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Veröffentlicht am 02.04.2020

Was im Leben wirklich wichtig ist

Dankbarkeiten
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Lange Zeit hat Michèle Seld, genannt Michka, alleine gelebt. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Bisher hat sie ein unabhängiges Leben geführt. Nur ab und zu hat sich Marie Chapier, eine junge ...

Lange Zeit hat Michèle Seld, genannt Michka, alleine gelebt. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Bisher hat sie ein unabhängiges Leben geführt. Nur ab und zu hat sich Marie Chapier, eine junge Frau, um die alte Dame mit dem Habitus eines jungen Mädchens gekümmert. Doch nun, mit Mitte 80, braucht die Seniorin eine ständige Betreuung, denn sie wird immer wackeliger auf den Beinen. Zudem leidet sie an Aphasie und verliert immer mehr Wörter. In einem Altersheim macht sie die Bekanntschaft mit dem Logopäden Jérôme. Und sie fasst einen Plan: Sie will endlich das Ehepaar finden, dem sie ihr Leben zu verdanken hat…

„Dankbarkeiten“ ist ein Roman von Delphine de Vigan.

Meine Meinung:
Der Roman ist in etliche, meist kurze Abschnitte unterteilt. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive - abwechselnd aus der Sicht von Marie und aus der von Jérôme, was insgesamt recht gut funktioniert, aber nicht immer ideal ist.

Der Schreibstil ist besonders. Er wirkt nur auf den ersten Blick recht reduziert, ist aber sehr eindringlich, einfühlsam, intensiv und stellenweise sogar poetisch. Der Roman ist geprägt von vielen Dialogen und gelungenen Sprachbildern. Sehr gut gefallen haben mir die vielen kreativen Wortneuschöpfungen, die durch Michkas Gedächtnisverlust herrühren. Ungewöhnlich ist auch der Einstieg, in dem die Erzählerin den Leser direkt anspricht.

Mit Michka steht eine interessante Protagonistin im Vordergrund. Auch Marie und Jérôme waren mir gleich sympathisch. Die Figuren wirken realitätsnah, ihr Denken und ihr Fühlen sind nachvollziehbar.

Obwohl der Roman weniger als 170 Seiten umfasst, steckt inhaltlich eine Menge in der Geschichte. Es geht um Tod, Trauer, das Altern, Einsamkeit und Krankheit, aber auch einiges mehr, denn der Roman enthüllt die nicht immer schöne Vergangenheit der alten Dame. Neben diesen ernsten und traurigen Themen gibt die Geschichte Trost und Hoffnung, da Freundschaften, Menschlichkeit, Liebe und eben Dankbarkeit auch eine Rolle spielen. Durch die gelungene Mischung konnte mich der Roman emotional berühren und zum Nachdenken anregen.

Das moderne Cover passt stilistisch gut zum Roman. Positiv anzumerken ist außerdem, dass der treffende französische Originaltitel („Les gratitudes“) ziemlich wortgetreu ins Deutsche übernommen wurde.

Mein Fazit:
Zwar konnte mich Delphine de Vigan dieses Mal nicht so restlos begeistern wie mit „Loyalitäten“. Aber auch „Dankbarkeiten“ ist ein facettenreicher Roman, der mir aus sprachlicher und inhaltlicher Sicht wieder sehr gut gefallen hat und den ich daher ebenfalls wärmstens empfehlen kann.

Veröffentlicht am 31.03.2020

Die Geschichte von Blanche Peyron

Das Haus der Frauen
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Nach dem Selbstmord eines Mandanten ist die erfolgreiche Anwältin Solène mit den Nerven am Ende. Die 40-Jährige erleidet einen Zusammenbruch, der sie ihr Leben infrage stellen lässt. Nach einem Aufenthalt ...

