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Veröffentlicht am 05.04.2020

Lesenswerter Umweltroman und literarischer Genuss

Der brennende See
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REZENSION – Alles Leben kommt aus dem Wasser. Vielleicht spielt deshalb das Wasser immer wieder eine gewichtige Rolle in den so lebensnahen Werken des preisgekrönten deutschen Schriftstellers John von ...

REZENSION – Alles Leben kommt aus dem Wasser. Vielleicht spielt deshalb das Wasser immer wieder eine gewichtige Rolle in den so lebensnahen Werken des preisgekrönten deutschen Schriftstellers John von Düffel (54). „Vom Wasser“ (1998), „Schwimmen“ (2000) und „Wassererzählungen“ (2014) zeigen dies in ihren Titeln. Aber auch in „Houwelandt“ (2004) zieht es den Patriarchen ans Meer als wichtigstes Lebenselixier, und sogar John von Düffels Vortragssammlung „Wovon ich schreibe“ (2009) zeigt ihn selbst als Schwimmer bis zum Hals im Wasser. Auch sein neuester Roman „Der brennende See“ zeigt im Zusammenhang mit dem Klimawandel wieder das Wasser als teils verbindendes, teils trennendes Element im Generationenkonflikt zwischen den Protagonisten.
Hannah, Tochter eines kürzlich verstorbenen Schriftstellers, kehrt in die Stadt ihrer Kindheit zurück und findet bei der Wohnungsauflösung am Totenbett das Foto einer ihr unbekannten jungen Frau. Es ist die Gymnasiastin Julia, Tochter der früheren Schulfreundin Vivien. Hannah muss feststellen, dass die junge Umweltaktivistin beim alternden Vater ihre Stelle als Ersatztochter eingenommen hatte und beide sich – der eine literarisch, die andere im Straßenkampf – sich dem Umweltschutz verschrieben hatten, vor allem dem Erhalt des in einer Kiesgrube entstandenen Natursees. Diesen See nicht wie von der Stadt geplant in eine Müllhalde zu verwandeln, ist auch Matthias und Viviens Bestreben. Doch der Einsatz des Ehepaares für den See ist nur vorgeschoben, geht es beiden doch in erster Linie um ihr am See-Ufer noch im Bau befindliches Seniorenheim. Am Rande einer Müllhalde wäre ihr Projekt zum Scheitern verurteilt und das bereits investierte Geld verloren.
„Der brennende See“ zeigt einerseits in der Person Hannahs das gleichgültige Desinteresse vieler Menschen an ihrer Umwelt, andererseits in den Bauherren Matthias und Vivien deren Egoismus und gewinnorientierte Ausbeutung der Natur. Die Gymnasiastin Julia steht in John von Düffels Roman für die nächste Generation, die unter den verheerenden Folgen des von früheren Generationen zu verantwortenden Klimawandels konkret zu leiden haben wird, wie es der Autor in seinen die Kapitel einführenden, sich zum Schluss dramatisch steigernden Wetterberichten zeigt. Es geht in diesem Roman letztlich um die verheerenden Hinterlassenschaften der einen und das Umwelterbe für die nächsten Generation, die nicht einfach, wie Hannah es mit der materiellen Hinterlassenschaft ihres Vaters macht, dieses Erbe verweigern und sich eine neue Welt suchen kann.
Klimawandel und Umweltschutz geben verständlicherweise jedem zeitgenössischen Roman in seiner Kernaussage eine vorbestimmte Einseitigkeit. Welcher Schriftsteller will sich schon nachsagen lassen, nicht frühzeitig in seinem Werk seine Leser vor den Langzeitgefahren des menschlichen Raubbaues an der Natur gewarnt zu haben. Dies nimmt dann allerdings auch dem Leser des Romans „Der brennende See“ eine gewisse Dramatik. Dessen ungeachtet bleibt John von Düffels aktuelles Buch ein lesenswerter Roman, gelingt es ihm doch, die einerseits verlorene Dramatik durch ein spannendes Beziehungsgeflecht seiner menschlich so verschiedenen, überaus interessanten Charaktere mehr als zu ersetzen. Hinzu kommt, dass der angenehme, warmherzige Sprachstil des Autors und die starke Empathie für seine charakterlich so unterschiedlichen Figuren die Lektüre seines neuesten Romans zu einem literarischen Genuss machen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.03.2020

Ein bewegender und nachhaltig wirkender Roman

Nach Mattias
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REZENSION – Mit seinem Roman „Nach Mattias“ hat der niederländische Schriftsteller Peter Zantingh (37) ein Buch veröffentlicht, das seine Leser anfangs vielleicht irritieren mag, aber nach Lektüre des ...

