Letzte Zeitzeugen

Seht zu, wie ihr zurechtkommt
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Eines Tages steht vermutlich jeder vor der schweren Entscheidung: wie werden meine alten Eltern am besten versorgt, wenn sie nicht mehr allein in ihrem bisherigen Zuhause leben können? Sebastin Schoepp, ...

Eines Tages steht vermutlich jeder vor der schweren Entscheidung: wie werden meine alten Eltern am besten versorgt, wenn sie nicht mehr allein in ihrem bisherigen Zuhause leben können? Sebastin Schoepp, Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, muss diese Frage klären, als er gerade im Begriff ist, die Karriereleiter emporzusteigen und als Korrespondent nach Südamerika zu ziehen. Schweren Herzens entschließt er sich, zu verzichten und stattdessen die Pflege seiner Eltern zu organisieren, zunächst in ihrem eigenen Haus, später im Heim. Bürokratie, fehlende Pflegekräfte, die Suche nach einem geeigneten Heim - sehr anschaulich beschreibt er seine „Odyssee durchs Gesundheitssystem“, die jeder durchaus so nachvollziehen kann, der sich schon einmal in einer solchen Lage befunden hat.
Doch nicht allein die Sorge um die Pflege von Vater und Mutter und das Wissen um den nahen endgültigen Abschied treibt Schoepp um. Erst jetzt wird ihm eine gewisse gefühlsmäßige Distanz zu seinen Eltern richtig bewußt. Woher kommt sie? Die Eltern haben nie viel von ihrer Vergangenheit erzählt, und so versucht Schoepp nun, in vorsichtigen Gesprächen und aus alten Dokumenten und Briefen, die er auf dem Dachboden des Elternhauses entdeckt, mehr über ihre Kindheit und Jugend zu erfahren. Seine Recherchen bleiben lückenhaft. Dazu kommen Überlegungen, ob und inwieweit er das Recht dazu habe, mit seinen Fragen schlimme Erinnerungen an Krieg und Gefangenschaft auszulösen, während sie vermutlich ihre Erfahrungen jener Zeit verdrängen wollten. Immerhin gehören seine Eltern zu den letzten Zeitzeugen. Welche „Altlasten“ hat er als Sohn zu tragen?
Auf eine ansprechende, sehr direkte Art widmet sich Schoepp gleich zwei komplexen Themen, die jedes für sich Gewicht haben. Ein umfangreiches Register gibt weitere Literatur-Empfehlungen für Leser, die sich darüber hinaus informieren möchten.

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