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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.03.2020

Gewöhnungsbedürftiger Schreibstil

Die Bagage
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Die Anerkennung für dieses Buch ist enorm, Leserinnen (zumeist) und Feuilleton sind hingerissen. Aber mich konnte 'Die Bagage' nicht begeistern, wobei es nicht die Geschichte an sich ist, sondern der eigenwillige ...

Die Anerkennung für dieses Buch ist enorm, Leserinnen (zumeist) und Feuilleton sind hingerissen. Aber mich konnte 'Die Bagage' nicht begeistern, wobei es nicht die Geschichte an sich ist, sondern der eigenwillige Schreibstil der Autorin.
Es ist ihre eigene Familiengeschichte laut Aussage Monika Helfers. Als nicht wirklich dem Dorf Zugehörige lebten sie dort am Rande in Armut, stets misstrauisch beäugt von den Einheimischen. Insbesondere, da die Grossmutter der Autorin eine aussergewöhnliche Schönheit war. Als deren Mann Josef in den Krieg musste und Marie, so ihr Name, schwanger wurde, war für die Dorfbewohner klar, dass da nicht alles mit rechten Dingen zuging.
Monika Helfer beschreibt nicht nur das Leben ihrer Grosseltern, sondern flicht fast beiläufig die Lebenswege ihrer zahlreichen Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins ein, was ihr häufig mit ein, zwei Sätzen gelingt. Dafür springt sie immer wieder innerhalb eines Absatzes nicht nur auf das Zeitliche bezogen hin und her, sondern auch thematisch. Auf rund anderthalb Seiten erfährt man beispielsweise, wie Tante Kathe zu ihrem Ehemann kam, dieser ihre Kinder be- und misshandelte, das Verhältnis der Ich-Erzählerin zu diesen Kindern (ihrem Cousin und ihrer Kusine), das Leben bei dieser Tante nach dem Tod der Mutter undundund. Ich fand dies nicht so schön, da mir die einzelnen Personen dadurch fremd blieben.
Der Sprachstil wirkt schlicht, häufig sind es recht kurze Sätze, die aber immer wieder voller Hintersinn stecken. "... bereits einen Tag nachdem sie das Dorf verlassen hatten, waren sie getrennt worden. Die Hüte hatten die Köpfe überlebt. Bereits vier also waren tot." Oder " Man sage ja auch "gefallen", als ob das Sterben da draussen ein bloßes Hinfallen wäre." Wären nicht diese mich störenden, ständig auftauchenden Sprünge in 'Zeit und Raum' gewesen, hätte ich mit diesem Buch vermutlich mehr anfangen können. So blieb es bei einem durchschnittlichen Lesevergnügen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.09.2019

Viel zu viel für diese knapp 400 Seiten

Maschinen wie ich
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1982 - eine Welt, in der Alan Turing noch lebt und die Gesellschaft mit seiner Kreativität und Intelligenz um viele Erfindungen bereichert bzw. ihnen zum Durchbruch verholfen hat wie beispielsweise autonome ...

1982 - eine Welt, in der Alan Turing noch lebt und die Gesellschaft mit seiner Kreativität und Intelligenz um viele Erfindungen bereichert bzw. ihnen zum Durchbruch verholfen hat wie beispielsweise autonome Fahrzeuge oder lebensechte Androiden. Einen solchen 'Adam' kauft sich der 32jährige Charlie ohne zu ahnen, wie sehr sich Adam in sein Leben drängen wird.
Eine tolle Thematik, die angesichts der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) hochaktuell ist. Ausgangspunkt ist eine Liebesgeschichte, in die der Autor geschickt die Fragen nach Moral, Ethik, Gefühlen und sonstige relevante Problematiken für den Bereich der KI hineinpackt. Zwar hat auch McEwan keine endgültigen Antworten zu bieten (das wäre auch zu viel erwartet), aber er zeigt in beinahe unterhaltender Art und Weise die Schwierigkeiten auf, die sich aus dem Zusammenleben zwischen Mensch und Androiden ergeben können. Doch damit nicht genug: Aus der Liebesgeschichte heraus entwickelt sich eine Rachegeschichte, die die Frage nach Recht und Wahrheit stellt, nach Gerechtigkeit und Gesetz, was sich durch die 'Augen' einer KI völlig anders darstellt als für einen Menschen.
Fast beiläufig, dennoch stets präsent, sind die Zeitläufte in denen dieses Buch spielt. Zeitläufte, die durch die Veränderung einer 'Kleinigkeit' wie beispielsweise dem Weiterleben von Alan Turing, völlig anders ablaufen als wir sie erlebt haben. Zwar entspricht Vieles dem, was wir kennen und teilweise selbst erlebt bzw. mitbekommen haben. Aber Anderes, auch Wesentliches, hat sich in eine völlig andere Richtung entwickelt. Ein Gedankenexperiment, das deutlich macht, wie wenig es bedarf, dass das Leben eine gänzlich andere Bahn nimmt.
Und damit sich auch wirklich niemand langweilt, gibt es noch kleine und größere Exkurse in die unterschiedlichsten Themengebiete: Medizin, IT, Kunst ... Ja, der Autor verfügt über ein profundes Wissen, aus dem er für dieses Buch aus dem Vollen schöpft. Und besitzt zudem die Fähigkeit, kluge Sätze zu schreiben wie "Aber war das nicht Natur? Und zudem ein alter Hut? Männer, die Frauen für eine Naturgewalt hielten? Glich sie also eher einem kontraintuitiven euklidischen Beweis?"
So toll das Thema, so intelligent auch die Ausarbeitung - mir ist das insgesamt von Allem zu viel. Vielleicht bin ich auch nur nicht schlau genug.