REZENSION – Mit seinem Roman „Nach Mattias“ hat der niederländische Schriftsteller Peter Zantingh (37) ein Buch veröffentlicht, das seine Leser anfangs vielleicht irritieren mag, aber nach Lektüre des Gesamtwerks wohl niemanden unberührt zurücklassen, sondern noch längere Zeit beschäftigen wird. Es ist ein Buch über die plötzliche Leere im Leben anderer, die der unerwartete Tod eines jungen Mannes hinterlässt. „Nach Mattias“ ist ein Buch über die Trauer, ohne traurig zu wirken, denn vor allem ist es ein Hoffnung stiftender Roman über das Weiterleben „nach Matthias“.
„Nach Mattias“ gleicht einer Sammlung von Kurzgeschichten, die erst in ihrer Gesamtheit ein Ganzes bilden - wie vielteiliges Puzzle, dessen Einzelstücke noch nichts erkennen lassen. Erst wenn ein passendes Stück zum anderen kommt, beginnt man nach und nach ein Bild zu erkennen. So lassen auch die einzelnen Episoden in Zantinghs Buch, erzählt von immer wieder einer neuen Person, anfangs noch kein schlüssiges Bild erkennen.
Acht Personen aus dem Umfeld des kürzlich verstorbenen Mattias – manche stehen ihm nah, andere haben ihn kaum gekannt – erzählen ihre ganz eigene Geschichte. Wir lernen seine Freundin Amber kennen, die ihn nach einem Streit allein ins Konzert gehen ließ, und begleiten Mattias' besten Freund Quentin beim Marathonlauf, mit dem er versucht, vor seiner Trauer wegzulaufen. Quentins spät erblindeter Laufpartner Chris hat auch liebe Menschen verloren: Seine visuelle Erinnerung an Ehefrau und Tochter schwinden. Issam, der Roadie einer Pop-Band, kannte Mattias nur durch gemeinsames Computerspiel und über Facebook. Und Strandhaus-Besitzer Nathan kannte ihn überhaupt nicht, wartete aber an einem Abend vergeblich auf Amber und Mattias als Urlaubsgäste. Aller Leben bekommt durch Mattias' Tod eine neue Richtung.
Jeder, der ihn kannte, charakterisiert Mattias aus persönlicher Sicht, je nachdem wie nah oder fern er ihm stand. Daraus ergibt sich für uns Leser das Bild eines jungen, begeisterungsfähigen und lebenshungrigen Mannes in den Dreißigern, voller Energie und allen Menschen gegenüber aufgeschlossen, der plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. Verständlich, dass Mattias' Mutter Kristianne ihren Sohn anders beschreiben würde als seine Freunde – ebenso wie die Einwanderin Tirra ihren Sohn ganz anders sieht als andere. Gerade dieses Gespräch zwischen den zwei Müttern, die jede ihren Sohn verloren hat, ist das emotional ergreifendste Kapitel des Buches, zugleich der noch fehlende Puzzle-Stein, mit dessen Hilfe sich uns Lesern endlich die Vorgeschichte um Mattias' Tod erschließt.
Peter Zantingh schafft es in seinem tief beeindruckenden und nachhaltig wirkenden Roman, mit kurzen Sätzen und ebenso kurzen Geschichten ein breites Spektrum von Gefühlen zu schildern, die unterschiedlichsten Charaktere lebendig und plastisch werden zu lassen. Zusätzlich fasziniert das Werk durch seinen für einen Roman ungewöhnlichen dramaturgischen Aufbau als literarisches Puzzle, dessen letzter Stein erst unser Bild vervollständigt. Uns wird gezeigt, wie charakterlich unterschiedlichste, sogar sich fremde Menschen durch Trauer miteinander vereint sein können. „Meine Trauer war nicht mein Eigen“, erkennt später auch Mattias' Freundin Amber. Peter Zantinghs erstes auf Deutsch veröffentlichtes Buch „Nach Mattias“ ist ein leiser Roman voller Gefühl, den man nach Abschluss seiner Lektüre nicht so schnell vergessen wird.

