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Rico

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.01.2017

faszinierende Geschichte

Die Geschichte eines neuen Namens
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In Elena Ferrantes Buch „Die Geschichte eines neuen Namens“ schlüpft man hinein, wie einen geschmeidigen Schuh, der den Leser nach Neapel trägt. Hinein in die sechziger Jahre Atmosphäre Italiens, in dessen ...

In Elena Ferrantes Buch „Die Geschichte eines neuen Namens“ schlüpft man hinein, wie einen geschmeidigen Schuh, der den Leser nach Neapel trägt. Hinein in die sechziger Jahre Atmosphäre Italiens, in dessen Arbeitervierteln Unverschämtheit eine Art Überlebenstechnik darstellt. Hier sind die beiden Protagonistinnen des Romans aufgewachsen. Lila und Elena sind Freundinnen, aber auch Konkurrentinnen, zunächst einmal was die Noten der Schule anging, nun aber auch bei der Wahl, um den attraktivsten Mann fürs Leben. Elena ist die Erzählerin dieser Geschichte. Sie muss hart an sich arbeiten, um gute Zensuren zu bekommen und so wirkt sie auch immer eine Spur verkrampft. Lila dagegen ist mit einer beneidenswerten Intelligenz gesegnet, auf die sie wahlweise mit Gleichgültigkeit hinabblickt, um sie im nächsten Augenblick, wie ein Schwert einzusetzen. Sie geht völlig kompromisslos ihren Weg, wobei sie sich in denkwürdig armselig und stürmischen Liebesgeschichten verheddert, was sie die überaus begabte junge Frau nach und nach an den Abgrund ihrer Existenz führt. Die beiden Frauen leiden dabei nicht nur an den falschen Männern, sondern einer bleiernen Zeit, die den Mann zum Herrn im Hause bestimmt und der Frau stets den Platz am Herd zuweist.

Wie ich das Buch finde? Es ist schon faszinierend, mit welcher Treffsicherheit die Autorin das Romanpersonal zeichnet. Was im ersten Teil des Romans noch köchelte beginnt hier zu brodeln. Lila ist keine Frau, die sich alles gefallen lässt und dennoch sitzt sie beziehungsunfähig zwischen den Stühlen, einen Ort, den Elena nicht einmal erreicht, denn die brave Studierende wird vom männlichen Geschlecht lange mit Nichtachtung und schalen Zungenküssen gestraft. Niemand ist hier nur böse oder gut. Nicht einmal die unvermeidlich auftauchenden Mafioso, die Lila das Leben noch ein bisschen schwerer machen. Die Menschen werden in all ihren Facetten gezeigt und der Schluss ist einfach nur genial. Das alles wird sehr stimmig und kraftvoll erzählt. Mir hat das Lesen sehr viel Freude bereitet. Ein Buch zum mitfiebern, voller kleiner und großer Schicksalsschläge. Dafür gibt es die volle Punktzahl!

Veröffentlicht am 16.11.2016

Am Limit

I.Q.
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Der hochbegabte Querdenker Isaiah Quintabe hat sich einen Status, als Problemlöser und Detektiv in den Problemvierteln von Los Angeles erarbeitet. Wer zwischen den täglichen Scharmützeln der Drogenbanden ...

Der hochbegabte Querdenker Isaiah Quintabe hat sich einen Status, als Problemlöser und Detektiv in den Problemvierteln von Los Angeles erarbeitet. Wer zwischen den täglichen Scharmützeln der Drogenbanden überleben will braucht mindestens eine Waffe unter dem Bett und einen Überlebenswillen von Lake Powell Ausmaßen. Isaiah, den alle nur I.Q. nennen, weil das halt so gut auf seinen Denkapparat passt, hat neben seiner exorbitanten Intelligenz auch noch das nötige Durchsetzungsvermögen, obwohl es das Schicksal nicht immer gut mit ihm gemeint hat. Manchmal mutiert der Privatermittler gar selbst zum Täter. Eltern hat Isaih keine, nur die Sinnsprüche seines Bruders, sein Leben auf keinen Fall zu vergeuden und dann ist da noch eine offene Wunde. Die Geister der Vergangenheit geben keine Ruhe und diese Tatsache tritt in Form von Dodson zurück in sein Leben. Gangsta Dodson ist Drogenverticker, Dieb und personifiziertes Großmaul in einer Person. Er macht Isaiah mit einem berühmten Rapper bekannt, dessen Leben bedroht ist.

