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Veröffentlicht am 07.07.2020

Unverwechselbar Kent Haruf

Kostbare Tage
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Dieses ist das dritte Buch von Kent Haruf, das ich gelesen habe, und ich kann nicht genug davon bekommen. Dabei finden wir hier keine großartige Handlung, sondern lernen in Episoden einzelne Menschen des ...

Dieses ist das dritte Buch von Kent Haruf, das ich gelesen habe, und ich kann nicht genug davon bekommen. Dabei finden wir hier keine großartige Handlung, sondern lernen in Episoden einzelne Menschen des fiktiven Ortes Holt kennen, gelegen in der Weite des US-Staates Colorado, zwei Stunden entfernt von Denver.
In diesem Buch geht es vordergründig um das Sterben des alten Eisenwarenhändlers Dad Lewis, wir erleben mit ihm seine letzten Tage, seine Wünsche, seine Sorgen, seine Lebensgeschichte, die ihm immer wieder in Episoden durch den Kopf geht, weil ihm bewusst wird, dass er einiges im Leben hätte anders machen können. Aber hinter den Zeilen geht es um so viel mehr. Aktionsgeladene Spannung findet der Leser nicht, jedoch ein eindrucksvolles Gemälde des sozialen Lebens in dieser Kleinstadt.
Wir lernen Personen kennen, die alle irgendwie mit Familie Lewis zu tun haben, als Nachbarn, als Freunde, als Dienstleistende.....allen gemeinsam ist eine gewisse Einsamkeit, die mehr oder weniger gut verarbeitet wird. Die meisten dieser Menschen haben Schicksalsschläge hinter sich, die nachwirken. Aber sie geben nicht auf, sondern helfen sich auch untereinander. Dies empfinde ich als rührend und anrührend zugleich. Sie unterstützen sich gegenseitig und helfen einander in Notsituationen. Faszinierend ist es, das soziale Gefüge in dieser Stadt zu erleben. Da wird geholfen und unterstützt, wie man es im heutigen Stadtleben kaum noch kennt. Man erkennt die Sorgen und Nöte der anderen und versucht, eine Lösung zu finden. Ich muss gestehen, dass mir bisweilen Tränen in die Augen traten, weil die Protagonisten so einfühlsam und fürsorglich agierten. Oder auch, als Dad Lewis sich von seiner Tochter Lorraine, noch ein letztes Mal zu prägnanten Orten in Holt fahren lässt....
Originell und typisch ist Kent Harufs Schreibstil, der zwar einfach gehalten ist, aber sehr viel Atmosphäre wiederspiegelt. Da sehe ich mich dann auf der riesigen Viehweide als Beobachter am riesigen Trog stehen oder empfinde die drückende Schwüle des Sommers in Colorado. Interessant ist die fehlende Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede, alles ist Erzählung und geht ineinander über, man gewöhnt sich schnell daran. Vereinzelt gibt es auch Rückblicke auf die Vorgängerbände, was ich sehr lesenswert fand, aber man muss die anderen Bücher nicht vorher gelesen haben.
Alles in allem ein sehr empfehlenswertes Buch, das zu Herzen geht, nicht auf kitschige Weise, sondern voller Empathie und Optimismus.

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Veröffentlicht am 25.05.2020

Auf der Suche nach Sinn in unruhigen Zeiten

Margos Töchter
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In diesem Buch lernen wir zunächst Jana kennen, eine junge Frau, 34 Jahre, die mit ihrer Familie auf dem Lande in Norddeutschland wohnt und dort glücklich ist. Sie hat den Hof von ihren Großeltern Margo ...