Nach dem Selbstmord eines Mandanten ist die erfolgreiche Anwältin Solène mit den Nerven am Ende. Die 40-Jährige erleidet einen Zusammenbruch, der sie ihr Leben infrage stellen lässt. Nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik kommt sie, noch immer nicht ganz von ihrer Depression geheilt, in Kontakt mit einem Pariser Wohnheim für Frauen. Ehrenamtlich soll sie die Bewohnerinnen bei deren Korrespondenzen unterstützen. Im Haus der Frauen erhält das Leben für Solène nicht nur einen neuen Sinn, sondern sie erfährt auch Zusammenhalt. Sie beschließt nachzuforschen, was die 58-jährige Begründerin Blanche Peyron vor 100 Jahren dazu bewog, das Frauenheim trotz aller Widerstände zu schaffen…

„Das Haus der Frauen“ ist der zweite Roman von Laetitia Colombani.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 28 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Es gibt zwei Stränge: Einerseits befinden wir uns mit Solène im Paris der Gegenwart und andererseits mit Blanche Peyron in den 1920er-Jahren, jeweils erzählt im Präsens. Dieser Aufbau funktioniert gut.

Bereits bei ihrem Debütroman hat mir der Schreibstil der Autorin gefallen. Auch dieses Mal ist die Sprache klar, aber schafft es, viele Bilder hervorzurufen. Obwohl im Roman auf direkte Rede verzichtet wird, ist der Erzählton erneut einfühlsam und warmherzig.

Wie schon in „Der Zopf“ stehen auch dieses Mal starke Frauen im Vordergrund. Sowohl Solène als auch Blanche wirken authentisch. Ihre Gedanken und Gefühlen sind gut nachvollziehbar, ihre Geschichten habe ich gerne verfolgt.

Toll finde ich, dass der Roman auf wahren Begebenheiten beruht. Fakten und Fiktionen werden so gekonnt miteinander verwoben. Das „Palais de la Femme“ in Paris existiert wirklich. Es ist interessant, die Geschichte der Begründerin Blanche Peyron zu erfahren. Schön, dass ihr Engagement nun literarisch bearbeitet wurde. Die fundierte Recherche ist dem Roman anzumerken.

Auf rund 250 Seiten werden mehrere bedrückende Frauenschicksale dargestellt, was den Roman zugleich abwechslungsreich und berührend macht. Langeweile kommt beim Lesen nicht auf, obwohl die schlüssige Handlung nur wenige Überraschungen bieten kann.

Das Cover, das stilistisch an den Vorgängerroman der Autorin erinnert, ist nicht nur thematisch passend, sondern auch wieder hübsch anzuschauen. Leider orientiert sich der deutsche Titel dieses Mal nicht so nah am französischsprachigen Original („Les Victorieuses“), was ich schade finde.

Mein Fazit:
Mit „Das Haus der Frauen“ legt Laetitia Colombani wieder einen empfehlenswerten Roman vor, der zwar nicht ganz an „Der Zopf“ heranreicht, aber mich ebenfalls überzeugt hat. Die Geschichte sorgt für schöne Lesestunden.

Veröffentlicht am 28.02.2020

In der Trauer gefangen

Marianengraben
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Tim, der kleine Bruder von Paula, ist tot. Schon zwei Jahre ist der Unfall auf Mallorca her, doch noch immer ist die Doktorandin in ihrer Trauer gefangen. Sie ist depressiv und nimmt die Hilfe eines Therapeuten ...

Tim, der kleine Bruder von Paula, ist tot. Schon zwei Jahre ist der Unfall auf Mallorca her, doch noch immer ist die Doktorandin in ihrer Trauer gefangen. Sie ist depressiv und nimmt die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch – bisher mit mäßigem Erfolg. Auf dem Friedhof trifft die junge Frau zufällig den 83-jährigen Helmut, der dort gerade die Urne seiner Freundin Helga ausgraben möchte, um die Asche woanders hinzubringen. Der Rentner plant eine abenteuerliche Reise und Paula besteht darauf mitkommen zu dürfen…

„Marianengraben“ ist der Debütroman von Jasmin Schreiber.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus einigen Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Sie sind jeweils mit einer stetig kleiner werdenden Zahl überschrieben – von 11.000, der Tiefe des Marianengrabens, bis 0. Eine originelle Idee. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Paula, wobei die Erzählerin immer wieder direkt den toten Bruder anspricht. Dieser Aufbau gefällt mir sehr gut.

Auch sprachlich finde ich das Buch gelungen. Der Stil des Romans ist geprägt von vielen Metaphern und sonstigen Bildern, von Wortspielen und von kreativen Formulierungen. Viele Dialoge lassen ihn zudem lebhaft erscheinen. Die Geschichte nimmt erst im dritten Kapitel so richtig Fahrt auf. Dennoch hat mich der Einstieg überzeugt.