Zu meiner Schande muss ich zugeben noch niemals von Joe Ide gelesen zu haben. Mich hat der Buchumschlagstext neugierig gemacht und ich bin nicht enttäuscht worden. Der Stoff ist gut, der Protagonist ist geradezu einmalig, vielschichtig angelegt, wirklich jemand, den ich sicher lange Zeit nicht vergessen werde. Unter seiner coolen Fassade steckt ein empfindliches Kerlchen. In all der obszönen Gewalt seines Stadtviertels wirkt I.Q. wie ein Fels des Guten gegen den das die Bosheit und Dummheit der Bling Bling Musikwelt anbrandet. Und der prägnante Schreibstil lässt einen Leser in die Materie eintauchen. Ich habe da richtig mit gefiebert und gelernt Kampfhunden auch zukünftig aus dem Wege zu gehen. Sehr interessant finde ich den unkonventionellen Ablauf der Geschichte. Isaiahs Vergangenheit und der Rapper-Fall laufen am Ende zusammen. Für mich einer der besten Thriller des Jahres ! Das wirkt alles so ungemein echt und wahrhaftig, nicht wie eine zusammengebastelte Geschichte von der Stange. Eine echte Entdeckung !


Veröffentlicht am 08.10.2016

echte Entdeckung

DNA
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Der Mörder schlägt in dem isländischen Thriller „DNA“ unbarmherzig und voller Brutalität zu. Eine Frau wird sein erstes Opfer und deren Tochter ist die einzige heiße Spur für Kommissar Huldar, der vorne ...

Der Mörder schlägt in dem isländischen Thriller „DNA“ unbarmherzig und voller Brutalität zu. Eine Frau wird sein erstes Opfer und deren Tochter ist die einzige heiße Spur für Kommissar Huldar, der vorne auf dem Buchumschlag, als Kommissar Haldur angekündigt wird. Das Mädchen hat entsetzlich mit ansehen und hören müssen. Auch ich musste bei den gewählten Todesarten wirklich schlucken. Was mir auch nicht mehr alle Tage passiert. Als dann noch ein weiteres Opfer ins Jenseits befördert wird ist die Verwirrung des Ermittlerteams und der Leser perfekt. Denn die Autorin ist eine Meisterin darin falsche Fährten zu legen und der Mörder hinterlässt kaum Spuren, die verwertbar scheinen. Soweit so gewöhnlich. Das ist es dann aber auch schon an Erwartbarem.

Schon das Ermittlerteam hat es in sich. Kommissar Huldar ist das, was man vor Jahrzehnten einen Schwerenöter nannte, also ein Mann, der den Dreh raus hat beim weiblichen Geschlecht. Wenn er auch manchmal mit unlauteren Waffen kämpft, wie die Polizeipsychologin Freyja meint, die eine ganze Nacht mit dem angeblichen Tischler verbrachte und ihm von nun an mit Rat und Tat und sexuell frustriert zur Seite steht. Großartig ist auch der typische Internet Nerd Karl, der eigentlich lieber als Amateurfunker unterwegs ist, weil dem Gewohnheitsloser da praktisch niemand in die Quere kommt. Als ihn dann sonderbare Botschaften erreichen beginnt die Geschichte zu brennen.

Obwohl die Story im Grunde klassisches Thriller Futter mit einem ebenfalls klassischen Psychopathen ist bin ich sehr angetan von dem Buch. Der Roman wirkt gut durchdacht, ist durchgehend spannend und der Schreibstil ist genau mein Ding. Diese Autorin mit dem unaussprechlichen Namen hat so Art sich in die Psyche eines Menschen einzufühlen, wie man es im Thriller Bereich nur selten zu lesen bekommt. Dafür ein Sonderlob! Die Charaktere kommen ungeheuer lebendig und wahrhaftig rüber, als ginge man selbst mit der Erzählerin die Tatorte ab. Extrem gut gelungen finde ich den Schluss, der mit einer faustdicken Überraschung aufwartet. Ein sehr lesenswerter Roman, voller Spannung und dramatischen Ereignissen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein einmaliges Ereignis

The Girls
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„The Girls“ von Emma Cline spielt auf ein geschichtliches Ereignis an, dass Charles Manson bekannt machte und Sharon Tate das Leben kostete. Die Autorin führt uns zurück in die Vergangenheit und entwirft ...