In diesem Buch lernen wir zunächst Jana kennen, eine junge Frau, 34 Jahre, die mit ihrer Familie auf dem Lande in Norddeutschland wohnt und dort glücklich ist. Sie hat den Hof von ihren Großeltern Margo und Henri geerbt. Jana hat einen Antrag auf Stasi-Akteneinsicht gestellt, denn sie möchte mehr über ihre Adoptivmutter Leonore erfahren, die mit 42 Jahren bei einem Unfall ums Leben kam. An einem Samstag bekommt sie per Post die Erlaubnis und ist total aufgeregt. Einerseits freut sie sich, dass es geklappt hat, andererseits hat sie Angst, dass sie dort etwas erfährt, was sie aus der Bahn wirft.
Das Buch präsentiert verschiedene Erzählebenen, die von Jana, Leonore und Clara erzählen. Clara ist eine Genossin aus Ostberlin, mit der Leonore eine Brieffreundschaft unterhielt. Mehr möchte ich hier nicht verraten. Wir erhalten tiefe Einblicke in ihre Lebensgeschichten und sehen sie immer wieder auf der Suche , ihrem Leben einen tieferen Sinn zu geben, egal um welchen Zeitabschnitt es sich handelt.
Da der Schreibstil der Autorin sehr flüssig und leicht ist, befindet man sich sehr schnell im Geschehen, und es lässt einen nicht mehr los. Man möchte immer mehr erfahren und das Buch nicht beiseite legen. Dabei handelt es sich nicht um spannungsgeladene Aktionen, sondern um die Lebensgestaltung und wichtige Entscheidungen der Protagonisten, allen voran Leonore, Clara und Jana, aber auch über Margo erfahren wir rückblickend vieles. Da ich den ersten Teil nicht kenne, konnte ich mir so trotzdem ein Bild von Margo machen.
In meinen Augen sind alle vier sehr starke Frauen, die sich nicht von der Gesellschaft und ihrer Umgebung in eine Rolle zwängen lassen, sondern ihren eigenen Weg rebellisch gehen, der oft nicht mit Rosen gepflastert ist, der aber fast immer eine neue Hoffnung bereit hält. Im Prinzip handelt es sich um eine Familiensaga, mit all ihren beachtlichen Höhen und Tiefen, mit Schicksalsschlägen, die zerstören, aber trotzdem neue Wege aufweisen.
Was mir besonders gut gefallen hat, sind die historischen Rückblicke auf gesellschaftliche Umwälzungen bzw. Bestrebungen im vorigen Jahrhundert, die ich teilweise selbst miterlebt habe: die politische Unterwanderung der Studenten, die RAF, die Umweltprobleme (sterbende Bäume gibt es bereits da schon), die Revolution in der Kindererziehung (Kinderläden!), das vorsichtig aufkeimende Umweltbewußtsein, der Super-Gau von Tschernobyl, 'German Angst' usw.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es hat mich regelrecht gefesselt, brachte es mir doch viele Erinnerungen zurück an turbulente Zeiten. Aber ich denke, es ist nicht nur für die ältere Generation interessant, sondern auch für die heute jungen Leute, die wahrscheinlich selten so interessante Details einer vergangenen Epoche erfahren. Und wie oft wiederholt sich etwas!

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Hochspannung bis zur letzten Seite

Das Haus am Moor
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Theo, 11 Jahre alt und seit einem Unfall an den Rollstuhl gebunden, wird entführt. Gleich zu Beginn beobachten wir drei der Entführer bei ihren Vorbereitungen für ihr geplantes Verbrechen. Aber es läuft ...