Veröffentlicht am 01.09.2019

Harry Hole Version 12 Punkt 0 - Jetzt in Selbstmitleid ertrinkend

Messer (Ein Harry-Hole-Krimi 12)
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Der fast schon glückliche Harry Hole aus Band 11 ist nun ganz unten: Seine geliebte Rakel, sein Lebensinhalt, hat ihn aus dem Haus geworfen und eine Versöhnung scheint nicht in Sicht. Und dann trifft ihn ...

Der fast schon glückliche Harry Hole aus Band 11 ist nun ganz unten: Seine geliebte Rakel, sein Lebensinhalt, hat ihn aus dem Haus geworfen und eine Versöhnung scheint nicht in Sicht. Und dann trifft ihn ein Schicksalsschlag, wie es schlimmer nicht sein kann. Er reisst sich zusammen und tut das, was er am Besten kann: Ermitteln. Doch je weiter er kommt, umso schlimmer wird es.
Ich bin ein begeisterter Hole-Fan, habe alle Bände gelesen und mich sehr auf dieses Buch gefreut. Nun weiss ich: Ich hätte das nicht tun sollen. Die Enttäuschung wäre vermutlich nicht so groß ausgefallen. Denn dies ist mit Abstand das schwächste Buch dieser Reihe. Statt eines spannenden Kriminalfalles, bei dessen Ermittlungen ein bestimmtes Thema ausführlich an die Lesenden gebracht wird wie es sonst der Fall ist, geht es dieses Mal fast ausschliesslich um Harry Holes privates Umfeld und seine Befindlichkeiten. Endlos werden seine selbstzerstörerischen Gedanken wiedergegeben, die nicht gerade zur Spannung beitragen. Dazu kommen derart abstruse Konstellationen, dass ich mich immer wieder fragte, was der Autor wohl beim Schreiben geraucht hat. Beispielsweise ein über 70jähriger, der in drei Minuten junge Frauen in der Öffentlichkeit vergewaltigt, um sich fortzupflanzen. Oder ein extremer Alkoholiker, den die Frauen auch über Jahre hinweg nur so anhimmeln, egal in welchem Zustand er sich befindet. Das ist Alles so unglaubwürdig und verschroben, dass ich kaum glauben kann, dass es vom selben Autor kommt wie die vorherigen zwölf Bände.
Die Lösung des Ganzen ist wie gewohnt überraschend, auch wenn hier ziemlich mit der Holzhammermethode dargelegt wird: Jede und Jeder kann zum kaltblütigen Mörder werden. Zudem ist es sicherlich auch so geplant, dass es eine weitere Fortsetzung um und mit Harry Hole geben wird, so offen wie dieses Ende ist.
Dann bleibt nur zu hoffen, dass Harry Hole in Version 13 Punkt 0 wieder wie ein Phönix aus der Asche auftaucht.

Veröffentlicht am 02.08.2019

Traurig, düster, ohne Hoffnung

Der Gott am Ende der Straße
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Es sind schwierige Zeiten. Die Welt scheint sich zurück zu entwickeln. Tiere, Pflanzen, auch die Menschen bringen Arten früherer Spezies zur Welt: Säbelzahnkatzen, urtümliche Gewächse. Und Cedar erwartet ...