Veröffentlicht am 26.03.2020

Beeindruckender Roman über einen unfreiwilligen Spion

Der Empfänger
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REZENSION – Eine ungewöhnliche und faszinierende Mischung aus Familiengeschichte und historischem Spionageroman ist Ulla Lenzes (46) fünftes Buch „Der Empfänger“, das kürzlich im Klett-Cotta-Verlag erschien. ...

REZENSION – Eine ungewöhnliche und faszinierende Mischung aus Familiengeschichte und historischem Spionageroman ist Ulla Lenzes (46) fünftes Buch „Der Empfänger“, das kürzlich im Klett-Cotta-Verlag erschien. Aus überlieferten Briefen und dem Lebenslauf ihres Großonkels entwickelte sie die wechselvolle Lebensgeschichte eines jungen Auswanderers, der aus purer Gleichgültigkeit und politischem Desinteresse in New York eher versehentlich zum Mitläufer der Nazis und unmerklich zu einem Rädchen im Getriebe deutscher Spionage wird. Es ist die Geschichte eines „kleinen Mannes“, der 1939 durch eine unüberlegte Entscheidung unerwartet, unbedarft und wehrlos zwischen die Fronten der kriegführenden Parteien gerät.
Bereits Anfang der Zwanziger Jahre war Josef Klein als junger Mann aus dem Rheinland in die USA ausgewandert. Doch richtig „angekommen“ ist er auch 1939 noch nicht. Er blieb alle Jahre ein heimatloser Niemand, von den Amerikanern nicht angenommen, den deutschen Emigranten fern geblieben, die vor Kriegsbeginn in antisemitischen und rassistischen Gruppierungen aktiv sind. Josef Klein lebt davon unberührt sein Leben im multikulturellen Harlem, liebt den Jazz und pflegt sein Hobby als Amateurfunker. Doch ausgerechnet seine technische Fähigkeiten als Funker fallen einer solchen Nazi-Gruppe auf, die ihn ohne sein Wissen für ihre Spionagetätigkeit ausnutzt. Viel zu spät erkennt Josef das Verhängnis seiner unbedachten Mitwirkung, meldet dies dem FBI, das ihn als Doppelagent verpflichtet. Nach Kriegseintritt der USA wird Josef auf Ellis Island interniert, erst 1949 nach Deutschland abgeschoben, wo er in Neuss im Haus seines Bruders aufgenommen wird. Doch auch hier bleibt der Entwurzelte heimatlos und setzt sich mit Hilfe früherer Nazi-Kontakte aus New York zunächst nach Argentinien, dann nach Costa Rica ab. Erst dort entwickelt der inzwischen über 50-Jährige nach längerem Aufenthalt heimatliche Gefühle. Doch auch hier lässt ihn seine Vergangenheit nicht ruhen: Sein Bruder schickt ihm eine Stern-Reportage über den Einsatz des deutschen Geheimdienstes in Amerika.
„Der Empfänger“ ist die Geschichte eines unfreiwilligen Agenten und Mitläufers ohne Überzeugung oder Schuldbewusstsein. Auch in Lenzes Roman, der kapitelweise zwischen New York (1939/1940), Deutschland (1949/1950) und schließlich Lateinamerika (1953) wechselt, geht es wie in den meisten Büchern über die Zeit des Nazi-Regimes und der Nachkriegsjahre um Schuld und Moral, um Verantwortung und Verantwortungslosigkeit. Aus Josefs Sicht waren es die anderen, die ihn missbraucht und nicht sein Leben haben leben lassen. „Einfach ein Mensch sein, dachte er. ... Einfach sein. Irgendwann kam die Einsicht, dass einfaches Sein das Schwierigste war. Alle wollten irgendetwas aus einem machen - und sei es, einen Deutschen, der nichts dafür konnte, Deutscher zu sein.“ Die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld sind fließend: Je nach Betrachtungsweise war er Täter, aber auch Verräter. Im Grunde blieb er ein Niemand, ein „Empfänger“ von Weisungen anderer, die er gefällig und bedenkenlos ausführte, um im Alltag seine Ruhe zu haben. Ulla Lenzes Roman hat keinen Helden. Vielleicht ist gerade dies das Einzigartige und Beeindruckende, vielleicht sogar Erschreckende an ihrem Buch: Josef Klein könnte jeder sein, jeder von uns.