Theo, 11 Jahre alt und seit einem Unfall an den Rollstuhl gebunden, wird entführt. Gleich zu Beginn beobachten wir drei der Entführer bei ihren Vorbereitungen für ihr geplantes Verbrechen. Aber es läuft nicht wie geplant, und alles wird viel schlimmer als angedacht. Denn zeitgleich fliehen zwei Teenager aus einem Heim und wollen sich in einer verlassenen Kate zunächst verstecken. Dort angekommen, stellen sie fest, dass dieses alte Haus nicht nur ihr Unterschlupf sein soll. Es kommt zum Zusammenstoß mit schlimmen Folgen....
Dieses Buch ist so fesselnd, dass man es in einem Rutsch durchlesen möchte. Ich hatte unruhige Nächte und würde dieses Buch als Thriller einstufen, denn der nervliche Thrill ist permanent da. Man fiebert regelrecht mit. Cliffhanger am Ende der einzelnen Kapitel sorgen dafür, dass man unbedingt noch weiterlesen muss, so dass das Buch sich als regelrechter Pageturner outet. Immer wieder kommt es zu unerwarteten Wendungen, die alle nachvollziehbar sind und keine Fragen offen lassen. Ganz geschickt lässt die Autorin uns falschen Spuren folgen, die uns vor neue Rätsel stellen. Denn auch wenn wir drei der Entführer zu Beginn bereits kennenlernen, bleibt immer noch die Frage, wer der Oberboss ist, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Das Miträtseln hat mir sehr gut gefallen.
Die Charaktere sind gut herausgearbeitet. Die Spanne ist groß, vom Psychopathen bis hin zum soften Weichei. Sympathieträger ist allen voran die Hauptkommissarin Lyn Harms, die sorgfältig und mit vollem Einsatz ermittelt, obwohl sie nur eine Teilzeitstelle hat auf Grund ihrer familiären Situation. Man fühlt aber, dass sie ihren Beruf liebt und darin aufgeht. Für mein Empfinden ist manchmal zuviel Privates beschrieben, z.B. die Essgewohnheiten der Familie oder ein Eifersuchtsanfall des Gatten. Aber darüber konnte ich schnell hinweglesen, denn im Vordergrund steht der Kriminalfall.
Sehr schön ist, dass die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven beschrieben wird, so dass man die Handlungen besser einordnen kann und 'hinter die Kulissen' schaut. Der Schreibstil ist flüssig und leicht, man kann sich gut in die jeweilige Szene hineinversetzen...und mitzittern!
Ich kann das Buch jedem empfehlen, der sich gern in das Geschehen einbringt und sich als 'heimlicher Ermittler' betätigt. Auch wenn es mal ein Quantum weniger Schlaf gab, ist mir das Buch volle fünf Sterne wert.

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Veröffentlicht am 05.04.2020

Einmal noch richtig leben

Das kann uns keiner nehmen
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Dieses Buch beschreibt keine Bergsteigertour! So hatte ich es nämlich ursprünglich erwartet, ich wurde aber eines besseren belehrt, denn in meinen Augen beschreibt das Buch eine erstaunliche Persönlichkeitsänderung.
Hans ...

Dieses Buch beschreibt keine Bergsteigertour! So hatte ich es nämlich ursprünglich erwartet, ich wurde aber eines besseren belehrt, denn in meinen Augen beschreibt das Buch eine erstaunliche Persönlichkeitsänderung.
Hans hat den Kilimanjaro bestiegen und möchte eine Nacht im Krater campieren, um dort nach langen Jahren endlich mit einer privaten Geschichte abzuschließen, die einen deutlichen Schatten über sein Leben geworfen hat. Sein Entsetzen ist groß, als er sieht, dass er dort im Krater nicht allein sein wird, weil bereits ein anderer seine Zelte dort postiert hat. Und seine Enttäuschung wird noch größer, als er merkt, mit welch sehr speziellem Charakter er dort oben die Nacht verbringen wird - mit Tscharli.
Und nun setzen zwei Charakterstudien ein, die sehr gegensätzlich sind, die sich durch das ganze Buch ziehen, die einen aber in ihren Bann ziehen und die schließlich zu einer Symbiose führen, die man nicht erwartet hätte. Sehr detailliert und in vielen Beispielen führt der Autor uns die verschiedenen Charaktere vor Augen, der eine oberflächlich, frivol, gewöhnlich, mit schlechten Manieren - der andere gebildet, zurückhaltend, ernsthaft und nachdenklich. Auch sprachlich stellen sie Gegenpole dar: Hans mit seinem journalistischen Hochdeutsch und Tscharli mit seinen bayrischen Floskeln, die keine Grammatik kennen.
Was man nicht für möglich hält, nimmt seinen Lauf: die beiden kommen sich immer näher, gehen eine Symbiose ein und erzählen sich Dinge, die man nur mit besten Freunden teilt. So erfährt Hans dann auch, dass Tscharli sehr krank ist und sich in Afrika noch einen letzten Sehnsuchtstrip erfüllen möchte. Er möchte mit dem Motorrad quer durch Sansibar cruisen. Und Hans soll ihn begleiten! Tscharli klammert sich regelrecht an ihn, nur mit ihm möchte er sein Leben abschließen.
Somit beginnt das zweite Highlight des Buches: eine sehr dichte und atmosphärische Beschreibung Afrikas und seiner Bewohner. Durch detaillierte Beispiele und kleine Szenen auf Märkten, in Kneipen, Restaurants usw. bekommen wir ein Bild der Lebensfreude, der Farbvielfalt und der Vielfältigkeit geliefert, das mir sehr gut gefallen hat.
Etwas hat mich das gesamte Buch hindurch genervt: das permanente Ignorieren der Rechtschreibreform bezüglich 'ß'. Es gibt einfach kein 'daß' mehr, aber in diesem Buch finden wir es zuhauf!
Trotzdem habe ich das Buch sehr gerne gelesen, bisweilen war es sogar richtig spannend. Deshalb möchte ich es weiterempfehlen und vergebe fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 27.03.2020