Es sind schwierige Zeiten. Die Welt scheint sich zurück zu entwickeln. Tiere, Pflanzen, auch die Menschen bringen Arten früherer Spezies zur Welt: Säbelzahnkatzen, urtümliche Gewächse. Und Cedar erwartet ihr erstes Kind. Um mögliche Erbkrankheiten zu erkennen, nimmt sie Kontakt zu ihrer indianischen Mutter auf, die sie als Baby zur Adoption freigab. Die Begegnung ebenso wie ihr Stiefvater Eddie beeindrucken sie sehr und trotz der unsicheren Zeit um sie herum kehrt Cedar halbwegs ruhig zurück. Doch dann beginnt man, Schwangere festzunehmen ohne Angabe von Gründen; niemand weiß Genaueres. Cedar versucht mit ihrem noch ungeborenen Kind zu entkommen, doch die Gefahr rückt immer näher.
Sie schreibt all das Geschehene ebenso wie ihre Gedanken und Gefühle in einen Brief an ihr Ungeborenes, wobei Letzteres vielleicht der Grund ist, dass ich mich nicht so richtig begeistern konnte. Zum Einen verliert sie sich immer wieder in religiösen Überlegungen, die fast esoterisch anmuten; zum Andern werden die verschiedenen Entwicklungsstadien eines Embryos derart detailliert beschrieben, dass ich mich zeitweise beinahe in einem Biologiebuch wähnte.
Die zentrale Geschichte beginnt tatsächlich erst nach circa 100 Seiten. Bis dahin steht die Begegnung Cedars mit ihrer biologischen Mutter im Vordergrund und es gibt nur indirekte Hinweise, dass etwas Ungeheures in der Gesellschaft vor sich geht. Was genau geschieht, klärt sich jedoch auch nicht bis zum Ende. Alles, der Zustand des Landes, der Welt, werden lediglich angedeutet und klar ist nur: Gebärfähige Frauen sind eine Gefahr, werden aber dringend gebraucht. Da Alles ausschließlich aus der Perspektive Cedars erzählt wird, bleibt der Blick nach draußen sehr begrenzt.
Eigentlich ist es keine schlechte Idee für eine Dystopie: Die Evolution läuft rückwärts, wir entwickeln uns nach und nach oder auch schneller wieder zurück. Doch leider ist die Idee in diesem an sich gut zu lesenden Buch nicht ausgereift, sodass es in der Hauptsache bei einer düsteren Geschichte einer werdenden Mutter bleibt. Schade!

Veröffentlicht am 08.07.2019

Schon schön, aber einfach zu lang

Mein Leben als Sonntagskind
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Wie fühlt es sich an, ein autistischer Mensch zu sein, zwischen all den 'normalen'? Was denkt so jemand, was geht in so einer Person vor? Es gibt ja mittlerweile eine Reihe von Romanen, die dieses Thema ...

Wie fühlt es sich an, ein autistischer Mensch zu sein, zwischen all den 'normalen'? Was denkt so jemand, was geht in so einer Person vor? Es gibt ja mittlerweile eine Reihe von Romanen, die dieses Thema ernst wie auch humorvoll aufbereitet haben: man denke nur an 'Das Rosie-Projekt'. Doch so nah wie in diesem Buch kommt man einer autistischen Persönlichkeit wohl selten.
Judith Visser, die bereits einige Bücher veröffentlicht hat, beschreibt in diesem 600-Seiten-Wälzer aus eigener Erfahrung wie es ist, als autistischer Mensch zwischen ansonsten mehr oder weniger 'normalen' erwachsen zu werden. Schnell ist klar: Ohne ihre liebevollen Eltern, die sie so akzeptieren wie sie ist, hätte sie ihre Kindheit und Jugend bestimmt nicht so gut überlebt. Denn fast jeder Tag ist für die kleine wie auch schon grössere Jasmijn (wie die Protagonistin heisst) ein Kampf ums Überleben - oder zumindest nahe dran. Voller Unsicherheit, wie sie sich verhalten soll, verkrampft sie in Gesellschaft und verstummt, was Andere so deuten, dass sie arrogant oder dumm oder vielleicht sogar beides sei. Doch nichts davon trifft zu, aber Jasmijn gelingt es nicht, sich verständlich zu machen. Nur ihre Hündin Senta ist ihre engste Vertraute und einige Jahre später gesellt sich Elvis hinzu, der verstorbene Superstar. Als es ihr als Teenager gelingt, zu einer Klassenkameradin Freundschaft zu schliessen, macht sie weitere Schritte in Richtung eines 'normalen' Lebens. Doch der Weg ist voller Hindernisse, über die sich unsereins noch nie die geringsten Gedanken gemacht hat.
Es ist ein beeindruckendes und bewegendes Buch, keine Frage. Aber 200 Seiten weniger hätten der Geschichte sicherlich gut getan, denn letzten Endes wiederholen sich stets aufs Neue die Beschreibungen der jeweiligen Überforderungen Jasmijns. Immer wieder und wieder erklärt sie, wie der Schmerz sich in ihrem Schädel und Körper ausbreitet; wie sie Migräneanfälle bekommt und diese übersteht; die Ohnmacht, wenn sie Dinge, die sie tun möchte, nicht tun kann. Natürlich hat dies alles ihr junges Leben bestimmt und ist das Thema des Buches. Aber wenn ich es auf Seite 424 zum 27. Mal lese, dann tritt ein gewisser Gewöhnungseffekt ein, der mich die Seiten schon etwas schneller umblättern ließ. Schade, denn so habe ich das Buch zugeschlagen mit dem Gedanken: Endlich - jetzt reicht es auch. Denn eigentlich wird dies Jasmijns Geschichte nicht gerecht, die wirklich etwas Besonderes ist.