Mit Paula und Helmut stehen zwei ungleiche Protagonisten im Vordergrund, die ich beide sympathisch finde – nicht nur wegen ihrer Ecken und Kanten, sondern gerade deswegen. Beide Charaktere wirken authentisch und sind reizvoll gestaltet.

Inhaltlich geht es um Verlust und Trauer, die beide Protagonisten betreffen. Bei Paula kommt die Depression hinzu. Diese Themen bringen traurige Komponenten in die Geschichte. Die Gefühle werden eindringlich geschildert, was die Lektüre sehr berührend, aber nicht kitschig macht. Gleichzeitig ist der Roman sehr humorvoll und bittersüß, sodass eine ausgewogene Mischung entsteht.

Auf rund 250 Seiten kommt keine Langeweile auf. Einige Einfälle sorgen für genügend Abwechslung. Zwar ist die Handlung stellenweise ein wenig skurril, aber nicht in übertriebener Weise.

Der prägnante, ungewöhnliche Buchtitel greift ein wiederkehrendes Bild auf und passt daher sehr gut zum Roman. Damit harmoniert die ansprechende Gestaltung des Covers perfekt.

Mein Fazit:
„Marianengraben“ von Jasmin Schreiber ist ein anrührender, tiefgründiger und unterhaltsamer Roman, der eine ernste Thematik gekonnt mit Humor kombiniert. Eine besonders empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 25.02.2020

Wenn im Schlafzimmer nur noch Flaute herrscht

Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?
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Eigentlich ist Nina Hoffmann mit ihrem Leben ganz zufrieden. In ihrem Job fühlt sie sich wohl. Und der Familienalltag in Bonn verläuft weitgehend harmonisch. Die 41-Jährige hat zwei gesunde, putzmuntere ...

Eigentlich ist Nina Hoffmann mit ihrem Leben ganz zufrieden. In ihrem Job fühlt sie sich wohl. Und der Familienalltag in Bonn verläuft weitgehend harmonisch. Die 41-Jährige hat zwei gesunde, putzmuntere Töchter, Milla (11) und Carlotta (8), und ist seit 20 Jahren mit ihrem Ehemann Steffen zusammen. Doch im Bett herrscht bei dem Paar meistens Flaute. Auch nicht weiter verwunderlich bei der Dauer der Beziehung, findet Nina. Sie jedenfalls kann damit gut leben, wie es ist. Doch dann macht Steffen einen gewagten Vorschlag und mit einem Mal beginnt alles irgendwie aus dem Ruder zu laufen…

„Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?“ ist der zweite Roman von Julia Greve.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 25 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Vorangestellt ist ein Prolog, Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Nina. Mit Ausnahme des Prologs wird die Chronologie eingehalten. Der Aufbau funktioniert gut.

Der Schreibstil ist locker, anschaulich und dank vieler Dialoge lebhaft. Leider war der Verlag auch bei diesem Buch etwas nachlässig in Sachen Korrektorat. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht.

Nina ist eine zugleich sympathische und authentische Protagonistin, die mit ihren Ecken und Kanten überhaupt nicht klischeehaft wirkt. Ihre Gedanken- und Gefühlswelt wird wunderbar deutlich. Obwohl ich mich nicht mit all ihren Verhaltensweisen identifizieren konnte, habe ich ihre Geschichte gerne verfolgt. Auch die übrigen Charaktere machen einen realitätsnahen Eindruck.

Nachdem ich schon „Herzkur“, den Debütroman der Autorin, kannte, habe ich erneut eine humorvolle und unterhaltsame Handlung erwartet und wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht. Auf fast 400 Seiten sind immer wieder amüsante Einfälle eingestreut. Auch die eine und andere Überraschung hat der Roman zu bieten, sodass beim Lesen zu keiner Zeit Langeweile aufkommt. Bis zum Schluss bleibt die Handlung schlüssig.

Wie die Inhaltsangabe vermuten lässt, spielen die Themen Liebe und Sex eine große Rolle. Und obwohl es immer wieder um schlüpfrige Dinge geht, wird der Roman nicht albern, obszön oder niveaulos. Stattdessen rückt der Fokus auf die Dynamik in Paarbeziehungen und die ernsthafte Beschäftigung mit Fragen wie: Was muss man tun, um die Liebe auch in langjährigen Beziehungen am Leben zu erhalten? Wie weit darf man oder sollte man für den Partner gehen? Wann lohnt es sich, für eine Ehe zu kämpfen? Die Geschichte driftet dabei nicht ins Kitschige ab, sondern regt zum Nachdenken an. Und wieder einmal hat es die Autorin auch geschafft, mich emotional zu berühren.