Die alte und die neue Pest

Todgeweiht: Thriller
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Dieser spannende Thriller spielt auf zwei weit auseinander liegenden Zeitebenen, deren Verknüpfung gegen Ende deutlich sichtbar wird.
Die eine Ebene ist das Mittelalter, wir befinden uns in Zons, wo Bastian ...

Dieser spannende Thriller spielt auf zwei weit auseinander liegenden Zeitebenen, deren Verknüpfung gegen Ende deutlich sichtbar wird.
Die eine Ebene ist das Mittelalter, wir befinden uns in Zons, wo Bastian Mühlenberg Vorkehrungen trifft, um die Pest von dem Ort fernzuhalten. Aber dann wird ein erster Toter gefunden, den man zunächst für ein Seuchenopfer hält, aber seine Arme und Beine sind verrenkt, und Bastian wird misstrauisch....
Die zweite Ebene spielt in unserer Gegenwart, in der Influencer und zweifelhafte Vorbilder viele Jugendliche in ihren Bann ziehen. Zoe findet sich viel zu dick und kämpft dagegen an. Eines Abends, als sie gerade zu einer Laufrunde starten will, klingelt es, und ein Pizzabote bringt ihr eine Mahlzeit. Zoe vermutet ihre Mutter dahinter, denn diese hält sie für zu untergewichtig. Aber dann die Überraschung: in der Lieferung findet sich ein Zettel mit der Aufschrift 'Henkersmahlzeit'. Kurz darauf ist Zoe verschwunden, und in der Nähe wird eine Frauenleiche aus einem See geborgen, die aber schon länger darin gelegen haben muss. Kommissar Bergmann beginnt mit seinen Ermittlungen, schon bald findet sich eine weitere Leiche....
Bereits im Prolog setzt die Spannung ein und zieht sich auch durch das ganze Buch weiter. Es ist ein sogenannter Pageturner, denn man macht nur gezwungenermaßen eine Pause, weil man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Außerdem finden sich am Ende der Kapitel häufig Cliffhanger, die neugierig auf die nächsten Kapitel machen. So muss ein echter Krimi sein, Spannung pur! Der Schreibstil ist flüssig und fesselnd, das Lesen macht einfach Spaß. Man kann auch gut mitraten, wer denn nun als Täter in Frage kommt, denn alles ist folgerichtig konstruiert und durchdacht. Allerdings landet man bisweilen in einer Sackgasse, aber so muss das sein!
Sehr geschickt beschreibt die Autorin, wie die Täter von der Versuchung des Bösen in Beschlag genommen werden und nicht mehr anders können, als diesem Drang zu folgen.
Sehr sympatisch sind mir die beiden Hauptprotagonisten. Da ist zum einen Bastian Mühlenberg, der sehr ruhig und besonnen erscheint und immer noch zu seiner alten Liebe eine platonische Verbindung hat. Auch Oliver Bergmann ist ein ehrgeiziger und trotzdem ruhiger Ermittler, kein actiongeladener Superheld. Das gefällt mir. Er tut mir ein wenig leid, weil seine Frau wenig Verständnis für seine beziehungsfeindlichen Arbeitszeiten zeigt. Wir erhalten Einblicke ins Privatleben der Ermittler, aber insgesamt bleibt es angenehm im Hintergrund.
Die Zons-Reihe ist sehr empfehlenswert und bietet durchweg Spannung. Und dieser Band ist das beste Beispiel dafür. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Zons-Thriller!!!

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