Veröffentlicht am 22.03.2020

Spannende Vision einer nahen Zukunft

Qube
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REZENSION – Mit seinem zweiten dystopischen Zukunftsroman „Qube“ sprengt der deutsche Schriftsteller Tom Hillenbrand (48) nicht nur die literarischen Dimensionen seiner früheren Werke, kannten viele Leser ...

REZENSION – Mit seinem zweiten dystopischen Zukunftsroman „Qube“ sprengt der deutsche Schriftsteller Tom Hillenbrand (48) nicht nur die literarischen Dimensionen seiner früheren Werke, kannten viele Leser ihn doch vielleicht nur durch seine kulinarischen Krimis um den Luxemburger Koch und Privatermittler Xavier Kieffer, sondern zugleich die räumlichen und zeitlichen Grenzen menschlicher Existenz, die in seinem ersten SciFi-Roman „Hologrammatica“ (2018) noch gewahrt schienen.
Der Kampf gegen die Klimakrise ist trotz Einsatzes von künstlicher Intelligenz längst verloren, die vergleichsweise kühlen Regionen Grönlands, Kanadas und Sibiriens sind inzwischen bevorzugte Urlaubsgebiete der auf zwei Milliarden dezimierten Erdbevölkerung. Menschen lassen ihr Gehirn digitalisieren, in künstlichen Körpern (Gefäßen) hochladen und streben nach ewigem Leben. Rohstoffe werden seit Jahren schon auf fernen Planeten und Asteroiden abgebaut. Doch hat der Mensch die schon einmal (2048) verlorene Kontrolle über die Künstliche Intelligenz KI tatsächlich beim zweiten Turing-Zwischenfall 2088 zurückgewonnen?
Hillenbrands zweiter Roman „Qube“ aus der SciFi-Reihe setzt drei Jahre nach Handlungsende von „Hologrammatica“ ein. Der Investigativjournalist Calvary Doyle, der in dieser Frage recherchiert, wird 2091 in London auf offener Straße niedergeschossen. Er besaß anscheinend beunruhigende Informationen über bisher unbekannte Folgen des zweiten Turing-Zwischenfalls. Die auf KI-Gefahrenabwehr spezialisierte UNO-Agentin Fran Bittner, der wir im weiteren Handlungsablauf in galaktische Fernen bis auf die andere Seite unseres Sonnensystems folgen, wird mit der Ermittlung beauftragt.
Wie schon in „Hologrammatica“ entführt uns Hillenbrand wieder in seine dystopische und doch mit dem Jahr 2091 gar nicht so weit entfernte Zukunft, in der unser aktuelles Thema der Klimaerwärmung längst abgehakt ist, Nationen aufgelöst und die UNO als globale und sogar interstellare Sicherheitsbehörde arbeitet. Die Menschen leben mit ihren digitalisierten Hirmen in wechselnden künstlichen Körpern und holographischen Welten. Ein weltweites Holonet lässt uns kaum noch erkennen, was echt und was nur eine Scheinwelt ist.
Auf unvorbereitete Leser ohne technisches Interesse mag Hillenbrands komplexe, in ihren Details so ausgezeichnet erdachte und logisch abgestimmte Zukunftswelt mit ihrer Vielzahl an Fachausdrücken vielleicht zu Beginn der Lektüre wie eine Tsunami-Welle einstürzen. Doch auch wer „Hologrammatica“ nicht kennt und das in „Qube“ im Anhang befindliche Glossar mit Erläuterung der technischen Begriffe zuvor nicht gelesen hat – kaum jemand wird beim Lesen hin- und zurückblättern wollen -, wird sich allmählich in diesen Folgeband, seine erstaunliche Zukunftswelt und die einzelnen Charaktere einfinden und von der sich mit zunehmender Spannung entwickelnden Handlung gepackt werden.
„Qube“ ist - wie schon zuvor „Hologrammatica“ - kein locker unterhaltender SciFi-Roman, sondern eine auf wissenschaftlichen Fakten basierende, dennoch fiktionale Zukunftsvision um die schon heute zu spürende Angst mancher Menschen vor möglicher Übernahme durch Künstliche Intelligenzen. Dabei mag man stellenweise weniger die scheinbar allmächtige KI als bedrohlich empfinden, sondern vielmehr erschreckt die Vorstellung, dies alles könne noch vor der Jahrhundertwende die Lebenswelt unserer Urenkel sein. „Qube“ ist ein vor allem im zweiten Teil überaus spannender, phantasievoller Zukunftsroman, der plausibel erscheinende Antworten auf Zukunftsfragen gibt, aber auch neue Fragen aufwirft, die Stoff für weitere Hologrammatica-Romane von Tom Hillenbrand bieten.