Das moderne Cover des Taschenbuchs gefällt mir ebenso wie der freche und sehr passende Titel.

Mein Fazit:
Wer Lust auf eine ungewöhnliche Liebesgeschichte mit viel Humor hat, dem kann ich „Kann mein Herz nicht mal die Klappe halten?“ von Julia Greve wärmstens empfehlen. Mit ihrem zweiten Roman konnte mich die Autorin sogar noch mehr überzeugen als mit ihrem Debüt.

Veröffentlicht am 06.02.2020

In den Straßen von Philly

Long Bright River
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Als Streifenpolizistin kennt sich Officer Mickey Fitzpatrick in den Straßen von Kensington, einem Stadtteil Philadelphias, gut aus. Dort ist die 32-jährige Mutter eines Sohnes viel unterwegs. Dabei sieht ...

Als Streifenpolizistin kennt sich Officer Mickey Fitzpatrick in den Straßen von Kensington, einem Stadtteil Philadelphias, gut aus. Dort ist die 32-jährige Mutter eines Sohnes viel unterwegs. Dabei sieht sie auch immer wieder ihre jüngere Schwester Kacey, die drogenabhängig ist und sich für ihren Konsum prostituieren muss. Früher, als sie bei ihrer Großmutter Gee aufgewachsen sind, waren die beiden unzertrennlich, doch seit fünf Jahren sprechen sie nicht mehr miteinander. Trotzdem hat die Ältere ein wachsames Auge auf die Jüngere. Nun allerdings droht Gefahr: Eine Reihe von Morden an jungen Prostituierten erschüttert die Stadt und Kacey ist verschwunden…

„Long Bright River“ ist ein Roman von Liz Moore.

Meine Meinung:
Erzählt wird aus Sicht von Mickey in der Ich-Perspektive. Dabei gibt es zwei Zeitebenen. Die jeweiligen Kapitel sind mit „jetzt“ und „damals“ überschrieben. Auf der Ebene der Vergangenheit erstreckt sich das Geschilderte bis in die Kindheit von Mickey und Kacey. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut.

Der Schreibstil ist schnörkellos und unaufgeregt, aber anschaulich, eindringlich und einfühlsam. Die Beschreibungen sind nicht ausschweifend, aber ausreichend detailliert und auf den Punkt gebracht. Schon nach wenigen Seiten entwickelt die Geschichte einen Sog, dem ich mich nur schwer entziehen konnte.

Die beiden Protagonistinnen sind interessant ausgestaltet. Mickey war mir schnell sympathisch. Sie wird klischeefrei und mit Ecken und Kanten dargestellt. Ihre Gedanken und Gefühle ließen sich sehr gut nachvollziehen. Auch Kacey wirkt authentisch.

Besonders reizvoll empfinde ich den Genremix. Der Roman hat nicht nur Elemente eines Krimis, sondern ist gleichzeitig das Porträt einer von Perspektivlosigkeit geplagten Stadt, eine Milieustudie und die Geschichte einer dysfunktionalen Familie. Der Autorin gelingt es auf hervorragende Weise, diese Aspekte in der Waage zu halten und so einen sehr vielschichtigen Roman abzuliefern.

Sehr eindrücklich wird der Roman, wenn es um die Themen Drogenkrise, Abhängigkeiten, Prostitution und Gewalt geht. Dass Philadelphia mit Problemen in solchem Ausmaß zu kämpfen hat, war mir bis dato nicht bewusst. Die Schilderungen klären auf und regen zum Nachdenken an. Auch mehrere überraschende Wendungen sorgen dafür, dass die Handlung abwechslungsreich und spannend bleibt. So kommt auf etwas mehr als 400 Seiten keine Langeweile auf.

Das Cover passt nicht nur inhaltlich gut, sondern sieht auch noch ansprechend aus. Der treffende Titel ist aus dem Amerikanischen übernommen.

Mein Fazit:
„Long Bright River“ ist ein gleichsam bewegender und unterhaltsamer Roman von Liz Moore, der mich auf ganzer Linie überzeugen konnte.