„The Girls“ von Emma Cline spielt auf ein geschichtliches Ereignis an, dass Charles Manson bekannt machte und Sharon Tate das Leben kostete. Die Autorin führt uns zurück in die Vergangenheit und entwirft ein eigenes Szenario. 1969 ist Evie Boyd vierzehn Jahre alt und lebt in Kalifornien, der kältesten Gegend des Planeten seit sich ihre Eltern voneinander getrennt haben. Hier trägt die Spießer-verteufelnde „Alles ist möglich-Generation“ die Haare so lang, dass die Sicht auf die Realität etwas getrübt ist. Was auch der pausenlosen Zufuhr etlicher Drogen geschuldet sein kann. Evie lebt das typisch dazwischen Leben einer pubertierenden Heranwachsenden. Rein körperlich eine Frau, im Innern ein verunsichertes Kind, dass sich selbst kaum aushalten kann. In ihr sitzt die kindliche Wut einer Zu kurz gekommenen, einer nicht wahrgenommenen, im Tal der Puppen, zu der auch ihre schauspielernde Großmutter gehörte, der Wunsch dazuzugehören ist ungefähr so stark, wie der Wille sich von allen anderen abzusetzen, besonders zu sein. Und dieses Jahr scheint wie gemacht zum Aufbruch. Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Sommer ist heiß, die Eltern sind blöd und leben getrennt voneinander. Ihre Mutter, eine langweilige Esoterikerin, deren stärkster Drang es es ist das Vermögen ihrer Mutter mit männlichen Dünnbrettbohrern zu verjubeln, ist ein Totalausfall an der Erziehungsfront. Der Vater gleicht einem Jackett, dass die Frauen im Hause irgendwann einmal in den Schrank gehängt haben, um es zu vergessen.

Als Evie von der Siff- und Sonderbarsekte in den Bergen hört zieht es die aufblühende Schönheit an diesen Rand der Zivilisation. Menschen, die anders sind. Genau ihr Ding. Vor allem, weil sie Suzanne begegnet, einer faszinierenden Frau, die dem herausragenden Führer Russell bedingungslos folgt. Für Guru-Russell sind die Menschen Knetmasse. Er drückt sie sich irgendwie passend, die Schönen kommen auf die Liege, die Hässlichen dürfen für ihn kochen und die Wäsche machen. Die Wohlhabenden sichern im Einkommen und mehren seinen Ruhm. Nur seiner Eitelkeit und dem ihm eigenen Größenwahn darf niemand in den Weg kommen. Niemand. Evie rutsch da in eine Geschichte, deren Folgen ihr Leben fortan bestimmen werden.

Die ersten fünfzig Seiten hatte ich etwas Mühe in die Geschichte zu kommen, was an der Detailverliebtheit der Autorin liegt, die alles richtig machen will und zu Beginn sprachlich leicht über die Stränge schlägt. Danach aber empfinde ich den Roman als absolutes Lesevergnügen. Der Schreibstil ist außergewöhnlich. Das Thema eine Wucht und Emma Cline fördert immer wieder verblüffend tiefschürfendes zutage. Die Menschen finde ungeheuer authentisch und nicht nur in ihrer menschlichen Grausamkeit interessant. Evie Boyd hat so etwas erfrischend normales, etwas bahnbrechend unspektakuläres. Sie hat das Identifikationspotential einer Kindfrau und wird wie viele ihrer Zeitgenossinnen niemals erwachsen. Das Buch bleibt auch in dieser Hinsicht immer hart an der Realität und geht auch mit Aussteigerträumen wenig zärtlich um. Helden gibt es keine. Dieses Buch atmet Amerika. Dieses Buch ist Amerika. Ein großes Versprechen, dass nur im Himmel oder in der Hölle enden kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gutes Buch

Der Architekt des Sultans
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Istandbul ist im 16. Jahrhundert die Hauptstadt des osmanischen Reiches. Der junge Inder Jahan reist im Auftrage seines Herrn mit einem weißen Elefanten zum Sultan und bleibt fast ein Leben lang. Verliebt ...

Istandbul ist im 16. Jahrhundert die Hauptstadt des osmanischen Reiches. Der junge Inder Jahan reist im Auftrage seines Herrn mit einem weißen Elefanten zum Sultan und bleibt fast ein Leben lang. Verliebt in ein wunderschönes Mädchen wird er ein Schüler von Sinan, einem der berühmtesten Architekten aller Zeiten. Seine Moscheen zieren noch heute die Stadt. Touristenheere belagern das Herz der Stadt, um die Meisterwerke Sinans zu bestaunen. Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum eine Autorin wie Elif Shafak auf den Gedanken gekommen ist dieser Epoche und ihren berühmtesten Köpfe einen Roman zu widmen. Und es ist keine geringe Leistung die Sie dabei vollbracht hat.

Fast zärtlich führt sie den völlig entwurzelten Jahan in die Geschichte ein. Sinan nimmt sich dem menschlichen Treibgut an und bildet ihn aus. Tausend und eine Nacht werden hier zu Tausend und einer Geschichte. Es wimmelt in dem Buch nur so von kleinen und großen Weisheiten, Emotionen, Verrat, Liebe, Barbarei und Schönheit, die sich in zahllosen Bauwerken manifestieren, die Sinan entwirft. Der Architekt ist Dreh- und Angelpunkt des Romans. Wahrheit und Genreliteratur vermischen sich miteinander und lassen ein exzellent geschriebenes Buch entstehen, dem man jedes Wort abnimmt, so wahrhaftig wirkt das alles auf mich. Ein absolutes Lesevergnügen!