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Veröffentlicht am 18.02.2020

Spannender Krimi und US-Gesellschaftsstudie

Darktown (Darktown 1)
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REZENSION – Am Beispiel der ersten afroamerikanischen Polizeitruppe in Atlanta, die 1948 gegen den Widerstand der weißen Einwohner eingesetzt wurde, beschreibt Schriftsteller Thomas Mullen (46) in seinem ...

REZENSION – Am Beispiel der ersten afroamerikanischen Polizeitruppe in Atlanta, die 1948 gegen den Widerstand der weißen Einwohner eingesetzt wurde, beschreibt Schriftsteller Thomas Mullen (46) in seinem beeindruckenden und auf erschreckende Weise aktuellen Krimi „Darktown“ (2018; Dumont-Verlag) die Problematik im Nebeneinander von Schwarz und Weiß. Seitdem sind 70 Jahre vergangen, doch gerade in unserer Zeit treibt der Rassismus wieder neue Blüte – nicht nur in den USA, auch in Europa.
Drei Jahre nach Ende des Weltkriegs buhlt der weiße Bürgermeister von Georgias Hauptstadt Atlanta um die Wählerstimmen der erstmals zur Wahl zugelassenen Afroamerikaner. Als Signal seines guten Willens gibt er dem Police Department Anweisung, eine erste Einheit aus schwarzen Polizisten aufzustellen: Acht Männer sollen im Schwarzenviertel „Darktown“ zu Fuß und nur mit Gummiknüppel bewaffnet für Recht und Ordnung sorgen. Sie dürfen keine Weißen kontrollieren und schon gar nicht verhaften, das Polizeihauptquartier dürfen sie wenn überhaupt nur durch den Nebeneingang betreten, ihre eigene Zentrale liegt im Keller des YMCA in „Darktown“. Die weißen Polizisten sind ihnen gegenüber feindselig, selbst die schwarze Bevölkerung ist misstrauisch. Als die Ermordung einer jungen Schwarzen von den weißen Polizisten nicht weiter verfolgt wird, nehmen sich Lucius Boggs und Tommy Smith, zwei Cops der neuen Einheit, unerlaubt dieses Falles an – bald mit Unterstützung des weißen Polizisten Denny Rakestraw. Alle drei riskieren damit nicht nur ihre Jobs, sondern auch ihr Leben.
Zweifellos gibt es Romane, die sich ernsthafter und differenzierter mit der Rassenproblematik der Vereinigten Staaten sowohl zu damaliger wie auch heutiger Zeit auseinandersetzen. Mullen macht es sich zweifellos zu einfach, die durchweg „guten“ Afroamerikaner den überwiegend „schlechten“ und korrupten weißen Cops gegenüber zu stellen. Dennoch gelingt es gerade Mullens Krimi „Darktown“, seine europäischen Leser mit dieser komplexen Problematik leicht verständlich vertraut zu machen. Sein historischer Roman passt punktgenau in unsere Zeit, in der auch in Deutschland ein wachsender Rassismus zu spüren ist: Zwar beschreibt Mullen die damalige Situation in den amerikanischen Südstaaten, aber er macht uns damit zugleich auf die bis heute ungelöste Rassenproblematik und den grassierenden, heute oft unterschwelligen Rassismus im Allgemeinen aufmerksam.
So gesehen, ist Thomas Mullens für höchste US-Literaturpreise nominierter Roman „Darktown“ weit mehr als ein Krimi, sondern vielmehr eine faszinierende und sehr einfühlsam geschriebene Gesellschaftsstudie. Vor allem durch seine schlichte Erzählweise des schwierigen Alltags dieser acht schwarzen, von allen Seiten angefeindeten oder zumindest misstrauisch beäugten Polizisten wirkt dieser Roman umso eindringlicher.
Ein Kompliment gebührt auch Übersetzer Bernie Mayer (45), dass er es bei den heute als diskriminierend empfundenen, zur damaligen Zeit aber nicht nur in den Südstaaten selbstverständlichen Begriffen „Negroes“ und „Nigger“ belassen hat. Gerade dies trägt zur beklemmenden Authentizität des Romans „Darktown“ zusätzlich bei. Im November 2019 ist bereits der zweite Band „Weißes Feuer“ erschienen.